Bar Tiburón, diesmal mit Hund.

Los Vikingos wurden bei ihren abendlichen, besser nächtlichen Besuchen der Bar tiburón von Paddy`s Hund begleitet. Der konnte nur an Land pinkeln. Da Paddy`s Segler an einer Boje in der Bucht von San Antonio hing, musste er morgens und abends mit dem Beiboot an Land gerudert werden. Er hörte auf den Namen Cú Paddy, eine Verballhornung des Namens der irischen Sagengestalt Cú Chulainn, was der Hund des Chulainn bedeutet.

Cú Paddy war ein „mil leches“, vulgo eine Promenadenmischung. Er war in der Bar Tiburón sehr beliebt, einfach deshalb, wie er sich unter eine Bank legte und keinen Mucks machte. Allerdings wusste er, wann sein Herrchen genug hatte, dann bellte er so lange, bis die anderen Säufer den Iren samt Hund rauswarfen. Hank, der Norweger, ging immer, wenn auch protestierend mit, denn sie hatten nur ein Beiboot. Sie hatten auch nur eine Boje, was eigentlich verboten war. Sie lagen als „Päckchen“ in der winterlichen Bucht.

Eines Abends kamen Paddy und Hank sichtlich schlecht gelaunt in die Bar Tiburón. Ihnen folgte hinkend und noch schlechter gelaunt Cú Paddy. Er hatte einen riesigen Verband um den Bauch gewickelt.

Es war schwer, herauszufinden, was passiert war, denn Hank und Paddy sprachen nicht, weder miteinander noch mit den anderen “Habitués“.

Schließlich lockerte der Alkohol doch die Zungen. Was war passiert?

In Hanks Boot hatte bei einer der Ausfahrten zwecks Hebung der Messingschraube der Motor gestottert. Am nächsten Morgen machten sich beide über das Trum her, schraubten, hämmerten und fluchten, was das Zeug hielt.

Darüber vergaßen sie, an die körperlichen Bedürfnisse von Cú Paddy zu denken. Sein Jaulen wurde überhört und so pinkelte der Hund in seiner Not an Bord. Dies tat er – aus schierer Bosheit, davon war Hank überzeugt – durch das Bullauge direkt auf dessen Kopf. Unflätig fluchend warf er mit dem Siebzehnerschlüssel nach dem Köter und traf wider Erwarten.

Er hatte dem armen Vieh den Bauch aufgeschlitzt, überall war Blut an Deck verspritzt, und Paddy drohte, nach Hank mit dem Zwanzigerschlüssel zu werfen, allerdings ins Gemächte.

Der Tierarzt verlangte ein, wie beide versicherten, geradezu unflätiges Honorar, was die Hebung der Messingschraube umso dringlicher erscheinen ließ.

Zunächst aber feierten los Vikingos Versöhnung und ruderten nach Erreichung der Volltrunkenheit einträchtig und von Cú Paddy bewacht zu ihren Seglern in die dunkle Nacht.

Bar Tiburón.

In San Antonio auf Ibiza gibt es sei undenklichen Zeiten ganz am Ende des Hafens die Bar Tiburón, die Haifischbar.

Dort treffen sich frühe Fischer auf einen „carajillo“, um den Magen aufzuwärmen und später Zecher, meist um zu vergessen.

In den 80er Jahren gehörten zu Letzteren „los dos Vikingos“. Sie hießen so, weil sie beide rothaarig waren. Sie verband ein gemeinsames Schicksal.

Paddy, der Name sagt es, war Ire und Hank, der eigentlich Haakon hieß, war Norweger.

Ihr gemeinsames Schicksal war eine frühe Erbschaft, die es ihnen ermöglicht hatte, den Traum eines eigenen hochseetüchtigen Segelboots zu ermöglichen. Da weitere Erbschaften ausblieben, war bald kein Geld mehr da. Sie trafen sich per Zufall im Hafen von San Antonio, wo man damals noch für billiges Geld in der Bucht an einer Boje überwintern konnte.

Sie hatten nahe der Insel Conejera ein Wrack in wenig tiefen Gewässern entdeckt und beschlossen, der finanziellen Misere ein Ende zu setzen. Die große Messingschraube des Bootes sollte geborgen und verkauft werden. Damals bekam man dafür noch viel Geld.

In der Bar Tiburón schmiedeten sie ihre Pläne und ließen die Stammmannschaft allabendlich an ihren Fortschritten teilhaben.

