IS Kämpfer. Müssen sie zurückgeholt werden?

In den Medien hören und lesen wir es in diesen Tagen immer wieder: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden“.

Das steht so im Grundgesetz und das ist auch richtig so. Es entsteht der Eindruck, als hätten somit alle IS Kämpfer mit deutschem Pass ein Recht, von der Bundesrepublik zurückgeholt zu werden.

Ich habe da äußerste Bedenken. Als ich 1993, Spanien war damals noch nicht in der EU, die spanische Nationalität beantragt hatte, verlor ich die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie wurde mir nicht entzogen, aber ich verlor sie nach § 25 des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes: Wer willentlich die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates beantragt, verliert die deutsche.

§ 28 des gleichen Gesetzes sagt, wer ohne Genehmigung des Verteidigungsministeriums in den Wehrdienst eines anderen Staates eintritt, verliert die deutsche Staatsangehörigkeit ebenfalls.

Ich habe damals die angestammte Nationalität verloren, weil ich eine andere beantragt habe, immerhin die eines demokratischen Rechtsstaates.

Wie muss man es beurteilen, wenn jemand sich derart vom deutschen Rechtsstaat abwendet, dass er in die Dienste eine Unrechtsregimes eintritt? Das ist nicht nur Abwendung von Deutschland, so einer oder so eine wendet sich von allen Werten ab, die unsere Demokratien ausmachen

Spitzfindler werden jetzt sagen, der IS war ja gar kein Staat. Das mag sein, ist aber insoweit irrelevant, als es um die innere Einstellung geht. Die IS Kämpfer haben sich etwas zugewandt, was sie für einen Staat hielten und dem sie nachfolgen wollten. § 25 STAG regelt nicht die Zuwendung zu einem anderen Staat, sondern die Wegwendung von der Bundesrepublik.

Ein weiterer Umstand, der nie vergessen werden sollte, ist der, dass viele der IS Kämpfer zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten haben. Wenn dem so ist, sollte die Bundesrepublik bescheiden beiseitetreten und dem anderen Staat den Vortritt lassen.

Ohne alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, IS Kämpfer in anderen Heimatländern unterzubringen, sollte keiner von ihnen deutschen Boden betreten können.

Es sollte auch rechtlich geprüft werden, dass eine Rückführung nur dann möglich ist, wenn die Betroffenen vorher auf andere als die deutsche Staatsbürgerschaft verzichtet haben.

Die deutschen Behörden sind gut beraten, Druck anderer Staaten auszuhalten und die Bearbeitung der Rückführungen mit Blei an den Füßen vorzunehmen.

Hier läutet die Stunde der Einzelfallprüfung, die zumindest dies beinhalten muss:

  1. Ist der Rückzuführende überhaupt noch Deutscher?
  2. Kann man wegen einer alternativen Nationalität die Rückführung in ein anderes Land gewährleisten?
  3. Wenn das nicht geht, kann man dann von ihm den Verzicht auf die alternative Staatsangehörigkeit verlangen?

So etwas zu prüfen, braucht Zeit. So etwas ist zermürbend. Wenn sowieso klar ist, dass jede Rückführung in Deutschland erstmal mit Untersuchungshaft beginnt, die dann zu einem Prozess wegen (mindestens) Zugehörigkeit an einer terroristischen Vereinigung mündet, dann kann das dazu führen, dass die IS Leute sich freiwillig anderswo niederlassen.

Der Rechtsstaat muss sich an Recht und Gesetz halten, auch denen gegenüber, die offen gezeigt haben, dass sie ihn missachten.

Der Rechtsstaat darf und muss aber auch prüfen, ob eine Berechtigung zur Rückführung vorliegt. Wie viel Zeit er sich dabei lassen darf, ist wieder einer Einzelfallprüfung unterworfen.

Ziel muss jedenfalls sein, jede Möglichkeit zu nutzen, die Rückführung der gefährlichen IS Kämpfer zu verhindern.

Der Rechtssaat ist auch für menschliche Ungeheuer da, aber er muss die übrigen Bürger vor diesen schützen.

 

Geburtstagsbriefe

„Lieber Hans

Zu Deinem Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich und wünsche Dir alles Gute zum nächsten Lebensjahr. Wie ich so alt war wie Du jetzt wirst, war ich Soldat und musste aufpassen, nicht jeden Tag mein Leben zu verlieren…“

So begannen die Geburtstagsbriefe, die mir mein Vater zum 22., 23. und 24. Geburtstag schickte. Nach dem dritten Mal machte ich mich über seine Vielseitigkeit lustig mit dem Erfolg, dass er mit bis zu seinem Lebensende zum Geburtstag schrieb, er sei unsicher, da ich ja so hohe Anforderungen an seine Briefe stellte.

