Treuenbrietzen

Auf langen Autofahrten vertreiben wir uns unter tatkräftiger Mithilfe unseres Vaters die Zeit damit, unanständige Verse zu dichten. Bedingung war, dass das Sch-Wort darin vorkam: „Wer Sch auf den Dachfirst klebt, beweist, dass er nach Höh‘rem strebt“. Oder wir suchten nach Schüttelreimen: „Das möcht‘ ich doch beim Pöbel missen, das ew‘ge an die Möbel Pissen.“ Man sieht, der Unanstand hielt sich in überschaubaren Grenzen. Bei ganz langen Fahrten sangen wir Moritaten wie die vom Frauenzimmer Sabinchen, das bekanntlich unter den Händen eines jungen Mannes aus Treuenbrietzen ein bitteres Ende fand.

Man hätte annehmen können, dass damit der Ort südlich von Berlin den Höhepunkt seiner Einflussnahme auf mein Leben erreicht hätte. Treuenbrietzen kennt kein Mensch, außer denen, die dort leben und nötigt denen, die die Moritat kennen, ein wissendes Lächeln auf die Lippen, wenn sie an der nach dem Städtchen benannten Autobahnausfahrt vorbeikommen: „Sie rief verfluchter Schuster…“

Doch dann kam dieser extrem heiße und wasserarme Sommer 2018, und die Wälder um Treuenbrietzen brannten lichterloh: „Nadelholz Monokultur, sonst wächst auf dem märkischen Sand ja nichts“. Man hörte es im Radio und las es in der Zeitung.

Jeder, der Verwandte hat, die vor der Flucht im Osten Deutschlands gelebt hatten, kennt dieses allgegenwärtige Gemälde über dem Sofa, auf dem Kiefern in der Abendsonne zu glühen scheinen. „Ja, so sah es bei uns zu Hause aus, außer Kiefern und Fichten wuchs auf dem Sand ja nichts — nur Kartoffeln, die konnte man auch noch anbauen“. Nach einer weiteren kleinen Pause folgte meist der Seufzer „Preußen hat sich großgehungert!“

Ich kenne den Osten Deutschlands erst seit dem Jahr 2014. Ich kam damals aus Spanien nach Berlin in der festen Überzeugung, hier in erster Linie Fichten- und Kiefernwälder vorzufinden, die in der Abendsonne erglühen. Der erste Eindruck bestätigte meine Erwartungen: waldbauliche Langeweile.

Doch wenn wir uns aufmachten, um die Umgebung Berlins zu erkunden, wenn wir nach Rheinsberg fuhren, nach Brandenburg an der Havel oder nach Templin, dann bewunderten wir diese wunderbaren Alleen, schließlich jeden einzelnen Alleebaum für sich.

Bald fiel auf, dass das alles Laubbäume sind: Linde, Ahorn, Kastanie, Eiche. Sie wachsen alle auf märkischem Sand. Jeder vernünftige Mensch muss sich nun fragen, weshalb im Wald nur Kiefern und Fichten wachsen, am Straßenrand aber überhältige Laubbäume?

In diesem Jahr tragen besonders die Eichen reiche Frucht. Wer „The story of Ferdinand” von Munro Leaf kennt, von dem jungen Stier, der sich aus Versehen auf eine Hummel setzt und deshalb fälschlicherweise für einen „toro bravo“ gehalten wird, weiß wie fruchtragende Eichen aussehen, nur dass in der Wirklichkeit dieses Sommers nicht haufenweise Korken sondern tatsächlich Eicheln am Baum hängen.

Warum also gibt es hier so viele Nadelbaum Monokulturen, wo doch für jeden sichtbar ist, dass auch andere Pflanzen aus Gottes Füllhorn auf dem märkischen Sand gedeihen können?

Warum haben die Forstleute hier so wenig dafür gesorgt, einen Mischwald hochzuziehen?

Okay, in der Zeit, als für Honecker der Wald in erster Linie dazu diente, ein „dreifaches Horrido“ ausbringen zu können, war das vielleicht nicht so einfach. Aber seither sind auch schon wieder dreißig Jahre ins Land und in den Wald gegangen. Geändert hat sich wenig.

 

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