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Der Westen ist der Böse

Je länger dieser Krieg dauert desto mehr wird die These laut, an allem schuld sei der Westen. Man habe Russland in die Enge getrieben, man habe Russland provoziert und vergessen, dass ein Volk auch einen Stolz habe.

Da ist natürlich was dran. Ich habe es als einen der größten Fehler erachtet, als Obama davon sprach, Russland sei nurmehr eine Regionalmacht. Nein, es war kein Fehler, es war eine Dummheit. Der Satz hat den USA nichts gebracht außer dem Trotz und dem Hass der Russen.

Dennoch ist es eine an Dümmlichkeit grenzende Wichtigtuerei, zu behaupten, der Westen sei verantwortlich für den Krieg.

Für einen Krieg ist immer der verantwortlich, der ihn beginnt, derjenige, der die Politik beiseitelegt und zur Waffe greift.

Der Aggressor ist Russland. Es sind russische Soldaten, die Zielschießen auf radelnde Opas spielen, es sind russische Raketen, die ganze Landstriche verwüsten und es ist Russlands Verantwortung, wenn in Ländern der Dritten Welt Hunger ausbrechen wird, weil ukrainisches Mehl und ukrainisches Sonnenblumenöl nichtmehr zu den Konsumenten kommen.

Wir dürfen nie vergessen: Der Aggressor ist Russland oder genauer Putin und seine Spießgesellen.

Die Blödsinnigkeit der Behauptung, der Westen habe den Krieg zu verantworten, wird dann deutlich, wenn man den alten Machospruch bemüht, wonach das Opfer selbst schuld an der Vergewaltigung sei, der kurze Rock habe den Täter provoziert.

Denken? Erlaubt!

Die EU ist als Werteunion gegründet worden. Nur haben das nicht alle ihrer Mitglieder verstanden. Die Briten haben zwar die Demokratie wiedererfunden. Aber, abgesehen von Churchill, war es ihnen ziemlich egal, ob anderswo demokratische Werte hochgehalten wurden, solange man dort Handel treiben konnte. Die Franzosen, Erfinder der Französischen Revolution, haben deren Werte in der DNA. Mal sehen, ob das nach den kommenden Präsidentenwahlen immer noch so ist. Deutsche, Österreicher, Italiener, Spanier und Portugiesen mussten nach schrecklichen Kriegen und ewigen Diktaturen lernen, dass was dran ist, an den demokratischen Werten. Kann man da von den Bewohnern der Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes verlangen, dass sie von jetzt auf dreißig Jahre, gelernt haben, dass es in der EU nicht nur um Geld und Handel, sondern auch um Demokratie geht? Offenbar nicht, Orban hat es gezeigt.

Allerdings müssen wir nicht bis London, Warschau oder Budapest gehen, um zu erkennen, dass ein guter Deal noch immer wichtiger ist, als die Lupenreinheit unsres Vertragspartners

Die deutsche Politik vor dem 24. Februar und ganz besonders danach gibt Anlass zur Beschämung.

Doch zurück zu den Werten. Brüssel kann die Einhaltung der Werte durchsetzen, indem der Geldhahn zugedreht wird – mit überschaubarem Erfolg. Wenn kein Geld mehr fliest, dann blockieren wir die EU einfach mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit.

Also Geldhahn wieder auf! Fraglich ist nur, ob die übrigen Europäer zusehen müssen, wie die Fördergelder der EU in korrupten Kanälen verschwinden. Also Geldhahn wieder zu…

Immer wieder wird erzählt, in Rumänien habe sich das Bruttosozialprodukt seit Einführung der Demokratie verdreifacht. Wenn man Fördermittel aus Brüssel für Demokratie hält, dann stimmt das sicherlich. Das deutsche Wirtschaftswunder hat doch auch nicht an der fdGO gelegen.

Irgendwas läuft schief.

Es muss erlaubt sein, über die Zukunft der EU nachzudenken. Offenbar gibt es zwei Alternativen:
-Wir specken wertemäßig ab und verwandeln die EU in eine Freihandelszone mit Fördergeldern, Erasmus, Gurkenbiegungswinkel und Niederlassungsfreiheit, oder

Wir treten aus der EU aus mit dem Ziel, dass die Länder, die Wert auf Werte legen, eine EWU, eine Europäische Werte Union bilden.