Bei allem Necken haben mich die Eingangsworte meines Vaters nachhaltig betroffen gemacht. Sie erwischten mich als unbekümmerten Studenten in Marburg, dann in Lausanne und schließlich in München. Unbekümmert ist gar kein Ausdruck, denn in Marburg hetzte ich der Weiblichkeit hinterher und organisierte Studienreisen nach Paris, in Lausanne kaufte ich mir bei COOP ein Paar Skier und bekam auf einen Sitz gleich mehrere Rabattmarkenbüchlein voll. Dann schaute ich mir die Gegend an und wo es mir gefiel, packte ich die COOP-Bredln aus. In München gedachte ich nun ernsthaft zu studieren. Dazu kam es allerdings nicht, weil mich die Liebe zu sehr in Anspruch nahm.

Genau in diesem Alter war das Hauptanliegen meines Vaters gewesen, aufzupassen, nicht jeden Tag sein Leben zu verlieren.

Neulich hatte ich geschrieben, dass mein Großvater meiner Mutter Vorhaltungen gemacht hat, weil sie uns jeden Abend badete. „So können sie sich dann nicht mir wenig Wasser waschen, wenn sei im Felde stehen“, war sein Vorhalt.

Seit Generationen ist man es in Mitteleuropa gewohnt, dass die männliche Jugend in einem oder mehreren Kriegen dezimiert wird. Es gab keine Generation ohne Krieg.

Und weil das so war, arbeitete die Propaganda daran, alles Militärische gut zu finden. Es ist ja auch nicht so einfach, ganze Völker davon zu überzeugen, es sei gut und gottgegeben, dass die Hälfte der jungen Männer qualvoll stirbt oder verstümmelt zurückkehrt.

Der letzte große Krieg hat in Europa vor 80 Jahren begonnen. Ich kenne keine europäische Epoche, die 80 Jahre lang ohne Krieg ausgekommen wäre.

Natürlich haben wir diese lange Zeit genutzt, Gutes zu tun. Viele haben auf dem Kibbuz gearbeitet, ganz viele haben sich politisch engagiert, andere haben sich um verwahrloste Kinder gekümmert oder haben dafür gesorgt, dass alte Zöpfe abgeschnitten wurden.

Die Wahrheit ist allerdings, dass wir bequem geworden sind. Wir haben Friede, Freude, Eierkuchen für den Normalzustand angesehen. Alles lief doch glatt, ganz besonders für uns, die wir nie in unserem Berufsleben auch nur eine Sekunde arbeitslos waren, in deren Leben das Wort Existenzangst nicht vorkam und in deren Staaten vernünftige Politiker agierten.

Besonders Letzteres ist vorbei. Es ist Vieles vorbei. Ohne Scheu bedienen sich Politiker, die äußerlich von anständigen Menschen nicht zu unterscheiden sind, der Lüge, der Hetze und sie nutzen die Stimmen derer, mit denen sie nicht mal eine Currywurst zusammen essen würden, um darauf ihre Süppchen zu kochen.

Das ist alles brandgefährlich. Das kann leicht dazu führen, dass die lange Phase des Friedens in Europa ihrem Ende zu taumelt.

Ich möchte nicht, dass mir ein Neffe oder Enkel zu einem künftigen Geburtstag schreibt, er hoffe, so alt werden zu dürfen wie ich, denn momentan stehe er im Felde…

Fisimatenten und Vasisdas

Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Franzosen beherrschen es besser, Frauen für sich einzunehmen als ihre deutschen Kollegen.

Ob das schon immer so gewesen ist, weiß ich nicht, klar ist allerdings, dass es zu Napoleons Zeiten bereits zutraf.

Als die unübersehbar großen Armeen der Korsen vor den Dörfern und Städten Deutschlands lagerten, war die Neugierde natürlich groß.

Diese Neugierde hat sich bis in meine Jugend gehalten: Wenn die Amis im Wald biwakierten, sind wir ihnen gefolgt haben Kaugummi bekommen, ihre Panzer bestaunt und gemerkt, dass die schwarzen Gis viel netter zu uns waren als die weißen.

Aber zurück zu Napoleon und seinen Soldaten. Wenn die Arbeit getan war, strömte die Jugend hinaus in die Zeltlager und bestaunte die fremden Männer, die in einer Sprache redeten, die oft nicht einmal der Pfarrer verstand.

Bald schon fanden die Mädchen heraus, dass die fremden Soldaten mit ihren eigenartigen Worten sie umgarnten. Sie schenkten ihnen Blumen oder Süßigkeiten und sie redeten unaufhörlich auf sie ein.

Das gefiel den jungen Mädchen natürlich und zu Hause verfielen Mütter und Tanten in abgrundtiefe Sorgen um die Sittsamkeit und damit Verheiratbarkeit ihrer Töchter und Nichten.

Nicht auszudenken, wenn da was passieren sollte, die Schand, die Schand.

Dann wurde ruchbar, dass die Mädchen langsam verstanden, was die Franzosen ihnen zuriefen. Die unverfrorenen Lümmel luden sie ihn ihr Zelt ein: „Visitez ma tente“, riefen sie.

