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Göcherles Brüh

In den Gründerjahren, also im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, dachte mein Urgroßvater, auch er müsse auf den Karren springen und so gründete er in Rentweinsdorf eine Brauerei, die wenig phantasievoll Rotenhan Bräu hieß.

Bald schon war das Bier als „Göcherles Brüh“ landauf landab bekannt, wobei sich „Land“ strikt gesehen auf das Tal bezieht, in dem die Baunach fließt. Ein großes Verbreitungsgebiet war dem Rotenhanschen Gebräu nie beschieden, will man davon absehen, dass in den 60er Jahren einmal im Monat ein Hanomag Transporter nach Hannover geschickt wurde, um dort im Restaurant Tempo, einem Vorgriff auf das heutige fast food, einige Fässer abzuladen. Es musste dafür jeweils eine auf zwei Tage gefristete Fernverkehrslizenz erworben werden und die beiden Bierkutscher hatten für diese Fahrt extra Schirmmützen. Sie sahen damit richtig weltmännisch aus.

Nach der Gründung aber, war das alles noch nicht so einfach. Meine Urgroßmutter beschwerte sich, weil ihr Mann oft tagelang im Sudhaus stand, um die gerade erst angelernten Bierbrauer zu überwachen.

Wenn er das nicht tat, fuhr er auf Werbetour, denn er legte größten Wert darauf, seine Gründung „Exportbrauerei“ nennen zu können. Dazu hätte es genügt, eine Wirtschaft im thüringischen Hildburghausen zu haben, allein sein Sinn stand nach Höherem und so hatte er bald zwei Gaststätten in Leipzig, die sich rühmten, Bier aus dem Königreich Bayern auszuschenken.

Oft besuchte er seine sächsischen Kunden, um „Zeche zu machen“. Da bedeutete, dass er und seine Begleiter ein voluminöses Abendessen einnahmen, und die übrigen Gäste zumindest mit einem Liter Freibier bedacht wurden.

Er gab sich leutselig, sprach mit allen Gästen und lud sie ein, ihn doch einmal in Rentweinsdorf zu besuchen. Gern würde er ihnen Mälzerei und Brauerei zeigen und auch dann werde es nicht an Freibier fehlen.

Was „der alte gnädige Herr“, so wurde er im Dorf genannt, nicht wusste, war, dass gerade zu dieser Zeit die Sachsen das Wandern erfunden hatten.

In kleineren, meist männlichen Gruppen fuhr man mit der Bahn irgendwohin um dann per pedes die Schönheiten des Landes zu erkunden, wozu durchaus auch die Kellnerin der Gasthäuser am Wegesrand gezählt wurden.

Und so stand eines Tages eine schwitzende Gruppe Sachsen in Rentweinsdorf auf dem Schlosshof. Urgroßmutter berichtete, sie hätten alle einen Strohhut mit einer Büroklemme vor dem Bauch fixiert gehabt. Der Anblick muss herzzerreißend gewesen sein. Vehement verlangte man nach dem Herrn Baron, denn der hätte Freibier und Brauereiführung versprochen. Dieser ließ sich auch nicht lumpen, und beim Umtrunk am späten Nachmittag spendierte er auch noch Zigarren für die Besucher aus dem Ausland.

Die Stimmung wurde fröhlich und plötzlich hielt einer der reisenden Sachsen die Zigarrenkiste an die glänzende Glatze des Gastgebers und fragte diesen, was das wohl sei? Als keine Antwort kam, grölten alle Sachsen im Chor:

MONDSCHEIN AN DR GISDE VON HAVANNA!

 

 

Hans, königliche Hoheit

 

Als mein Vater gestorben war, flog ich öfters von Palma nach Deutschland, um meine Mutter zu besuchen. Einmal schlug sie vor, wir sollten am Abend vor meinem Heimflug nach Würzburg fahren, in der „Stadt Mainz“ zu Abend essen, und dort auch übernachten. Mein Patensohn studierte damals in Würzburg, den lud ich dazu. Er schaute auch noch zum Frühstück vorbei und irgendwie merkte ich, dass meine Mutter nervös wurde. Sie brachte mich zum Bahnhof, ja sie begleitete mich sogar auf den Bahnsteig, was vollkommen unüblich war, denn sie hasste Abschiede.

Als der einfahrende Zug schon angekündigt war, gestand sie mir mit roten Bäckchen, sie habe einen Verehrer. Nun bin ich ja ein Mensch, den sein schlechter Charakter auszeichnet, und so fragte ich meine Mutter nicht, wer es denn sei, vielmehr umarmte ich sie und sagte, dass ich mich sehr für sie freuen würde. Der Zug  war eingefahren ich stieg ein, zog das Fenster herunter, das konnte man damals noch, und winkte meiner Mutter zu.

Diese rief, ja schrie nun in das Getöse von Lautersprecherdurchsagen und zuklappenden Zug Türen:

„Aber es ist doch der Großherzog von Mecklenburg!“

Die beiden trafen sich oft in Hemmelmark an der Ostsee, wo er wohnte und machten auch gemeinsame Reisen. Meine Mutter blühte auf und wirkte manchmal wie ein 15jähriges Mädchen. Wir freuten uns alle für sie, nur meinem ältesten Bruder war die Sache ein Dorn im Auge.

Als wir Geschwister uns einmal trafen, meinte er, der „Affär“ müsse entweder ein Ende gesetzt, oder aber sie müsse einer Ehe zugeführt werden.

Ich nahm das Thema sofort auf und argumentierte, er sei ja der Erbe unseres Vaters und wir anderen Geschwister seien die Erben unserer Mutter. Der Großherzog habe ja bekanntlich keinen männlichen Nachkommen, wenn es also zur Adoption käme, dann sei ich als ältester männlicher Erbe unserer Mutter dran.

Die Frage einer Eheschließung wurde nie wieder angesprochen. Ich nehme an, dass die Vorstellung, mich mit „königliche Hoheit“ ansprechen zu müssen, meinem Bruder den Schlaf geraubt hat.

Ich habe die Geschichte meiner Mutter kurz vor ihrem Tod während eines der seltener werdenden „lichten Momente“ erzählt. Sie hat so gelacht, dass ich befürchtete, sie werde ersticken. Sie hat den Lachanfall nur wenige Wochen überlebt.