Voraussetzung dafür wäre eine supranationale EWU-Verfassung mit durchsetzungsfähigem Verfassungsgerichtshof.

Und sonst? EU wie bisher, halt nur ohne Mitglieder, die lediglich mit dem Geldbeutel EU-Mitglieder sein wollen.

Die Reitpeitsche

Meine Mutter hatte die gute Angewohnheit, uns bei Verboten gleich auch über die Konsequenzen deren Nichtbeachtung aufzuklären. „Dann kriegste eine Schelle“ war unterste Stufe, die zu „dann sag ich’s deinem Vater“ aufsteigen konnte, aber das allerschlimmste war „dann kriegstes mit der Reitpeitsche“.

Da bei uns niemand ritt, wusste ich nicht, was eine Reitpeitsche ist und wie so was aussah, zumal die dritte Eskalationsstufe nie zur Anwendung kam.

Eines Tages fragte ich, ob ich die Reitpeitsche einmal sehen könnte, und Mutter zeigte mir eine elastische mit braunem Leder überzogene Gerte. Oben drauf saß ein silberner kugelförmiger Knauf.

„Die gehört fei dir“, sagte sie wie nebenbei. Und tatsächlich, es war mein Name ins glänzende Metall eingraviert: „Hans“.

„Ach komm, die hat doch dem Onkel Hans gehört“, wehrte ich ab. Ich wollte nicht Besitzer eines Marterinstrumentes sein.

„Doch, die hat dir deine Großmutter zur Taufe geschenkt.“ Schon damals fand ich, dass man nur schwer ein blödsinnigeres Taufgeschenk machen könne. Darüber hinaus war ich empört. Wie konnte Mutter mit etwas aus einem Waffenarsenal drohen, das gar nicht das Ihre war. Gut, wenn es darum gegangen wäre, meine Geschwister zu verhauen, hätte ich das Ding schon ausgeliehen, aber ich wollte gefragt werden.

In einem unbewachten Moment nahm ich die Reitpeitsche an mich und versteckte sie im Kleiderschrank hinter den Pullovern.

Dort fand ich sie, als ich meine Siebensachen zusammenpackte, um nach Ibiza umzusiedeln und nahm sie mit. Das Leder war mit den Jahren brüchig geworden du als ich einmal zu viel Geld hatte, beauftragte ich den Eigentümer des Reiterbedarfsladens, eine neue Gerte daran zu machen. Nach ein paar Tagen bekam ich meinen silbernen Knauf wieder, an dem ein kurzer, geflochtener schwarzer Wurmfortsatz befestigt war. Es war teurer und scheußlicher als gedacht, aber so viel Geld, um eine noch mal neue Peitsche in Auftrag zu geben, hatte ich auch wieder nicht.

Nun hing die Reitpeitsche an der Wand. Was tun? In San Rafael gab es damals einen Katalanen, der ein kleines Gestüt betrieb und Reitunterricht erteilte. Der setzte mich auf ein Pferd und sagte, die Reitpeitsche käme erst zum Einsatz, wenn ich richtig reiten könne. Er lobte meine reiterische Begabung von der ersten Stunde an und ich wähnte mich schon in der Nachfolge meines Großvaters, für den es nur drei wichtige Dinge im Leben gab: Der rotenhansche Forst, das zweite Ulanen Regiment in Fürstenwalde und Pferde. Ich mache gute Fortschritte, ich hätte das Reiten im Blut, sagte der Katalane. Ich war aufs Höchste gebauchpinselt. Dann meinte er, ich wäre jetzt schon so gut, dass er mich in die Obhut seiner Tochter, einer preisgekrönten Amazone, geben könne. Sie war bildhübsch. Als sie rasch bemerkte, dass ich mehr an ihr als an ihrer reiterischen Pädagogik interessiert war, begann sie mich zu trietzen, mäkelte an meiner bis anhin tadelsfreien Haltung herum und sagte, die Innenseiten meiner Knie müssten bluten, so sehr müsse ich sie ans Pferd pressen. Ich merkte, dass das zu nichts führen würde, gab meine Hoffnungen, die Amazone erobern zu können auf und ließ die Reitpeitsche weiter ein ungenutztes Dasein führen.