Das ging natürlich entschieden zu weit, und wenn am späten Nachmittag die Mädchen außer Haus gingen, dann riefen ihnen Mütter, Tanten und Omas nach: „Aber keine Fisimatenten, gelle!“

Die Älteren waren in heller Panik. Man erlaube mir dazu ein nicht ganz stubenreines Wortspiel:

On a paniqué, même qu‘on n’a pas niqué.

Trotz aller Warnungen kam es natürlich zu sogenannten Franzosenkindern, die meist méchant behandelt wurden, die Armen. Sie konnten ja wirklich nichts dafür

Immerhin hat sich das Wort „Fisimatenten“ bis heute gehalten.

Im Französischen gibt es übrigens ein ebensolches sprachliches Unikum aus Kriegstagen. Wenn 1871 deutsche Soldaten in Frankreich ein Haus durchsuchten, deuteten sie immer auf die Stiege zum Dachboden und fragen. „Was ist das?“ Sie wollten wissen, was da oben sei. In weiten Gegenden Frankreichs wird die Dachbodenstiege von einer über ihr angebrachten Dachluke beleuchtet. Und so gibt es im östlichen Teil Frankreichs noch Menschen, die für eine Dachluke einen seltsamen „terminus tecnicus“ haben Er lautet Vasisdas.

Der Krieg ist eben doch der Vater vieler Dinge.

Beten mit dem Tranchierbesteck

 

Offenbar haben sich mein Vater und seine Mitgefangenen in amerikanischer Gefangenschaft derart gelangweilt, dass sie eine Lageruniversität gründeten. Dort studierte der Rittmeister Rotenhan die Anatomie der Haustiere.

Das qualifizierte ihn offenbar hinreichend dazu, den sonntäglichen Rehrücken zu tranchieren. Es gab andauernd Wild, weil das im Gegensatz zum Fleisch, das vom Metzger geholt wurde, nichts kostete.

Man kann sich vorstellen, dass uns das Zeug bald zum Hals heraushing, zumal es bis zur Unkenntlichkeit durchgebraten war. Um die dadurch eintretende saharamäßige Trockenheit des Fleisches zu bekämpfen, wurde gespickt, so dass man im nach wie vor trockenen Braten glibberige Speckstückchen fand.

Dazu gab es „Spatzenflügel“ so nannten wir Blaukraut und, ein Lichtblick, Klöß, mit der man die eigentlich ungenießbare Mehlschwitze aufditschen konnte.

Wenn ich mir denke, mit wie wenig Aufwand man aus diesen Zutaten ein Festwessen hätte bereiten können, werde ich schier schwermütig.

Wie dem auch sei, noch bevor wir uns zu Tisch setzten, stand der Rehrücken bereits auf der Kommode neben dem Esstisch und Vater begann mit der Tranchiererei.

Wenn alle da waren, wurde das Tischgebet gesprochen. Dazu legte der dipl. Haustieranatom nicht etwa Tranchiermesser und -gabel beiseite, vielmehr kreuzte er sie und nahm eine devote Gebetshaltung an. Wir liebten das.

Plötzlich bekamen unsere Eltern einen sozialen Anfall und fanden, die armen Dienstmädchen müssten am Sonntag bereits um 12 Uhr Dienstschluss haben. Man überlegte, was zu tun sei und dabei heraus kam das Frühmi.

Das bedeutete, dass wir ungefrühstückt in die Kirche mussten, und wenn sie aus war, gab es gleich ein verspätetes aufgedonnertes Frühstück. Es gab Käse, Wurst, ein Ei. Marmelade gab es auch, aber die verschmähten wir, denn die gab´s von Mo bis Sa als Einziges zum Frühstück.

Alle fanden das herrlich, nur mir behagte das neue Regime nicht, denn, da ich sowieso Kreislaufprobleme hatte, fiel ich von nun an, da nüchtern, beim Glaubensbekenntnis regelmäßig aus der Kirchbank. Außerdem fand ich, dass einmal am Tag was Warmes auf den Teller muss, und wenn es Staubrehrücken wäre. Abends gab es ja immer Brotzeit.

Die Eltern aber sonnten sich in der Aura der verständnisvollen Dienstherren und freuten sich mit den Dienstmädchen, die nun schon erheblich früher mit dem Gschbusi zum Fußballspiel gehen konnten.

Nebenbei bemerkt, frage ich mich, was sich unsere Eltern dabei gedacht haben, denn durch das Frühmi wurden die Mädchen vom Kirchgang abgehalten.  Beten wurde durch das Dekorieren von Aufschnitt Platten ersetzt. Par bleu!

Sei dem wie es wolle, es kam der Sonntag, an dem unser Vater in die Küche geschickt wurde, weil das Brot ausgegangen war. Dort empfing ihn ein verführerischer Geruch und er fand die gesamte Küchenmannschaft am Tisch sitzend vor. Es gab Rehrücken mit Spatzenflügeln, Klößen und Mehlschwitzsoße.

Ja, so ohne Sonntagsessen, nein das ginge nicht, wenn die Herrschaften plötzlich auf Frühmi machten, das wäre noch lange kein Grund, auf den guten fränkischen Sonntagsbraten zu verzichten.

