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Unanständige Witze

In den 50er Jahren, als ich noch ein Bub war, ging es in Deutschland noch erheblich prüder zu, als das heutzutage der Fall ist. Das sich das geändert hat, liegt wahrscheinlich an der verstärkten Reisetätigkeit. Als ich einmal in London war, hörte ich einen Schuhputzer Witze erzählen, die so unanständig waren, dass ich froh war, nicht alles zu verstehen und aus den Ländern des Mittelmeeres schwappte zu uns eine Witzkultur, die überhaupt erst dann als witzig verstanden wurde, wenn sie sexistisch war.

Da ging es halt in Unterfranken damals noch gesitteter zu: Ein entfernter Verwandter wollte uns Brüdern einmal einen dreckigen Witz erzählen und schickte deshalb seine Töchter aus dem Zimmer. Es kam dann ein Nachttopf darin vor – große Enttäuschung.

Aber immerhin, wir amüsierten uns noch wochenlang über den prüden Kerl.

Ich war immer sehr stolz auf meinen Vater, der sich stets als Freund des unanständigen Witzes bezeichnete und dies auch praktizierte. Das war halt ein richtiger Vater, dachte ich. Der lässt seine Buben am Leben teilhaben und zieht sich nicht vornehm auf den mit Gobelin bezogenen Sessel zurück und redet abwechselnd von der Jagd, der Verwandtschaft und von der Auferstehung.

Später wurde mir dann klar, dass es mit dem Unanstand nicht allzu weit her war, denn die Lieder, die er mit uns im Auto sang, hielten sich streng auf dem Niveau von „Leicht und sicher springt der Floh ohne Sprungbrett über den Popo-o.“

Später lernten wir im Internat unter der Hand einige Wirtinnenverse, die wir schneller auswendig konnten als Schillers Glocke. Als wir in die Weihnachtsferien nach Hause kamen, wollten wir nach dem Absingen der üblichen Weihnachtslieder auch einige Lieder vom Wirtshaus an der Lahn zum Besten geben. Zu meiner Verwunderung verbot dies unser Freund des unanständigen Witzes kategorisch. Die Melodie durften wir summen – immerhin.

Etwas später kommentierte ich das alles mit meiner Mutter, die meinte, sowas passe halt nicht zu Weihnachten. Zu meinem Erstaunen, ja Erschrecken, sang sie mir zwischen Reckendorf und Reckenneusig im Auto einen Vers vor, den ich noch nicht kannte. Der stamme von meinem Vater, verteidigte sie sich, als ich auf das Befremdliche der Situation hinwies.

Es war dann auf Ibiza zunächst bei meinen französischen Freunden, wo ich die wirkliche Schule des unanständigen Witzes besuchte. Da wurde nichts ausgelassen, jede menschliche und zwischenmenschliche Situation wurde aufs Korn genommen und mit einem eleganten Dreh kam der voraussehbare Unanstand dann doch noch zu einem unerwartet charmanten Ende. Es wurde angedeutet und jedermann verstand.

Ganz anders bei den Spaniern. Da geht es nur und ausschließlich ums „Unterwärtsige“, wie sich meine Mutter auszudrücken pflegte. Wie der Stier stürmen dort die „chistes“ auf das rote Tuch beziehungsweise auf die Genitalen zu. Und alles wieherte vor Vergnügen. Da Deutsche dies von ihrer Witzkultur her nicht sofort komisch finden, gelten sie in Spanien als humorlos.

Es dauerte ein paar Jahre bis mich Tolo, mein Friseur in Palma, für würdig befand, in die Riege derer aufgenommen zu werden, denen er beim Verpassen eines Fassonschnitts Witze ins Ohr raunte. Ich lachte pflichtschuldigst und wurde jedes Mal belohnt, indem er mir versicherte, jetzt sei ich von einem Spanier nichtmehr zu unterscheiden.

Ich begab mich dann immer in eine Art Abklingbecken und summte auf dem Weg zu meinem Schreibtisch die Melodie vom sprungbrettlosen Floh.

Piazza Bamberg

Auf halbem Weg zwischen Viterbo und Rom liegt links auf einem Hügel sehr malerisch das Städtchen Sutri. Im Tal befindet sich ein altes Mitras Heiligtum, das heute zu einem Marien-Heiligtum umgewidmet ist. Man verehrt jetzt die Madonna del Parto.

