Oddjob

Wer kennt Harold Sakata? Niemand! Und dennoch ist er allen, die 1964 jung waren, als Oddjob, dem kraftstrotzenden Helfer von Gert Fröbe im James Bond Film „Goldfinger ein Begriff.

Es war einer dieser Momente, in denen jemanden Genialität streifte, als nach den großen Ferien ein untersetzter, fast viereckiger neuer Lehrer das Klassenzimmer im Landheim Schondorf betrat. Einem der erstaunten Schüler entschlüpfte das Wort „Oddjob“. Schon in der großen Pause war es rum, der neue Lehrer hatte seinen Spitznamen weg, den er übrigens mit Würde und Humor zu tragen wusste.

Ich und viele andere hatten das Glück, von ihm die englische und französische Sprache beigebracht zu bekommen. Er beschränkte sich aber nicht nur auf die Sprache, er versuchte auch durchaus erfolgreich, uns die Kultur Großbritanniens und Frankreichs nahe zu bringen.

Als Student hatte er beide Länder mit dem Moped bereist und eine riesige Sammlung von Dias angelegt. Die zeigte er uns in der „letzten Stunde“ vor den Ferien.

Was ein Menhir ist, weiß ich nicht von Obelix. Es war Oddjob, der uns Bilder davon zeigte. Was ein Kalvarienberg ist, hat er uns gezeigt und erklärt, wie Stonehenge aussieht, und was es womöglich bedeutet. Dass es auf den britischen Inseln wunderbare Kathedralen gibt, hat er uns erzählt, und auch dies: das erste und einzige authentische Foto von Nessie hat er geschossen.

Er war ein strenger Lehrer. Das hinderte ihn nicht daran, dafür Verständnis zu zeigen, dass wir all das, was er uns da beizubringen hatte, schrecklich langweilig fanden. Wenn wir kurz vor dem Einschlafen waren, brach er den Unterricht ab und sang mit uns englische oder französische Lieder. Auf langen Autofahrten singe ich noch heute:


Malbrough s‘ en va-t-en guerre

Mironton ton ton Mirontaine…

Ihm verdanke ich es, dass die Nasallaute in der französischen Sprache für mich nicht en, en, en, en und en sind. Einer in meiner Klasse hieß Konstantin. Oddjob dachte sich folgenden Nasal Lehrsatz aus:

« Nous avons un Constantin en classe » Nur wer bei ihm im Unterricht war, brilliert mit fünf unterschiedlichen Nasallauten.

Oddjob wohnte in einer sehr bescheidenen Bude im Zwischenbau, und kümmerte sich mehr als andere um die dort wohnenden Schüler. Was ihm zum Ruhme hätte gereichen sollen, wurde gegen ihn gewendet und bald munkelte man, der Oddjob treibe es mit dem Kümmern zu weit. Das war ein fieses Gerücht, weil es keinerlei Beweise gab.

Aber wie das so ist, aus einem Gerücht wird ein offenes Geheimnis und daraus eine Gewissheit. Irgendwann taten sich mehrere Halbstarke zusammen und bepinselten sein neben der Schlosserei geparktes Auto mit rosa Wasserfarbe. 

Das war nicht nur gemein, es war nicht nur feige, es war auch ein Skandal. Zwar ging die Farbe leicht wieder ab, aber der Schaden war getan. Auch fand ich, dass die Solidaritätsbezeugungen des Lehrerkollegiums hätten enthusiastischer ausfallen können.

Wie dem auch sei, die Täter wurden nie gefunden, und der bedauernswerte Oddjob forschte in allen Waschräumen nach rosa Farbresten an den Handtüchern.

Einige Male wurde er auch fündig. Die Eigentümer der inkriminierenden Handtücher waren aber alles Pubertäter mit unreiner Haut. Alle konnten nachweisen, dass die von ihnen benutzte Pickel-Creme rosa war.

Bewegungszwang

Diese Festtage waren bewegt. Es fing damit an, dass meine Frau, die hier namentlich nicht erwähnt werden möchte, dass sie einen Weihnachtsbaum bis an die Decke haben wollte. Selbstverständlich erfüllte ich ihr diesen Wunsch. Die Heimtücke, die dahintersteckte, habe ich leider zu spät erkannt.

Wenn eine Nordmanntanne hoch ist, dann ist sie unten breit. Das Monster wurde nun so platziert, dass es den direkten Weg zum Sofa blockiert. Um dorthin zu gelangen, muss ich nun stets um den Wald herumlaufen. Das läppert sich im Laufe der Festtage.

Protest oder gar Klagen werden mit einem Lächeln, in dem sich Güte und Häme aufs Eleganteste mischen, beantwortet. „Du sollst dich doch mehr bewegen, hat der Arzt gesagt.“ Ich lächle weniger elegant dafür aber resigniert zurück.

Die Berechnung, wie viele Kilometer das ausmacht, ist noch nicht abgeschlossen. Der Baum soll noch ein paar Tage stehen bleiben. Immerhin wurden die daran hängenden Äpfel schon zu Brei verkocht.