Am nächsten Sonntag kreuzte beim Tischgebet unser Vater wieder fromm Tranchiermesser und -gabel, der Rehschlegel war wieder trocken und die Klöß schmeckten himmlisch.

Das niedliche Eisfähnchen

Als wir Kinder waren, empfanden wir das ganze Dorf als riesigen Abenteuerspielplatz. Im kleinen Bach, der das Überlaufwasser von den Karpfenteichen in die Baunach leitet, bauten wir Staudämme, wenn die Bierfässer ausgepicht wurden, bastelten wir aus dem langsam erkühlenden Pech Fackeln und aus den Brettern auf dem riesigen Haufen daneben, hämmerten wir uns „Häusla“ zusammen. Der Bach war gefährlich, weil er etwa 500 Meter lang unterirdisch verlief, der vollkommen ungesicherte Pechkessel war natürlich brandgefährlich und so ein wüster Holzhaufen konnte leicht ins Rutschen geraten. Es ist aber nie etwas passiert, außer dass wir vor Dreck starrten, ständig offene Knie hatten und immer wieder mal einen blauen Fingernagel, weil einen Nagel auf den Kopf zu treffen, muss ja auch erst einmal gelernt werden.

Abgesehen vom Abenteuerspielplatz hatte das Dorf auch ein „route gastronomique“ zu bieten, wo es all das gab, was uns zu Hause nie vorgesetzt wurde:

Bei der Dorett, dem Faktotum unseres Großvaters, gab es „a Zuggerla“, wenn ich morgens beim Will’s Beck Brötchen holte, fiel manchmal ein Plätzchen oder zu Fasching ein Krapfen ab. Den Will’s Beck am Kaulberg gibt es schon lange nicht mehr, sogar das Haus wurde abgerissen.

Wenn wir zum Wurst kaufen geschickt wurden, gab es beim Herold, dem Metzger neben der Kirche, ein dünnes Stück Fleischwurst, beim Biggo, dem Metzger im Unterdorf gab es ein erheblich dickeres.

Wenn das Leergut an der Brauerei angeliefert wurde, stürzten wir uns auf die Limoflaschen um den süßen Rest zu trinken, das „Noagerl“ wie ich später lernte. Manchmal tummelten sich in den Flaschen Wespen.

Am Begehrtesten war natürlich ein Eis. Beim Kaufmann Müller gab es Schöller Eis, beim Götzen-Schmidt und im „Kónsum“ gab es Eva Eis. In der Türkei, der Teil des Ortes heißt heute aus ungeklärten Umständen noch so, wohnten viele unserer Freunde und der „Kónsum“ hatte als erster sein Geschäft zum Teil als Selbstbedienungsladen eingerichtet. Da konnte man stundenlang überlegen, ob es besser sei, fünf „Pfennichbombom“ zu kaufen oder einen Schlotzer für fünf Pfennig.

Doch zurück zum Eis. Das billigste kostete 10 Pfennig, war rund und steckte auf einem runden Stiel. Das zu 20 Pfennig war viereckig und der Stiel war eine kleine Spachtel. Krönung war ein „Fuchzichereis“. Das gab es bereits im Becher, innen weiß und außenrum ein roter Rand, von dem es hieß, es seien gequirlte Erdbeeren. Immerhin schmeckte es süß.

Geld hatte wir so gut wie nie und deshalb richtete ich mein Sinnen und Trachten nach dem Erwerb desselben.

Mutter zahlt ganz gut, wenn sie den Grind von den aufgeschlagenen Knien kratzen durfte, aber es brauchte vier Grinde, um 20 Pfennig zusammenzubringen. Also verlegte ich mich darauf, bei den „Besüchern“ zu betteln. Als das ruchbar wurde, vermahnte man mich streng. Das Betteln in jeglicher Form wurde mir verboten.

Eines Tages ging ich mit Tante Hesi spazieren. Ihr wurde gesagt, mögliche Betteleien zu überhören und mir wurden Höllenqualen angedroht, sollte ich es wagen…

Mein Hirn arbeitete nun fieberhaft an der Frage, wie ich, ohne zu betteln, zu einem Eis käme.

Als wir zu Kaufmann Müllers Laden kamen sah ich im grellen Sonnenlicht das Fähnchen flattern, dass Jung und Alt darauf aufmerksam machen sollte, dass man hier Schöller Eis kaufen konnte.

Da zog ich an Tante Hesis Hand und sagte zu ihr: „Ach, sieh doch mal das niedliche Eisfähnchen!“

Triumphierend kam ich mit einem Zwanzichgereis nach Hause und die edle Spenderin verteidigte sich meiner Mutter gegenüber mit dem Argument, da müsse man erstmal drauf kommen!

Ein Fest für die Freiheit

 

Es gibt Juristen, die halten daran fest, dass mit dem allgemeinen Teil des BGB an sich schon alles gesagt sei, Schuldrecht, Sachenrecht, Erbrecht und Familienrecht seien eigentlich nur Auslegungen des allgemeinen Teils für die Doofen, die diesen nicht verstanden haben.

