Dr. Martin Luther

Seit frühester Jugend lebe ich mit Dr. Martin Luther. Einer der ersten Filme die ich sehen durfte, handelte von ihm. Er wurde im mondänen Thüngen gezeigt, denn im hinterwäldlerischen Rentweinsdorf gab’s kein Kino.

Was mir denn geblieben sei, wurde ich gefragt, und ich machte vor, wie Bruder Martin seine Zelle schrubbte. Immer wieder musste ich das meinem Großvater vorspielen, so dass ich bald davon überzeugt war, zumindest besser schrubben zu können, als der Reformator.

Später diente er mittels eines Spruches dazu, die Mädchen zu ärgern:

„Dogder Maddin Ludder ging mit seiner Frau auf die grüne…“ und da musste man ein Mädchen in den Arm zwicken, damit der Schmerzensruf den Reim vervollständige.

In der Volksschule nahmen wir ihn durch, im Gymnasium dreimal im Geschichtsunterricht und mindestens zweimal im Religionsunterricht. Man könnte also annehmen, dass ich Lutherexperte sein müsste.

Weitstfehlung!

Uns wurden immer nur die Dönsges von „hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ist gleich Mannesmut vor Fürstenthronen erzählt. Die Sache mit dem Tintenfass brachte unsere Großmutter manchmal statt einer Gutenachtgeschichte und dass seine Frau in einem stinkenden Fass aus dem Kloster geflohen war, war ja witzig, brachte uns aber keinen Millimeter näher an das Verstehen heran, weshalb Luthers Lehre so brisant war, dass sie eine Kirchenspaltung und Kriege vom Dreißigjährigen in Deutschland bis zu dem in Ulster geführt hat.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, die Kirchen wieder zusammenzuführen. Auf der evangelischen Seite des „Runden Tisches“ saß mein Urgroßvater und als alle Versammelten darlegen sollten, weshalb der eine katholisch und der andere evangelisch sei, sagte dieser, als er an der Reihe war: „Ich bin evangelisch, weil meine Eltern auch evangelisch waren.

Damit hatte er zwar den Nagel auf den Kopf getroffen, wurde aber dennoch wegen erkennbarem Mangel an geistlichem Tiefgang aus der Kommission entlassen.

Ich wette, dass die wenigsten Katholiken oder Lutheraner wirklich wissen, weshalb sie ihrer Konfession angehören. Wenn ich mit der gleichen Liebe und Zuwendung katholisch erzogen worden wäre, wie ich evangelisch erzogen wurde, ich bin sicher, ich wäre ein ebenso glücklicher Mensch geworden.

Allerdings denke ich, dass ich womöglich doch an meinem Luthertum verzweifelt wäre, hätte man uns von seinem Antisemitismus erzählt, hätte man davon berichtet, wie er sich so hinlegte, dass die Decke der Macht ihn auch schön warmhielt.

Dank des Nichtwissens musste ich nie zweifeln. Es war ja meine Familie gewesen, die nach dem Motto „cuius regio eius religio“ der untertänigen Bevölkerung den neuen Glauben verordnet hatte. Es wäre ja direkt Nestbeschmutzung gewesen, an Luther zu zweifeln.

So ein Schmarrn!

Man halte es mit Fridericus Rex, der sagte, jeder solle nach seiner eigenen „façon“ glücklich werden. Das setzt aber voraus, dass jeder Einzelne sich überlegt, ob es ihm genügt, seiner Konfession anzugehören, weil schon die Eltern ich angehört haben.

Tradition ist da der falsche Maßstab, Herabwürdigung des anderen erst recht. Womöglich aber wäre es für alle Christen, auch für mich, förderlich, sich einmal etwas näher mit Luther zu beschäftigen. Denn man kann natürlich sagen, er sei der Böse, der die Kirchentrennung provoziert hat. Man kann aber ebenso natürlich sagen, das Schisma sei notwendig gewesen, weil sich die römische Kirche damals als reformunfähig erwiesen hat.

Was wir dabei nicht aus den Augen lassen sollten, ist und bleibt, für die Einheit der Christen zu arbeiten.

Mein ketzerischer Ansatz dazu seit Jahren:

Die Einheit der Christen gelingt nur dann, wenn man den Theologen verbietet, daran mitzuwirken.

Die Sandfrau

Tante Mine war früh verwitwet, was sie nicht sonderlich bedrückte, denn sie war eine Sandfrau.  Sie war nicht aus Sand, vielmehr versuchte der Onkel Wilhelm der Gesellschaft Sand in die Augen zu streuen, indem er die Dame heiratete. Um es kurz zu machen, er war schwul, das sagte man damals aber nicht. Der Sprachmodus, auf den man sich geeinigt hatte war, Onkel Wilhelm sei ein Paragraphenmensch in Anlehnung an den unseligen Paragraphen 175 des alten Strafgesetzbuches. Nach dem Krieg starb Onkel Wilhelm.

