Neulich las ich, jedes Kind sei das genuine Werk Gottes. Das ist sachlich falsch, weil Leben durch die Vereinigung von weiblichem Ei mit männlichem Samen entsteht. Andererseits ist diese Feststellung religiös übergriffig, denn sie bedeutet ja, dass auch ein indisches Kind das Werk unseres christlichen Gottes ist, es sei denn man will den Gottesbegriff relativieren, indem alle Gottheiten ein und dasselbe sind, nur anders heißen.
Alle Menschen leben in einer irgendwie gearteten staatlichen Gemeinschaft. Wenn man das Glück hat, in einer Demokratie zu leben, dann ist diese nicht dazu berufen, religiöse Inhalte zu transportieren. Vielmehr muss sie Regeln aufstellen, mit der Menschen der unterschiedlichsten Überzeugungen zusammenleben können.
Wer das auch so sieht, der wird einsehen müssen, dass gestern ein schwarzer Tag für Demokraten war: Das oberste US-Gericht hat das fast 50 Jahre alte liberale Abtreibungsrecht im Land kassiert.
Konservative Christen freuen sich darüber. Das sei ihnen gegönnt.
Kein mit Empathie gesegneter Mensch findet, dass eine Abtreibung ein erstrebenswertes Ziel sei. Eine schwangere Frau zur Abtreibung zu zwingen, ist ein abscheuliches Verbrechen. Wenn der Staat allerdings eine schwangere Frau daran hindert, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden, dann wird er seiner Pflicht zur allgemeinen Fürsorge nicht gerecht.
Der demokratische Rechtsstaat muss für seine Bürger Instrumentarien bereithalten, die es ihm ermöglichen, sein Recht auf Selbstbestimmung zu verwirklichen.
Halt, wird da so mancher rufen, das Recht auf Selbstbestimmung hört beim Fötus auf. Das ist aber nur dann richtig, wenn man aus religiöser Überzeugung heraus argumentiert. Wenn Solches zur Maxime der Auslegung der Grundrechte würde, ließe man solche Menschen außen vor, die nicht religiös sind. Darf man das?
Ja, denn das ungeborene Leben muss geschützt werden, das geht allem anderen vor. Okay, dann leben wir aber nicht mehr in einer Demokratie, sondern in einem Gottesstaat.
Ein demokratischer Rechtsstaat ist per definitionem areligiös. Er muss Wege und Gesetze finden, die es Menschen aller Überzeugungen ermöglichen, friedlich und selbstbestimmt unter seinem Dach zusammenzuleben.
Die Menschenrechte definieren sich ohne Gottesbezug. Der demokratische Rechtsstaat muss deshalb Möglichkeiten der Lebensgestaltung gewährleisten, die eventuell den religiösen Überzeugungen einiger seiner Bürger zuwiderlaufen können. Krasses Beispiel: Man kann Bluttransfusionen nicht verbieten, nur weil Zeugen Jehovas das für Sünde halten.
Ich kann verstehen, wenn viele Christen den gestrigen Richterspruch mit Freude und Genugtuung aufgenommen haben.
Es wäre allerdings gut, deshalb nicht zu triumphieren, denn unser Gemeinwesen, in dem Christen ja auch leben, hat gestern erheblichen Schaden genommen.
Der Supreme Court hat sich als Popanz des amerikanischen Populismus geoutet, denn am Tag bevor er Abtreibung verbot, hat er entschieden, dass das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit ein Grundrecht sei.
Fazit: Auf Lebende darf man schießen, ein ungeborenes Leben aber nicht abtreiben. In den USA ist es gefährlicher geboren als ungeboren zu sein.