Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen sollen nicht von den kulturellen Angeboten der Stadt Berlin ausgeschlossen werden, auch sollen sie zum Sport und zur Schule verbilligt die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können.
Um dieser Vergünstigungen teilhaftig zu werden, benötigt man den Berlinpass. Da ist eine a priori segensreiche Einrichtung, es sei denn, man ist Vormund zweiter syrischer Flüchtlinge, die noch dazu ein unterschiedliches Alter haben, was außer bei Zwillingen gern vorkommt.
Der Berlinpass der beiden Jungs ist nun abgelaufen, des einen war zuletzt vom Bürgeramt verlängert worden, des anderen von seiner Schule.
Es lag daher nahe, anzunehmen, dass diese Stellen auch die neuerliche Verlängerung vornehmen würden. Nun bin ich aber unterdessen durch ein Fegefeuer von Erfahrung mit der Berliner Verwaltung gegangen und habe mich daher im Internet schlau gemacht:
Dort erfuhr ich, dass der Berlinpass außer bei Neuankömmlingen von den Bürgerämtern ausgestellt und verlängert wird. Zu meiner Freude fand ich noch den Hinweis, die Bearbeitungszeit betrage „wenige Minuten“. Trotz dieser rosigen Aussichten, rief ich noch das angegebene Infotelefon an, wo mir eine tranige Stimme sagte: „Berlinpass? Det wees ick nich. Ick gloobe, da ha ick ma wat am Alex jesehn.
Adieu, rosige Aussichten, wenn schon der Auskunftsmann ein veritabler Crétin ist…
Gestern nun war ich um 11 Uhr, früher machte man dort nicht auf, mit meinen beiden Mündeln beim Bürgeramt am Hohenzollerndamm 177. Bearbeitungszeit „wenige Minuten“ mag stimmen, was im Internet nicht stand, war der Umstand, dass man zuvor eine Stunde Schlange stehen muss.
Eine Dame vor uns meinte, sie werde wohl vor Weihnachten nicht drankommen. Ich versuchte sie zu trösten, dass Allerheiligen doch auch ein schöner Feiertag sei und der käme vorher. „Junger Mann, in solche Feinheiten von’s Christentum könnese mir nich vawickln!“ Und dann schimpfte sie in ganz unchristlicher Weise auf einen, der sich vermeintlich vordrängeln wollte. Es stellte sich heraus, dass er seine hochschwangere Frau auf den Stuhl da vorne setzen wollte. Da der Ehemann nicht wie Jung-Siegfried aussah, murmelte die Dame nun etwas vom karnickelhaften Verhalten gewisser Südvölker, während ich mir ernsthaft Gedanken darüber machte, ob diese Dame wirklich eine Dame sei.
Und schwupp, da kamen wir auch schon dran, nur um zu erfahren, dass das Bürgeramt nicht zuständig ist. Da ich mich juristisch aufplusterte, gelang es sogar bis zur Amtsstellenleiterin vorzudringen, aber auch sie sagte, man sei nicht zuständig. Wer genau, wußte sie nicht, sie vermutete, das sei der Leistungsträger. Das ist beim 15jährigen das Jobcenterin Steglitz, beim ein Jahr jüngeren Bruder das Sozialamt in Charlottenburg.
In letzter Verzweiflung versuchten wir es noch bei der Schule der beiden, nur um zu erfahren, jaja, es sei schon richtig, man habe den Berlinpass ausstellen können, weil eine Beamtin an der Schule arbeitete, die dazu vom Senat die Befähigung bekommen hätte. Die sei aber unterdessen abgezogen worden, „Fachkräftemangel, Sie verstehen.“
Berlin ist Chaos. Es geht vom Flughafen bis zum Ausstellen eines Sozialpasses mit wenigen Minuten Bearbeitungszeit.
Unterdessen wissen wir ja, dass Chaos auch ein Ordnungsprinzip ist