Am ersten Weihnachtsfeiertag war es bitterkalt. Am wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne. Ich fand kein Argument gegen einen langen Spaziergang in Gottes freier Natur. Weil unsere Tochter doch jetzt einen Campingbus hat, nahmen wir an, dass sie sich auskennt. Sie wurde beauftragt, den Ort der Tat auszusuchen.

Um es kurz zu machen: Wir fanden uns im dichten Nadelwald wieder. Es war dort eiskalt, ich fror gottserbärmlich. Sie Sonne blitzte manchmal durch das Dickicht. Mein Protest wurden nicht ernst genommen, ja ins Lächerliche gezogen: „Lauf halt schneller, dann frierst du auch nicht mehr. Außerdem hat der Arzt gesagt…“ Ich konnte mich eines gewissen déjà écouté Gefühls nicht erwehren, was meine Laune aber nur unwesentlich hob.

Zum Abendessen gab es „Sopa de Nadal“. Das tröstete mich etwas.

Am zweiten Weihnachtfeiertag war es bitterkalt. Am wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne. Wieder fand ich kein Argument gegen einen Spaziergang in Gottes freier Natur.

Es war ein Fehler, erneut die Tochter mit der Auswahl der Route zu beauftragen. „Diesmal aber bitte in der Sonne.“ „Ja, ja, mein Smartphone sagt, bei Lobetal ist es sehr schön.“

Mein Beitrag zur Zeitgeschichte, dass dort Honecker seine letzten DDR Tage in einem Pfarrhaus verbracht habe, ging in der Geschäftigkeit des Aufbruchs unter.

Lobetal liegt landschaftlich sehr schön – von Wald umgeben.

Wieder sahen wir die Sonne nicht. Halt, ich lüge: Einmal kamen wir an der Nordseite eines melancholischen Sees vorbei. Da konnte die Sonne erbarmungslos auf uns niederbrennen. Sonst war es dunkel und saukalt. Ich fror. „Lauf halt schneller, dann frierst du auch nicht so. Außerdem hat der Arzt gesagt…“ Als das Auto schon in Sichtweite war, fanden wir eine schattige Wiese. Dort musste die Drohne ausprobiert werden. Die Enkeltochter hatte sie von ihrem Patenonkel bekommen. Immer wenn sie eine bestimmte Höhe erreicht hatte, fiel sie herunter, leider ohne kaputt zu gehen. Auf der anderen Seite von Lobetal schien die Sonne auf ein Feld.

Acht Schwestern.

Mein Großvater in Thüngen war mit acht älteren Schwestern gesegnet, die ihm in der Masse aber auch als Einzelpersonen ganz haarig auf die Nerven gingen.

Er hatte es aber auch schwer, weil sie ihn im hohen Alter noch so behandelten, als sei er der kleine Bub, der er 70 Jahre vorher gewesen war.

Es war schier unmöglich, ihnen irgendetwas recht zu machen, was womöglich auch daran lag, dass Großvater sich für Landwirtschaft und Jagd interessierte und sonst für wenig anderes.

Wenn man sich die Berufe der Ehemänner ansieht, wird deutlich, wie weit die Lebensabläufe der Geschwister auseinanderdrifteten. Der eine war Kunstprofessor, der andere Prälat, der nächste Hotmarschall am Coburger Hof, dann kam eine Schwester, die zunächst einen Offizier und dann einen Prinzen heiratete, Tante Hatschwig hieß eigentlich Hedwig, da sie aber einen schlecht verheilten Beinbruch mit sich rumschleppte, hatschte sie. Immerhin war ihr Mann Landwirt. Tante Ruth war Diakonisse, deren jüngere Schwester war mit dem Direktor des CVJM verheiratet und die Jüngste brachte noch einen Pfarrer in die Familie.

Großvater schien irgendwie religiös überfüttert und lehnte das dauernde Gerede über Frömmigkeiten von Grund aus ab. Als einmal bei Mokka nach dem Mittagessen über Simonie gesprochen wurde, für mit der Materie nicht so Vertraute, das ist der Kauf kirchlicher Ämter und Pfründen, verbat er sich, beim Käffchen über solche Sauereien zu reden.

Vor Weihnachten fragte er reihum, was sich die Schwestern denn wünschten. Einen Mantel, sagte eine von ihnen.

Später beschwerte sie sich, dass er braun wäre, da doch ihr Schwiegersohn gerade im Sterben liege.

Der Höhepunkt war immer dann erreicht, wenn das Telefon klingelte, und eine der Schwestern mit brechender Stimme hauchte: „Wennste mich noch emal sehn willst, mach schnell.“

Sofort setzte sich der liebende Bruder ins Auto und fuhr zum jeweiligen Wohnort der Sterbenden, wo er sie mit rosa Bäckchen auf dem Sofa vorfand. Es gab irgend etwas zu besprechen, was der Schwester wichtig war, von dem sie aber wusste, dass es dem Bruder im besten Sinne wurscht war. Ohne die Berufung auf ihr nahes Ende, das wussten sie alle, würde er niemals gekommen sein.