Das Problem war zunächst, die Schraube von der Achse zu lösen. Der Wirt riet zum Allheilmittel „Caramba, tres in uno“ „Damit krieg ich jede verrostete Schraube an meinem Auto los“ sagte er und spendierte den Vikingos ein Bier.

„Tu caramba ser mierda,” beschied Paddy am nächsten Abend den Wirt. Man beschloss zu sägen. Dazu liehen sich die beiden Tauchgeräte aus.

Die Zeit unter Wasser, es war Winter, unterkühlte die beiden derart, dass sie ihr Vorhaben vorerst aufgeben mussten.

Eines Abends berichtete Toni, ein Fischer aus Alicante, der im Norden von Ibiza Gambas fischte, er habe zwei tote Windsurfer samt ihren Brettern in ihren Neopren-Anzügen auf hoher See entdeckt.

In aller Herrgottsfrühe stachen los Vikingos in See und tatsächlich, sie fanden die beiden Unglücklichen. Sie hieften sie an Deck und zogen ihnen die Neopren-Anzüge aus. Dann übergaben sie die Leichen den Fluten.

Als wären es Schleppnetze zogen sie ihre Beute hinter ihrem Boor her und berichteten am Abend, die Anzüge stänken nur noch wenig.

Die Arbeit ging nun flotter, die beiden konnten länger unter Wasser bleiben. Irgendwann war die Achse halbwegs durchsägt und brach unter der Last der Schraube ab. Leider sank sie dabei um einige Meter in die Tiefe. Am Abend feierten Paddy und Hank aber schon mal in der Bar Tiburón. Auf Pump, wie ein Kenner der Szene später berichtete.

Tolo, der Besitzer der Renault Werkstatt, versprach, einen Flaschenzug zu leihen. Am Morgen holten sie das verrostete Ding ab, behandelten es mit Caramba und schipperten hinaus, nunmehr felsenfest überzeugt, dass dies der Tag werde, der ihnen den ersehnten Erfolg brächte.

Hank tauchte und befestigte die Schraube an einen Tau, dann half er oben seinem Kumpel, den Flaschenzug zu bedienen. Das Segelboot krängte bedenklich. Das störte nicht, man achtete nur auf den Flaschenzug. Die beiden glaubten schon, die Schraube sehen zu können, zumal die Schieflage des Bootes den Blick in den Abgrund der See immer direkter werden ließ.

Da gab es einen Riesenknall. Der Flaschenzug hatte sich aus der Verankerung auf dem Boot gerissen und sank mitsamt der Schraube ins unergründliche Meer.

Das Boot stellte sich wieder auf und los Vikingos kehrten abends wie die begossenen Pudel in die Bar Tiburón zurück.

Sie beschlossen aufzugeben. Die Stammmannschaft der Bar war betrübt, denn im Winter gibt es auf Ibiza nicht allzu viel, worüber man abends in der Bar hätte reden können.

Paddy und Hank verbrachten den Rest des Winters damit, reichen Schweizern den Garten um ihre Fincas herum zu richten. Im Tiburón ließen sie sich nicht mehr blicken. Immerhin schuldeten sie Tolo einen Flaschenzug und dem Wirt die Sause vor der misslungenen Schraubenhebung.

Contenance mit Fußabdruck

Wer denkt, Einkaufen sei etwas Einfaches, der kennt meine Frau nicht. Sie hat klare Qualitätsansprüche, die sie mit einer gewissen „Hans-auf-Trapp-halten-Komponente“ zu verquicken weiß:

Das gute Falken Brot gibt es nur beim Edeka um die Ecke. Dort wird aber weiter nichts eingekauft, da es keine Frischetheke gibt. Der Laden ist fußläufig leicht zu erreichen, birgt aber die Gefahr in sich, dass es nur etwa 150 Meter weiter beim Metzger eine wirklich gute Leberkässemmel gibt. Ich muss mich zusammenreißen und nenne das „Contenance.“ Klingt besser.

Dann wird die Sache ökologisch bedenklich. Bisher hat der Einkauf nur mit etwas Sohlenabrieb die Umwelt belastet. Jetzt aber nehme ich das Auto und das ist ein elf Jahre alter feinstaubprustender Dieselstinker, bei dem mir bei jedem Zehntelkilometer die Schamröte ins Gesicht treten müsste (tut sie aber nicht.)

Meine Frau gibt mir einen Einkaufszettel mit, weil ich sonst alles vergesse. Sie tut dies aber auch, um mich ermahnen zu können, nur das zu kaufen, was draufsteht.

