Feetz und Fetz bei Gericht

Im Sozialkundeunterricht sagte der Lehrer zu unsrer grenzenlosen Wonne, es könne im Leben passieren, dass man in die Verlegenheit komme, zeugen zu müssen.

Nun, das mit dem Zeugen habe ich mit Anstand hinter mich gebracht, beide Kinder sind unterdessen erwachsen.

Aber Zeuge zu sein, das passierte mir vor einigen Tagen zum ersten Mal. Ich war beim Landgericht München geladen, ausgerechnet in dem Gebäude, in dem ich vor 46 Jahren meine mündliche Prüfung abgelegt habe.

Die Tür zum Verhandlungsraum war offen und ich hörte auf dem Gang, wie sich die Vertreter der Parteien gegenseitig abwechselnd Unfähigkeit, Schamlosigkeit und fehlendes Benehmen vorwarfen.

Beteiligt waren ein sehr bekannter Professor, der auch als Rechtsanwalt tätig ist, ein Kollege, der mit dem unnachahmlichen Singsang des Münchner Bildungsbürgertums redete und ein weiterer Kollege, dem der Ruf vorauseilt, ein Stinkstiefel zu sein.

Jemand wollte Schadensersatz haben für etwas, was mit Spanien zu tun hatte.

Deshalb war auch ein spanischer Professor geladen, der immer wieder betonte, dass er kein Jurist sei. Das hätten die Beteiligten aber auch so bemerkt.

Nun kam die Richterin, eine sehr hübsche junge Dame, deren Anblick mir mal wieder die Fährnisse meines Alterungsprozesse klarmachte. Sie belehrte uns, was sie beim Spanier aus sprachlicher Ökonomie darauf beschränkte, er dürfe nicht lügen.

Dann ging es los. Ich war als erster dran, was mit einer Klärung begann, denn ich war als Hans Reiher von Rotenhan geladen worden. In Folge versuchte der Kollege Stinkstiefel ständig mir das Wort im Munde umzudrehen und quatschte der Richterin dazwischen, die das Protokoll in ein Diktiergerät sprach.

Die beiden anderen Anwälte empörten sich pflichtschuldig und ließen erkennen, so was in ihrer langen Zeit der Berufsausübung noch nicht erlebt zu haben. Die Richterin ermahnte Don Stinkstiefel und mir gelang es, meine Aussage mit einigen kleinen anekdotischen Anmerkungen zu würzen. Ich hatte mir vorgenommen, das hohe Gericht zum Lachen zu bringen. Ich gestehe, das war mir wichtiger als die ganze ansonsten langweilige Aussage.

Dann kam der Nichtjurist dran. Ich bat, noch im Saal bleiben zu dürfen. Zu bedauern war die Dolmetscherin, die Sache war kompliziert. Der Professor berichtete von dem Urteil eines spanischen Gerichts, das er erkennbar falsch interpretierte, damit aber den panzern Prozess angestoßen hatte, weil er den Kläger mit seiner falschen Interpretation erst heiß gemacht hatte. Offenbar war er von der Hoffnung geleitet, er könne wissenschaftliches Prestige erwerben, wenn er die Sache an die große Glocke hängt. Während die Richterin diktierte, die Dolmetscherin übersetzte und geprüft werden musste, ob der Professor mit dem Protokoll einverstanden war, quatschte Don Stinkstiefel dauernd dazwischen und wurde richterlich vermahnt. Er aber quatschte weiter, bis die Richterin aufsprang, ihn anschrie und die Verhandlung unterbrach.

Danach bot sie an, sie als Richterin abzulehnen, wovon Don Stinkstiefel aber Abstand nahm.

Es ging echt rund. Nach drei Stunden musste ich leider zum Bahnhof. Schade eigentlich, ich hatte mich schon lange nicht mehr so wunderbar amüsiert.

Beim Hinausgehen bedankte ich mich bei der Richterin für drei Stunden Aktion-Kino.

Sie hat wieder gelacht!

Meine Versuche, Proletarier zu werden.

Es über die SPD zu versuchen, scheiterte kläglich, obwohl der Ortsverband Rentweinsdorf irgendwie erfreut zu sein schien. Nicht, dass man mich sofort auf irgendwelche Pöstchen schob, es ging in erster Linie darum, dass man mit mir „dem Schloss“ eine lange Nase machen konnte. Der Stinkefinger war damals noch nicht en vogue. Ich habe dann für den Gemeinderat kandidiert und fiel natürlich krachend durch. Seit dieser Zeit hasse ich Jägermeister, weil mich der Kassenwart beim Entrichten des Beitrags stets alkoholisierte: „Zu, dring mer a wenig a Schäbbsla auf den Dunnerkeils-Fordschridd.“

Später als Student in München trieb man mir das Proletariertum ziemlich bald aus, ich bin nicht geschaffen für nächtelange Diskussionen um die Tagesordnung.