Als unsere Großmutter früh und plötzlich verstarb, kamen alle Schwestern nach Thüngen und betrauerten die Schwägerin ehrlich.

Nach der Trauerfeier versammelte die Frau Prälat ihre Schwestern um sich. Sie hatte das Sagen, weil, wie man sagte, ihr Zeigefinger länger war als ihr Mittelfinger, was dem, was sie wagte deutlich mehr Gewicht verlieh.

Sie sah ihren Schwestern streng in die Augen und erließ dann folgenden Befehl:

„Jetzt wird fei nicht gleich weitergestorben! Und wenn, Anna, der Reihe nach.“

Das tat die dann auch,

Bei Babs, da ist was los! 

Nach glücklicher Scheidung kam Babs nach San Antonio auf Ibiza. Sie hatte dort ein kleines Häuschen und langweilte sich bald. Als lebensfrohe Rheinländerin lag der Gedanke nahe, eine Kneipe auf zu machen.

Was heute ein Kinderspiel ist, war damals schier unmöglich, der Generalissimo lebte noch und Recht und Ordnung wurden nach Gutdünken geregelt. Da genügte es eben nicht, einen Antrag zu stellen, da war voller Körpereinsatz gefragt. Das merkte Babs schnell und da sie nicht unansehnlich war, gelang es ihr in, wie man munkelte, verdächtig kurzer Zeit alle Papiere beieinander zu haben. Der hübsche Sekretär des hässlichen Bürgermeisters soll entscheidend beigetragen haben.

Die Bar „Bei Babs“ wurde zum Treffpunkt aller in San Antonio lebenden Deutschsprachler. Als ich dort im Jahr 1978 aufkreuzte, kostete das 0,3 l Glas San Miguel für Residenten 20 PTAS, für Touristen 25.

Ab und zu kam ein Spanier in die Kneipe, der schon erwähnte Gemeindesekretär, manchmal der an einen Stierkämpfer gemahnende Chef der Guardia Civil und öfter auch der Chef der Bierniederlassung. Das waren allesamt wichtige Personen, die sich Babs auf ihre Weise gefügig machte. Besonders im Hochsommer war es nicht immer ganz leicht, genügend Bier zu bekommen, es musste ja zur Gänze mit dem Schiff herantransportiert werden.

Babs konnte kein spanisch. Wenn einer ihres iberischen Triumvirats kam, dann hörte sie sich lange deren Wortschwall an, lehnte sodann den Unterarm auf den Schanktisch, beugte sich vor, so dass der Gesprächspartner auch visuell auf seine Kosten kam und sagte: „Yo pensar, tu tener razón,“ also „ich denken, du Recht haben.“ Nachdem Babs noch klargemacht hatte, dass sie die Bar heute um Mitternacht schließen werde, zog der wichtige Mann zufrieden und erwartungsfroh ab.

Eines Tages erschien Günther auf der Bildfläche. Er kam aus dem Nichts, hatte nichts und konnte nichts. Er sah aus wie ein im Abstieg begriffener Vorstadtgigolo. Es war deutlich, dass er gekommen war, um in Deutschland über was auch immer Gras wachsen zu lassen.

Bald schon keimte in ihm der Gedanke auf, der Liebhaber einer Kneipenbesitzerin zu werden, wo sich alle Deutschen trafen, könne nur von Vorteil sein. Er verbrachte nun seine Abende im „Bei Babs“ und erzählte der Wirtin von seinen vergangenen Heldentaten und auch davon, wie ungerecht das Leben ihn jüngst behandelt habe, mit der Folge, dass er mittellos sei, aber voller Tatendrang, neu anzufangen.

Mag sein, dass es Babs danach war, sich mit einem ihrer Liebhaber auch verbal austauschen zu können, jedenfalls stieg Günther zum ständigen Begleiter der Wirtin auf. „Hauptbeschäler“, sagte Rolf, der einen Reitstall betrieb.

Das Triumvirat grollte. Da die drei kein deutsch und Günther kein spanisch sprachen, blieb es bei nonverbalen Bekundungen der gegenseitigen Geringschätzung.

Eines Abends kam es zum show down, der eine boxte den anderen vor die Brust, woraufhin der andere, das Bierglas am Tresen zerschlug und auf den Kontrahenten losging. Die Wirtin schrie grell auf und nach kurzem Gemenge lag Günther am Boden und in seinem Blute. Ich erbot mich, ihn nach Ibiza ins Krankenhaus zu fahren. Günther verließ erhobenen Hauptes das Feld, er fühlte sich als moralischer Sieger.

Im Auto fiel diese Pose rasch von ihm ab. Er wurde kleinlaut und erklärte mir, er habe schreckliche Angst vor der zu erwartenden Spritze und ich solle mich nicht wundern, wenn er schreien, ja weinen werde.