Für den Frischetheken-Edeka waren heute nur Rinderhack und ein Dutzend Eier vermerkt. Darüber hinaus habe ich einen löffelgeschöpften Camembert, Niederegger Marzipan, Leibnitz Kekse, Orangenmarmelade mit Whisky, thüringische Rotwurst und Leberwurst aus der Pfalz gekauft. Wenn schon CO2, dann muss sich das ja auch lohnen.

Kaum hatte ich bezahlt, merkte ich, dass ich mal wo hin muss. Wie gut, dass es in der Nähe vom Frischetheken-Edeka eine „Mall“ mit Klo gibt. Bei der Gelegenheit habe ich an der REWE Frischetheke nachgefragt, ob die Fleischwurst wieder eingetroffen sei. War sie nicht. Nun wurde meine Contenance auf eine harte Probe gestellt, denn dort gibt es einen Imbiss, der von zwei reizenden älteren Damen geleitet wird. Sie sind etwas kurzsichtig und deshalb darf man ebenso wie sie nicht allzu genau hinschauen. Aber so eine kleine Brotzeit dort tröstet über den größten Schmuddel hinweg. Ich gab mich geschlagen und lenkte meine Schritte zu Erikas „Berliner Ruhebänkchen“. Ich gebe zu, ich hatte wegen der Contenance ein schlechtes Gewissen.

Beim Näherkommen sah ich zwei bärtige Typen mit Kochmützchen hinter dem Tresen stehen. Neben ihnen rotierte ein Döner. Die beiden miopen Damen hatten aufgegeben. Das ist einerseits traurig, stählt aber meine Contenance.

Nun stand noch Cava und Sardelle (aber spanische) auf dem Einkaufszettel. Wenn man mal mit dem CO2 Sündigen angefangen hat, wird jeder neue Schritt der Verfehlung leichter, zumal dann, wenn die Contenance dem Döner widerstanden hat. Sagen Sie es nicht weiter, es war nicht soo schwer. Seit ich in Berlin wohne, habe ich noch keinen Döner gegessen und auch noch keine Curry-Wurst. Da ist mir mein Hunger einfach zu schade.

Nun aber weiter im Auto zu Mitte Meer an der Prenzlauer Allee. Cava und Anchoas gab`s in Hülle und Fülle. Abweichend vom Einkaufszettel erwarb ich dort noch eine “Fuet“ aus Catalunya.

Als es vorhin zum „Käffchen“ ein rotes „Douceur“ von Niederegger gab, hat mir meine einkaufszettelpuristische Ehefrau doch noch verziehen.

Jetzt muss ich nur noch das mit den CO2 und dem Feinstaub auf eine intellektuell höhere Ebene hiefen. Ich nenne das „Sublimation.“. Klingt besser.

Der Zipfel

Unsere Großmutter, die noch in den Erinnerungen und den Wertvorstellungen des Kaiserreiches lebte, erzählte uns oft und mit Verve vom Caprivi Zipfel. Das ist ein Stück Land, das in einer Art Ringtausch zum deutschen Kolonialreich kam: Deutschland bekommt Helgoland, dafür geht Sansibar an England, Deutschland verzichtet auf Witu, liegt im heutigen Kenia, und bekommt den Caprivi Zipfel, der das heutige Botswana von Angola trennt. Großmutters Interesse lag auch daran, dass ihre Schwägerin die Tochter eines der deutschen Gouverneure dort drunten war. Das heutige Luhonono wurde damals als Schuckmannsburg gegründete. Wenn Großmutter vor dem Abendgebet davon erzählte, wehte die Weltgeschichte durch unser Kinderzimmer.

Unsere unzähligen Tanten waren an Kaisers Zeiten nicht so schrecklich interessiert, wohl aber am Zipfel. So wurde das genannt, was wir heute üblicherweise als männliches Geschlechtsteil bezeichnen. Allerdings – das Z-Wort wurde möglichst vermieden. Irgendwie fand man stets eine Umschreibung, die einerseits die Sittlichkeit nicht gefährdete andererseits aber keinen Zweifel am Gegentand ihrer Sorge lies.

Und sie machten sich Sorgen, schließlich ging es ja, ohne dass dies je ausgesprochen wurde, um den Fortbestand der Familie. Die Vorstellung, die Familie könne aussterben, war ein schreckliches Menetekel. Auszusterben war schlichtweg ungehöriges Verhalten. Nur einen Scheckbetrüger in der Verwandtschaft zu haben, war ähnlich negativ besetzt.