Sie zog dann mit nach Palma de Mallorca und von dort mit nach Berlin. Ab und zu habe ich den silbernen Knauf geputzt.

Neulich ist sie hinter einen Einbauschrank gerutscht. Versuche, sie von dort wieder hervorzuholen scheiterten bis jetzt.

Ein Schweißfuß kommt selten allein.

Diese empirisch unterlegte Weisheit war nie so wahr wie derzeit: Erst die Pandemie, die der Welt Kosten in ungeahnter Höhe aufgelastet hat, und nun der Krieg, pardon, die militärische Spezialaktion, in der Ukraine, die der Welt mit einem Schlag klarmacht, wie wichtig dieses bisher unbeachtete Land für die Weltwirtschaft ist. Wer wusste schon, dass dort Sonnenblumen, Weizen und Äpfel in so großem Maße angebaut werden, dass der Ausfall der Ernte ein Problem für die Welternährung wird? Dass 50 % des Neongases aus Mariupol kommt?

Dass Russland uns mit Energie versorgt, wussten wir und erinnern uns an Adenauer, der gesagt hat, die Soffjets seien zwar durchaus fragwürdig, aber sie seien zuverlässige Handelspartner. Und darüber hinaus hatte sich die Bundeskanzlerin furchtlos gezeigt, sogar vor Putins Kötern. Sowas imponiert dem.

Der annektierte munter die Krim und, seien wir ehrlich, Donezk und Lugansk, bombardierte für Assad dessen Städte und killte die halbe Bevölkerung von Grosny. Das tat seiner Reputation nur wenig Abbruch. Man redete mit ihm und drückte seine Hand.

Jetzt ist es anders: Es sind nicht Moslems, die unter seinem Bombenhagel sterben, und soo wichtig waren Tschetschenien und Syrien für den reicht gedeckten Mittagstisch in Europa auch wieder nicht.

Jetzt aber stört er, er stört so richtig. Er gefährdet unseren Popanz, das Wirtschaftswachstum.

Wenn unsere Wirtschaft nicht wächst, bricht das System zusammen, unter anderem deshalb, weil wir dann unsere immensen Schulden nichtmehr bedienen können. Das zeigt, wie weit wir uns von den Prinzipien der schwäbischen Hausfrau entfernt haben:

Ein Eisschrank wird erst dann gekauft, wenn wir das Geld dafür haben. Weil unser System aber auf pump gebaut ist, ist es so fragil, so angreifbar. Die kleinste Störung kann alles durcheinanderwirbeln.

Das Problem ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten alles vom Selbstversorger auf den Zugang zum Geld umgewandelt wurde. Vor 50 Jahren hätte der zugedrehte Gashahn niemanden mit Furcht erfüllt. Man hatte einen Bullerofen, der mit heimischen Briketts oder Brennholz aus dem Wald beheizt wurde. Wer kennt noch das Wort „Holzlese“? Mein Vater stand im Saal des Dorfgasthofes und versteigerte für billiges Geld „Lose“. Das waren klar abgesteckte Gebiete im Wald, wo der Loskäufer alles herumliegende Holz sammeln konnte. Vergessen! Wer hat schon noch einen Bullerofen? Unsere Heizungen werden mit irgendwas gefüttert, und das bekommt nur, wer ein gutes Einkommen hat.

Ich weiß, das ist alles umweltpolitisch ein Problem. Dennoch. Krisis heißt auf Griechisch auch Chance. Das wissen auch die Politiker. Dennoch leisten es sich die in Berlin einen feuchten Hosenboden herzuzeigen, statt die Einfuhr von Putin-Gas und Putin-Öl zu stoppen.