Genau so kam es dann auch, ich wurde dessen Zeuge. Als Übersetzer musste ich mit ins Behandlungszimmer.

Ich habe Babs davon nichts erzählt, dennoch waren seine Nächte in ihrem Bett gezählt. Das war auch vernünftig, denn das rotierende Triumvirat, sorgte für Biernachschub, Sicherheit und ein zugedrücktes Auge von wegen der Sperrstunde.

Gemeinsames Abendmahl? Schwierige Sache!

Wenn man das Schloss in Charlottenburg besucht, lernt man, dass das das preußische Herrscherhaus calvinistischer Konfession war. Wir erinnern uns, das sind die Christen, die dem vormals in Genf lehrenden Theologen Johannes Calvin anhängen.

Ich habe vor Jahren einen calvinistischen Gottesdienst in Altdorf, der Hauptstadt des Kantons Uri, miterlebt. Die Schlichtheit der Zeremonie war erstaunlich. Verglichen damit, war ein ev. luth. Gottesdienst in Rentweinsdorf eine Hollywood Show.

Ich hatte damals in Altdorf gelernt, dass Cavinisten auf jeden Pomp verzichten. Der Pfarrer erschien im Anzug und setzte sich hinter eine Art Lehrerpult, als wolle er uns sogleich das kleine Einmaleins beibringen.

Nun, nach Berlin gezogen, klappere ich die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab. Eines meiner ersten Ziele war das Schloss in Charlottenburg, was mich auch deshalb interessierte, weil es der erste preußische König, Friedrich I hat bauen lassen. Das war der Vater des Soldatenkönigs und Großvater des alten Fritz, der in Jochen Kleppers Roman „Der Vater“ so schrecklich schlecht wegkommt.

Gut, dass im Schloss von Charlottenburg Prunk angesagt ist, ahnte ich. Gespannt aber war ich auf die calvinistische Schlosskapelle. Ich wurde nicht enttäuscht. Es ist nämlich so: Eines ist der Calvinismus mit Schlichtheit und so, etwas vollkommen anderes ist der Drang nach Selbstdarstellung regierender Häuser. So auch hier: Riesige vergoldete Kronen schweben über den Häuptern der Gläubigen, Kruzifix und andere Attribute der Heilsbotschaft geraten zu Marginalien. Ich musste neidlos eingestehen, dass da die Hohenzollern die Rotenhans doch mal übertreffen konnten, denn in der Kirche in Fischbach/Ufr. schwebt nur der rote Hahn über dem Heiligen Geist.

Nun ist es ja so, dass Calvinisten die Gnadengaben des Abendmals dogmatisch anders sehen als evangelische Christen. Erstere sehen es als Symbol, Letztere als Leib und Blut des Herrn. Das führte dazu, dass viele Herrscher in Deutschland nicht zusammen mit ihren Ehefrauen das Abendmahl einnehmen konnten. So passierte das auch Friedrich Wilhelm III. 1817 war zwar seine evangelische Frau, die berühmte Königin Luise schon gestorben, dennoch dekretierte er in diesem Jahr die Vereinigung der calvinistischen mit der evangelischen Kirche in Preußen. Das durfte er, denn als Souverän war er Oberhaupt aller nicht katholischer Kirchen in Preußen.

Nun könnte man meinen, damit sei Friede in die Gefolgschaft von Don Martin L. eingekehrt. Weitstfehlung! Eines der wichtigsten Merkmale der Christen, ist ihre Uneinigkeit. Und so trauten die anderen Souveräne der Sache mit der Union nicht über den Weg. Sie bestanden darauf, dass man mit den unierten Preußen zwar auf die Jagd gehen könne, sogar untereinander heiraten könne, ja, man stelle sich vor, auch miteinander Kinder bekommen könne, aber Gott bewahre, gemeinsam zum Abendmahl, also, das versteht doch jeder Christ…

Der Erfolg war, dass ein unierter Preuße einen Dispens des zuständigen Herrschers brauchte, wenn er das Abendmahl auf dessen Territorium einnehmen wollte. Das führte dazu, dass W.II, wenn er Besuch bei den Verwandten in Schwerin machte, der dortige Großherzog ihm beim sonntäglichen Frühstück einen Dispens erteilen musste, wenn er nachher am Abendmahl teilnehmen wollte.

Ach, das Leben ist ungerecht. Wie hätte es meinem Urgroßvater in Rentweinsdorf gefallen, als Kirchenoberhaupt der dortigen Gemeinde, dem Kaiser einen Dispens zu erteilen.

Seriöse Historiker meinen, er sei nie dorthin gefahren, um genau das zu vermeiden.

Aber die Musici

Das Übergangszeugnis von der Volksschule zum Gymnasium sah bei mir so aus:

Lesen 2

Rechnen 2

Heimatkunde 2

Schrift 3

Singen 1

Meine Eltern waren empört und meinten, so werde das im Gymnasium auch nichts werden, womit sie Recht behalten sollten.