Ab und an, zugegebenermaßen sehr selten, musste das Z-Wort denn doch ausgesprochen werden. Das passierte einmal, als ein Vetter einen niedlichen kleinen Dackel geschenkt bekommen hatte. Er wollte ihn abends mit ins Bett nehmen. Nun gibt es unzählige Gründe, die es angeraten sein lassen, Dackel nicht in für Menschen gedachten Betten schlafen zu lassen. Der Tantenrat kam auf den für ihn naheliegendsten Grund:

„Der Hund beißt ihm sicher noch den Zipfel ab.“

Damit war das Thema ein für alle Mal entschieden, Widerspruch zwecklos.

Als wir alle schon fast erwachsen waren, fand es eine besonders fromme und, wie wir annahmen, besonders prüde Tante für richtig, uns vor den Gefahren der Pornografie zu warnen. Sie schwafelte etwas von Unsäglichkeiten, Gefahren für den Charakter durch fragwürdiges Tun, und – offenbar noch schlimmer – durch fragwürdige Lektüre. Wir wussten natürlich genau, was sie meinte, worauf sie hinauswollte und wovor sie uns bewahren wollte. Wir aber spielten die Unschuld, was sie einerseits erfreute, andererseits in Verlegenheit brachte, denn wir taten so, als verstünden wir das Wort „Pornographie“ nicht und baten um Erklärung.

Die Tante rührte lange in ihrem Tee, bat um ein weiteres Stück Zwetschgenkuchen, ihr Blick suchte Halt in der Krone der Blutbuche im Park. Wir warteten. Sie hatte wohl gehofft, irgendjemand werde das Thema wechseln. Wir aber warteten, ließen ihr Zeit und genossen es, ihr zuzusehen, wie sie gedanklich versuchte, sich aus der Bredouille zu winden. Es war dann wie ein Dammbruch, als sie sich schließlich doch dazu durchrang, ihren Neffen die Sache zu erklären:

„Pornografie ist, wenn ein Mann mit einer Frau, mit der er nicht verheiratet ist, ins Hotel geht und sich danach den Zipfel an der Gardine abwischt.“

Wo ist die Post?

Neulich wollte mir ein Mandant von den kanarischen Inseln ein wichtiges Dokument schicken. Es kam in Deutschland an, wurde dann aber zwei Mal als unzustellbar zurückgeschickt.

Nun musste ich dem Mandanten selbst etwas schicken und wir waren übereingekommen, damit solange zu warten, bis ich von Mallorca aus die spanische Post beauftragen könnte.

Weil in Palma vorweihnachtlich alles verstopft ist, habe ich ein Postamt in einem Dorf gesucht und einen Passanten nach dem Weg gefragt.

Er erklärte mir, er sei gar nicht von hier, denn er habe nur seine Frau zum Zahnarzt begleitet. Sie müsse sich zwei Weisheitszähne ziehen lassen. Die Schmerzen seien seit Tagen unerträglich, etwa so unerträglich wie seine Frau selbst. Jetzt hoffe er auf Besserung des Eheklimas. Der Zahnarzt habe ihn weggeschickt, er brauche mindestens zwei Stunden und er solle einen „café“ trinken. Er habe schon drei getrunken und die Zeit sei immer noch nicht rum. Aber wo wie Post zu finden sei, das wisse er nicht.

Nun schaltete sich eine Matrone ein, die gerade ihr Enkelkind in der Kita abgegeben hatte.

Die Post sei ganz leicht zu finden: Du gehst immer diese Straße entlang. Wenn du an der Bar Manolo vorbeikommst, geht rechts eine Straße ab. Die nimmst du nicht, Übrigens, Manolo macht die beste tortilla española im ganzen Ort. Eigentlich mache die seine Frau, die Paquita. Von der hältst du dich fern. Sie ist ein gefährliches Klatschweib. Ich weiß das, weil sie mit mir verwandt ist.

Ja, aber eigentlich suche ich die Post.

Sag ich´s doch. Die Straße rechts nach Manolos Bar nimmst du nicht. Geh weiter geradeaus, dann kommt links einer Querstraße, sie heißt Calle del Mar. Dort findest du die Post.

Um es kurz zu machen: Eine Bar Manolo gab es zumindest in dieser Straße nicht, aber tatsächlich fand ich links eine Calle Estrella del Mar. Die Poststelle war nicht zu übersehen.

Dort nahm man bereitwillig mein Einschreiben auf die Kanaren an, fragte nach meiner e-mail Adresse und verlangte 8,40 €.

Als ich zu Hause ankam, war schon eine mail im Computer angekommen, in der mir die Versendung samt Sicherheitscode mitgeteilt wurde.