Tante Mine wohne nun mutterwindallein auf einer riesigen Burg, von dichtem Wald umgeben irgendwo in Bayern. Tante Mines Kinderlosigkeit war es geschuldet, dass sie sich bei ihren Neffen und Nichten allergrösster Beliebtheit erfreute. Die dame war keineswegs eine Sympathieträgerin, aber Onkel Wilhelm war äußerst begütert gestorben. Wer schaut da nicht über berechtigte Eigentümlichkeit mit dem Auge des Erben liebend hinweg? Wald, Burg, Industriebeteiligungen und einige Mietshäuser in Würzburg musste der Verstorbene zur Gänze seiner Frau hinterlassen, dafür hatte Tante Mine bei der Eingehung der Ehe schon gesorgt. Über die Herkunft der Häuser sprach man übrigens ebenso wenig, wie über die „conditio humana guillermi“. Die Immobilien waren während der Nazizeit in seinen Besitz gekommen, rein zufällig…

Die Nichten und Neffen erkundigten sich auffällig oft nach dem Gesundheitszustand von Tante Mine, einige meldeten sich im monatlichem Rhythmus bei ihr zum Tee an und kurvten dann enttäuscht die Serpentinen talabwärts, denn Tante Mine war äußerst kregel, allerdings klagte sie über Langeweile da droben auf ihrer Burg. Schließlich kaufte sie sich ein Haus auf Mallorca und lernte dort einen jungen Archäologen kennen, der in der Nähe von Alcudia nach Römischem buddelte. Sie fand ihn sympathisch und überredete ihn, statt in der glühenden Sonne Mallorcas in der schattigen Umgebung ihrer Burg zu buddeln. Das tat er dann auch, fand sogar Interessantes und versetzte die Nichten und Neffen in hellste Aufregung:

„Das ist ein Erbschleicher, der hat sicher ein schmieriges Verhältnis mit Tante Mine, den graust’s aber auch vor gar nichts“. Auf diesem Niveau hielten sich die Vermutungen, die schließlich dadurch bestätigt wurden, dass Tante Mine den Archäologen adoptierte. Onkel Herbert, der jüngere Bruder von Onkel Wilhelm meinte, er habe noch nie eine solch elegante Variante der Ehrbarmachung eines ansonsten fragwürdigen Verhältnisses erlebt. Weniger elegant benahmen sich die Nichten und Neffen, denn die Besuche zum Tee endeten abrupt, man fragte auch nichtmehr nach Tantchens Wohlergehen, „hat ja eh keinen Zweck“ war die Meinung aller.

Der zum Grafen adoptierte Archäologe buddelte fleißig weiter und entwickelte sich mit den Jahren zu einem in Bayern angesehenen Experten, bis er eines Tages spurlos verschwand. Tante Mines Mitteilungseifer war gebremst, dennoch stellte sich heraus, dass sie den getreuen Adoptivsohn und Liebhaber eines schönen Sommernachmittages auf dem Söller der Burg mit dem Stubenmädchen beim Versuch der natürlichen Reproduktion überrascht hatte. Die Aussicht von dort droben ist übrigens berühmt.

Es wurde teuer, aber am Ende gelang die Entadoptierung , wegen groben Undanks .Der Archäologe bekam eine Abfindung und gab die Grafenkrone zurück. Tante Mine verhielt sich testamentarisch sehr nobel: Die Mietshäuser in Würzburg vermachte sie dem Jewish Council, die Burg wurde eine internationale Begegnungsstätte, die bis heute von den Erträgen des Waldes und des Restes Ihres Vermögens  gehalten wird. Als sie starb, hatte sie die Industriebeteiligungen verlebt, das Haus auf Mallorca kurz vor ihrem Tod verkauft.

Zur Testamentseröffnung erschienen erwartungsfroh die Nichten und Neffen. Der Notar erbrach das Siegel, lächelte, und verlas sodann Tante Mines letztem Willen, der wie folgt begann:

„Das letzte Hemd hat keine Taschen, aber Eure bleiben auch leer“.

 

 

 

Wir haben die Kinder zuerst losgeschickt

Neulich war ich in Palma de Mallorca mit Freunden zum Abendessen verabredet: Tapas in der Calle de la Fábrica n° 1, sehr zu empfehlen.

Nach Einigem Hin und Her kamen wir auf das Unvermeidliche: Die Flüchtlinge. Schnell waren wir uns einig, dass die derzeitige Entwicklung in Afrika, aber insbesondere im Nahen Osten zwar ein außenpolitisches Problem geblieben darstellt, sich aber Tag für Tag mehr in die Innenpolitik der europäischen Länder einschleicht und durchaus zu einem destabilisierenden Faktor in so manchem Land werden kann.