Zuvor hatte ich es in Ebern beim Kugelfischer am Fließband versucht. Ich wollte ein Auto kaufen. Da ich in der 10.Klasse sitzen geblieben war, bekam ich keins zum Abitur. Ein besonders konservativer Onkel fragte mich, ob das denn unbedingt notwendig sei. Das mit dem Durchfallen wollte ich ihm verschweigen und erzählte von lebensprägenden Erfahrungen in der Welt der Arbeit. Darauf er: „Derlei Erfahrungen kann sich unsereiner getrost ersparen.“

Ich prüfte beim Kufi neben einem Jugoslawen VW Bremszylinder auf Dichtigkeit. Der erklärte mir, die in unserer Abteilung arbeitenden Damen hätten „Schnecken in Hirn“ denn sie machten es sich zur Aufgabe, mich mit nie gehörtem Unflat in Verlegenheit zu bringen.

Zum Proletarier wurde ich dadurch nicht, aber wichtige Lebensweisheiten nahm ich mit auf den Weg, wie diese:

An der Stechuhr warten wir, dass es 16 Uhr werde, da sagte ein älterer Arbeiter zum andern:

„Du Schorsch, dei Hosndür steht offn.“

Worauf der:

„Günder, ich will der amol awos sooch: Frischa Lufd dudd gudd, und außer diesen, wo a Doder lichd, muss a Fenster offn sei.“

Immerhin bin ich in München zur zentralen Mai-Kundgebung des DGB gegangen. Diese fand sinnigerweise auf dem Königsplatz statt. Um proletarisch zu wirken, hatte ich mich extra gammelig angezogen und wunderte mich, dass ich von den Arbeitern gleich zu den Trotzkisten verwiesen wurden. Beim DGB-Block machte man mir klar, dass dies das Fest der Arbeiter sei, deshalb hätten sie sich auch anständig angezogen. Ich bekam nicht einmal eine rote Fahne ausgehändigt. Bei den Trotzkisten fühlte ich mich auch nicht richtig geborgen, es nutze mir nichts, dass ich wusste, wer Frieda Kahlo war. Offenbar erwartete man revolutionäres Wissen über die Liebschaften Trotzkis hinaus.

Ich war einigermaßen verzweifelt und wähnte, dass aus mir wohl nie ein richtiger Proletarier würde. Ich beschloss einen letzten Versuch zu wagen und wurde Taxifahrer. Das führte aber auch nicht weiter, denn entweder waren damals Taxler selbstständig oder Studenten. Aber nicht einmal Letztere waren Proletarier.Die sich so fühlten, saßen im ASTA und machten den Professoren das Leben schwer.

Ich hab mich dann in die Lieder italienischer Kommunisten geflüchtet — auf Schallplatte.

Immerhin, diese habe ich im Plattenladen der KPI in deren römischer Zentrale in der Via delle Botthege Oscure gekauft. Avanti Popolo!

Unanständige Witze

In den 50er Jahren, als ich noch ein Bub war, ging es in Deutschland noch erheblich prüder zu, als das heutzutage der Fall ist. Das sich das geändert hat, liegt wahrscheinlich an der verstärkten Reisetätigkeit. Als ich einmal in London war, hörte ich einen Schuhputzer Witze erzählen, die so unanständig waren, dass ich froh war, nicht alles zu verstehen und aus den Ländern des Mittelmeeres schwappte zu uns eine Witzkultur, die überhaupt erst dann als witzig verstanden wurde, wenn sie sexistisch war.

Da ging es halt in Unterfranken damals noch gesitteter zu: Ein entfernter Verwandter wollte uns Brüdern einmal einen dreckigen Witz erzählen und schickte deshalb seine Töchter aus dem Zimmer. Es kam dann ein Nachttopf darin vor – große Enttäuschung.

Aber immerhin, wir amüsierten uns noch wochenlang über den prüden Kerl.

Ich war immer sehr stolz auf meinen Vater, der sich stets als Freund des unanständigen Witzes bezeichnete und dies auch praktizierte. Das war halt ein richtiger Vater, dachte ich. Der lässt seine Buben am Leben teilhaben und zieht sich nicht vornehm auf den mit Gobelin bezogenen Sessel zurück und redet abwechselnd von der Jagd, der Verwandtschaft und von der Auferstehung.