Moral und sittliche Nutzanwendung: Es mag in Spanien schwer sein, auf den rechten Weg gebracht zu werden, aber die Post funktioniert digital und zuverlässig, jedenfalls um Meilen entfernt besser als der Saftladen in Berlin.

Beten ja, beten nein und beten einstellen.

Aus Gründen, die bei näherem Hinsehen, durchaus einer Überprüfung wert wären, gelten die Mitglieder meiner Familie als fromm, zumindest als frömmer denn andere. Das hatte zur Folge, dass meine Eltern mit Gebetsaufträgen überhäuft wurden. Diese kamen natürlich immer zur Unzeit.

Es war ein wunderbarer Sommerabend. Wir saßen auf der Altane und frönten dem „dernier crie“ von damals: dem Kullerpfirsich. Dazu sticht man einen Pfirsich mehrmals mit einer Gabel an, gibt ihn in einen genügend großen Kelch und überschüttet ihn mit Sekt. Wie von Geisterhand beginnt sich der Pfirsich zu drehen. Er kullert.

Wir verfolgten das Schauspiel fasziniert, als das Telefon klingelte. Es dauerte eine Weile, dann kam unsere Mutter mit Grabesmiene zurück und verkündete, eine nahe Verwandte sei schwer erkrankt, liege mehr oder weniger „in die Züch“ und jetzt müsse sofort für sie gebetet werden. Während wir das taten, kullerten die Pfirsiche in unseren Gläsern und der Sekt wurde warm.

Ich glaube, die Erkrankungen unserer Verwandten wurden von den Eltern absichtlich schlimmer dargestellt, als sie waren, damit die Gebetserhörung nach erfolgter Genesung umso deutlicher wurde.

Es gab aber auch Gebetsersuchen, die rundweg angelehnt wurden. Eines Tages berichtete unsere Mutter lachend, eine Freundin habe von ihr verlangt, dafür zu beten, dass deren erwachsener Sohn frühs aus den Federn käme.

„Also, ich denke, der liebe Gott hat Wichtigeres zu tun, als einen Faulenzer aus dem Bett zu treiben.“ Damit war die Sache erledigt.

Damals gab es noch keine Telefone, die man „auf Lautsprecher“ stellen konnte. Man bekam deshalb immer nur die Hälfte mit. Dessen ungeachtet, liebten wir es, wenn unser Vater sich am Telefon mit einer seiner Schwestern unterhielt.

Die eine las „Christ und Welt“, die andere „Die Zeit“. Beides äußerst fragwürdig. Vater las die Süddeutsche, weil man immer eine Zeitung lesen muss, die anderer Meinung ist als man selbst. Darüber hinaus las er die „Fuchs Briefe“, ein privater Informationsdienst, der das mit der SZ offenbar ausgleichen sollte.

Wie nicht anders zu erwarten, waren seine Schwestern von den Zeitläuften bewegt, sie sorgten sich um Vaterland, Sitte, Anstand und den Glauben und lehnten das, was die SPDgeführte Regierung machte, a priori ab. Das alles wurde von einschlägigen Gebeten begleitet. Für uns war es spannend, herauszufinden, was die Seelen der jeweiligen Tante bedrängte. Unser Vater saß auf seinem Telefonstuhl und war entweder belustigt oder genervt.

Letzteres passierte dann, wenn ihm des Längeren und Breiteren das jeweils aktuelle Gebetsanliegen dargelegt wurde und er fand, in dem Spiel habe der liebe Gott keine Karten.

So war es mit dem sauren Regen, der zum Waldsterben führte, und so war es auch mit dem Nato-Nachrüstungsbeschluss.

Vater fand, das sei menschengemacht und müsse daher auch von den Menschen bereinigt werden.

Während er das seinen meist uneinsichtigen Schwestern klarzumachen versuchte, fieberten wir dem Kulminationspunkt entgegen, der immer dann kam, wenn seinen weisen Argumentationslinien immer wieder etwas Neues entgegengesetzt wurde.

Dann stand er auf und rief ins Telefon:

„Mum-Pitz, Beten einstellen,“ und warf er den Höhrer auf die Gabel.

ä ist gleich a

Als ich meine aus Basel stammende Frau auf Ibiza kennenlernte, fuhr ich ein feuerrotes Auto, das die liebevoll „Tómatli“ nannte.

Unterdessen habe ich gelernt, dass die schwyzerdütsche Sprache mehrere Vorzüge hat, der erste ist zweifelsohne der, dass es sich um Deutsch handelt, das aber kaum ein Deutscher versteht.

Ein weiterer Vorzug ist, dass sie in ihrer Sprachgestaltung etwas Geniales hat.

