Ferdinand und die Ismen

Mein Vater hatte einen Patensohn, Ferdinand. Als kleiner Bub bis Heranwachsender besuchte er seinen Patenonkel immer wieder. Der damals schon ältere Herr war gleichzeitig gerührt und dankbar. Das kam auch daher, dass Ferdinand immer wieder Fragen stellte, die zu beantworten, meinem Vater Spaß machte.

Wir saßen beim Mittagessen, ich war damals schon Student und eher zufällig zu Hause, als Ferdinand fragte, was denn das für komische Begriffe seien, die mit -Ismus aufhören.

Die Generation meiner Eltern war natürlich ebenso ideologisch indoktriniert, wie wir das freiwillig waren, bei ihnen war es wohl eher Zwang. Mein Vater, 1917 geboren, hatte die weltanschaulichen Kämpfe der Weimarer Republik miterlebt. Sozialismus, Kommunismus, Pazifismus, Militarismus und sein Anti-dazu, all das hatte er selbst gesehen und war dann ohne sein Zutun im Nationalsozialismus gelandet. Er war in der Nazizeit fast immer Soldat gewesen und redete sich damit heraus, die Wehrmacht sei unpolitisch gewesen, was natürlich Unsinn ist.

Es mögen die erwähnten Erfahrungen gewesen sein, die ihn zu einem entschiedenen Gegner aller Ideologien machten, besonders dann, wenn diese im Geruch der Linkslastigkeit standen. Damit einher ging eine tiefe und gelebte christliche Frömmigkeit.

Ferdinands Frage kam meinem Vater daher wie das Wasser auf die Mühle.

Er begann mit dem Absolutismus, sein Urteil war durchaus wohlwollend.

Nihilismus, wie der Name schon sagt, is nix.

Existentialismus, das ist was für französische Studenten, die in Kellern Chansons anhören.

Liberalismus, gut und schön, solange es nicht in Libertinage ausartet.

Pazifismus, funktioniert nicht.

Sozialismus, immerhin gibt es ein paar fromme Sozis, sonst aber abzulehnen.

Kommunismus, die wollen uns enteignen, das Feindbild schlechthin, schau doch in die DDR.

Atheismus, arme Menschen, denn sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

Panslawismus, hat zum ersten Weltkrieg geführt.

Calvinismus, verirrte Abweichung von Luther, wie der -ismus schon zeigt.

Egoismus, nur erlaubt, wenn es „gesunder Egoismus“ ist.

Arianismus, wie kann man sich wegen eines Jota streiten?

Terrorismus, Bader-Meinhof.

Fanatismus, na das erklär ich doch, alle Ismen sind Fanatismen.

Feudalismus, naja, das ist mal eine Ausnahme, da stecken ja schließlich die Wurzeln der Familie. Ohne den Feudalismus gäbe es das Rentweinsdorfer Schloss nicht!

Optimismus, ganz schlecht, Die optimistischen Offiziere haben ihre Soldaten oft ins Unglück gestürzt.

Expressionismus, seit wann sind Pferde blau?

Zynismus, da schau den Hans an, der ist ein Zyniker.-(Ich bin überzeugt, dass Ferdinand bis heute denkt, Zyniker sei ein etwas dicklicher brillentragender Student.)

Er beschloss seine Litanei damit, dass die Anhänger der -Ismen eben der Sozial-ist, der Pazif-ist oder der Ego-ist und so weiter am -Ist am Ende erkennbar seien.

Hast du das verstanden, Ferdinand?

Während der Bub überlegte sagte ich in die Stille hinein:

„Und der Chr-ist“.

In den Augen meines Vaters war ein Zornesblitzen zu ahnen, Ferdinand aber lachte.

 

 

 

Sprachschwierigkeiten

Auf Ibiza hat man keine Nachnamen, deshalb bekamen, den Ibizencos gleich, auch deutsche Residenten einen Beinamen:

Der Objekte Horst schuf mit den Korken der ausgetrunkenen Flaschen Kunstwerke, der Friedhofs Klaus wohnte dort, es gab den Sülzen Hans, die Dackel Marta, die mit dem Kneipen Rolf zusammenlebte, die (hinter ihrem Rücken) Schuppen Agnes und den Schnittlauch Friedhelm. Letzterer versuchte den Insel-Markt mit Schnittlauch zu überschwemmen, was aber an Bodenbeschaffenheit und Klima scheiterte.

Alle vereinte sie, dass sie fanden, spanisch müsse man nicht lernen.

Ich war einer der wenigen deutschen Residenten, der spanisch sprach und wurde daher öfters zu niederen Übersetzungsdiensten missbraucht.

