Meine Mutter fand, ohne dass ich das je richtig verstanden hätte, ich sei zu dick. Wenn ich bei ihr zu Besuch war, achtete sie streng darauf, dass ich nur ein Brötchen zum Frühstück aß.
Ich nahm das mit der mir eigenen Frustrationstoleranz hin, wusste ich doch, dass Rettung in der nahen ehemaligen Kreisstadt Ebern bei der Hand war. Ich nahm das Auto und fuhr hin.
Dort besuchte ich zunächst in der Filiale der Sparkasse Ostunterfranken meine Schulkameradin. Sie verwaltete schon lang nicht mehr mein Geld, dennoch bekam ich jährlich den Sparkassenkalender. Dann schaute ich gegenüber bei Uhren Riess ins Schaufenster. Dort hatte mein Großvater am 28.9.1905 seine Silberne Taschenuhr der Firma A. Lange & Söhne gekauft. Für sage und schreibe 258 Mark. Damals hieß der Laden noch Karl Zeiß. Ich habe die Uhr von ihm geerbt.
Solange er noch den Milchladen betrieb, trank ich bei Herrn Wiltschka einen Becher Buttermilch. Sein Sohn war lange Jahre Richter in Haßfurt und schrieb mitunter literaturverdächtige Urteile.
Den kleinen Rundgang über den Eberner Markt machte ich nur, um die Vorfreude auf den Höhepunkt des Spaziergangs zu verlängern: Ich besuchte die Metzgerei Zürl, wo man mich als exotischen Kunden bereits kannte:
So, der Herr Baron aus Spanien is wieder amol do. – Ja, und ich nämm wieder des Gleiche wie des letzte Mol. – A Läberkäsbrödla mit a weng merra Läberkäs drauf, hald wie immer.
Ich war „wie immer“ gerührt, denn wenn ich da dreimal im Jahr vorbeischaute, war es viel.
Oft traf ich auf dem Markt Tante Freda aus Eyrichshof. Mit der Zeit wurde ich Weltmeister in der Kunst, in der linken Hand ein Leberkäsbrötchen zu halten, um mit der Rechten ihre Hand zum Handkuss zu heben, ohne dabei lächerlich auszusehen.
Während ich das köstliche Leberkäsbrötchen in der Sonne verspeiste, dachte ich daran, dass ich dem Zürl`s Hans, dem Besitzer der Metzgerei, eigentlich Abbitte tun müsste. Heute ist das Schwimmbad in Ebern eine tolle Sache. Als wir noch klein waren, bestand das Bad aus einem Betonbecken, in das oben die Baunach hineingeleitet wurde, und unten wieder raus. Es war eine undurchsichtige Brühe. Die Jugend Eberns und die umliegender Dörfer traf sich dort dennoch. Wir zogen oft den Zürl’s Hans auf, weil er als richtiger Metzgerssohn damals schon das hatte, was ich erst später entwickelte: eine Wampe. Wir nannten ihn Wambo, was ihn ärgerte. Das freute uns. Ich habe heute noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke. Alle auf einen, und sei es „nur“ verbal, das geht überhaupt nicht.
Irgendwie wurde meine Missetat aber gerächt, denn wenn später am Vormittag meine Mutter beim Zürl etwas fürs Mittagessen einkaufte, sagte die Verkäuferin:
„Der Sohn aus Spanien hat sei Läberkäsbrödla fei schon abg’holt.
Dann bekam ich mittags nur Salat.