Aber mit diesem Zeugnis wurde meine Karriere als Musiker begründet. Zunächst lernte ich Cello. Das Schlimme daran war, dass ich beim Bestreichen der a-Saite Gänsehaut bekam und als ich beim Vorspiel vor der gesamten Schule mich bückte, um das Instrument unter dem Klavier hervorzuholen, platzte meine Hose hinten auf. Um ein weiteres Vorspiel zu verhindern, ließ ich das mit dem Cello sein.

Ein weiterer Meilenstein in meiner Musikerkarriere begab sich zu der Zeit, als man an Weihnachten in der Kirche noch singen durfte. Eine Frau drehte sich um und rief, ich solle nicht so schreien. Ich war bislang der Meinung gewesen „holder Knabe im lockigen Haar“ könne man gar nicht schreien.

Nun aber habe ich es amtlich, ich bin Musiker. Und das kam so: Ich hatte Schmerzen im Arm. Drum ging ich zum Arzt. Unterdessen habe ich den ärztlichen Untersuchungsbericht vom vergangenen Montag übersetzt und bin darauf gekommen, dass „Sulcus ulnaris“ auf Deutsch Musikantenknochen heißt. Ich bin echt stolz darauf, es nun doch noch zum Musiker gebracht zu haben, denn irgendwie schmerzt es mich, dass ich zum Stressabbau nicht zum Cello greife, sondern – wie alle anderen auch – zur Flasche. Das wollen wir aber jetzt nicht vertiefen, nur so viel: Ich habe gerade einen wunderbaren Rotwein aus dem eher unbekannten Anbaugebiet Méntrida nördlich von Madrid eingekauft. Da mich Corona vor Besuchen schützt, kann ich das ja hier ruhig mal erzählen.

Aber zurück zu meinem Musikantentum. Der Arzt hat mir eine Bandage für den Ellenbogen verschrieben, die bekäme ich im Sanitätshaus. Also ich, nix wie hin. Dort gibt es zwei Angestelltinnen, eine hübsche und eine grimmige. Uni sono verkündeten sie mir, gegen Sulcus ulnaris helfe die verschriebene Bandage schon mal gleich überhaupt nicht. Mein Einwand, ich litte ja auch nicht an diesem Sulcus sondern am Musikantenknochen, blieb unbeachtet. Man riet mir, den Arzt zu fragen, ob er sich womöglich geirrt habe. Das brachte mir einen mittleren Anschiss am Telefon ein, der darin gipfelte, dass er als Akademiker schon wisse, was er tue. Ich wollte freundlich wirken und sagte, ich als Akademiker wisse manchmal nicht, was ich täte, da hatte er aber schon aufgehängt.

Ich lief also erneut zum Sanitätshaus, wo man mir widerstrebend die Musikerknochenbandage aushändigte. Dazu musste ich vier Formulare unterscheiben.

Als ich fragte, ob das meine Beitrittserklärung zur Bill Gates Partei sei, lächelte die Hübsche und versicherte, so schlimm sei man in Pankow nun auch wieder nicht.

Das kann man so sehen oder auch so sehen, denn in Pankow wählen etwa 30% die AfD und weitere 30% die Linke. Nun darf geraten werden, ob ich mir eine entsprechende Bemerkung habe verkneifen können.

Die beiden Angestelltinnen schauten mich jedenfalls böse an. Ich hoffe nun, dass die Hübsche Wählerin der Linken ist und die Grimmige die der AfD.

Gattenmord als Option

Die Zeitläufte machen einem die Sache nicht einfacher. Man ahnt es, ich spreche davon, wie man die Zeit rumkriegen soll, wenn eigentlich nichts mehr getan werden darf. Zunächst sind meine Frau und ich spazieren gegangen. Das ginge an sich noch immer, wenn das Wetter mitspielt, klar. Nur, es geht halt nicht immer dort, wo wir wollen. Wir sind gern in der Gegend von Buch, dem nördlichen Krankenhausvorort von Berlin umhergelaufen. Liebliche Auwälder, kleine Seen, Lichtungen und Birkenhaine wechseln sich ab, manchmal hört man das warnende Klingeln der Heidekrautbahn. Eine Idylle! Aber dann wurde berichtet, dass ein homophiler Homophage just in dieser Gegend immer die abgefieselten Knochen seiner Opfer ablegte. Mal ehrlich, wer will schon, nur weil er einigen Pferdeäpfeln auf dem Weg ausweicht, in ein Knochenkonvolut treten? Spazierengehen ist derzeit irgendwie schwierig geworden. Was könnte man sonst noch tun? Jawoll, kochen wir uns was Gutes! Dazu gibt es einen süffigen Rotwein und dann sind wir schon nachmittags knülle, weil abends soll man ja nichtmehr so viel essen. Gut, versuchen wir es mit Nasepopeln. Unsere Enkeltochter würde da sofort mitmachen, aber sie soll uns ja gerade möglichst wenig besuchen. Gemeinsames Nasepopeln ist bisher auf eine gewisse Resistenz bei…, naja, lassen wir das. Immerhin ist es neulich gelungen, einen einzelnen Freund aufzutreiben, der auch für Schlemmerfilet schwärmt. Dazu gab es die beiden letzten Flaschen Weißwein, so dass wir schon wieder mittags knülle waren. „Da hätten wir ja auch gleich was Gutes essen können“, meinte mein primärer Sozialkontakt.

