Mein Vater hatte einen Patensohn, Ferdinand. Als kleiner Bub bis Heranwachsender besuchte er seinen Patenonkel immer wieder. Der damals schon ältere Herr war gleichzeitig gerührt und dankbar. Das kam auch daher, dass Ferdinand immer wieder Fragen stellte, die zu beantworten, meinem Vater Spaß machte.
Wir saßen beim Mittagessen, ich war damals schon Student und eher zufällig zu Hause, als Ferdinand fragte, was denn das für komische Begriffe seien, die mit -Ismus aufhören.
Die Generation meiner Eltern war natürlich ebenso ideologisch indoktriniert, wie wir das freiwillig waren, bei ihnen war es wohl eher Zwang. Mein Vater, 1917 geboren, hatte die weltanschaulichen Kämpfe der Weimarer Republik miterlebt. Sozialismus, Kommunismus, Pazifismus, Militarismus und sein Anti-dazu, all das hatte er selbst gesehen und war dann ohne sein Zutun im Nationalsozialismus gelandet. Er war in der Nazizeit fast immer Soldat gewesen und redete sich damit heraus, die Wehrmacht sei unpolitisch gewesen, was natürlich Unsinn ist.
Es mögen die erwähnten Erfahrungen gewesen sein, die ihn zu einem entschiedenen Gegner aller Ideologien machten, besonders dann, wenn diese im Geruch der Linkslastigkeit standen. Damit einher ging eine tiefe und gelebte christliche Frömmigkeit.
Ferdinands Frage kam meinem Vater daher wie das Wasser auf die Mühle.
Er begann mit dem Absolutismus, sein Urteil war durchaus wohlwollend.
Nihilismus, wie der Name schon sagt, is nix.
Existentialismus, das ist was für französische Studenten, die in Kellern Chansons anhören.
Liberalismus, gut und schön, solange es nicht in Libertinage ausartet.
Pazifismus, funktioniert nicht.
Sozialismus, immerhin gibt es ein paar fromme Sozis, sonst aber abzulehnen.
Kommunismus, die wollen uns enteignen, das Feindbild schlechthin, schau doch in die DDR.
Atheismus, arme Menschen, denn sie wissen nicht, was ihnen entgeht.
Panslawismus, hat zum ersten Weltkrieg geführt.
Calvinismus, verirrte Abweichung von Luther, wie der -ismus schon zeigt.
Egoismus, nur erlaubt, wenn es „gesunder Egoismus“ ist.
Arianismus, wie kann man sich wegen eines Jota streiten?
Terrorismus, Bader-Meinhof.
Fanatismus, na das erklär ich doch, alle Ismen sind Fanatismen.
Feudalismus, naja, das ist mal eine Ausnahme, da stecken ja schließlich die Wurzeln der Familie. Ohne den Feudalismus gäbe es das Rentweinsdorfer Schloss nicht!
Optimismus, ganz schlecht, Die optimistischen Offiziere haben ihre Soldaten oft ins Unglück gestürzt.
Expressionismus, seit wann sind Pferde blau?
Zynismus, da schau den Hans an, der ist ein Zyniker.-(Ich bin überzeugt, dass Ferdinand bis heute denkt, Zyniker sei ein etwas dicklicher brillentragender Student.)
Er beschloss seine Litanei damit, dass die Anhänger der -Ismen eben der Sozial-ist, der Pazif-ist oder der Ego-ist und so weiter am -Ist am Ende erkennbar seien.
Hast du das verstanden, Ferdinand?
Während der Bub überlegte sagte ich in die Stille hinein:
„Und der Chr-ist“.
In den Augen meines Vaters war ein Zornesblitzen zu ahnen, Ferdinand aber lachte.