Ich berichtete dann von meiner Erfahrung mit Flüchtlingen in Berlin und insbesondere von denen, die ich mit meinem Mündel sammeln konnte. Der junge Syrer ist ja, man erinnert sich, zu den Behörden gelaufen, um zu Protokoll zu geben, er habe das Vertrauen in mich verloren, als ich mich weigerte, für ihn um einen besseren Asylstatus Klage zu erheben. Dieser Status hätte es ihm ermöglicht, seine Eltern nachzuholen.

Nachdem ich festgestellt hatte, dass er zwar aus Syrien geflohen war, aber keineswegs für ihn oder seinen mit geflohenen volljährigen Bruder Gefahr für Leib und Leben bestanden hatte, nachdem er mich gefragt hatte, wann er denn endlich seinen eigenen Laptop bekäme und er meinte, die Unterbringung in einem Hotel sei ja wohl wirklich nicht adäquat und ich solle für ein Häuschen sorgen, war ich zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei ihm um einen Wohlstandsflüchtling handelte, den man vorgeschoben hatte, damit danach die Gesamtfamilie nachkommen könne.

Ich habe da nicht mitgespielt, weil ich fand, ich würde damit der Destabilisierung Europas aufhelfen. Außerdem fand ich, dass der junge Mann sich noch weniger integrieren werde, wenn um ihn herum nur arabisch sprechende Familienangehörige wohnten.

Bei diesem Punkt der Unterhaltung platzte meiner Freundin der Kragen und mit ziemlich lauter Stimme fuhr sie mich an:

„Ja,wen glaubst denn du, haben wir zuerst losgeschickt? Die Kinder natürlich! Die mussten überleben. Und wenn alles gut gegangen wäre, hätten sie ihre Familien nachholen können. Das ist aber meistens nicht gelungen und die Zurückgebliebenen kamen in den Gaskammern um. Meine Großmutter hat meinen Vater im letzten Augenblick auf die andere Straßenseite geschubbst. Sie wusste, dass sie ihr Kind nie wieder sehen würde, aber so hatte es eine Chance zum Überleben! Glaubst du denn, dass die syrischen Familien anders denken?“.

Ich machte noch einige wenig überzeugende Verteidigungsversuche und musste dann zugeben, dass ich mir die Sache so noch nicht überlegt hatte.

Wenn man keine jüdische Großmutter hat, wenn die Familie nicht von Stalin verfolgt wurde, dann haben wir keine Überlieferung von Flucht, zumal dann, wenn die eigene Familie seit Jahrhunderten in Franken gesessen hat. Meine pommerischen Verwandten sind auch geflohen, aber sie sind wenigstens nicht ins Ungewisse geflohen.

Wir haben generell kein kollektives Wissen von Flucht und ihren Gründen. Wir können uns das alles vorstellen, vielleicht sogar verstehen, aber wissen können wir das nicht.

Ich bin seit diesem Gespräch extrem verunsichert:

Habe ich richtig gehandelt?

Was können wir besser machen?

Was müssen wir besser machen?

Eine Karriere im Internat

Aus Gründen, die hier eher nicht weiterführen, habe ich zehn Jahre bis zum Abitur gebraucht und diese Dekade verbrachte ich im Landheim in Schondorf am Ammersee.

Meine dortige Karriere war fast schon vergessen, als zu Weihnachten 2013 in den „Grünen Heften“, der „Old Boys Prawda“ des Landheims in einer winzigen Notiz vermeldet wurde, mir sei im Jahr 1971 der „Julius Lohmann Gedächtnispreis für hervorragende Leistungen in der körperlichen Arbeit“ verliehen worden.

Die himmlichen Heerscharen lachten, aber meine böswilligen Nichten und Neffen, kriegten sich gar nicht wieder ein.

Schon allein die Vorstellung, ich könne 1971 oder wann auch immer, durch hervorragende Leistungen aufgefallen sein, ist eine Lachnummer, aber dies im Zusammenhang mit körperlicher Arbeit, nein, das war das Absurde schlechthin.

Körperliche Arbeit, das ging täglich von 3 bis 5 am Nachmittag und beinhaltete Unkraut jäten, die Aschenbahn pflegen, in der Schreinerei arbeiten oder segeln. Auf Letzteres hatte ich mein Augenmerk gerichtet, wurde aber jäh abgelehnt. Ich sei zu schwächlich, wurde mir beschieden, und so begann ich in der Schlosserei zu schmieden und zu feilen, um nur ja der gärtnerischen Arbeit zu entgehen.