Es muss diesem Herrn klargemacht werden, dass er es nun endlich geschafft hat, weltweit ein Paria zu sein. Oder denkt irgendjemand, dass die Bevölkerung es tolerieren würde, wenn ihre gewählten Repräsentanten ihm irgendwann, aus welchen opportunistischen Grünen auch immer, noch einmal die Hand reichen?

Putin kann den Krieg gewinnen oder verlieren. Solange er im Kreml herrscht, bleibt Russland isoliert (so hoffe ich jedenfalls).

Von der Lüge

Es ist das Verdienst der Bundesaußenministerin, ein neues Wort in den diplomatischen Diskurs eingeführt zu haben.

Sie sprach davon, dass ihr Kollege Lawrow sie belogen habe, ebenso wie dessen Chef gelogen habe.

Es ist gut, wenn Lüge Lüge genannt wird, wenn ich auch zugeben muss, dass es amüsanter ist, vom subjektiven Umgang mit der Wahrheit zu sprechen.

Ich habe gestern mal aufgepasst und mich selbst bei mehreren Lügen erwischt. Es waren halt die kleinen Ausreden, die wir alle täglich gebrauchen. Da hatte ich versprochen, die Küche aufzuräumen und mich damit entschuldigt, ich hätte einen Gedankenblitz zu Papier bringen müssen, als ich dabei erwischt wurde, die Aufräumerei nur ungenügend beendet zu haben.

Gehen wir die Lüge mal theoretisch an: Es ist der Versuch, einen Vorteil für sich herauszuholen, indem man dem anderen eine Unwahrheit auftischt.

Interessant daran ist, dass geglaubt wird, die Unwahrheit helfe besser weiter als die Wahrheit. Offenbar ist unser wahres Sein so mies, dass wir es besser nicht herzeigen.

Dabei weiß der Volksmund seit Jahrtausenden, dass Lügen immer ans Licht kommen, schon einmal deshalb, weil sie kurze Beine haben.

Es ist ja auch so, dass Lügen ganz eigentlich eine Beleidigung des Belogenen sind. Wer nicht ganz deppert ist, merkt doch sofort, wenn er belogen wird.

Oder haben Macron und Scholz, als sie an diesem absurden Tisch saßen, nicht gemerkt, dass Putin kein einziges wahres Wort gesagt hat?

„Der lügt beim Beten,“ vermutete mein Großvater von jemandem, dem man nicht über den Weg trauen durfte und wir Kinder nannten so einen „Lüchnsocher“ und fühlten uns gut, wenn wir ihm noch ein „Wer einmal lüchd, den glaubd man nichd, und wenn er auch die Wahrheid schbrichd“ hinterherrufen konnten.

Nun sollten wir nicht wirklich den Versuch unternehmen, festzustellen, ob, in welcher Intensität und mit welcher Annäherung an die Wahrheit Putin und andere Politiker beten. Immerhin macht es sich gut, den Eindruck zu erwecken, man täte das. Es darf uns daher auch nicht verwundern, wenn Trump unseligen Angedenkens, immer gleich mit zwei Bibeln in der Hand aus der Kirche kam.

Übrigens hat mich gestern meine Frau bei der Küchenaufräumlüge sofort erwischt, denn sie wollte den zu Papier gebrachten Gedankenblitz sehen. Es war obiger Satz, wonach lügen ans Licht kommen, weil sie kurze Beine haben.

„So ein Quatsch! Das ist doch ein in sich verquerer Satz! Besser du hättest die Küche fertig aufgeräumt.“

Ich müsste lügen, wenn ich behauptete, sie hätte damit nicht Recht.

Das hätte man wissen können

Wahrlich, wahrlich, ich bin keiner von denen, die von sich behaupten, immer alles im Voraus gewusst zu haben, und noch weniger gehöre ich zu denen, die glauben, von Politik wirklich etwas zu verstehen. Nur:

Erstens:

Gleich nach dem Fall der Mauer habe ich in einem Brief an meine damals noch lebenden Eltern vor dem Aufleben der Nazis in den „neuen Bundesländern“ gewarnt. Begründung: Die DDR hat sich immer als antifaschistisch empfunden und deshalb sah sie keinerlei Veranlassung die Naziverbrechen aufzuarbeiten, die Nazivergangenheit zu bewältigen. Der Erfolg war, dass die Jugendlichen vom Opa erzählt bekamen, wie schön es doch unter Adolf war, als man noch auf Russen schießen durfte. Das wäre im Westen auch so passiert, hätten uns die Auschwitz-Prozesse nicht wachgerüttelt.

