Wald ist gut für den Charakter

Eine Heppe ist ein Handbeil, bei dem aus dem kurzen Griff die Schneide in Verlängerung desselben herausragt. Es ist eigentlich ein breites Messer, das in einer seitlichen Spitze ausläuft. Das Ding sieht einem Falken nicht unähnlich. Dieses Instrument lag immer im hinteren Kofferraum des Rentweinsdorfer Forst – Käfers. Mein Vater brauchte die Heppe zum Holz auszeichnen. Dazu ging er durch den Wald und markierte mit der Heppe die Bäume, die gefällt werden sollten. Bei Kiefer, Fichte, Eiche oder Lärche ging das einfach, nur die glatte Rinde der Buche machte Schwierigkeiten, dafür hatte er eine Art Taschenkralle, mit der die Rinde geritzt wurde. Nach welchem System Vater Bäume auszeichnete, war uns Kindern natürlich zunächst unklar. Erst langsam lernten wir, dass die Bäume gefällt werden müssen, die andere an der Entwicklung hindern, die anderen das Licht nehmen.

Mir war immer bewusst gewesen, dass wir vom Wald leben. Deshalb verstand ich nicht, warum immer nur die miesen Bäume gefällt werden

„Einen guten Baum zu fällen, macht uns reich und ich krieg ein neues Fahrrad“ argumentierte ich. Mit nicht enden wollender Geduld erklärte mir Vater stets, der Beruf des Forstwirts sei ein charakterbildender: „Die Früchte dessen, was ich heute tue, erntet mein Sohn oder vielleicht auch erst mein Enkel.“

Das fand ich natürlich entsetzlich langweilig. Was nützt das neue Fahrrad den Kindern meines Bruders?

Eine andere Arbeit im Wald war das Holz abnehmen. Dabei trugen wir einen Hammer, dessen Kopf aus einem vereinfachten Familienwappen bestand. Der Hammer wurde mit Teer eingeschmiert und auf die Schnittstelle gefällter Bäume gehauen. Es gab noch einen weiteren Hammer mit einstellbaren Zahlen. Die kamen neben das Wappen. Vater trug die Nummer in ein dickes Buch ein. Ich kam mir vor wie im Western, wenn Fohlen gebrandmarkt werden.

All das geschah natürlich bei eisigen Temperaturen im Winter. Dann herrscht im Wald Hochsaison. Heute kreischen Motorsägen und ein Baum fällt in spätestens fünf Minuten um. Als Kind habe ich noch beobachtet, wie Bäume „händisch“ gefällt wurden. Vorne bedienten die Arbeiter die Handsäge. Damit sie nicht vom Baum ein geklemmt werde, mussten hinter ihr Keile in die Schnittstelle getrieben werden. Der Baum ächzte und bewegte sich etwas in die Richtung, in die er fallen sollte. Am Ende tat er das aber nicht immer und es konnte passieren, dass der fallende Baum in den Armen eines anderen festhing. Das war eine Katastrophe, denn Waldarbeit wird im Akkord bezahlt. Die beiden Holzfäller beschimpften sich wütend und schoben einander die Schuld zu.

Mein erstes eigenes Geld im Wald habe ich mit „klubben“ verdient. Vater hatte von Onkel Konrad ein Stück Wald gekauft und nun musste festgestellt werden, wie viel Holz darauf stand. Dazu misst man mit der Klubbe, einer überdimensionierten Schublehre, den Durchmesser eines jeden Stammes etwa in Brusthöhe. So kann man den Festmetergehalt eines jeden Baumes ziemlich exakt berechnen. Bei diesem Tun stießen wir auf einer Lichtung, auf drei Grabsteine. Hier, neben seinen Hunden, wollte auch Onkel Konrad begraben werden. Wir waren beeindruckt.

Nicht so das Landratsamt. Als Onkel Konrad tatsächlich starb, wurde mit Verweis auf die bayerische Bestattungsverordnung eine Sarglegung außerhalb eines Friedhofes verboten.

Da nützte es auch nichts, dass sich Onkel Konrad extra im Krematorium in Coburg hatte verbrennen lassen. Als der Sarg unter Quietschen in der Versenkung verschwand, hörte man aus den Tiefen des Krematoriums eine Stimme, die dem Kollegen zurief: „Geh zu, pack amol aa!“

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