Später gelang es mir, mich auch noch vom Spüldienst abzuseilen, in dem ich mich mehrere Jahre am Posten des Spüldienstwartes festkrallte. Der musste ob der verantwortlichen Aufgabe, die er zu stemmen hatte, selbst nicht abspülen. Das ist im Übrigen ein Job, den ich nur jedem empfehlen kann, der Probleme damit hat, vor vielen Menschen zu sprechen. Ich musste die Liste derer,  die abspülen mussten, nach jeder Mahlzeit vor versammelter Mannschaft ausrufen und wenn ich am Wochenende verbotenerweise vier Halbe Bier im Nachbardorf Hechenwang getrunken hatte, dann war es eine Leistung, das Ausrufen hinzukriegen, ohne dass man merkte, dass ich blau war.

Zweiter Froschwart wurde ich auch. Die Frösche waren die Kleinen. Der Froschwart musste auf sie aufpassen und bekam ein tolles Zimmer. Auch Bühnenwart wurde ich, das hatte den Vorteil, dass ich und meine Mannschaft vor dem Elterntag praktisch von der Schule dispensiert waren, wenn es galt die Bühne für das obligate Theaterstück vorzubereiten. Hinter den Kulissen haben wir so manches Bierchen gekippt.

Man bemerkt es: Ich habe all diese Posten nur angestrebt, um damit etwas anderes zu verhindern oder zu erreichen: nicht abspülen, dufte Bude, Lizenz zum Biertrinken hinter der Bühne, aber nach außen eine beispielhafte Landheim-Karriere.

Kein Wunder, dass man mich 1969 zum Vize Präses und im Jahr darauf zum Präses, dem Schülersprecher, wählte.

Damals war ich in der 12 Klasse und bemerkte jählings, dass ich durchs Mathe Vor-Abitur fallen würde, denn ich hatte keine Ahnung. Ich wäre somit der erste Präses gewesen, der je durchs Abitur gefallen wäre, und diese Schmach war sogar für meine Bräsigkeit zu viel.

Also setzte ich mich von Ostern bis Pfingsten auf den Hosenboden und siehe da, beim Matheabitur hatte ich eine vage Ahnung von dem, was man von mir erwartete.Ich bestand. Offenbar ist diese einzige und erstmalige schulische Anstrengung bei meinen Lehrern nicht unbemerkt geblieben, denn Jahre später musste sich mein jüngerer Bruder zu seinem namenlosen Ärger anhören, wie ich als güldenes Beispiel der Strebsamkeit hingestellt wurde.

Ich verbrachte dann die 13. Klasse, schon nicht mehr als Präses, sozusagen als „elder statesman“ sehr kommod in einer Zweierbude mit Balkon. Da die wahren Intentionen meines Engagements in der Schülermitverwaltung etc. nie das Licht des Tages erblickt hatten, kam man nicht umhin, mich zum Schulabgang mit dem „Ernst Reisinger  Gedächtnispreis für besondere Verdienste um das Heim“ zu beehren.

Von wegen „hervorragende Leistungen in der körperlichen Arbeit“.

CETA, was nun?

Offenbar ist CETA jetzt in trockenen Tüchern und Europa atmet auf, weil die weltweite Blamage unseres Kontinents halbwegs überschaubar geblieben ist.

Viel hörbarer aber atmen die Kanadier auf. Sie verzweifeln allmählich an den Eigentümlichkeiten des Marktes und des Rechtsystems ihres südlichen Nachbarn. Deshalb suchen die Kanadier dringend alternative Märkte. Da bieten sich die unterentwickelten Handelsbeziehungen zu Europa von sich aus an.

Aber Friede, Freude Eierkuchen?

Beileibe nicht! Gerade wir in Europa müssen nun endlich die Pobacken zusammenkneifen und daran arbeiten wieder handlungsfähig zu werden.

Das müsste damit beginnen, zuerst zu denken und dann zu belfern. Siegmar Gabriel hat mit seinem Ausspruch „unglaublich töricht“ die Misere ins Rollen gebracht. Womöglich hatte er ja damit sogar Recht. Als Junker einige Tage nach dem Brexit Votum sagte, der umstrittene CETA Vertrag werde von der EU ohne Mitwirkung der Mitgliedsstaaten unterzeichnet, griffen sich viele an den Kopf. Wenn beide geschwiegen hätten, wären beide weise gewesen.

Allerdings liegt das Übel der EU nicht in einigen Aussprüchen begründet. Man hat den Eindruck, dass weltweit auf einmal die „Vergessenen“ aufschreien und ihre Möglichkeiten zu irritieren entdecken. Die Wähler der AfD, die Wähler Trumps sind deutlich „Vergessene“, die sich bisher ausgeschlossen fühlten oder sich selbst ausgeschlossen hatten. Für Letztere Annahme spricht, dass die Wahlbeteiligung angestiegen ist, seit man AfD wählen kann.