Zweitens:

Als nach dem Fall der Mauer die Sowjetunion moralisch, militärisch und ökonomisch am Boden lag, war es einfach, die NATO und die EU nach Osten zu erweitern. Es war auch einfach zu unterstützen, dass viele der ehemaligen Teilrepubliken selbständig wurden. Das war eine öffentliche Demütigung des machtverliebten Apparats in Moskau. Dass Obama auch noch nachtrat, indem er das verbleibende Russland zur Regionalmacht erklärte, machte die Sache nicht besser. Dass „Moskau“ auf Rache sinnen würde, dass man dort den „status quo ante“ würde wiederherstellen wollen, war jedem klar, der schon einmal bei einer Rauferei von einem Stärkeren in den Schwitzkasten genommen worden war.

Drittens:

Viele Soldaten und Offiziere der Bundeswehr glaubten, mit dem Fall der Mauer sei ihre Aufgabe erfüllt, nahmen den Abschied und versuchten ihr Glück in der Privatwirtschaft. Wenn Strukturen zerfallen, wenn sich Militärbündnisse auflösen, entsteht ein Machtvakuum. Niemand weiß, wer davon der Nutznießer sein wird. Statt aufzupassen, genoss man die wohlige Wärme eines nur scheinbar erreichten Friedens (peace in our time, Chamberlain dixit). Man glaubte, es sich erlauben zu können, die Bundeswehr runterlottern zu lassen. Ich verstehe vom Militärischen nur wenig, allerdings habe ich mich immer gewundert, weshalb man über die nicht einsatzfähigen Hubschrauber lachte, statt all das als Alarmsignal zu verstehen.

Fazit:

Wenn ich Depp das so gesehen habe, dann ist davon auszugehen, dass die vielen, vielen Menschen, die gescheiter sind als ich das auch so gesehen haben.

Warum ist es an verantwortlicher Stelle so schwer, Einsicht zum Handeln werden zu lassen? Ich verstehe, meine oben angeführten persönlichen Einsichten auszusprechen, war lange Zeit politisch nicht opportun. Aber wir hätten uns die AfD erspart, wir hätten Russland aus der Schmollecke holen können und wir wären nicht wieder einmal nur „bedingt abwehrbereit“.

Coronaopfer und Europa

Wenn die gegenwärtige Viruskrise vorüber sein wird, gibt es hoffentlich ganz viele Genesene und ganz wenig Verstorbene, allerdings ist jetzt schon klar, es wir ein Kranker übrigbleiben. Das ist die Europäische Union.

Sie ist nicht vorhanden in der Bewältigung der weltweiten Pandemie. Nachrichtentechnisch scheint es so, als habe der Ministerpräsident des Saarlandes in dieser Sache mehr zu vermelden als die ansonsten so machtvollen EU-Kommissare. Das hat natürlich einen Grund, und zwar den der Kompetenzen.

Die EU hat keine gesetzliche Befugnisse, um handelnd in die Bewältigung der Coronakrise eingreifen zu können.

Das ist bedauerlich, aber es ist symptomatisch: Europa, wahrscheinlich die gesamte Welt, haben sich angewöhnt, das Gesundheitssystem in den Boden zu sparen. Man hat einfach darauf vertraut, dass der medizinische Fortschritt derart allumspannend ist, dass in seiner Folge die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen, die stationär behandelt werden müssen, immer geringer wird.

Erst im vergangenen Jahr hat der Bundesgesundheitsminister haufenweise die Schließung von Krankenhäusern angeordnet. Ich nehme an, dass er sich aus Ärger über diesen Fehler nun die Finger wund beißt.