Wer die Karte von Sutri näher studiert, stößt dort auf Unerwartetes, ja Unerhörtes: Es gibt eine Piazza Bamberg. Dort wird Markt abgehalten, von Obst und Gemüse über Unterhosen und echten Gucci Taschen bis zu Fisch bekommt man alles auf der Piazza Bamberg.

Was war da passiert?

Das Dilemma der deutschen Könige des Mittelalters war stets, dass sie die Würde des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nur durch den Papst in Rom erhalten konnten. Und so machte sich auf auch Heinrich der Dritte mit Agnes seinem vertrauten Weibe, auf dass sie sich krönen ließen in Rom, dem „caput mundi“.

Auf dem Weg dorthin stellte Heinrich fest, dass in der Kirche ein heilloses Durcheinander herrschte: Man hatte drei Päpste, Benedikt IX, Gregor VI und Silvester II.  Heinrich III berief eine Synode nach Sutri ein, die alle drei Päpste absetzte. Silvester war offenbar so unbedeutend, dass man ihn mit ein paar Ohrgeigen versehen zurück in sein Bistum Sabina schickte, Gregor wurde nach Deutschland verbannt, nachdem er gestanden hatte, Benedikt mit viel Geld wenn schon nicht zum Rücktritt, so doch dazu gebracht zu haben, dass er auf die Ausübung des Amtes verzichtete. Wohin er mitsamt des Geldes verschwunden war, konnte nicht festgestellt werden.

Heinrich III aber brauchte nun einen neuen Papst. Er bot dem mitreisenden Bischof Adalbert von Bremen den Posten an. Der lehnte dankend ab und meinte, er wüsste da wen, der machert‘s, den Bischof Suitger von Bamberg. Und so ward in Sutri ein Bamberger Bischof zum Papst gewählt, der sich fortan Clemens II nannte und auch brav ein paar Tage später Heinrich III in Rom zum Kaiser krönte.

Ein knappes Jahr später war Clemens II mausetot. Sein Nachfolger wurde der plötzlich wieder aufgetauchte Benedikt IX, der eigentlich Benedikt der Neunte, der Zehnte und der Elfte heißen müsste, denn er wurde insgesamt drei Mal zum Papst gewählt. Diesmal konnte er sich allerdings nur ein Jahr lang halten, dann wurde er von Heinrich III, der mit Krieg drohte, erneut abgesetzt. Sein Nachfolger war der Bischof von Brixen, der auf den schönen Namen Poppo hörte. Kein Wunder, dass er als Papst den Namen Damasus II annahm.

Was aber passierte mit unserem Clemens? Nun man packte ihn in einen Bleisarg und brachte ihn nach Bamberg, wo er seither zum Stolz der Bamberger beiträgt, denn siehe, sie haben neben Rauchbier auch das einzige Papstgrab nördlich der Alpen. Der Sarkophag ist im Westchor zu besichtigen, also etwas hinter dem Epitaph von Onkel Anton Rotenhan.

Ich erinnere mich daran, dass in den 50er Jahren meine Großmutter aus dem Fränkischen Tag vorlas, man habe das Papstgrab geöffnet und in den darin liegenden Knochen alles Mögliche gefunden, was da nicht hineingehört, kurz, er sei vergiftet worden.

Ob’s wahr ist, ist eh schon wurscht, denn die Bamberger haben einen toten Papst und Sutriner eine Piazza Bamberg.

Pech für Bremen, die haben nur Werder.

Der Hradschin atmet wieder

Ob Karel Schwarzenberg ein guter Präsident der tschechischen Republik geworden wäre, weiß niemand, denn er wurde nicht gewählt. Gewonnen hat die Wahl im Jahr 2013 Miloš Zeman, ein Politiker, der noch stark mit dem früheren System verbandelt war. Vor ihm war zehn Jahre lang Václav Klaus Staatspräsident, der durch wertekonservative Sprüche von sich reden machte. Ausgerechnet, als sich die Tschechen mit Freude in die EU zu integrieren begannen, lästerte er über den Brüsseler Dirigismus. Den aus Moskau hatte er vorher offenbar klaglos überstanden. Als Zeman zu seinem Nachfolger gewählt wurde und sogar zu einer zweiten Amtszeit durch das Volk berufen wurde, haute der in genau diese Kerbe, fand Europa doof und flirtete lieber mit Moskau, Peking und, wie auch nicht, mit Budapest.