Sie ist von der Krise gezeichnet. Als wir noch in Palma lebten, habe ich bei nachlassender Laune im Sommer mit ihr eine Fahrt durch den Sòller-Tunnel gemacht, im Winter habe ich ihr den Schnee auf dem Puig Mayor gezeigt. Ich gebe zu, sowas ersetzt nicht ihre heimatliche Schweiz, aber es erinnerte sie. Nun wohnen wir in Berlin und ich frage nicht nur mich, womit man hier positive Schweizer Gefühle erwecken kann. Gut, es gibt die Botschaft mit dem Fahnli oben drauf. Das nutzt sich schnell ab. Irgendwo in im Westteil der Stadt gibt es einen Laden mit Schweizer Lebensmitteln, der natürlich Chuchichaschtli heißt. Neulich waren wir dort und ich Idiot habe nachher vor dem Laden gesagt, die beiden Betreiber seien wenigstens nicht homophag. Natürlich erntete ich einen Anpfiff und jetzt will sie auch zu dem Weiheort nicht mehr zurückkehren, weil sie befürchtet, ich würde mich diesmal im Laden schlecht benehmen.

Man denkt ja immer, schlimmer könne es nun nichtmehr kommen, aber da fehlt man regelmäßig. Irgendwo hat sie gelesen, dass man ab dem 1. Februar auf Netflix den Heidifilm mit Bruno Gans sehen kann. Ich hoffte, dass wäre Sòller-Tunnel plus verschneiter Puig Mayor plus Fahnli oben drauf. Wäre es womöglich auch gewesen, nur der Film war noch nicht verfügbar.

Die Arme! Sie findet mit jedem Tag weniger Sinn in ihrem Leben in Berlin und sagt, sie wolle nach Basel fahren. Acht Stunden Zugfahrt mit FFP2 Maske (Chinesli fecunt), nein, das will sie sich denn doch nicht antun. Zu allem Überfluss hat mir ein Freund gesagt, der Heimatkanton komme für die Unterkunft nur auf, wenn sie nicht freiwillig in die Schweiz komme.

Nun überlegen wir, wie es uns gelingen könnte, dass sie in die Schweiz abgeschoben wird. Dass das den Vorteil hätte, dass ich dann das Ticket nicht bezahlen muss, habe ich besser verschwiegen. Nun suchen wir nach Abschiebegründen. Erregung öffentlichen Ärgernisses liegt ihr nicht, und auf die Chaibe-Schwobe schimpfen, das ging bisher folgenlos ab. Merkel-bashing, das besorgen schon die Deutschen allein.

Ich habe unterdessen die Küchenmesser versteckt. Wir haben nämlich herausbekommen, dass Gattenmord ein Abschiebegrund wäre.

Aber was hätte ich dann davon?

Von Peter, einer Mehlkiste und Schlagsahne

Aller Anfang einer Ehe ist schwer, besonders dann, wenn man das Jahr 1948 schreibt.

Für meine Eltern wurde im Rentweinsdorfer Schloss ein Eckchen gefunden. Immerhin: Wohnküche, Schlafzimmer, Klo mit Waschbecken und Abstellkammer. Im Haus wohnten darüber hinaus Mutters Schwiegervater und dessen Schwägerin, die sich mit nur wenig kaschierter Abneigung gegenüberstanden. Dann gab es noch ein paar geflüchtete Tanten, aber das Gros des Hauses war belegt mit sogenannten „displaced people“. Niemand konnte englisch, deshalb hießen diese Bewohner pauschal Wolhynien-Deutsche. Das waren Menschen, die durch die Wirrungen des Krieges sich irgendwo wiederfanden, wo sie nicht bleiben wollten, aber auch solche, die trotz allem Wollen nicht nach Hause konnten, weil sie dort als Hochverräter verfolgt worden wären, schließlich hatten sie ja „freiwillig“ Zwangsarbeit für die Nazis geleistet. Die sanitären Verhältnisse waren unbeschreiblich. Nachtöpfe wurden aus dem Fenster entleert, besonders gern dann, wenn Mutter versuchte, auf den Rabatten Rosen zu pflanzen.

Unsere Eltern führten zunächst eine Ehe zu Dritt mit Peter. Er war schrecklich eifersüchtig auf die neue Gefährtin seines Herrn. Der hatte im Krieg einen Bauchschuss abbekommen. Peter, er hatte schwarzes weiches Fell, legte sich des nachts auf oder an Wunde, was sich wohltuend ausgewirkt haben soll. Damit war nun Schluss. Seinen Unwillen über den Rauswurf zeigte Peter damit, dass er unter das Plumeau aber auf die Seite unserer Mutter kackte. So etwas ist weder lustig noch ehefördernd, zumal in einem beheizbaren Schlafzimmer im Winter.