Unser aller Bewusstsein hat sich schlicht und ergreifend vom Gesundheitswesen abgewendet. Jaja, das ist wichtig und da arbeiten auch fleißige und kompetente Leute. Diese aber anständig zu bezahlen, das war in der öffentlichen Wahrnehmung unter dem Diktat des verordneten Sparzwanges, nun wirklich keine Priorität.

Um zur EU zurückzukommen: Dass man ihre keine Gesundheitskompetenzen verliehen hat, zeigt in aller Deutlichkeit, welche Gewichtung unser aller Gesundheit in den Augen der Politik hat.

Um es polemisch auszudrücken: Der Bananenbieger war in Brüssel wichtiger als der Arzt.

Nach Beendigung der Pandemie werden wir alle wissen, wie immens wichtig es ist, ein Sanitätswesen zu haben, dass stets auf alles vorbereitet ist und das so attraktiv ist, dass genügend junge Leute in die Pflegeberufe gehen.

Ich kann und werde hier keine Vorschläge machen, denn ich bin kein Fachmann. Eines aber weiß ich: Die Coronakrise gibt uns die Gelegenheit, unsere Götter zu revidieren. Vielleicht ist es gesellschaftlich doch nicht so alternativlos, ständig unter dem Primat der Wirtschaft zu leben. Die kann ja doch auf die Dauer nur gedeihen, wenn sie von psychisch und physisch Gesunden betrieben wird.

Und, das klingt jetzt schon ein wenig futuristisch: Wenn der Staat es berechtigterweise für richtig befunden hat, eine tatenlose Wirtschaft und eine zum Nichtstun verdonnerte Bevölkerung über diese Wochen, vielleicht Monate zu bringen, dann ist es an der Zeit, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken.

Bislang wurde das von den Wirtschaftsgottsöberschten als Flausen von solchen diffamiert, die sowieso nicht arbeiten wollen.

Diese Tage haben gezeigt, dass die Frage der Arbeit nicht vom Willen allein abhängt.

Fazit eins: Wenn ein Virus grenzüberschreitend arbeitet, muss das die EU Kommission auch tun können.

Fazit zwei: Es muss uns etwas einfallen, Gesundheit als wirklich wichtig zu verstehen. Wie wichtig sie ist, wissen nur die, die sie die Gesundheit verloren haben. Gesundheit ist mehr als das, was man sich auf vorgedruckten Karten zu Weihnachten wünscht.

Das Recht bleibt das Recht

Mein Freund Heiner Süselbeck hat neulich vorgeschlagen, ich solle doch mal über den 94. Psalm nachdenken.

Das habe ich getan und will zunächst einen kleinen Teil des Psalms hier zitieren:

„Denn der Herr wird sein Volk nicht verstoßen noch sein Erbe verlassen. Denn Recht muss doch Recht bleiben und ihm werden alle frommen Herzen zufallen.“

Dieser alttestamentarische Text ist wunderbar für diese Tage. Er gibt allen Menschen Hoffnung. Allen, die gläubig sind und allen, die nicht gläubig sind.

Er sagt nämlich nichts weniger als, dass – nenn es Herr, nenn es Natur – stets dafür sorgt, dass es weiter geht. Meine Mutter hat das immer in ihrer direkten Art so formuliert:

„Du musst nicht denken, dass sich der liebe Gott mit seiner Schöpfung so viel Mühe gemacht hat, um jetzt alles kaputt gehen zu lassen.“ Das war für mich stets ein riesiger Trost, wenn draußen Blitz und Donner wüteten und ich zitternd vor Angst in meinem Bett lag.

Und so kann uns das auch jetzt ein großer Trost sein, denn das Corona Virus wird sicherlich Vieles verändern, aber es wird danach weitergehen, womöglich nicht mit jedem von uns, aber die Welt wird nicht untergehen, dazu hat sich die Natur bisher viel zu viel Mühe mit ihr gegeben.

Nur, was hat das mit dem Recht zu tun? Das klingt geradezu so, als hätten wir ein Recht darauf, dass die Welt nicht untergeht, was insofern etwas absurd klingt, weil wir Menschen in den vergangenen Jahrzehnten alles unternommen haben, damit sie tatsächlich untergeht.