Beide Präsidenten waren die falschen Männer auf diesem Posten und das für zwanzig Jahre. So war muss ein Land erstmal aushalten. Man fragt sich, was das tschechische Wahlvolk geritten hat, in vier aufeinanderfolgenden Präsidialwahlen derart in die Kloschüssel zu greifen. Václav Klaus, der sich nicht zu schade ist, auf AfD Veranstaltungen aufzutreten und Miloš Zeman waren spürbare Hemmschuhe für die nach Europa strebende tschechische Republik.

Nun sitzt seit gestern ein neuer Präsident in der Prager Burg, Petr Pavel. Er ist Soldat und begann seine Karriere in der Armee der CSSR. Er war Mitglied der kommunistischen Partei und dennoch gelang es ihm nach der Wende in der NATO eine beispielhafte Karriere. Das war auch dem Umstand geschuldet, dass er im Jugoslawien-Krieg eine französische Einheit vor der Umzingelung und Vernichtung rettete.

Pavel hat genügend internationale Erfahrung, als dass der Verdacht aufkommen könnte, er dumpfbrumsele wie seine Vorgänger für nationalistische Engstirnigkeit.

Von ihm kann man erwarten, eine weitere Stimme für die Weiterentwicklung der EU und der Hilfe für die Ukraine zu sein. Mit ihm wir Europa und die Welt den Präsidenten auf dem Hradschin endlich ernst zu nehmen.

Nachdem die Tschechen diesen grässlichen Babiš losgeworden sind atmen nun mit  Petr Pavel als Bewohner die geschichtsgewohnten Mauern der Burg über Prag auf.

ä ist gleich a

Als ich meine aus Basel stammende Frau auf Ibiza kennenlernte, fuhr ich ein feuerrotes Auto, das die liebevoll „Tómatli“ nannte.

Unterdessen habe ich gelernt, dass die schwyzerdütsche Sprache mehrere Vorzüge hat, der erste ist zweifelsohne der, dass es sich um Deutsch handelt, das aber kaum ein Deutscher versteht.

Ein weiterer Vorzug ist, dass sie in ihrer Sprachgestaltung etwas Geniales hat.

Zunächst aber weiter mit dem „Tómatli“. Von einer Reise nach Basel zurückgekehrt, brachte meine damalige „novia“ etwas mit, was sie für ein Sündengeld extra hat anfertigen lassen: Einen Aufkleber mit dem Kosenamen des Autos. Es stand „Tomätli“ drauf.

Das sei wohl ein Druckfehler, meinte ich und wurde belehrt, nein das schreibe man so. Da ich fand, dass das nur die Deutsch-Schweizer auf Ibiza so sähen, befürchtete ich mich mit dem Aufkleber lächerlich zu machen und verweigerte dessen Aufklebung. Dunkle Wolken zogen auf, um es milde auszudrücken.

Später, als ich schon zu den Deutschen gehörte, die Schwyzerdütsch verstehen, begann ich, dieses Idiom zu lieben. Es gibt dort zuhauf Redewendungen, die im Deutschen längst vergessen sind. Niemand findet etwas dabei, wenn ein Schweizer sagt „es dünkt mir.“

Den Clou aber finde ich, dass man in der Schweiz Substantive dazu benutzen kann, eine Tätigkeit auszudrücken. Man setzt ein „gang go“ davor, was dem englischen angehängten „-ing“ entspricht.

Beispiel: „gang go Ladele“ ist deckungsgleich mit dem englischen „shopping“.

„Gang go Pilzle“ bedeutet, im Wald und auf der Heide nach Pilzen zu suchen. Genauso heißt es auf den britischen Inseln: „mushrooming.“

Gestern nun habe ich ein neues Wort gelernt, das mich seither in einen nicht gekannten linguistischen Freudentaumel versetzt:

„Canärdle“. (Wir haben uns gemerkt: ä wird wie a ausgesprochen.) Es ist offenbar nur in und um Basel gebräuchlich, wo wegen er Nähe zu Frankreich der Rock „jupe“ heißt. Zum Ausgleich heißt dann die Jacke Rock.

„Gang go Canärdle“ ist ein komplexer Vorgang, bei dem die Familie altes Brot sammelt, es in kleine Würfel schneidet, um diese dann den Enten im Teich zu verfüttern.