Es fehlte an allem. Mutter besaß viele Talente, das der schmackhaften Zubereitung von Mahlzeiten gehörte nicht dazu. Kochtöpfe hatte sie keine, sie musste in leeren Konservendosen kochen. Eines Tages kam unser Vater glückstrahlend nach Hause, schwer ächzend unter einer großen Last: Er hatte irgendwo einen Sack Mehl ergattert.

Das führte dazu, dass Mutter die Speisekammer nicht mehr betreten konnte, denn der Sack, auf dem Fußboden stehend, lockte tatsächlich oder in der Phantasie der Hausfrau Mäuse an, vor denen sie panische Angst hatte.

Das erste gemeinsame Weihnachten kam näher. Ihr wurde etwas Wunderbares zum Fest versprochen. Eines Abends sah sie die Silhouette ihres Mannes und die eines seiner Neffen über den Schlosshof huschen. Was sie trugen, war in der Dunkelheit nur als Sarg zu erkennen. Am Heiligen Abend wurde das Ding mit einer roten Schleife versehen hereingetragen. Es war eine extra angefertigte Mehlkiste, die das Mäuseproblem bannen sollte. Das gelang tatsächlich, dennoch war Mutter enttäuscht und vergoss bitterliche Zähren. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk assoziiert man ja auch nicht ohne Weiteres mit einer Mehlkiste.

Irgendwann, es war Herbst geworden, meldete sich ein amerikanischer Offizier zum Tee an. Es ging wohl um Manöverschäden, die die US Armee im Rentweinsdorfer Wald hinterlassen hatte. Vorsichtshalber wurde die Köchin des Schwiegervaters mit der Herstellung eines Zwetschgenbloods beauftragt und im Kuhstall wurde mehr oder weniger unter der Hand Rahm besorgt.

Die jungen Eheleute freuten sich auf einen Nachmittagstee „wie früher“ und erwarteten, wie Vater sich ausdrückte den Ami mit triefenden Feftzen auf der Altane. Man hat dort einen wunderbaren Blick über den Park bis zur Baunach, hinter der eine Dampflock endlose Loren voller Basalt von Voccawind nach Breitengüßbach schleppte. Ein friedvolles Bild, das der Offizier, kaum hatte er sich hingesetzt, dadurch störte, dass er das Kuchenmesser nahm und damit die kunstvoll auf dem Zwetschgenkuchen drapierte Schlagsahne auf seinen Teller lud. Die konsternierten Blicke seiner Gastgeber kommentierte er mit den geflügelten Worten: „I like the cream!“

Wer nic ht heiratet…

Meine Mutter schwärmte immer davon, der schönste Jahrmarkt auf der Welt sei Kiliani in Würzburg, das Fest zu Ehren des Heiligen Kilian, der uns Unterfranken mores gelehrt hat. Kilian war ein irischer Mönch, der am Main tätig war und dafür sorgte, dass das damals heidnische winzern zu dem göttlichen Tun wurde, das es bis heute geblieben ist. Drum feiern ihn die Würzburger mit einem zweiwöchigen Rummel im Juli.

Mutter berichtete von Kettenkarussells, Schieß- und Wurfbuden, Zuckerwatte und einem Losverkäufer. Der hatte einen einprägsamen Spruch drauf, mit dem er die Leute zum Kauf eines Loses animierte:

„Wer wagt gewinnt

Wer nicht heiratet kriegt kein Ehestandsdarlehn.“

Also, mir leuchtete das sehr ein und mir war klar, dass das Erste nach vollzogener Hochzeitsnacht dereinst die Beantragung eines Ehestandsdarlehens sein würde.

Es kam dann etwas anders, denn als wir heirateten, hatten wir bereits eine Tochter und lebten auf Ibiza. In Spanien gab es damals weder Anreize fürs Heiraten noch fürs Kinderkriegen, materielle Anreize, wohlverstanden. Man vertraute, auf was? Man vertraute.

Bei unserem ersten Besuch in Deutschland als Ehepaar ging ich sofort zur Filiale der Sparkasse Ostunterfranken in Ebern, legte das Familienbuch vor und beantragte ein Ehestandsdarlehn, das mir auch anstandslos in Höhe von 5.000 DM gewährt wurde. Laufzeit fünf Jahre, Zinssatz lächerlich. Nun erst fühlte ich mich wirklich verheiratet, ich hatte gewagt, gewonnen und ein Ehestandsdarlehen bekommen!

Wie gewagt das ganze Unternehmen war, stellte sich heraus, als die jährliche Rate von 1.000 Mark plus Zinsen fällig wurde.

Damals war es leicht, vom Ausland Geld nach Spanien zu schicken, umgekehrt war es fast ein Ding der Unmöglichkeit. Hinzu kam, dass der spanische Finanzminister eigentlich nur einmal um Jahr tätig werden musste, das war vor Beginn der Saison. Dann wurde die Pesete immer um 20% abgewertet, damit die Touristen auch ja nicht ausblieben.