Nun aber entdecken ganze Regionen ihr Irritationspotential und das kann, bei aller potentiellen Berechtigung und unbestreitbarer Legitimität, kein Handlungskonzept für Europa sein.

Auf Ibiza habe ich einmal für einen Klienten von vier verstrittenen Brüdern ein Stück Land mit Haus gekauft. Das gelang erst, nachdem ich mit Wissen des Käufers jedem der Brüder eine halbe Million Peseten gepfötelt hatte. Jedem einzelnen schärfte ich ein, er dürfe den anderen nichts davon sagen, so wäre er der Einzige, der unterschriebe und mehr bekäme als die andern. Es hat geklappt.

So fragwürdig geht es manchmal auf dem EU-Markt zu.

Jetzt sind die Briten draußen. Sie haben nie verstanden, dass die EU mehr ist, als ein vergrößerter Binnenmarkt. Bevor wir jetzt daran gehen, die EU-Instanzen zu modernisieren, muss es gelingen, die Wirtschaft der europäischen Staaten wieder anzukurbeln. Ich sehe da besorgt auf die PIGS Staaten (Portugal Italien, Griechenland Spanien). Einen arbeitslosen Jugendlichen werden wir nie für Europa begeistern. Aber die Rattenfänger, die sich je nach nationaler Konjunktur am linken oder am rechten Rand bewegen, haben mit diesen „Vergessenen“ leichtes Spiel.

Ich bin da mit Helmut Schmidt, der einmal sagte, er sei für ein Prozent mehr Inflation, wenn damit ein Prozent weniger Arbeitslosigkeit erreicht würde. Er selbst wusste, dass das wissenschaftlich wenig fundiert war, dennoch möchte ich diesen Gedanken dem Sparkurs à la Merkel oft entgegenhalten. Sparen kann nur der, der was zum Sparen hat.

Man kann nur hoffen, dass das, was Europa in den vergangenen Tagen und Wochen erlebt hat, ein Anstoß sein wird, damit zu beginnen, wieder an Europa zu glauben und wieder an Europa zu arbeiten.

 

Die Neue Nationalgalerie in Berlin

THE BACARDI PROJECT

Als wir neulich in der Philharmonie waren, liefen wir an der Neuen Nationalgalerie vorbei. Potsdamer Straße eben. Auf unserer Abiturs Klassenfahrt im Jahr 1970 sah ich dieses Gebäude zum ersten Mal. Unser Klassenlehrer, Wolfgang Lohan, der von allen geliebte und verehrte Öppi, war in erster Ehe mit der Tochter von Ludwig Mies van der Rohe verheiratet gewesen. Wenn wir ihn in seiner Wohnung besuchen durften, lümmelten wir, ohne dies zu ahnen, auf Original Barcelona Stühlen herum.

Als wir nach Berlin kamen, besuchten wir das geniale und vollkommen diaphane Bauwerk, das nur auf acht äußeren Säulen steht. Damals fragte man sich in Berlin schon nicht mehr, ob es halten würde, vielmehr wunderte man sich, dass es trotz dieser nur acht Säulen immer noch stand. Öppi verlor kein Sterbenswörtchen darüber wir nah er dem Bauwerk im Herzen war. Es war sein Sohn Dirk Lohan, der später in Chicago die spektakulärsten Wolkenkratzer baute, der als Enkel von Mies van der Rohe sehr eng bei Planung und Ausführung beteiligt war.

Erst viel später hörte ich von der bemerkenswerten Geschichte des Baus. Im Jahr 1957 bereits hatte Mies das Baukonzept eines Museumsbaus ohne Zwischenwände mit außenstehenden tragenden Säulen geplant. Die Rum-Familie Bacardi wollte in Santiago de Cuba darin ihre Kunstsammlung aufbewahren und ausstellen. Daraus wurde aus Gründen, die wir alle kennen nichts, und so schlummerte „The Bacardi Project“ in der Schublade, bis der Schweinfurter Industrielle Georg Fischer (Kugelfischer) den Architekten bat, das Museum in Schweinfurt zu realisieren, er brauche Platz für seine Bildersammlung.

Um es kurz zu machen: Mies van der Rohe reiste nach Schweinfurt und fuhr auch gleich wieder weg. Wer will ihm das verdenken? Er wusste ganz genau, dass dieser sein Entwurf ein Jahrhundertwurf war, und den wollte er nicht in einer unterfränkischen kleinen Industriestadt verwirklicht sehen. Perlen vor die Kugellager, fällt einem dazu ein.

Die Jahre gingen ins Land und dann meldete sich die Stiftung preußischer Kulturbesitz, man brauche ein neues Museum.

Mies war begeistert, er war ja nun auch kein junger Mann mehr und da sah er in dem Berliner Angebot seine letzte Change, „The Bacardi Project“ doch noch zu verwirklichen.