Davon hat sich abgeleitet, von einem „canard“ zu sprechen, wenn Kinder einen Würfel Zucker bekommen, der vorher in Kaffee getränkt wurde.

Meine hier ausgebreitete Weisheit habe ich aus den Kommentaren zu meinem gestrigen fb-Beitrag. Habt alle vielen Dank dafür.

Österreich wählt

Gestern hat Österreich einen neuen Bundespräsidenten gewählt. Zum guten Glück wurde der amtierende Alexander van der Bellen mit über 60% wieder gewählt.

Und zum guten Glück hat er sich geweigert, bei den verschiedenen Fernsehrunden vor der Wahl mitzumachen. Er wäre von den Spinnern, die sich neben ihm zur Wahl stellten auf deren niedriges, zum Teil lächerliches Niveau herabgezogen worden.

Ich freue mich für den neuen/alten Bundespräsidenten, der bisher ein über Österreich hinaus leuchtendes Beispiel dafür abgegeben hat, wie man dieses Amt mit Würde und einer Prise Humor ausfüllen kann.

„Wir sind nicht so“ und „Es ist schon wieder was passiert“, mit diesen Sätzen wird er in die Geschichte eingehen. Er hat, ohne auszuteilen, klar gemacht, was er von den Unsäglichkeiten der Politiker der ÖVP und der FPÖ hält.

Gleichzeitig macht das Wahlergebnis aber auch besorgt, sind die anderen Wählerstimmen doch immerhin mit 14% auf einen Rechtsradikalen entfallen und mit je 8% auf die übrigen Vollpfosten, denen es gelungen ist, die Wahl zum höchsten Amt im Staat dazu zu benutzen, alle Welt von ihrer Vollpfostigkeit zu überzeugen.

Vielleicht sollte das alles auch mit Österreich versöhnen, ist es doch ein Land, das sich einen solchen Schmäh leisten kann, ohne dabei unterzugehen.

Et tu felix Austria elige!

Das geht uns alles gar nichts an.

Ich habe die ganze Zeit gedacht, ich müsste mich über das, was Putin tut, aufregen, ich müsste mich in Solidarität mit den anderen wiegen, ich müsste ihn verurteilen und alles ganz schrecklich finden.

Aber: Im Traum widerfuhr mir Erleuchtung.

Das, was wir im Westen machen, ist Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands. Was die da machen, geht uns überhaupt nichts an, deshalb sagen ja die vereinigten Linksrechten*innen die Wahrheit, wenn sie meinen, wir ruinierten ohne Grund unsere Wirtschaft und wir setzten die Bevölkerung willkürlich dem Frostbeulismus aus. Sanktionen, Diplomatie, Waffenlieferungen, Menschenrechte, alles Tinneff.

Denn was der liebe Putin da macht, ist doch nur, seine russischen Landsleute vor dem Terrorismus benachbarter Nazis zu schützen. Er holt seine Landsleute wieder heim ins Reich, an den weiten Busen von Mütterchen Russland. Und seht nur: er fragt sie zuvor sogar, ob sie das wollen.

Das Bisserl Teilmobilmachung (der Name sagts ja schon) was ist das in einem so großen Land wie Russland? Hat ein wenig Drill jungen Männern nicht schon immer gut getan? Stichwort Schule der Nation. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, pardon, die militärische Spezialoperation ist die Mutter aller Dinge. Und, das sollte man auch nicht vergessen: Wo gehobelt wird, fallen Späne.

Weshalb regen wir uns also auf? Nur weil das alles näher liegt als das Schicksal der Uiguren? Schon Göte, der Dichterfürst, Sie wissen schon, hat gesagt, dass wir uns da raushalten sollen:

„Wenn hinten weit an Dnjepr’s Lauf

„Die Völker aufeinanderschlagen

„Man sitzt im Sofus, trinkt sein Bierchen aus

„Man wartet, dass die Fußball-Jungs den Gegner plagen

„Und später schlüpft man froh zu Mutti-Maus.

Ein Gespenst geht durch Europa: Die Russophobie.

Wenn der gute Putin das alles so haben will, dann sagt man als gute Franke nur: „Lassd na doch sei Frääd!“

Drrrring, drrrring, drrrring. Der Scheißwecker ruft.