So ähnlich ist es mit dem Grundgesetz. Mit dem Artikel 1 ist an sich schon alles gesagt, der Rest sind zwingende Folgerungen aus der Feststellung „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Das hat gestern das Bundesverfassungsgericht in wunderbarer Weise klargestellt: Digitale Kontrollen von Autokennzeichen „ins Blaue hinein“, sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Es gibt auch das Recht darauf nicht nur unschuldig zu sein, sondern sich auch so zu fühlen und sich frei zu bewegen, ohne dass der Staat davon etwas weiß.

Mancher wird dazu sagen, dass es ihm doch piepe ist, wenn die Polizei sein Nummernschild fotographiert. Es wird sowieso gleich wieder getilgt, da gegen ihn ja nichts vorliegt. Fürchten muss derlei Tun des Staates doch nur der Bösewicht, und das zu Recht. Wo kommen wir hin, wenn verfassungsrechtliche Fisimatenten einen starken Staat behindern?

Zur Erinnerung: Das Grundgesetz soll nicht en Staat vor dem Bürger schützen, sondern umgekehrt, es schützt den Bürger vor staatlicher Übergriffigkeit.

Das Geschwätz des österreichischen Innenministers, wonach Gewaltenteilung gar nicht so wichtig sei, gehört zur täglichen winzigen Dosis Arsen, die als Einzelne nicht nachweisbar ist, in Gänze aber eben doch zum Tod führt.

Wir haben uns angewöhnt, die Verteidigung der Demokratie auf den Staat abzuwälzen. Das heißt den Bock zum Gärtner zu machen, denn der Staat und seine Funktionsstellen können ganz legal usurpiert werden, Beispiel Innenminister Kittl. Auch Hitler ist durch Wahlen an die Macht gekommen.

Die Verteidigung der Demokratie ist die originäre Aufgabe jedes Einzelnen Demokraten. Es laufen auf der Straße und im Staatsapparat genug Leute herum, die ihr eigenes Süppchen zu kochen versuchen oder es bereits erreicht haben dass dieses brodelt..

Gestern hat die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit dem Bürgermeister von Köln-Ehrenfeld veröffentlicht. Er heißt Josef Wirges, ist von der SPD und sagt, dass er bei Einbürgerungsfeiern die Bibel und den Koren bereitlegen muss. Und er fragt: „Wenn ich behaupte, was hier drin steht oder da drin steht, sei alles wahr und müsse befolgt werden – was bin ich dann? Na klar, ein Fundamentalist. (…) Alles was unser Leben regelt, steht in einem dritten Buch – im Grundgesetz.“

Ich füge hinzu: Wer behauptet, alles was da drin steht, ist wahr und muss befolgt werden, der ist ein Demokrat.

Das gestrige Urteil des Verfassungsgerichts ist ein Grund zum Feiern. In einer Zeit, in der es Politiker wagen, zu sagen, wenn ihre Partei an die Macht kommt, werde „aufgeräumt“, ist es gut zu wissen, dass wir Verfassungsrichter haben, die der Exekutive genau auf die Finger schaut.

Die Politik holt ihre Macht aus dem Mandat er Wähler und aus dem Imperativ dessen, was in der Verfassung steht.

Trost durch Käsesahnetorte

Als Altlandheimer ist es unmöglich die heutige A 12, damalige B12, zwischen Landsberg und München zu befahren, ohne ständig an Dinge erinnert zu werden, die mit Schondorf, dem Ammersee oder der Straße selbst im Zusammenhang stehen. Da war unser Musiklehrer, er fuhr einen feuerroten Alfa Giulietta. Die noch zurückzulegende Strecke nach München bemaß er an der Restbefüllung seiner Bierflasche. Da waren auf der Rückfahrt vom Konzert die Nutten auf der Landsberger Straße, die wir mit schauderndem Interesse beäugten. Da sind die viele Orte, die wir zum Durchstechen mit dem Fahrrad aufsuchten.

Ich lief meistens nach Hechenwang durch das Hochmoor. 3 Mark Taschengeld reichten damals noch für 5 Halbe, die galt es auf das Wochenende zu verteilen. Die alte Wirtin Saxenhammer hatte uns alle in ihr weites Herz geschlossen, nannte uns „schlechte Kartoffeln“ und warnte, wenn Kontrollen kamen. Ich fand die Durchstecherei im Ganzen gut, denn sie führte dazu, dass wir miteinander geredet haben. Wir haben ja nicht nur dumpf vor dem Bierkrug gesessen, wir haben diskutiert und gestritten, es ging um Politik. Damals war das „in“. Es ging natürlich auch ums Bier. Nigel, ein englischer Austauschschüler, brachte es auf den Punkt: „We are here for nothing else but to drink!“

Am Montag brillierte ich in der Englischstunde mit dieser alternativen Anwendung des Wortes „but“.