Später wurde mir dann klar, dass es mit dem Unanstand nicht allzu weit her war, denn die Lieder, die er mit uns im Auto sang, hielten sich streng auf dem Niveau von „Leicht und sicher springt der Floh ohne Sprungbrett über den Popo-o.“

Später lernten wir im Internat unter der Hand einige Wirtinnenverse, die wir schneller auswendig konnten als Schillers Glocke. Als wir in die Weihnachtsferien nach Hause kamen, wollten wir nach dem Absingen der üblichen Weihnachtslieder auch einige Lieder vom Wirtshaus an der Lahn zum Besten geben. Zu meiner Verwunderung verbot dies unser Freund des unanständigen Witzes kategorisch. Die Melodie durften wir summen – immerhin.

Etwas später kommentierte ich das alles mit meiner Mutter, die meinte, sowas passe halt nicht zu Weihnachten. Zu meinem Erstaunen, ja Erschrecken, sang sie mir zwischen Reckendorf und Reckenneusig im Auto einen Vers vor, den ich noch nicht kannte. Der stamme von meinem Vater, verteidigte sie sich, als ich auf das Befremdliche der Situation hinwies.

Es war dann auf Ibiza zunächst bei meinen französischen Freunden, wo ich die wirkliche Schule des unanständigen Witzes besuchte. Da wurde nichts ausgelassen, jede menschliche und zwischenmenschliche Situation wurde aufs Korn genommen und mit einem eleganten Dreh kam der voraussehbare Unanstand dann doch noch zu einem unerwartet charmanten Ende. Es wurde angedeutet und jedermann verstand.

Ganz anders bei den Spaniern. Da geht es nur und ausschließlich ums „Unterwärtsige“, wie sich meine Mutter auszudrücken pflegte. Wie der Stier stürmen dort die „chistes“ auf das rote Tuch beziehungsweise auf die Genitalen zu. Und alles wieherte vor Vergnügen. Da Deutsche dies von ihrer Witzkultur her nicht sofort komisch finden, gelten sie in Spanien als humorlos.

Es dauerte ein paar Jahre bis mich Tolo, mein Friseur in Palma, für würdig befand, in die Riege derer aufgenommen zu werden, denen er beim Verpassen eines Fassonschnitts Witze ins Ohr raunte. Ich lachte pflichtschuldigst und wurde jedes Mal belohnt, indem er mir versicherte, jetzt sei ich von einem Spanier nichtmehr zu unterscheiden.

Ich begab mich dann immer in eine Art Abklingbecken und summte auf dem Weg zu meinem Schreibtisch die Melodie vom sprungbrettlosen Floh.

Hygienebewusste Verstorbene

In den 60er Jahren begann auch in Unterfranken die Häuslebauerei. Immer wenn er im Vorbeifahren einen neu errichteten Dachstuhl entdeckte, freute sich mein Vater: „Das ist gut für die Forstwirtschaft“.

Zuvor hatten wir Kinder den familiären Wohlstand am meist besorgten Blick des Haushaltsvorstandes abgemessen, wenn er vom Holzpreis sprach. Nun zählten wir auf der Fahrt nach Bamberg zwischen Sendelbach und Hallstadt die neuen Dachstühle. Waren es viele, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Venezia gegenüber vom Hertie ein Schlotzeis bekamen.

Der Bauboom machte natürlich auch vor Rentweinsdorf nicht Halt. Die Gemeinde wies einen schmalen Streifen an der Kappelleite als Bauland aus. Eigentlich war vorgesehen, dazu den Baron zu enteignen. Der aber verkaufte das Bauerwartungsland an seine Abgestellten und Arbeiter. Von unten nach oben bauten dort ein Brauer, ein Bierfahrer, noch ein Bauer, ein Traktorfahrer und ganz oben der Sohn vom Wasser Adl, von dem bereits berichtet wurde.

Wir beobachteten bei dieser ganzen Bauerei fasziniert das, was man in Frenken einen „Zamhelfbetrieb“ nannte. Nach Feierabend und am Wochenende fand sich die gesamte Verwandtschaft, die nicht spielenden Mitglieder des 1.FC Rentweinsdorf und die Freiwillige Feuerwehr ein, um den Keller auszuschachten und – ganz wichtig – den Brunnen zu graben. Das war eine mühsame Arbeit, denn es mussten Betonringe von etwa einem Meter Durchmesser durch Untergraben mittels ihres eigenen Gewichts in die Tiefe wandern. Da waren kleine, aber kräftige Zeitgenossen gefragt.

Bei den Bauern im Dorf grub man gern in der Nähe des Misthaufens. Hygienische Bedenken wurden beiseite gefegt mit dem Argument, die Erde reinige die „Misthümm“ zur Genüge, und trinken werde man das Wasser sowieso nicht, weil es doch Bier gäbe.

An der Kappelleite gab es keine Misthaufen, wassertechnisch war das ein echter Vorteil. Das Dorf nahm Anteil daran wie die Häuser höher und die Brunnen tiefer wurden.