Zunächst aber weiter mit dem „Tómatli“. Von einer Reise nach Basel zurückgekehrt, brachte meine damalige „novia“ etwas mit, was sie für ein Sündengeld extra hat anfertigen lassen: Einen Aufkleber mit dem Kosenamen des Autos. Es stand „Tomätli“ drauf.

Das sei wohl ein Druckfehler, meinte ich und wurde belehrt, nein das schreibe man so. Da ich fand, dass das nur die Deutsch-Schweizer auf Ibiza so sähen, befürchtete ich mich mit dem Aufkleber lächerlich zu machen und verweigerte dessen Aufklebung. Dunkle Wolken zogen auf, um es milde auszudrücken.

Später, als ich schon zu den Deutschen gehörte, die Schwyzerdütsch verstehen, begann ich, dieses Idiom zu lieben. Es gibt dort zuhauf Redewendungen, die im Deutschen längst vergessen sind. Niemand findet etwas dabei, wenn ein Schweizer sagt „es dünkt mir.“

Den Clou aber finde ich, dass man in der Schweiz Substantive dazu benutzen kann, eine Tätigkeit auszudrücken. Man setzt ein „gang go“ davor, was dem englischen angehängten „-ing“ entspricht.

Beispiel: „gang go Ladele“ ist deckungsgleich mit dem englischen „shopping“.

„Gang go Pilzle“ bedeutet, im Wald und auf der Heide nach Pilzen zu suchen. Genauso heißt es auf den britischen Inseln: „mushrooming.“

Gestern nun habe ich ein neues Wort gelernt, das mich seither in einen nicht gekannten linguistischen Freudentaumel versetzt:

„Canärdle“. (Wir haben uns gemerkt: ä wird wie a ausgesprochen.) Es ist offenbar nur in und um Basel gebräuchlich, wo wegen er Nähe zu Frankreich der Rock „jupe“ heißt. Zum Ausgleich heißt dann die Jacke Rock.

„Gang go Canärdle“ ist ein komplexer Vorgang, bei dem die Familie altes Brot sammelt, es in kleine Würfel schneidet, um diese dann den Enten im Teich zu verfüttern.

Davon hat sich abgeleitet, von einem „canard“ zu sprechen, wenn Kinder einen Würfel Zucker bekommen, der vorher in Kaffee getränkt wurde.

Meine hier ausgebreitete Weisheit habe ich aus den Kommentaren zu meinem gestrigen fb-Beitrag. Habt alle vielen Dank dafür.

Und es begab sich aber…

Morgen ist schon wieder der erste Advent. Jetzt, wo ich alt bin, hat das alles einen Anflug von Endzeitlichkeit: schon wieder ein Jahr rum. Was wird das Neue bringen? Das Alte war schon nicht gut genug.

Wer hätte sich vor drei Jahren vorstellen können, in den Lockdown zu müssen, wer hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass wir uns mitten in einem Krieg befinden?

Die Adventszeit meiner Jugend verklärt sich da in ein sorgenfreies Warten nur durchwebt von der abstrakten Angst, dass die Russen kommen. Das sagten die alten Bauern, wenn es irgendwo krachte und war somit ähnlich wahrscheinlich wie andere bäuerliche Voraussagen wie „Gefriert im November schon das Wasser, wird der Januar umso nasser.“ Wenn`s dann nicht so kam, war`s auch wurscht.

Ich erinnere mich, dass die Adventszeit endlos war. Wir warteten auf Weihnachten und mussten zunächst „a Schbrüchl für’n Niggelaus“ auserlawendich lernen.

Später bekam man eine Rolle in Mutters Krippenspiel. Faszinierend war jedes Jahr von Neuem, wie sie dem Verkündigungsengel immer wieder vergeblich beibringen wollte, dass es nicht „der Hölle Bein“ heißt.

Ich war meistens ein Hirte und musste deklamieren: „und die Hirdden kehrden wieder um, briesen und lobbden Godd für alles, was sie gehörd und gesehen hadden.“

Das war natürlich ausgemachter Blödsinn, denn das Einzige, was wir Hirten gesehen hatten, waren die strengen Blicke von Traktorfahrern, Rübenverzieherinnen, Brauern und Holzfällern, die genau aufpassten, dass ihre Sprösslinge nicht stecken blieben oder etwas falsch sagten. Dieser Anblick reizte nun wirklich nicht dazu, Gott zu loben und zu preisen.