Und schwupp, ist man wieder in der kruden Realität.

Wenn das Hirn aufwacht, wird eben alles schwieriger.

Geht Ihnen das auch so?

Männerverachtend

Die Presse berichtet von einer Frau, die in Polizeigefängnis einer Stadt im Iran zu Tode kam. Es wird vermutet, dass sie derart misshandelt wurde, dass sie schließlich ihren Verletzungen erlag.

Was war passiert? Die 22jährige Frau hat, so wird berichtet, das vorgeschriebene Kopftuch zu lässig gebunden. Mann konnte ihr Haar sehen. Das wurde von der Sitten- und Religionspolizei als unsittlich empfunden. Man verhaftete sie, der Rest, siehe oben.

Das Schicksal dieser jungen Frau hat weltweit, ja sogar im Iran selbst, zu Protesten geführt. Das ist richtig so und muss bei ähnlichen Fällen, die kommen werden, wieder so sei.

Angesichts des Schicksals dieser Frau lohnt es, einmal darüber nachzudenken, was hinter all dem steckt.

Es ist ja noch nicht allzu lange her, da wurden in viktorianischer Zeit, die Beine der Pianofortes mit schwarzem Samt verdeckt, damit die Zuhörer nicht auf unsittliche Gedanken kämen. Lachen Sie nicht, so war es.

Nicht derjenige, der unsittliche Gedanken bekommt ist der Sittenstrolch, sondern ein Gegenstand der Beine hat, oder in heutiger Zeit, eine Frau das Haar zeigt.

Es gibt ja sogar Religionswächter im Nahen Osten, die verlangen, dass Männer Bart tragen müssen, da ein glattes Kinn bei ihren Geschlechtsgenossen unsittliche Gedanken auslösen kann, geschweige denn eine Frau, die nicht verhüllt in die Öffentlichkeit geht.

Offenbar ist es so, dass man in Kreisen nahöstlicher Religionshüter der Meinung ist, der Mann sei eine wilde, triebhafte Bestie, die in ihrem kruden Fortpflanzungsdrang nicht in der Lage ist, einen rasierten Mann von einer Frau zu unterscheiden. Er muss vor sich selbst geschützt werden, deshalb darf das andere Geschlecht ihn auf keinen Fall reizen.

Was ist denn das für ein Bild von uns Männern?

Natürlich ist es gut, wenn Frauen gegen Misshandlung, Unterdrückung und Schleierpflicht auf die Straße gehen, um zu protestieren.

Aber sollten nicht auch wir Männer protestieren?

Wir sind keine Sexual-Zombies, vor denen keine Frau sicher sein kann. Es ist männerfeindlich, was da im Nahen Osten gepredigt wird.

Manchmal habe ich den Eindruck, die Religionshüter am Golf haben Angst vor den Beatles:

Why don’t we do it in the road…

Und nachher?

Ob die letzten Tage wirklich die Wende im Ukraine Krieg eingeläutet haben, wage ich zu bezweifeln.

Sicher ist aber, dass dieser Krieg irgendwann zu Ende gehen wird.

Wenn Russland verliert, wird auch Putin und seine Clique aus dem Kreml verschwinden.

Wenn der Krieg aber siegreich oder unentschieden für Russland ausgeht, dann stellt sich die Frage, wie die Welt mit Verbrechern umgeht.

Es ist schlichtweg undenkbar, zum business as usual zurückzukehren, wenn die Waffen schweigen und Putin noch immer an seinem langen Tisch sitzt.

Wenn der Rest der Welt wieder normale Beziehungen zu Russland pflegen will, dann muss es Ziel alles Strebens sein, einen Regimewechsel in Moskau herbeizuführen. Wenn es gelänge die Kriegsverbrecher von Moskau vor den internationalen Gerichtshof im Haag bringen, dann wäre der Krieg wirklich gewonnen.

Im Westen muss es immer glasklar sein, dass der Gegner nicht das russische Volk ist, sondern dessen Regierung.

Deutschland ist das beste Beispiel dafür, wie die Welt mit einer von Verbrechern willig fehlgeleiteten Bevölkerung umgehen muss und kann. Natürlich soll man den Russen vorwerfen, dass sie blind der Propaganda des Kremls nachlaufen. Ebenso war es vor 1945 mit den Deutschen. Es ist offenbar so, dass man kollektiven Heldenmut nur von angegriffenen Völkern erwarten kann, nie von der Bevölkerung aggressiver Länder.