Ich verdiente damals wenig, dafür aber in Peseten. 1.000 Mark locker zu machen, war schon schwer genug, nur es war halt jährlich 1.000 Mark plus 20%. Schrecklich! Hinzu kamen Finanzmanöver an der Schwelle zur Strafbarkeit, um den Zaster überhaupt nach Ebern bringen zu können.

Als ich mir nach fünf Jahren den Schaden besah, hatte ich ohne Zinsen etwa den Gegenwert von 8.000 Mark in Peseten abbezahlt.

Ich war noch nie zu Kiliani in Würzburg. Wenn ich dort bin, geh ich aber ins Neumünster und mache am Kilianssarg dem Heiligen Vorhaltungen. Er zeigt sich davon unberührt. Als irischer Mönch hält er wahrscheinlich von Lutherböcken „wieder wenicher.“ Neulich raunte er mir zu, ich solle doch mal auf die alte Mainbrücke gehen. Dort stehe er und erhebe seinen Finger warnend. Dann war er wieder stumm. Ich weiß bis heute nicht, ob er vor der Ehe warnt oder vor dem Darlehn.

Der Kredit war noch nicht abbezahlt, da bekamen wir einen Sohn. Bei den ausgiebigen Debatten bezüglich der Namensgebung schlug ich Kilian vor. Großen Erfolg hatte ich damit nicht.

Von einer maroden Pappel und dem Tomatnwunder

Neben dem mir zugewiesenen Parkplatz steht eine riesige Pappel. Der Baum ist ziemlich verwahrlost, Äste sind geknickt, abgerissene Äste hängen an noch lebenden.

Immer wenn starker Wind kommt, fallen Äste herab, mit Vorliebe auf mein Auto, was nicht so schlimm ist, solange die Dellen klein bleiben. Die Karre ist zwölf Jahre alt und beteiligt sich ebenso wie ihr Halter nicht mehr an Schönheitswettbewerben.

Unterdessen stützt sich die Pappel bedenklich auf die Begrenzungsmauer Ich mag den Baum nicht, weil er hässlich ist und weil er fast den ganzen Sommer über klebriges Zeug über mein Auto streut. Es sieht dann nicht nur alt, sondern auch noch unappetitlich aus.

Neulich gab es einen richtigen Sturm, zwei Äste krachten runter. Ich gab nun den besorgten Mitbewohner, rief bei der Hausverwaltung an und bat scheinheilig, man möge prüfen, ob der Baum nicht gefällt werden müsse.

Oh, das sei schwierig, da brauche es zunächst einen Baumgutachter.

Den traf ich soeben vor Ort. Er berichtete, er müsse nicht nur prüfen, ob der Baum innen hohl oder morsch sei, er müsse auch seine Statik prüfen, denn es könne ja sein, dass der so hohe Baum nicht mehr die Windlast ertrüge und je nach Zustand gestutzt werden müsse. Da die Bezirksverwaltung solchen Gutachten aus Prinzip nicht traue, prüfe man dort erneut, zumal es dann politisch werde.

Politisch?

Naja, der Prenzlauer Berg sei nahe und da finde sich immer ein Grüppchen, das urplötzlich seine Liebe zu gerade diesem Baum entdeckt und sich an denselben kettet. So einen Baum zu fällen, sei ein Hoheitsakt, denn nur so könne die Polizei die Holzfäller vor dem Zorn von Idefix & Co schützen.

Ich erinnere mich an meine Jugend, damals war das Baumfällen noch einfacher. Im Wald musste man die Arbeiter nach Gehör suchen. Man lief auf das Ritschratsch der Handsägen oder das Klopfen zu, wenn die Keile eingeschlagen wurden. Es war für mich immer ungeheuer spannend zuzusehen, wenn ein Baum gefällt wurde. Und natürlich war es eine Riesengaudi wenn der Baum in der Gabel eines anderen hängen blieb. Dann gaben sich die Waldarbeiter mit viel Geschrei gegenseitig die Schuld.

Später wurde alles vom Gedröhn der Motorsägen übertönt. Romantisch war das nicht mehr, aber halt praktisch. So ein Gedöns wie beim Fällen eines Baumes in einer Großstadt wurde damals jedenfalls nicht gemacht. Stattdessen trieb man untereinander Schabernack.

Die Holzfällerei war und ist anstrengend. Entsprechend hoch war der Bierkonsum und oft wurde dabei auch über den Durst getrunken. Irgendwann wurde der Dieder, nach dem er sich übergeben hatte, bei seiner schimpfenden Ehefrau abgegeben. Am Tag darauf ging einer der Saufkumpane zum Ort der Tat und streute dort Tomatensamen aus. Als Wochen später die Paradeiser aufgingen, zeigte er dem unterdessen wieder nüchternen Kollegen das kleine Wunder und forderte ihn auf:

„Zu, Dieder, kotz amol nei mein Garddn.“