Ein Mit-Hirte weinte nach einem Aussetzer, weil sein Vater aus der hintersten Reihe die Faust erhoben hatte und in den Saal rief „Kumm ner hamm, Fregger!“

Adventskalender gab’s natürlich auch, aber natürlich ohne Inhalt. Meiner wurde im neuen Jahr gebügelt und mit denen meiner Geschwister unter schwere Bücher gelegt. Nur als ich noch ganz klein war, habe ich mich darüber gewundert, dass hinter den Türchen immer das gleiche Bild versteckt war.

In der Speisekammer wurden die Christstollen gelagert. Das waren beileibe nicht Dresdner Stollen, sondern fladenartige Gebilde, die nur mit viel Puderzucker verheimlichen konnten, dass sie etwas angebrannt waren. Es handelte sich um Thüringer Stollen, wie ich später feststellte, nach einem Rezept aus dem Haus meiner Großmutter, die aus Roßla – gleich neben dem Kyffhäuser – stammte. Sich an den auf Weihnachten wartenden Christstollen zu vergreifen, war natürlich verboten, etwa ebenso sündhaft, als söffe man, wäre man denn katholisch und Ministrant, den Messwein aus. Ich habe einmal einen katholischen Freund gefragt, ob er das gemacht hätte, was er wie selbstverständlich bejahte. Ob denn daraufhin der „Hölle Bein“ über ihn gekommen sei, setzte ich nach. Nein, es sei nichts passiert. Dies brachte mich dazu, erstmals zu gestehen, dass ich regelmäßig vorab vom Christstollen geknabbert habe. Es seien Mäuse gewesen verteidigte ich mich immer, wenn der Verdacht auf mich fiel.

Da Mutter Angst vor Mäusen hatte, wurden die Ermittlungen daraufhin ein- und Mausefallen aufgestellt.

Zaster für alle – Arbeit für alle!

Das mit dem Bürgergeld ist so eine Sache, denn von Sozialpolitik verstehen ja nur die Wenigsten wirklich etwas.

Ich sehe mich außerstande, beurteilen zu können, ob das Bürgergeld wirklich dazu führen wird, dass viele finden, nichts zu arbeiten sei lohnender als in die Hände zu spucken.

Ich befürchte, dass da viel Sozialneid und viel Vorurteil im Spiel sind.

Was ich weiß, ist, dass in meiner Jugend ganz viele meiner Altersgenossen keinen Beruf erlernt haben, weil man als Hilfsarbeiter aus dem Stand mehr verdiente als jeder Lehrling. Dass es dann später nicht mehr wurde, war eben die „Spatz in der Hand – Mentalität“ von damals. Gleich eine Kreidler Florett unter den Hintern zu bekommen, war ein begehrenswertes Ziel und sich vom Meister anscheißen, ja gar ohrfeigen zu lassen, war auch nicht wirklich ein Fröhlichmacher.

Einen Anreiz zu geben, einen Beruf zu erlernen, das fände ich gut. In die Jugend zu investieren, passt immer.

Ein Fragezeichen ist bei den Erwachsenen zu setzen. Hier hat Hartz IV ja schon genügend Anreiz geboten, den Sozialstaat zu hintergehen: Vormittags Schlage stehen für Staatsknete und Nachmittags schwarz Taxi fahren. Es sage niemand, das sei nicht vorgekommen, ganz zu schweigen vom Arbeitslosen, der im Ferrari vor dem Job-Center vorfuhr.

Einzelfälle ich weiß. Dennoch sehe ich mit endlosem Bedauern Menschen, die mit der Bierflasche in der Hand mit müd gewordenem Blick, wie der Rilke’sche Panther durch die Straßen Berlins wanken. Denen hilft auch kein Bürgergeld mehr. Denen hat die Gesellschaft schon lange den Schneid abgekauft und sei es – quia absurdum – weil man ihnen nie einen Anreiz zum Arbeiten gegeben hat.

Der Mensch realisiert sich durch Arbeit, egal ob Arbeit mit dem Hirn oder Arbeit mit der Hand. Wenn die Verhältnisse so sind, dass junge Menschen den primären, den materiellen Sinn der Arbeit nicht mehr erkennen können, machen wir irgendetwas falsch.

Und wenn wir schon mal dabei sind, darüber nachzudenken, was falsch läuft, dann müssen wir dringend auch an die jungen Menschen denken, die in Notunterkünften, Containern oder Turnhallen bei uns wohnen und denen man das Arbeiten verbietet.