Unter kräftiger Mithilfe des Enkels Dirk Lohan wurde der Bau 1968 fertiggestellt.

Bei der Einweihung, ein Jahr vor seinem Tod, hüpfte der Architekt glücklich wie ein kleiner Junge durch den riesigen Saal, während alle anderen, vorneweg der eigene Enkel, dem Frieden nicht so wirklich trauten. Es handelt sich immerhin um eine Fläche von 2.683 Quadratmetern, die, wir hörten es, nur von acht außenstehenden Säulen getragen wird.

Dirk Lohan berichtet in seinen Erinnerungen, wie er beim Einweihungsempfang stets darauf geachtet habe, dass er sich nicht unter einem der Stahlträger, sondern dort aufhielt, wo die Kassettendecke nach oben einen Hohlraum freigab. Er rechnete sich dort beim zu erwartenden Einsturz des Gebäudes bessere Überlebenschancen aus.

Es ist denkwürdig, wohin sich Dank richten kann.

Ludwig Mies van der Rohe ist tot

Wolfgang Lohan ist tot

Dirk Lohan kenne ich leider nicht

Allen bin ich dankbar

Spaniens Regierung, vielleicht.

Spaniens neue Regierung ist ein „Peutêterli“

Mit diesem wunderbaren Wort bezeichnen die Schweizer diese Gasfeuerzeuge, die mal funktionieren und mal eben nicht. Man weiss es vorher nicht.

Und so ist die angekündigte neue spanische Minderheitsregierung ein klassisches Peutêterli.

Gestern haben sich die Sozialisten auf ihrem Parteikonvent entschieden, sich bei der Investitur von Ministerpräsident Rajoy der Stimme zu enthalten, um so eine Minderheitsregierung aus „Partido Popular“ und „Ciudadanos“ zu ermöglichen.

Das wird nicht ohne Fissuren in der sozialistischen PSOE abgehen. Die Präsidentin der autonomen Region der Balearen hat schon angekündigt, dem Votum der Partei nicht zu folgen. Sie befürchtet zu Recht, dass „Podemos“ aufhören würde, ihre Minderheitsregierung in Palma zu stützen, würde sie hülfe, Rajoy im Amt zu halten. Welcher Politiker gibt schon gerne den Stuhl her, auf dem er sitzt, nur um zu ermöglichen, dass der politische Erzfeind auf seinem Stuhl bleiben kann?

So geht es nicht wenigen Regional-Baronen der PSOE. Die katalanischen Sozialisten schreien „bei drei Tag“ hebe dich hinweg, Satan. Für einen wackeren katalanischen Sozialisten ist eine Regierung der PP gleich zweimal des Teufels: Zum einen, weil die eben konservativ sind und jeder einen Großvater hat, von dem er weiß, dass er gegen den Großvater eines PP-Politikers im Bürgerkrieg gekämpft hat. Und zum anderen ist alles, was aus Madrid kommt, per se für einen Katalanen bäbä, von wegen überhaupt und so.

Nun muss man wirklich zugeben, dass es Rajoy nicht verdient hat, zum dritten Mal Premier zu werden. Während der vergangenen Legislaturperiode regierte er mit absoluter Mehrheit und hat diese politische Konjunktur in einer Weise nicht ausgenutzt, dass es jedem Student der Politikwissenschaft im ersten Semester schlecht wird. Die deutsche Presse schreibt gebetsmühlenhaft, die Rajoy-Regierung habe es geschafft, dass die Wirtschaft wüchse und die Arbeitslosigkeit sinke.

Das ist die Außenansicht.

In Spanien empfindet man diese durchaus bescheidenen Erfolge als dem Diktat von „la Merkel“ geschuldet.

Es wird schwierig werden. Wenn Rajoy wiedergewählt ist, hört das Murren unter den Sozialisten ja nicht auf.

Letztlich spült der ganze Zinnober kurzfristig der„links-alternativ-populistisch-radikalen“ Partei „Podemos“ das Wasser auf die Mühlräder.

Da mag man sich darüber freuen. Ich freue mich darüber nicht, denn Podemos ist eine neue Partei, in der – wie bei der AfD – viele mitmachen, die woanders nichts wurden. Wenn der politische Alltag beginnt, werden auch dort die innerparteilichen Auseinandersetzungen beginnen.

Es ist abzusehen, dass PSOE sich selbst verhackstückt und Podemos bei seinen Wählern an Attraktivität verliert.

Dann gewinnt PP in vier Jahren wieder die absolute Mehrheit und musste nicht durchs Fegefeuer, um dort die Sünden der Korruption zu büßen.

Das kann auch niemandem gefallen.

Erstaunlich und erfreulich ist, wie der junge König aus dieser Schlammschlacht bisher nicht nur unbefleckt sondern gestärkt herauskam.