„No, habdder denn scho a Wasser gfunna?“

Das Interesse war gewaltig und das hatte seinen Grund: Nur über die Straße hinweg, also direkt neben den neuen Baugrundstücken befindet sich noch heute der Friedhof, auf dem Agnes Müller, die beweinte Freundin von Friedrich Rückert begraben liegt.

Solange niemand berichtete, man habe Wasser gefunden, wurde die insgesamt als gruselig empfundene Nähe zum Gottesacker nicht kommentiert. Dann aber stießen die Bauherren ziemlich zeitgleich auf eine Wasserader und in den Gassen, auf dem Schulhof und in den drei Wirtschaften des Dorfs ging es plötzlich hoch her:

„Wos, ihr habd Wasser gfunna? Ja, de Wasser däd ich fei ned gedring.“

„Wieso? Unner Wasser is eiwambfrei, des Gsundheidsamd hads fei undersuchd.“

„Gädring däd ich des Wasser drodsdem ned, wo sich doch scho die Leichn drinna gabodn ham.

Damals bedauerte ich es erstmals, nicht malen zu können. Eine Leiche im Bade mit Abfluss, der direkt in die Brunnen an der Kappelleite führt. Ich hätte das Bild rahmen lassen.

Heute gibt es all die Brunnen noch. Sie dürfen nicht mehr benutzt werden. Das Trinkwasser kommt nun gegen Geld aus einer Talsperre in Oberfranken.

Kommentar: „A den Leichnwasser is kaaner verreggd, aber verregg, edserd kost’s unner Gäld.“

Piazza Bamberg

Auf halbem Weg zwischen Viterbo und Rom liegt links auf einem Hügel sehr malerisch das Städtchen Sutri. Im Tal befindet sich ein altes Mitras Heiligtum, das heute zu einem Marien-Heiligtum umgewidmet ist. Man verehrt jetzt die Madonna del Parto.

Wer die Karte von Sutri näher studiert, stößt dort auf Unerwartetes, ja Unerhörtes: Es gibt eine Piazza Bamberg. Dort wird Markt abgehalten, von Obst und Gemüse über Unterhosen und echten Gucci Taschen bis zu Fisch bekommt man alles auf der Piazza Bamberg.

Was war da passiert?

Das Dilemma der deutschen Könige des Mittelalters war stets, dass sie die Würde des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nur durch den Papst in Rom erhalten konnten. Und so machte sich auf auch Heinrich der Dritte mit Agnes seinem vertrauten Weibe, auf dass sie sich krönen ließen in Rom, dem „caput mundi“.

Auf dem Weg dorthin stellte Heinrich fest, dass in der Kirche ein heilloses Durcheinander herrschte: Man hatte drei Päpste, Benedikt IX, Gregor VI und Silvester II.  Heinrich III berief eine Synode nach Sutri ein, die alle drei Päpste absetzte. Silvester war offenbar so unbedeutend, dass man ihn mit ein paar Ohrgeigen versehen zurück in sein Bistum Sabina schickte, Gregor wurde nach Deutschland verbannt, nachdem er gestanden hatte, Benedikt mit viel Geld wenn schon nicht zum Rücktritt, so doch dazu gebracht zu haben, dass er auf die Ausübung des Amtes verzichtete. Wohin er mitsamt des Geldes verschwunden war, konnte nicht festgestellt werden.

Heinrich III aber brauchte nun einen neuen Papst. Er bot dem mitreisenden Bischof Adalbert von Bremen den Posten an. Der lehnte dankend ab und meinte, er wüsste da wen, der machert‘s, den Bischof Suitger von Bamberg. Und so ward in Sutri ein Bamberger Bischof zum Papst gewählt, der sich fortan Clemens II nannte und auch brav ein paar Tage später Heinrich III in Rom zum Kaiser krönte.

Ein knappes Jahr später war Clemens II mausetot. Sein Nachfolger wurde der plötzlich wieder aufgetauchte Benedikt IX, der eigentlich Benedikt der Neunte, der Zehnte und der Elfte heißen müsste, denn er wurde insgesamt drei Mal zum Papst gewählt. Diesmal konnte er sich allerdings nur ein Jahr lang halten, dann wurde er von Heinrich III, der mit Krieg drohte, erneut abgesetzt. Sein Nachfolger war der Bischof von Brixen, der auf den schönen Namen Poppo hörte. Kein Wunder, dass er als Papst den Namen Damasus II annahm.

Was aber passierte mit unserem Clemens? Nun man packte ihn in einen Bleisarg und brachte ihn nach Bamberg, wo er seither zum Stolz der Bamberger beiträgt, denn siehe, sie haben neben Rauchbier auch das einzige Papstgrab nördlich der Alpen. Der Sarkophag ist im Westchor zu besichtigen, also etwas hinter dem Epitaph von Onkel Anton Rotenhan.