Deshalb ist es jetzt so wichtig, die Ukraine zu unterstützen. Ein Unentschieden oder gar ein Sieg Putins muss unter allen Umständen verhindert werden.

Es steht ja nicht nur die Freiheit der Ukraine auf dem Spiel. Es geht darum, dem Völkerrecht wieder Respekt zu schaffen. Es war schon sträflich genug, wie man dem Mann in Moskau es einfach so hat durchgehen lassen, als er sich die Krim unter den Nagel riss.

Völkerrecht, Unantastbarkeit bestehender Grenzen, Respektierung der Menschenrechte und ungehinderter Austausch von Gedanken, Menschen und Waren, das muss Ziel aller Nachkriegspolitik sein.

Wir werden Russland und all die anderen üblichen Verdächtigen nicht zu lupenrein demokratischen Staaten umformen können. Seien wir froh, wenn es gelingt, unsere Werte selbst zu bewahren, sie zu exportieren ist nur in den seltensten Fällen gelungen.

Ungarn

Es muss 1972 gewesen sein, als mein Bruder und ich beschlossen, nach Ungarn zu fahren. Der einzige Grund war der, dass wir dort noch nicht gewesen waren. Ich hatte damals gerade für 750 DM den verbeulten Forst VW meinem Vater abgekauft und knallgelb umgespritzt. Dies und das Nummernschild EBN-L 821 sorgten dafür, dass man auffiel, erst recht im Ostblock.

Wir fuhren nach Budapest und besuchten die Stadt ausgiebigst. Hinter dem Heldenplatz stießen wir auf ein Gebäude, das aus allen Stilrichtungen zusammengebastelt schien. Davor stand ein Wiener Paar. „An wos erinnert mich dös jetzt?“ fragte er sich, um dann sich selbst zu antworten: „Kloar, ans Böfeder.“

Auf dem Heldenplatz übte das sowjetische Heer einen Aufmarsch zum ungarischen Nationalfeiertag. Damals durften ungarische Soldaten die Hauptstadt nicht betreten. Ungarische Zuschauer ballten die Faust in der Hosentasche.

Nachdem die Fischer Bastei, die Matthiaskirche besichtigt waren und der Zigeuner Kapelle im Restaurant zugehört war, beschlossen wir, nun die Puszta sehen zu wollen.

Wir folgten dem Wegweiser nach Miskolc und nahmen am Stadtrand von Budapest zwei Tramper mit. Sie hießen Pali und Tibi und konnten deutsch, allerdings nur dies:

„Punkt, Punkt, Bäistriech, Striech, färtig ist das Mondegesiecht. Und auch noch zwäi Baine dran, fertig ist der Hampelman.“

Woher sie das konnten, blieb unklar, wir redeten mit den Händen und Füßen, mein Bruder auch noch auf Russisch. Er hatte das als Zusatzfach genommen, und bisher immer behauptet, er könne nur „Der Kosmonaut steht im Zimmer“ sagen. Tatsächlich aber konnte er mehr russische Worte als Pali und Tibi zusammen. Sie luden uns zu ihren Eltern nach Miskolc ein. Kaum hielten wir vor dem Haus am Stadtrand, kam auch schon die Polizei. Ein so auffälliges Auto in einem Wohngebet, das war eben verdächtig.

Der Vater von Pali und Tibi konnte recht gut Deutsch, daher das mit dem Bäistrich. Die Mutter kochte fabelhaft und mästete uns. Als sie meinen Bruder fragte, ob es ihm geschmeckt hätte, wehrte der mit vielem „nem, nem, nem“ ab. Er hatte gedacht, sie böte ihm noch mehr zu essen an.

Dann fuhren wir nach Tokai. Dort wohnte Tibis Freundin. Wieder wohnten wir wie selbstverständlich bei deren Eltern. Abends trafen wir uns mit allerhand Freunden in einem Weinkeller, wo zu fortgeschrittener Stunde eine junge Dame aufstand, um Gedichte von Petöfi Sándor zu rezitieren. Alle weinten, nur wir nicht. Ich glaube, das hat man uns etwas übelgenommen. Dort lernten wir etwas Ungarisch. Ich kann noch heute „Az alkoholizmus egy betegség“ sagen, Alkoholismus ist eine Krankheit. Mein Bruder konnte natürlich mehr, der raunte der vortragenden jungen Dame „Szeretlek“ ins Ohr. Sie errötete hold, denn er hatte ihr seine Liebe gestanden.