¡Viva el Rey!

Der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee

 

Der Besuch des jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee lohnt wirklich. Es ist nicht nur ein landschaftliches und kulturelles Erlebnis. Die Visite macht auch klar, welche Rolle die Juden in Berlin gespielt haben. Mit der Unfassbarkeit der Shoah hat Deutschland nicht nur ewige Schuld auf sich geladen, es hat auch einen wichtigen Teil seiner kulturellen Vielfalt und einen sehr bedeutenden Teil seiner intellektuellen Elite verloren.

Diese Gedanken begleiten den Besucher fast zwangsläufig, während er die Vielzahl der Stelen artigen Grabsteine bestaunt. Natürlich gibt es bei der Gestaltung Moden. Es geht von filigranen schmiedeeisernen Rahmen die die Namenstafeln aus Marmor halten bis hin zu Protzbauten, die von den Stellungen preußischer Panzerhaubitzen nur schwer zu unterscheiden sind.

Und dann findet man das kleine Gedicht an „Meine Rachel“. Es hat mich sehr gerührt.

URNENFLUG

Herr Reger hatte eigentlich eine ganz gute Rente, aber es reichte hinten und vorne nicht. Das hatte einen frommen Grund, denn Herr Reger verprasste seine Rente in Briefmarken. Er sammelte sie nicht, vielmehr kaufte er sie um sie auf ungezählte Briefumschläge zu kleben, die er in alle Welt verschickte.

Herr Reger war davon überzeugt, dass er es sei, der durch hektographierte Briefe in deutscher Sprache, die diversen Kirchenfürsten der Welt zur Einheit der Christen bewegen würde.

An sich ein löbliches Unterfangen. Frau Reger war dennoch sauer. Sie fand, ihr Haus auf Ibiza, in dem das Ehepaar lebte, benötige einen neuen Anstrich, der Gartenzaun müsse gerichtet werden und außerdem wünschte sie sich seit Jahren, das Weihnachtsfest bei ihrer Tochter mit den beiden Enkeln in Deutschland verbringen zu können. Für all das reichte das Geld nicht, weil, wir erinnern uns…

Die Pfarrer der evangelischen Gemeinde auf den Balearen besuchten Regers immer, wenn einer der beiden nach Ibiza kam. Immer versuchten sie Herrn Reger zur brieflichen Kontinenz und damit zur Entlastung der Haushaltskasse zu bewegen, was dieser mit Entrüstung von sich wies, ja wähnte, die Pfarrer steckten mit den „Schismaten“ unter einer Decke.

Eines Tages stellte man bei Herrn Reger eine schwere Krankheit fest, die auf Ibiza nicht behandelt werden konnte. Er wurde nach Palma gebracht, wo er alsbald verstarb.

Die Sitzungen des Kirchenvorstandes fanden damals, wir sprechen von der ersten Hälfte der 80er Jahre, im Gemeindehaus in der Calle Joan Miró statt. Rechts eine Disco, gegenüber ein Freudenhaus, um es kurz zu machen, es war keine adäquate Lage. Heute ist das Haus verkauft, man macht dort dem F-haus gegenüber Konkurrenz.

Nach einer solchen Sitzung des Kirchenvorstandes wurde ich gebeten, Herrn Reger mit nach Ibiza zu nehmen. Mit diesen Worten wurde mir eine schwere Plastiktüte in die  Hand gedrückt. Darauf stand groß PRYCA, etwas kleiner Precio y Calidad. Das war der Vorgänger von Carrefour. Mein fragender Blick wurde belohnt, immerhin. Ja, das sei die Urne von Herrn Reger, seine Witwe erwarte ihn schon.

Am Flughafen wurde die Urne zwar durchleuchtet aber nicht beanstandet, ich hatte gehofft, man werde sie mir dort abnehmen. So kam ich mit der Urne zu Hause an. Meine Frau war nur mittelmäßig erfreut, Herr Reger wurde in der Holzlege zwischengelagert.

In Palma hatte man mir eine Telefonnummer gegeben, die aber nicht die von Frau Reger war, sondern die von Ca‘n Toni, der nahegelegenen Bar. Ich bat, auszurichten, dass am kommenden Samstag ich plus Urne bei Frau Reger erscheinen würden.