Ich erinnere mich daran, dass in den 50er Jahren meine Großmutter aus dem Fränkischen Tag vorlas, man habe das Papstgrab geöffnet und in den darin liegenden Knochen alles Mögliche gefunden, was da nicht hineingehört, kurz, er sei vergiftet worden.

Ob’s wahr ist, ist eh schon wurscht, denn die Bamberger haben einen toten Papst und Sutriner eine Piazza Bamberg.

Pech für Bremen, die haben nur Werder.

Der Hradschin atmet wieder

Ob Karel Schwarzenberg ein guter Präsident der tschechischen Republik geworden wäre, weiß niemand, denn er wurde nicht gewählt. Gewonnen hat die Wahl im Jahr 2013 Miloš Zeman, ein Politiker, der noch stark mit dem früheren System verbandelt war. Vor ihm war zehn Jahre lang Václav Klaus Staatspräsident, der durch wertekonservative Sprüche von sich reden machte. Ausgerechnet, als sich die Tschechen mit Freude in die EU zu integrieren begannen, lästerte er über den Brüsseler Dirigismus. Den aus Moskau hatte er vorher offenbar klaglos überstanden. Als Zeman zu seinem Nachfolger gewählt wurde und sogar zu einer zweiten Amtszeit durch das Volk berufen wurde, haute der in genau diese Kerbe, fand Europa doof und flirtete lieber mit Moskau, Peking und, wie auch nicht, mit Budapest.

Beide Präsidenten waren die falschen Männer auf diesem Posten und das für zwanzig Jahre. So war muss ein Land erstmal aushalten. Man fragt sich, was das tschechische Wahlvolk geritten hat, in vier aufeinanderfolgenden Präsidialwahlen derart in die Kloschüssel zu greifen. Václav Klaus, der sich nicht zu schade ist, auf AfD Veranstaltungen aufzutreten und Miloš Zeman waren spürbare Hemmschuhe für die nach Europa strebende tschechische Republik.

Nun sitzt seit gestern ein neuer Präsident in der Prager Burg, Petr Pavel. Er ist Soldat und begann seine Karriere in der Armee der CSSR. Er war Mitglied der kommunistischen Partei und dennoch gelang es ihm nach der Wende in der NATO eine beispielhafte Karriere. Das war auch dem Umstand geschuldet, dass er im Jugoslawien-Krieg eine französische Einheit vor der Umzingelung und Vernichtung rettete.

Pavel hat genügend internationale Erfahrung, als dass der Verdacht aufkommen könnte, er dumpfbrumsele wie seine Vorgänger für nationalistische Engstirnigkeit.

Von ihm kann man erwarten, eine weitere Stimme für die Weiterentwicklung der EU und der Hilfe für die Ukraine zu sein. Mit ihm wir Europa und die Welt den Präsidenten auf dem Hradschin endlich ernst zu nehmen.

Nachdem die Tschechen diesen grässlichen Babiš losgeworden sind atmen nun mit  Petr Pavel als Bewohner die geschichtsgewohnten Mauern der Burg über Prag auf.

Lesung in den Frankenstuben

Meine erste öffentliche Lesung aus dem Roman „Allsberg 1871 Der Glanz der alten Zeit“ fand am vergangenen Freitag in Ebern statt, in den Frankenstuben, wobei die Festfolge bemerkenswert war: Am Nachmittag „a schöna Leich“ deren männliche Teilnehmer sich bis in die Abendstunden in der Wirtstube bei viel Bier gegenseitig versicherten, wie blöd ihre jeweiligen Arbeitgeber seien. Gleich anschließend meine Lesung. Nach Angaben der Veranstalter kamen etwa 250 Teilnehmer, die Polizei zählte allerdings nur 35.

Für mich war es berührend, festzustellen, wer alles kam: der Mammet und die Ingrid, Thomas Wagner, bei dessen Mutter wir lesen und schreiben gelernt haben, Verwandte aus Saarhof, Herr und Frau Dold, die in Rentweinsdorf unschätzbare Verdienste um die Musik erworben haben, Freundinnen vom Truschenhof, Elfi und Gert aus Königsberg. Er hat mich porträtiert. Auch die Honoratioren der Stadt waren da, vertreten vom Grauturm Apotheker Ehepaar.

Besonders gerührt haben mich zwei alte Damen, die sich bei mir vorstellten.

„Mei Vadder had fast alla Möbl in Schloss aufgebolsderd.“ Es war die Tochter vom Sattler May aus der Hirtengasse, der meiner Großmutter in Ebern auf der Strasse zugerufen hatte: „Gell, Frau Baron, die mehrschdn Kardoffln ham mr zwaa aa scho gassn.“ Verstanden hat sie ihn nicht, sie stammte aus der Neumark. Der Sattler May hat einmal meine Eltern dringend in seine Werkstatt gerufen. Da hatte er in einem alten Sofa ein vollständiges silbernes Besteck gefunden. Ich erinnere mich noch an ihn, er war mit und Kindern immer sehr nett.

