Wer erinnert sich noch? Es war die Zeit, in der es begann, dass man eigentlich über alles reden konnte. Nur Eines war tabu: Frauen führten eine geheimnisvolle Tabelle, in die sie ihren männlichen Freunden, Kommilitonen, Kollegen und Bekannten keinen Einblick gewährten. Es wurde nicht darüber gesprochen, aber es wurde fleißig darauf herumgekritzelt.
Es handelte sich um den Perioden Kalender. Ihn zu führen war Voraussetzung dafür, um nach der Knaus-Ogino Methode verhüten zu können. Wenn ich mich recht erinnere, war das die einzige Form der Empfängnisverhütung, die Pillen Paule in seiner Enzyklika „Humanae vitae“ gerade noch durchgehen ließ. Knaus-Ogino war bekannt für seine legendäre Unzuverlässigkeit.
Ich erinnere mich an eine Karikatur, die heute natürlich längst als politisch unkorrekt geächtet wäre, dort sah man eine Sau, an deren unzähligen Zitzen je ein Ferkel saugte. In der Sprechblase stand: „Ich habe verhütet, mit Knaus-Ogino.“
Heute führt niemand mehr ein Menstruations-Tagebuch, das übernimmt längst schon eine kluge App. Dass damit einhergeht, dass persönliche Daten aus dem Umfeld der Nachkastl-Schublade in die weite Welt verabschiedet werden, nahm man hin, einfach deshalb, weil Frauen mit Recht davon ausgehen konnten, dass die Buchhaltung über den eigenen Monatszyklus nicht nur niemand etwas angingen, sondern auch niemanden interessierten.
Seit letzter Woche ist das nun anders: Das oberste Gericht der USA hat das Recht auf Abtreibung abgeschafft. Seither löschen hunderttausende von US-Bürgerinnen ihre Perioden Kalender Apps.
Denn plötzlich könnten diese Apps zu Beweismitteln werden, die Frauen, aber nicht nur die, ins Gefängnis bringen.
Wie das? Man reibt sich verwundert die Augen. Die Sache ist ebenso einfach wie perfide.
Diese Apps halten den Zeitpunkt gehabter Perioden fest. Sie halten aber auch den Zeitpunkt ausbleibender Perioden fest. Und von dann ist die Sache ganz einfach: Eine ausbleibende Periode führt zu einer Geburt. Bleibt die aus, geht der Staatsanwalt von einer gehabten Abtreibung aus. Die Beweislast, dass dem nicht so war, liegt bei der Frau. Und da alles miteinander vernetzt ist, kann man feststellen, ob die Frau ein Taxi bestellt hat, das sie zur Praxis eines Gynäkologen gebracht hat, ob eine Apotheke einschlägige Mittel verkauft hat, wer am betreffenden Tag in der Arztpraxis Dienst hatte und Vieles mehr.
Das Urteil des Supreme Court nimmt somit alle Frauen in Geiselhaft, alle Frauen, bei denen eine Periode ausgeblieben ist, sind per se erstmal verdächtig eine Straftat begangen zu haben. Es sei denn, sie kann beweisen, dass dem nicht so ist. Wie kann man das?
Es ist nicht nur das Abtreibungsverbot selbst, das einen massiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau darstellt, nein, mit einem Handstreich werden alle Frauen im gebärfähigen Alter kriminalisiert.
Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie erinnert mich das ans Mittelalter. Damals gelang es auch schon, Frauen zu kriminalisieren. Der Vorwurf lautete, Sex mit dem Teufel gehabt zu haben. Das war absurd, führte aber dennoch schnurstracks auf den Scheiterhaufen.
Es fällt mir schwer, zu glauben, die von Männern beherrschte Welt, suche noch heutigentags nach instrumentalisierten Methoden der Unterdrückung der Frau. Das Urteil der Richterinnen und Richter aus Washington hat mich eines Besseren belehrt.
Allerdings, und das finde ich besonders erschreckend: Wir müssen nicht über den Atlantik schauen. Unser Nachbarland im Osten – Polen – praktiziert die beschriebene Kriminalisierung der Frau schon seit Langem.