Als ich mich dem Haus näherte, wurde ich eines mehrheitlich weiblichen Empfangskomitees gewahr. Es war vorauszusehen, dass man die PRYCA Tüte als des Anlasses nicht würdig empfinden würde, und so packte ich die Urne aus und trug sie gemessenen Schrittes durch den Garten zu den wartenden Trauernden. Ich drückte das Gefäß der weinenden Frau Reger in die Hand. Nein, nein, das sei nicht Frau Reger. Man verwies mich an eine sehr gefasste, ja frohgemute Dame mittleren Alters, die die Urne nahm und mit ihr im Haus verschwand. Eine der Trauernden bat mich nun auf die Terrasse, wo ein Tisch mit üppig Kaffee und Kuchen sowie Sektgläsern gedeckt war. Frau Reger gesellte sich nach kurzer Zeit ohne Urne auch dazu und begann unter Auslassung des Kaffees gleich mit dem Sekt der Marke Segura Viudas. Sie kommentierte dies beim Einschenken so: „Segura Viudas muss reichen, die Marke Viuda Alegre gibt es nicht, und das Geld für Veuve Cliquot ist bei der Post gelandet.“

In der Muckibude

Ich geh jetzt in die Muckibude! So heißt das natürlich nicht, sondern Bewegungsstudio, denn es ist für alte Menschen gedacht. Fitness würde sie verschrecken. Es wird Rückengymnastik angeboten und es gibt auch einen Raum, in dem Kraftmaschinen stehen.

Mir wurde gesagt 50 mal pro Aparillo. Zunächst habe ich das auch brav befolgt, eins – ha, zwei –ha, drei-ha…

Nun ist es ja so, dass Männer nicht zwei Sachen gleichzeitig machen können, zum Beispiel zählen und zuhören. Deshalb war meine Zählerei ganz falsch, denn das Panoptikum, das sich da abspielt, erheischt wirklich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Zeitzeugen.

Zunächst ist da Edith. Ihr Status ist unklar, aber sie ist immer anwesend. Ich nehme an, sie ist die Putzfrau. Da sie sich zu Hause langweilt, bleibt sie halt. Manchmal bringt sie Schmantkuchen mit, damit die abgearbeiteten Pfunde ja nicht verlorengehen. Wenn der richtige Trainer nicht hinschaut, gibt sie Anweisungen wie „Schultern zurücke, Mann.“ Der Mann befolgt das sofort und verdrängt derweil die Sorgen, die er sich wegen Ediths raumgreifenden Busens gemacht hat. Wenn Edith nicht aufpasst, unterhalten sich Herbert und Fritz. Der eine war Chemiker und der andere Straßenbauingenieur. Beide hadern irgendwie mit den Zeitläuften, was ich wie folgt manifestiert:

Ick war ja inner DDR Chemiker. Nu bin ick zu Hause und schau meiner Friedel über de Schulter wennse kocht. Kochen is ja ooch ´n chemischer Vorgang. Ick sare dir eens, wenn wir inner Chemie so jearbeitet hättn, wie meine Friedel kocht, dann wär die DDR schon viel früher pleite jegang. Ick hab vasucht, ihr richtijet Arbeetn beizubiejen. Oh Jemineh, hab ich Senge bezojen! Nu bin ick hier und tu so, als wenn ick träniere. Zu Hause bin ick nich mehr jern jesehn.

Bei solchen Lebensbeichten vergisst man natürlich ruckartig das Zählen.

Es hat Auftritt eine aufgedonnerte Mitsechzigerin, Pauline. Sie dreht immer nur eine Runde auf dem Standrad und berichtet von ihren Venenproblemen. Keiner will das hören und man ist froh, wenn sie fertig ist und von hinnen rauscht.

Na det is ooch so eene. Mit de Venen hatses, aber saufen tut se wie ´n Kanalgitta. Kiek ma aussm Fensta, schon hockt se drübn inner Eckkneipe.

Edith kommt vorbei und ermahnt Herbert die Knie durchzudrücken: Keene halbn Sachn, mein Freundchn. Bist ja nich zum Quatschn hier!

Da irrt Edith, denn genau deshalb sind alle hier. Fritz wundert sich nicht, dass die Kommunen so verschuldet sind: Dett kommt daher, dat se heutzutage nüscht mehr vom Strassenabu vastehn. Haste jesehn, neulich? Vorne ne Maschine, die macht den alten Belag wech, dann kommt lange, lange nüschte, dann feechtt eena und dann kommt wieder so´n Monstrum und kackt den neuen Asphalt uff de Strasse. Hinterher kommt ooch noch ne Waltze. Mann wat soll dat denn? Wir ham dat damals mit zwee Dutzend Mann jemacht. Und wenn wa zum Fertichstellungstermin nicht allet bei Fuss hattn, hamwa noch paar von den Politschen aus Hohenschönhausen anjefordat. Dat jing allet seinen sozialistischen Gang, und jut war et!

Ja,ja, Fritz schwärmt wieda vonner jutn altn Zeit, aber die Knie beinanderhaltn det kannste nich, wa? Das war jetzt wieder Edith.

Die Gebühr von 53 € wird monatlich abgebucht. Mein Abo beim Theater hab ich abbestellt.