Eine andere sagte, sie sei die Nichte vom Wasser Adl. Der hieß eigentlich Adam Schmitt und fuhr mit unsäglicher Langsamkeit den Brauerei-Hanomag durch den Landkreis und verkaufte von Haus zu Haus Limo (Wasser) und natürlich auch Bier. Als mein Vater meinte, er bräuchte jetzt einmal ein neues Bier Auto, drohte er mit Kündigung. Ihm verdanke ich meine Kenntnis des ehemaligen Landkreises Ebern. Ich liebte es, ihn auf seinen Fahrten zu begleiten. Seine Nichte und ich waren uns einig, dass das eigentliche Original seine Frau Karoline, die Schmitt‘s Kalina war: „A Guschn wie a Schwerd.“

Es war wie ein Eintauchen in meine so weit entfernte Jugend.

Veranstaltet wurde die ganze von Ursula Gräbe von der Leseinsel Ebern. Sie hat das toll gemach, ihr gilt mein besonderer Dank. Nebenbei erfuhr ich, dass sie bisher vergeblich versucht, jemanden zu finden, der oder die die Leseinsel weiterführt. Hier kann sich jemand etwas aufbauen, Stadtflucht ist doch gerade angesagt.

Ich habe den Rat meiner Verlegerin befolgt und wenig vorgelesen und viel erzählt. Das Publikum war so nett, an der richtigen Stelle zu lachen. Es wurde häufig gelacht. Das war mir wichtig, weil ich immer wieder feststelle, dass ganz viele Menschen fast nie lachen.

Natürlich kam auch mein BR-bashing gut an:

Do gibd’s Rebordderin von Bayrischn Rundfunk, wo über aussterbende Berufe berichded. In die Rhön is sa bei aan Schliednbauer ne den sei Weksdadd nei und hat „Griass eana“ gsechd. Sdelld euch bloss a mol vur, a gbürddicher Reggndörfer gehd auf Bad Dölds und inderviewd an oberbayrischn Lederhosnschneider!

Der Stutenbiss

Es dauerte etwas, bis Ségolaine Belcour wirklich verstand, welche Macht von Klatsch und Tratsch ausging. Glück, Ehen, Karrieren, Pläne, Liebschaften, Ehre, Beruf und Auskommen konnten davon beschädigt, ja zerstört werden. Das Beeindruckende daran war, dass die negativen Auswirkungen meist Einzelpersonen, oft Paare und manchmal Familien trafen. Der Rest der Stadt amüsierte sich königlich.

War es richtig, was sie da machte? War es ethisch, sich zum Vehikel der Maliziosität zu machen. Sie tröstete sich damit, das andere einspringen würden, gäbe sie ihr Mettier als Klatschkolumnisten Zuträgerin auf. Und von irgendwas musste sie ja leben, das walte Hugo.

„Es macht einen Unterschied, wer dir etwas ins Ohr flüstert,“ berichtete sie ihrem Freund. Toralf arbeitete in einem der angesagten Friseursalons am Ku-Damm und wurde auch sonst allen Vorurteilen gerecht, die man seinem Berufsstand andichtet.

„Männer tratschen direkt. Ihr Tun hat ein klar erkennbares Ziel, fast immer Rache, Vergeltung, Hilflosigkeit vor dem übermächtigen Gegner. Es soll weh tun, aber nicht mehr. Es soll nicht zerstören. Man möchte ja auch danach noch in der Lage sein, zusammen ein Bierchen zu trinken.“