Bevor es aber zu Schlimmerem kam, sagten Pali und Tibi, sie müssten jetzt wieder zurück an die Uni und die läge in Pécs, im Süden des Landes. Wir haben sie dort hingefahren und durften als Belohnung im Studentenheim übernachten. Dort wohnten viele aus Nord Vietnam. Tran van Mon konnte etwas Französisch, so wurde die Konversation einfacher. Es wurde uns gesagt, wir sollten uns unauffällig benehmen, denn Fremde dürften hier nicht wohnen, es werde kontrolliert. Fast wären wir aufgeflogen, ein Aufpasser erwischte meinen Bruder. Der rettete die Situation, indem er ihn mit allen ihm zur Verfügung stehenden russischen Grobheiten überschüttete. Das hat geholfen, unter Entschuldigungen zog er sich zurück.

Am nächsten Morgen fuhren wir nach Österreich zurück und wurden von der Grenzpolizei gefragt, ob wir verdächtige Militärübungen gesehen hätten. Verdächtig, das konnten wir nicht beurteilen, aber einige Panzer haben wir überholt. Der Polizist machte sich Notizen und wir waren überzeugt, den dritten Weltkrieg verhindert zu haben.

Phönix aus der Asche

Wenn du durchfällst, darfst du im Sommer nicht zum Austausch nach England.

Natürlich flog ich mit Pauken und Trompeten durch. Da sagte mein Vater. „Zur Strafe musst du jetzt nach England, weil du auch wegen Englisch nicht versetzt worden bist.“ Man schrieb das Jahr 1966.

Diese Reise steht mir auch noch nach so vielen Jahren sehr deutlich vor Augen, denn es schien ein Ausflug in ein anderes Jahrhundert zu sein. Es gab da zwar auch Autos, aber die waren uralt, an Häusern und Fabriken schien seit Jahrzehnten nichts mehr gemacht worden zu sein und dann gewinnen diese Kerle auch noch die Fußball-WM.

Die allgemeine Rückständigkeit im Vergleich zu meiner Heimat stach ins Auge. Schließlich fragte ich unseren Gastgeber, woran das denn läge und der antwortete etwas kryptisch: „If you are in war, it is convenient to fight on Amerca`s side, but later you are better off as the defeated.“

Ich habe nicht gleich verstanden, was er damit sagen wollte. Es war nichts anderes als das Phönix aus der Asche Axiom: Wenn alles darnieder liegt, ist ein Neuanfang leichter als ein Neustart mit repariertem Alten.

Nach dem Krieg war in Deutschland fast alles zerstört. Die damalige Bundesrepublik hat aus dem Marshall Plan enorm profitiert, England hat mit dem weitergemacht, was nicht zerstört worden war.

So wenig man irgendeinem Land eine solche Situation wünschen kann und will, weder als Sieger noch als Besiegter, so sehr erinnert mich das alles an die derzeitige Situation in der Ukraine:

Mit unsäglicher Brutalität und Phantasielosigkeit zerstört Russland seinen „Bruderstaat“. Ganze Industrieregionen liegen in Trümmern, halbe Städte ebenso. Gleichzeitig blutet der Unhold, der Aggressor langsam wirtschaftlich aus. Wenn es – hoffentlich bald – zu einem Waffenstillstand kommen wird, werden sich insbesondere die bisher nichtsahnenden Russen die Augen reiben, weil ihnen das Geld und die internationale Unterstützung fehlen werden, das Land weiterzuentwickeln.

Nach Elmau aber wissen wir, dass die G7 Staaten „whatever it takes“ unternehmen werden, damit die Ukraine den Krieg nicht verliert und danach wieder auf die Füße kommt. Letzteres wird natürlich auf dem Stand der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung geschehen. Das wird dann etwa mit der Situation vergleichbar sein, die ich 1966 erlebt habe.

Bei allem Entsetzen über das, was in der Ukraine passiert, stimmt mich diese Aussicht zuversichtlich.

Vielleicht sollten wir zum Ausgleich die Russen die Fußball WM gewinnen lassen.