Auch wenn ich meine Phantasie noch so sehr anstrenge, wenn ich mein politisches Verständnis noch so sehr auf verständnisvoll stelle, es geht mir nicht in den Kopf, warum man diesen Mitmenschen das Arbeiten verbietet und sie stattdessen mit Geld aus dem Job-Center alimentiert. Nachdem die Geflüchteten – von woher auch immer – einen ersten Rudimentärsprachkurs hinter sich gebracht haben, müssen sie arbeiten können.

Als ich vor 52 Jahren bei Kugelfischer in Ebern am Fließband gearbeitet habe, hatte ich neben mir Kollegen aus Jugoslawien und Spanien, die fast kein Wort Deutsch konnten. Ja und? Sie fühlten sich nützlich, konnten von ihrer Hände Arbeit leben, zahlten in die Rentenkasse ein und Steuern haben sie auch noch berappt.

Erkläre mir einer, weshalb das bei jungen Menschen aus Syrien und Afghanistan nicht gehen soll.

Baiser

Wenn mein Vater Geburtstag hatte, wurde immer vorher bei Café Wagner in Ebern eine Baiser-Torte abgeholt. Das Geburtstagskind, ein unermüdlicher Schüttelreimer, bestand darauf, dass die Konditorei eigentlich Waffé Kackner hieß.

Uns erklärte er zweierlei: Erstens sei „Baiser“ das französische Wort für Kuss und zweitens hieße das Ding gar nicht Baiser-Torte sondern Beseh-Torte, man könne sie daher nur anschauen außer dem Jubilar natürlich.

Wir bekamen alljährlich dennoch ein Stück ab, auch wenn das Ritual vom Schüttelreim bis zum bloßen Hingucken alljährlich wiederholt werden musste.

Meine Zunge erinnert sich noch heute an das irgendwie prickelnde Gefühl, wenn schließlich doch der „Baiser“, der Kuss, der jedes Stück der Torte zierte, in meinem Mund gelandet war – der Inbegriff von Luxus und Genuss.

Die Torte sah irgendwie unscheinbar aus, eher grau, wo doch die Buddergremdorddn in weißer Pracht und die Schwadswäldä-Kirsch-Dordde fast kunterbunt in Meister Wagners Vitrine stand. Diese Erzeugnisse verachteten wir, weil unsere Mutter uns eingeredet hatte, die einzig „vornehme“ Torte sei die Baiser-Torte. Das glaubten wir ihr, ohne diesen erkennbaren Blödsinn zu hinterfragen, zumal es ja keine andere Torte gab außer das eine Mal im Jahr eine Baiser-Torte, die Kusstorte.

Später bin ich oft nach Frankreich gefahren, mal per Anhalter, auch im eigenen Auto. Ich gewann das Land lieb, noch mehr aber die Sprache, die man dort spricht.

Das kam mir sehr zugute, als ich nach Ibiza „auswanderte“. Spanisch konnte ich nicht außer „todo va mejor con una mujer“: Aber ich wähnte meine französischen Sprachkenntnisse seien allumfassend. Da ich dort zunächst nur französische Freunde hatte, machte das alles erheblich einfacher und bald war ich aufgenommen in den Kreis einer französischen Großfamilie, die zum Teil auf der Insel lebte, zum anderen Teil im Sommer dort ihre Ferien verbrachte.

Bei einer Familienfeier hatte ich das Glück einen Sitzplatz neben – nennen wir die Monique – zu ergattern. Sie war zum Niederknien schön, sie lachte, wenn ich dumme Späßchen machte, es blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich in diese junge Halbgöttin bis über alle Ohren zu verlieben.  

Dabei störte natürlich die anwesende Großfamilie. Ich beschloss, auf irgendeine Weise meine „Ansprüche“ manifest zu machen und dachte, mir, ein Kuss sei dazu gerade das richtige Mitte, deutlich genug aber nicht so weitgehend, dass die Mutter der Angebeteten erzürnen müsste. Also holte ich mein bestes Französisch zusammen und sagte laut genug, dass alles es hören konnten:

 »Monique, tu es tellement mignonne, il faut que je te baise. »

Ich dachte Substantiv und Verb seien wie im Deutschen gleich. Darum wunderte ich mich um so mehr, dass sich bleierne Stille über die Gesellschaft legte. Dann kicherten Einige und Moniques Mutter blitzte mich wütend an. Später erfuhr ich, dass das französische Verb des Kusses etwas ganz anderes bedeutet als von mir gedacht, nämlich den Vorgang der natürlichen menschlichen Reproduktion.

Daran hatte ich bei meinen „Ansprüchen“ noch gar nicht zu denken gewagt.

Aus der Sache wurde dann auch nichts

Merde!