„Ach, ich kenne da einige Männer, die aus purer Tratssucht tratschen.“

Ja, Toralf, aber die arbeiten zumeist auch als Friseure.“

„Du bist gemein, Ségolaine.“

„Mag sein, aber recht habe ich dennoch. Lass mich weitererzählen. Ich muss Dinge, die ich zu verstehen glaube, immer erst in Worte fassen, um sie ganz begreifen zu können. Wenn Frauen Klatsch verbreiten, dann geschieht das fast immer in Etappen. Lass es uns durchspielen: Als sie schon im Mantel ist, lässt sie en passant fallen, das glamouröse Paar bestehend aus dem verheirateten Schauspieler X und der stadtbekannten Strafverteidigerin Y habe wohl Probleme. Jetzt darfst du unter keinen Umständen Interesse zeigen. Lass einige Tage vergehen, du triffst sie ja sowieso bald auf der Vernissage dieses wahnsinnig begabten jungen Bildhauers aus Banja Luka. Dort erfindest du eine Freundin, der „sexual harassment“ widerfahren sei und fragst, ob sie eine gute Anwältin kenne. Natürlich wird sie die Dame Y nennen und hinzufügen, es würde ihr sicher guttun, etwas Ablenkung zu finden. Nun musst du nachfragen, sonst erzählt sie`s der Konkurrenz. Die beiden stünden kurz vor der Trennung. Ein Mann würde es dabei belassen – jaja, es gibt Ausnahmen – aber sie wird dich auf die Damentoilette bitten und nachdem sie festgestellt hat, dass alle Kabinen leer sind, steckt sie dir, sie, die Dame Y sei schuld. Ja so was, muss man dann sagen, das hätt ich der ja nie zugetraut, so seriös wie die immer daherkommt. Zweigleisig und so? Nun senkt die Informantin die Stimme und raunt nur ein Wort: schlimmer! Für morgen um 10 Uhr bittet sie dich auf den auf den Sockel der Gold-Else. Da sei man ungestört.

Dort berichtet sie, die Dame Y habe „es“ dem minderjährigen Sohn ihres Lovers gezeigt. Das habe dessen Noch-Ehefrau spitzbekommen und macht ihm nun die Hölle heiß… Jetzt ist die Professionalität der Klatschkolumnisten Zuträgerin gefragt. Es gilt nämlich herauszufinden, ob das alles wahr, halb wahr, oder eine pure Erfindung ist. Wahr ist es fast nie, weil Frauen mit maliziöser Absicht tratschen. Wir nennen das den Stutenbiss. Halbwahrheiten sind unser tägliches Brot. Allerdings mehren sich die in böser Absicht vorgetragenen Erfindungen. Mein lieber Toralf, das ist feminine Ruchlosigkeit.“

„Na, mein liebes Ségolänchen, bist du da nicht selbst ein bisschen stutenbissig?“

“Im Jagsttal gab es mal einen Ritter mit der eisernen Hand, sagt dir das was?“

Mandy Krosanke

Nichts gegen diesen Namen: Aber mal ehrlich: Damit kommt man in der Berliner High Society nicht weit.

Mandy hatte es auch sonst nicht leicht. Sie stammte aus Treuenbrietzen, tiefste Provinz, aber bestens überwacht – von ihrem Vater. Der war Leiter der dortigen Kreisparteischule und als solcher natürlich bei der Stasi.

Kein Wunder, nach der Wende machte sich Mandy auf, die Welt kennenzulernen. Sie strandete in Avignon in den Armen eines überaus charmanten Taxifahrers, der mit ihr über die Brücke tanzte, ihr das Palais des Papes zeigte, ihr die Sprache beibrachte und sich ums Verrecken nicht dagegen wehren konnte, dass ihn auch andere junge Damen charmant fanden.

Enttäuscht und lebenserfahren kehrte Mandy in ihr Heimatland zurück, streifte Treuenbrietzen nur kurz und versuchte ihr Glück in Berlin. Dort besuchte sie die evangelische Journalistenschule. Danach hangelte sie sich von Volontariat zu Volontariat durch die Redaktionen der Stadt. Man bescheinigte ihr Talent, mehr aber leider nicht.

Sie jobbte in einem der Nachtclubs von Rolf Eden (RIP) wo sie mitbekam, wie es zugeht bei Leuten, die Geld haben, selbstverdientes oder das des Herrn Papa.

Wie wichtig Bizeps, Tattoo, aufgespritzte Lippen und lässig liegen gelassener Autoschlüssel sind, dass auch die seriöseste Politikerin schwach werden kann, und dass so mancher Frauenheld zwischendurch auch gern in den Revieren des eigenen Geschlechts wildern geht, registrierte sie ebenso wie den Umstand, dass ständiges Naseputzen nicht unbedingt auf eine Erkältung zurückzuführen sein muss.

Ihr Wissen brachte sie zu Papier. Es verkaufte sich nicht schlecht. Nur eben nicht unter dem Namen Mandy Krosanke. Ein „nom de plume“ musste her, eigentlich ein „nom de guerre“ denn der Kampf um die besten Aussichtplätze derer, die die Klatschpresse beliefern, ist hart und unbarmherzig.

Mandy erinnerte sich an ihre Zeit in Frankreich und so ward sie geboren: „Ségolaine Belcour, Correspondant Social“ Die Franzosen haben es nicht so mit dem Gendern, da ist Korrespondent immer ein Korrespondent, zumal, und das sagte ihr ein angesehener Redakteur der Zeitschrift Gala: „als Tratschkorrespondent muss du in erster Linie Eier haben.“ (Excuse his french).