Mir half die Durchstecherei, die Contenance zu wahren, wie meine Großmutter gesagt hätte. Ich war über lange Jahre Spüldienstwart. Der musste als Einziger nicht abspülen, aber nach dem Mittag- und Abendessen vorne ausrufen, wer dran sei. Mit drei Halben intus, war das als Heranwachsender durchaus herausfordernd, die Lehrer durften ja nichts merken.

Natürlich dienten die Durchstechereien auch der Selbsttröstung. Wir waren ja nicht immer nur glücklich oder zufrieden mit unserem Landheimdasein. Schlechte Noten, Liebeskummer, Streit mit den Kameraden, Heimweh, das kam ja alles vor und musste verarbeitet werden.

Die Kleinen, die „Frösche“ suchten Trost am Mittwoch und am Samstag beim Stiebler, der Konditorei genau gegenüber vom Landheimtor. Bei einem Taschengeld von einer Mark fünfzig dauerte der Entscheidungsvorgang oft einige Minuten: gedeckter Apfelkuchen für 60 Pf oder Käsesahnetorte für 70 Pf? Im Sommer liebte ich „dem Stiebler sein Aprikoseneis“. Einmal hatten wir ausgemacht, alle nach Gurkeneis zu fragen. Die Stieblerin ist darüber fast verrückt geworden.

Man konnte auch zum Raffler gehen. Das war ein Laden mit Milchküche links auf dem Weg zum See. Dort stellte der alte Herr Raffler aus vergammelten Bananen und frischer Milch einen Mix her, der aber bei allerlei Bekümmernissen nur kurzen Trost spendete. Das Zeug schmeckte erstaunlich gut.

Im Laden daneben strebte die Tochter Raffler nach Höherem und verhökerte die naive Malerei ihres Onkels Max Raffler.

Ich frage mich, warum die Tröstungen immer über den Magen gingen. Wenn Eltern zu Besuch kamen, fuhr man nicht nach Dießen, um die dortige Kirche zu besichtigen, nein man ging in die Post, die Eltern aßen Renke wir Kinder zwar auch ein Hauptgericht, aber in erster Linie Eis zum Nachtisch.

Kurz vor dem Abitur kaufte ich meinem Vater dessen uralten und verbeulten Forst-VW ab.

Den parkte ich an der Oberschondorfer Kirche und organisierte Kunstfahrten. Erst damals lernten wir die Schönheiten des Pfaffenwinkels kennen. Wir haben uns bis zur Wieskirche vorgewagt. Natürlich waren wir alle überwältigt von diesem Ballsaal Gottes. Ich aber tat abgebrüht, denn derlei kannte ich schon aus Vierzehnheiligen.

Eigentlich schade, dass der Pfaffenwinkel nicht auf dem Lehrplan stand. Aber mal ehrlich, vor der Reife, die uns das nahende Abitur verlieh, war die Durchstecherei wichtiger sowohl subjektiv wie auch objektiv, denn sie hat bei all ihrer Fragwürdigkeit zu unserer Menschwerdung entscheidend beigetragen.

 

Ich mechte traurig sain.

Als gute Ungarin hieß sie Erzsebet und wurde Erzsi genannt. Im Durcheinander nach dem Krieg kam sie per Zufall in ein Lager für ehemalige jüdische KZ-Gefangene.

Dort wurde man gut verpflegt und ihr Glück sei es gewesen, dass sie in Budapest von ihren Freundinnen das jüdische Glaubensbekenntnis, das Schm‘a Jisrael gelernt hatte, denn eigentlich wollte man sie wieder hinauswerfen aus dem Lager, weil sie keine KZ Tätowierung aufweisen konnte.

Dort lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie nach langen Wanderungen und Irrungen auf Ibiza landete, wo er als Immobilienentwickler sehr erfolgreich wurde.

Erzsi hatte viel von ihrer Muttersprache verlernt, sprach fehlerhaftes Deutsch, fehlerhaftes Spanisch und unverständliches Englisch.

Als Jahre später die Ehe scheiterte, dachte Erzsi, Appartementhäuser bauen kann ich auch, und das dachte auch der Direktor der Matutes Bank, der ihr erstes Projekt anstandslos finanzierte.

Tatsächlich hatte Erzsi keine Ahnung, weder vom Bauen, noch vom Verwalten und erst Recht nicht davon, wie man eine Gesellschaft führt.

Verkaufen das konnte sie, und jedes Mal wenn wieder eine Wohnung verkauft war, griff sie mit beiden Händen in die Kasse der Baugesellschaft und kaufte in Madrid für sich und ihre beiden Töchter Nerzmäntel.

Irgendwann nahm das der Bankdirektor übel und das Finanzamt verlangte die Vorlage von Bilanzen.

In dieser Lage kam sie zu uns in die Kanzlei, wo sie mein damaliger Chef, Paco de Semir, unter Kuratel stellte, indem er ihr klarmachte, dass eine Sanierung nur dann möglich sei, wenn ihr die Möglichkeit genommen werde, die Kasse der Gesellschaft plündern zu können.