Nein, ich verstehe das anders. Die Bundeskanzlerin hat das neulich in ihrer Ansprache sehr deutlich gemacht: Bei allen notwendigen Eingriffen des Staates in die bürgerlichen Rechte, diese müssen bestehen bleiben. Recht muss Recht bleiben, auch dann, wenn der Staatskörper fast alle seine physischen und finanziellen Kräfte auf die Bewältigung der Corina Krise verlegen muss.

Das berühmte „whatever it takes“ hat eben seine Grenzen. Auch in Zeiten extremer Krisen ist nicht alles erlaubt. Die essentiellen Grundrechte müssen weiter gelten, Recht muss Recht bleiben und ihm werden alle frommen Herzen zufallen. Aber nicht nur diese. Es werden dem Recht alle die zufallen, die erkannt haben, dass das Recht dann wie ein Chinin Panzer, also wie ein Außenskelett für die Gesellschaft wirkt, wenn für viele Mitmenschen der eigene, der innere Halt wankt. Das Vertrauen darauf, dass es rechtens zugeht, bringt uns dazu, solidarisch handeln zu können, Egoismus hintanstellen zu können und er macht es uns möglich, keine Angst haben zu müssen.

Man muss nicht gläubig oder Mitglied einer Kirche sein, um zu erkennen, dass die Bibel ein Kompendium ist, in dem uraltes Wissen angehäuft ist, das auch irgendwie die Basis unseres Denkens und Handelns geworden ist.

Nur so eine Idee: Statt sich zu langweilen in diesen Tagen, kann man auch mal wieder in der Bibel lesen. Zum Teil ist das durchaus vergnüglich, denn gerade im Alten Testament geht es streckenweise zu wie im Bahnhofsviertel.

 

 

Der Wind wird rauer.

 

Seit Beginn des Jahres 2020 gibt es drei weit verbreitete Meinungen, die mir Sorge bereiten:

  1. Die Überbevölkerung der Welt ist nur durch Zwangssterilisierungen zu verhindern.
  2. Die Alten leben zu lange und es droht daher eine Überlastung des Rentensystems.
  3. Es kann nicht angehen, dass unsere Wirtschaft kaputt geht, nur weil einige Alte am Virus sterben, die sowieso keine große Lebenserwartung mehr hätten.

Alle, die diese Meinungen vertreten, haben Eines gemein: Sie sind nicht betroffen, denn sie wohnen in Europa, sind jung und gesund.

Wenn man sich das genau anschaut, dann merkt man, dass diese Mitmenschen bereit sind, anderen das Recht auf Familie, das Recht auf ein auskömmliches Alter und das Recht auf Leben absprechen.

Und alle, die diese Meinungen vertreten, haben noch etwas gemein: Sie haben Angst. Sie haben Angst davor, dass ihr derzeitiger „status quo“ in Gefahr sein könnte.

Angst essen Seele auf. Und hier wird tatsächlich aus Angst die Seele unserer Gesellschaft geopfert. Was macht sie denn aus, unsere Gesellschaft? Doch nicht das eigene Wohlergehen, sondern der Respekt vor den Rechten aller und die Beachtung der Grundrechte.

„Was heißt da Grundrechte? Bewegungsfreiheit, Gewerbefreiheit und Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt, was nützt uns das ganze Gedöns mit den Grundrechten in einer Krisensituation?“

Wenn wir allerdings ganz ruhig nachdenken, dann merken wir, dass diese Grundrechte eingeschränkt worden sind zugunsten des Gemeinwohls. Das unversehrte Leben aller ist eben ethisch, juristisch und politisch höher einzuschätzen als das Recht des Einzelnen, stets die von der Verfassung garantierten Grundrechte leben zu können.

Ist die Demokratie demnach eine Schönwetter-Staatsform? Nein, gerade nicht, denn in der gegenwärtigen Krise zeigt sich, dass sie das Auge für das Gesamte nicht verliert.