Hinfort verbrachte sie ihre Vormittage im Café Einstein unter den Linden. Wer kommt mit wem, geht aber allein hinein? Wessen Luxuskarre ist das, der vorhin ein Abgeordneter der Linken entstieg, und wo ist die Garage, in die der Grüne mit dem SUV reinfährt und mit dem Drahtesel wieder herauskommt?

Ségolaine erwarb sich einen Ruf als verlässliche Investigativtratsche. Das wurde recht gut bezahlt, reichte aber leider in keinem der Hauptstadtblätter zu einer eigenen Kolumne.

Macht nichts, dann spezialisiere ich mich eben auf feminine Gesellschaftsreportagen, vulgo Weibertratsch. Sie wurde bald zur Anlaufstelle für all diejenigen, die ihrer Kollegin eins auswischen wollten, oder die in eigener Sache Interesse daran hatten, dass irgendetwas publik werde. In aller Verschwiegenheit versteht sich. Solche Sachen veröffentlichte Ségolaine nie selbst und erwarb sich so den Ruf, man könne ihr etwas anvertrauen.

Winterdürre

Die Berlinale war nur ein Aufschub gewesen. Noch einmal erhob sich das Haupt der Hyäne Tratsch und alle wussten, dass es hernach grausam werden würde. Die russischen Oligarchen waren weggebrochen und die aus der Ukraine melden nun ihre Bentleys und SUVs um weil sich Nummernschilder mit der gelb-blauen Nationalkennung einfach nicht mehr gut machen. Große Partys zu schmeißen, das ist gerade nicht das, was gut ankommt, das auch noch.

Die kommenden Wochen würden schrecklich werden, gut, dass es dafür ein neues Wort gab: Winterdürre.

Die wenigen Vernissagen, die paar Empfänge zu Nationalfeiertagen obskurer Hinterwaldstaaten…, kurz, es würde trübselig werden.

Ségolaine Belcour, Correspondant social, so stand es auf ihrer Visitenkarte. In ihren ehrlichen Momenten gestand sie sich selbst ein, dass sie nichts anderes war als Zuträgerin zu Tratsch Kolumnisten, ein Zulieferbetrieb im Räderwerk einer mächtigen Industrie.

Immer am Montagmorgen lieferte sie. Sie traf sich nie persönlich mit den Hermelinträgern der Branche, deren Gesicht kannte „tout Berlin“ und das wurde nur bei wirklich wichtigen Ereignissen in die Öffentlichkeit getragen. Deshalb verabredete sie sich stets mit den Sekretärinnen. Sie belieferte mehrere, die allerdings möglichst nichts voneinander wissen sollten. Es waren immer kleine Cafés, die von ambitionierten jungen Leuten geführt wurden, die es ihrer Kundschaft schwer machten, einen normalen schwarzen Tee zu bekommen und glaubten mit Dinkelstollen brillieren zu können.

Heute war die Ausbeute mager: Die einflussreiche Betreiberin einer Gallerie in Mitte war mit einem neuen Galan erschienen. Er war gertenschlank, sein eng geschneiderter Anzug passte ihm tatsächlich, statt Krawatte trug er Brusthaar, das ebenso ungekräuselt war wie seine lange Mähne.

Der Kulturattaché der italienischen Botschaft verbreitete, böse Zungen berichteten, der Kerl sei schwul. Beim nächsten Glas Champagner verriet er, er wisse es.

Der Gastgeber, ein kunstliebender Notar und Rechtsanwalt, ließ die Einladung von einem kretischen Importeur von Salatgurken sponsern, das aber müsse bitte „off the records“ bleiben.

Die Schriftstellerin B. du weißt schon, die ein Verhältnis mit einem Minister der Merkel-Regierung gehabt hatte, war wieder aktiv auf Suche. Man sieht sie jetzt auf jedem Micro-Event. Am Freitag hat sie fünf davon abgearbeitet, ist aber nicht fündig geworden. Ségolaine gestand sie, es sei zum Verzweifeln. „Sag, habe ich an  Attraktivität verloren oder liegt es daran, dass mein letzter Roman ein Flopp war?“

Sie plant jetzt ein Buch über das Leben der Prinzessin, ihrer Nachbarin, steckte sie Ségolaine. „Ach das weißt du gar nicht? Das ist doch die, deren Vater dem säumigen Prinzen den Kaufpreis für seinen Rolli erlassen hat, wenn er denn seine Tochter ehelichte. Ja, ja, der Herr Papa war Autohändler gewesen. Die Ehe hat ein Jahr gehalten. Seither vermeidet sie neue Eheschließungen. Wer will schon einen so schönen Namen verlieren? Zurzeit macht sie sich rar. Sie hat einen Neuen, ich weiß das, meine Wohnung ist ja so hellhörig. Aber bitte, Ségolaine, das bleibt jetzt unter uns.“