Das alles war sehr schwierig, zumal es notwendig wurde, ihr wirtschaftliche Grundbegriffe zu erklären. Weder Paco noch ich hatten zuvor einen Menschen kennen gelernt, der nicht wenigstens eine Sprache perfekt beherrschte. „Deswegen kann sie auch nicht klar denken“ mutmaßte mein alter Lehrmeister aus Barcelona.

Mit einiger Mühe und großem Zeitaufwand gelang eine Sanierung. Erzsi war glücklich. Ich hatte die alte Dame, dieses Original aus einer anderen Zeit, längst ins Herz geschlossen.

Als es ihr wirtschaftlich wieder gut ging, schlug sie ihrem Architekten und mir vor, nach München zu reisen, um dort neue Kunden zu werben.

Zunächst ging es in die Kanzlei des Anwalts Rolf Bossi hinter dem alten Botanischen Garten. Ehrfürchtig betrat ich die heiligen Hallen, in denen die Ikone der deutschen Strafverteidigung arbeitete. Wir saßen noch nicht richtig in den bequemen Sesseln seines Büros, da zeigte Bossi auf mich und sagte frei heraus: „Diesmal hast du dir aber einen sehr jungen Liebhaber genommen.“ Offenbar hatte es da Vorfälle gegeben. Erzsi ließ die Frage unbeantwortet und ich war froh, als wir wieder auf der Straße waren.

Die Suche nach Kunden oder Investoren blieb vollkommen ergebnislos, weil Erzsi mittags ein ungarisches Restaurant aufsuchte und dort dem ungarischen Wein zusprach, was eine Siesta nötig machte. Abends wollte sie Zigeunermusik hören. Aus meiner Zeit als Taxifahrer in München wusste ich natürlich, dass man zu diesem Behuf ins Piroschka unter dem Haus der Kunst geht.

Auch hier floss der Tokaier in Strömen und die Zigeunerkapelle spielte so hingebungsvoll für uns auf, dass man dachte, am Trichter der Klarinette würden sich bald Spuckeblasen bilden.

Erzsi bat um Stücke mit unaussprechlichen Titeln und weinte dann. Jedes Mal, wenn die Kapelle an einen anderen Tisch weiterziehen wollte, steckte Erzsi mir einen 100 DM Schein zu und sagte: „Gib dem Schein der Mann am Zimbal, ich mechte traurig sain.“

 

Keine Verfassung für UK

Großbritannien hat keine geschriebene Verfassung und deshalb gibt es auch nicht das, was für eine normale repräsentativer Demokratie selbstverständlich ist, ein Verfassungsgericht nämlich.

Das rächt sich nun. Man merkt es daran, dass die Briten offenbar kein Gefühl für die Gewichtung von Mehrheiten haben. In Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland reicht bei weniger wichtigen Dingen zur Verabschiedung die Mehrheit der im Parlament Anwesenden, bei wichtigeren Angelegenheiten ist die absolute Mehrheit notwendig, und bei ganz wichtigen, müssen es sogar 66% sein. So geschehen neulich in Berlin, als man die Finanzierung des Bildungssystems (Ländersache) verbessern wollte. Dazu musste das Grundgesetz geändert werden. Das gelang im Bundestag, in der Länderkammer, im Bundesrat, scheiterte die Verfassungsänderung, weil alle Länder zwar gerne mehr Geld hätten, nicht aber um den Preis, dafür dem Bund Kompetenzen abtreten zu müssen.

Hohe Hürden hat der Verfassungsgeber gesetzt, um das Herumwursteln in der Verfassung zu verhindern. Gut so.

Um wie viel wichtiger, als eine Kompetenzveränderung im Bildungssystem ist der Austritt aus der EU?

In Großbritannien wurde der Brexit nicht nur durch eine Volksbefragung ausgelöst, es kam erschwerend hinzu, dass diese mit Lügen vorbereitet wurde, und was im Getümmel unterging, sie verpflichtete die Regierung zu nichts, da in der nicht geschriebenen Verfassung des Königreichs eine Volksbefragung überhaupt nicht vorgesehen ist.

Von denen, die an der Brexit Volksbefragung teilgenommen haben, waren 51,9% dafür. Mehrheit schrien die Massen. Aber was für eine Mehrheit? Es waren 51,9% für den Brexit, die an der Volksbefragung teilgenommen hatten. Die Wahlbeteiligung lag bei 72,2%. Das bedeutet, von allen wahlberechtigten Briten waren 37,4 % für den Brexit.

Das ist doch keine qualifizierte Mehrheit! Für eine Verfassungsänderung reicht das nicht, zumal ich schon wiederholt vertreten habe, dass die Veränderung der Verfassung nicht per Volksabstimmung geschehen darf, sonst finden wir plötzlich wie die Schweizer in unserer Verfassung das Verbot Minaretts zu bauen. Da gehört das nicht hin.

Ich denke, wir sind uns alle einig, dass eine derart wichtige Entscheidung, wie der Brexit eine andere Mehrheit benötigt, als 37,4% aller Wahlberechtigten. So etwas gehört von Anfang an ins Parlament und dort müssen 66% der Abgeordneten zustimmen.