Demokratische Regierungen und Verwaltungen sorgen eben nicht für wenige, vulgo sich selbst, sondern arbeiten dafür, dass Krisen bewältigt werden und die Menschen so weit wie möglich vor Willkür, Not und Unterversorgung bewahrt bleiben. Um es einfach zu sagen: in einer Demokratie wird in Zeiten der Krise die Knappheit verwaltet, die Knappheit an Freiheit, die Knappheit an medizinischen Ressourcen, unter anderem auch mit dem Ziel, die Knappheit mancher Hirne nicht zum Zuge kommen zu lassen.

Kommen wir auf die eingangs zitierten drei Meinungen zurück:

Wer so etwas denkt oder sagt, stellt nicht nur unser Zusammenleben in einer demokratisch verfassten Ordnung in Frage, er lässt auch hinter sich, was wir bisher als die uns alle verbindende Ethik verstanden haben. Diese hat viele Säulen, aber die wichtigste ist doch wohl die des Respekts vor dem Mitmenschen und dessen Leben.

Der Spaltpilz

Die USA sind ein gespaltenes Land, seit dem Super Tuesday ist nun auch die demokratische Partei gespalten, zutiefst, wie die Presse schreibt.

Großbritannien ist ein gespaltenes Land. Spanien ist sogar dreimal gespalten einmal in Katalonien und der Rest und dann in sich zwischen rechts und links.

Die CDU ist gespalten, die SPD ist so klein, dass sie nichtmehr spaltbar ist.

Frankreich ist gespalten. Ja, Frankreich ist ein Phänomen: Dort wählt man immer einen Präsidenten mit absoluter Mehrheit, und nur wenige Wochen darauf bilden sich im Land starke Widerstandskräfte. Man sagt mir, das läge daran, dass man in Frankreich schon seit Jahrzehnten keinen Präsidenten mehr gewählt habe, weil es immer nur darum ginge, den Front National zu verhindern.

So wird es nun auch in den USA passieren: Die Demokraten wählen zwischen zwei Greisen, um Nummer 45 zu verhindern. Da kommt es weniger auf den demokratischen Kandidaten für das Amt des Präsidenten an, als auf den von diesem ernannten Kandidaten für den Posten des Vize-Präsidenten. Auch nicht sehr demokratisch.

Sogar der Vatikan ist gespalten, wo man doch denkt, dass die alleinseligmachende Kirche nur einen Weg zur Seligkeit haben kann. Naja, die haben ja auch zwei Päpste, heraldisch eine Herausforderung nach dem Verschwinden des Doppeladlers.

Kennt jemand, einen Staat, der nicht gepalten ist? Vielleicht Luxembourg? Da zoffen sie sich wenigstens nur mit der dauertelefonierenden Großherzogin. Selig ein Land, das solche Probleme hat!

Kommen wir zurück nach Deutschland: Dort ist es wirklich schwer, nicht gespalten sein zu wollen. Wer will sich schon nicht von Nazis abspalten lassen?

Dann hat man sich gerade überlegt, dass die Linke nun seit 30 Jahren loyal am verfassungsmäßigen Leben teilnimmt, da kommt der Spruch auf, man werde die Reichen erschießen. Damit nicht genug: Acht im Bundestag sitzende Linke verklagen die Bundeskanzlerin wegen Beihilfe zum Mord, weil ohne ihr Zutun von einer US Basis auf deutschem Boden aus ein blutbesudelter General, der einer islamistischen Diktatur diente, getötet wurde. Also, die machen es einem auch nicht leicht, sich nicht von ihnen spalten zu wollen. Hatte die CDU in Berlin vielleicht doch recht, wenn sie die Linke und besonders die thüringische „bäh“ findet?

Offenbar ist der Sinn dafür abhandengekommen, dass Einigkeit stark macht. Ich predige hier nicht „Friede, Freude, Eierkuchen, denn Auseinandersetzung, Diskussion ist notwendig. Allerdings sind, wo man auch hinschaut, die Fronten derart verhärtet, dass kein Platz mehr ist für kontroverses Miteinanderreden.

Gestern war ich in Lübeck und las am Holstentor:

CONCORDIA DOMI FORIS PAX

Einigkeit zu Hause bedeutet Frieden nach draußen.