Aber wir leben von Mythen. Danach ist es toll, dass die Briten keine geschriebene Verfassung haben und sie sich dennoch nicht die Köpfe einschlagen. Und wir leben vom Mythos, wie toll und kuschelig doch eine verbindliche Volksbefragung ist.

Beides rächt sich von Zeit zu Zeit. Seien wir froh, dass wir in allen verbleibenden EU Ländern eine geschriebene Verfassung mit einem funktionierenden Verfassungsgericht haben. Und seien wir noch ein Stück weit froher, dass wir in Luxembourg den Europäischen Gerichtshof haben, der den verschiedenen Verfassungsrichtern auf die Finger schaut.

„Das ist ein Verlust an Souveränität“, schreit es von rechts. In erster Linie ist der EugH ein Gewinn an Rechtssicherheit für jeden Bürger.

Und was sich in London derzeit abspielt, ist uns allen hoffentlich eine Lehre.

Der neue Lehrer aus Pfarrweisach

Meine Großmutter aus Rentweinsdorf hat ihren Schwiegervater nicht gemocht. Das hat schon damals niemanden verwundert.

Von seiner Frau wird berichtet, sie habe immer, wenn sich der „alte gnädige Herr“ genähert habe, gesagt: „Kinderchen, geht ganz schnell weg, der liebe, liebe Vater kommt!“

Bei meiner Großmutter war der Grund der Abneigung genau feststellbar: Als er sie, die aus der Neumark kommende, blutjunge Frau den Arbeitern und Angestellten vorstellte, schloss er seine Rede mit den Worten: „Die wird fei jetzt schön gefunden!“

Er war ein großer Kommunikator, networker würde man heute sagen. Er legte Wert darauf, möglichst jeden im Landkreis Ebern persönlich zu kennen und sprach deshalb jeden an, den er noch nicht gesehen hatte.

Besonders gern tat er das in der Bahn. Das war damals noch ein dampfgetriebenes Ungeheuer mit drei bis fünf Personenwagen. Er stieg hinten ein und bis Bamberg hatte er sich nach vorn durchgearbeitet, mit jedem und jeder gesprochen. Es war seine Angewohnheit, Unbekannten die Frage zu stellen, ob er denn der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei. Der antwortete dann, nein, er sei der neue Finanzamtsgehilfe aus Ebern mit Namen Österlein, ursprünglich stamme er aus Werneck und so fort.

Urgroßvater Gottfried war immer bestens informiert und hörte deshalb das Gras wachsen, was er durchaus auch in seinem Interesse zu verwerten wusste, wie ich in einer der Geschichten im Buch „Die Kloßköchin und der Pfarrer von Gerach“ berichtet habe.

Irgendwann wurde bei den Vettern in Eyrichshof beim Frühstück davon geredet, dass der Rentweinsdorfer im Zug immer den neuen Lehrer aus Pfarrweisach wähnte. „Und so suchete man mit Fleiß“ wann denn der gnädige Herr wieder den Zug nach Bamberg nähme.

An diesem Tag wurde in Eyrichshof in den ersten, den mittleren und in den letzten Wagen einer der Sommergäste gesetzt mit der strikten Anweisung, auf die Frage, ob er der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei, mit „ja“ zu antworten.

In Rentweinsdorf stieg der „alte gnädige Herr“ wie gewohnt in den letzten Wagen und als er dort einen unbekannten jungen Mann antraf, war er freudig überrascht, endlich einmal auf die ewig gleiche Frage eine positive Antwort zu bekommen. Beim Kandidaten im mittleren Wagon roch er den Braten, ließ sich aber nichts anmerken und fragte zwischen Breitengüßbach und Bamberg auch noch den dritten Unbekannten, ob er der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei. Der bestätigte dies und nach einem kurzen Gespräch war man auch schon in der Domstadt angekommen. Kurz vor dem Aussteigen beauftragte er den neuen Lehrer aus Pfarrweisach noch, herzliche Grüße nach Eyrichshof auszurichten.

Wenn der Urgroßvater weiterfuhr, etwa nach München, dann bestellte er sich vorher telegraphisch Verwandte und Bekannte an den Perron, wie man damals sagte. Wenn der Zug dann in Nürnberg hielt, war der alte Herr natürlich mit einer Zugbekanntschaft in ein rauschendes Gespräch vertieft. Auf dem Bahnsteig tippelten seine Cousinen Leonrod aufgeregt hin und her und fanden den lieben Gottfried nicht.

Als der Zug bereits angeruckelt hatte, besann sich dieser seiner Verwandtschaft, riss das Abteilfenster herunter und grüßte winkend und rufend die alten Jungfern.

Dann ließ er sich in die Polster seines Sitzplatzes sinken und sagte mit voller Überzeugung zu seinen Mitreisenden: „Ham jetzt die eine Freud g’habt, dass sie mich wenigstens noch ham sehen können!“