Eines Tages kam die Dackel Marta zu mir und bat, ihr zu helfen. Es kratze sie und sie müsse zum Frauenarzt. „Aber spanisch kann ich nicht und der Rolf darf nichts davon erfahren.“

Ich habe zwar einen Bruder, der Gynäkologe ist, bin aber fachlich nur insoweit eingeweiht, als er mich am Telefon übersetzen lässt, wenn peruanische Prostituierte bei ihm zur Reihenuntersuchung zwecks Erhalts des „Bockscheins“ kommen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse würden mir helfen, dachte ich, und so machten wir uns auf den Weg gen Ibiza Stadt. Der Dackel blieb zu Hause.

Doctor Eguineche hatte eine Riesenpraxis in der Avenida España. Wie bei Zahnärzten reihte sich Behandlungszimmer an Behandlungszimmer.

Marta wurde aufgefordert, sich frei zu machen und sich auf den gynäkologischen Stuhl zu setzen, was sie auch tat. Ich versuchte, mich möglichst am Kopfende aufzustellen und bemerkte, dass die Tür zum Gang offen war. Ich schloss sie. Sofort wurde sie von der Arzthelferin wieder aufgerissen „Hay mucho perverso aquí“ blaffte sie mich an.

Ich riet nun der Dackel Marta, sich normal hinzusetzen, denn der gynäkologische Stuhl war auf den Gang hin ausgerichtet.

Nach einer halben Stunde Wartens kam Doctor Eguineche und wollte wissen, ob ich der Ehemann sei. Nein, nur der Übersetzer. Ich aber wollte wissen, weshalb die Patientinnen der unwürdigen Prozedur der offenen Tür unterworfen würden, worauf er nur murmelte, ibizencische Ehemänner seien sehr eifersüchtig.

Nun gut, ich blieb bei meiner Stellung, der Kopfendenstellung, und erfuhr, dass eine Paarbehandlung notwendig sei. Der Arzt übergab mit ein Rezept mit der Mahnung, den Ehemann zu instruieren.

Auf der Fahrt übersetzte ich noch einmal, was Doctor Eguneche gesagt hatte. Die Dackel Marta wurde immer kleinlauer.

„Der Rolf darf davon nichts erfahren, das hab ich doch beim Reusen Fritz aufgelesen.“ Auch er war Künstler, benutzte allerdings Reusen statt Flaschenkorken.

„Es nützt aber nichts, wenn dein Rolf nicht mitmacht, sonst steckt ihr euch nur andauernd gegenseitig an.“

„Aber mach es schonend, der Rolf weiß nichts von meinem Besuch beim Frauenarzt.“

Am nächsten Tag suchte ich Rolf zu einer Zeit in seiner Kneipe auf, zu der ich annahm, wir würden allein sein. Ich erzählte ihm die Geschichte, dass es die Dackel Marta gezwickt habe und dass ich zwecks Übersetzung mit ihr zum Arzt gefahren sei. Und nun sei eben eine Paarbehandlung notwendig und da sei es wichtig, dass er mitmache.

„Ich hab’s doch gewusst…“ brach es aus ihm heraus. Er schimpfte auf die Frauen und zu meiner Anfangs-Verwunderung ganz besonders auf die Schuppen Agnes.

„Bei der hab ich das doch aufgelesen“, beschloss er seinen Ausbruch.

„Sag bloß der Marta nix davon, ich werd ihr das schon irgendwie verklickern, unser Brunnen führt kein gutes Wasser oder sowas, mir wird schon was einfallen.“

Tage später fragte mich die Dackel Marta, wie ich das denn mit dem Rolf hinbekommen hätte. Der sei ganz friedlich, nett wie nie, und die Partnertherapie mache er auch ganz brav mit.

 

 

 

Schöne Aussichten!

Renzi scheitert mit seinem Referendum und tritt ab.

In Österreich wird Hofer gewählt.

Le Pen schafft es nicht nur in die Stichwahl, weil das alte Bündnis „alle gegen den Front National“ diesmal nicht mehr funktioniert.

Theresa May merkt, dass das mit dem Brexit fast unmöglich ist. Ihre Regierung wackelt.

Die spanische Regierung scheitert.

In Berlin reicht es wieder nur zu einer großen Koalition.

Die apokalyptischen Reiter rasen durch meinen Kopf. Ich will ja nicht behaupten, dass all diese möglichen Entwicklungen Folge des Aufatmens des totgeglaubten Rechtsnationalismus sind. Aber ohne die Wahlerfolge der AfD in Deutschland, der SVP in der Schweiz, der PIS in Polen und der Fidezs in Ungarn bräuchte ich mir obige Sorgen gar nicht zu machen. Diese Wahlerfolge haben „Rechts-Speech“ wieder salonfähig gemacht. Was vorher die Bande frommer Scheu verhinderten, ist plötzlich möglich: Andersdenkende, Ausländer, Randgruppen werden wieder angepöbelt, Bedrohungen übelster Art sind an der Tagesordnung. Und dann gewinnt auch noch der Trump!

Ich hatte zunächst gedacht, Vernunft, bessere Erklärungen, auf einander Zugehen, Dialog, halt das ganze Bündel an Gutmenschmethoden, die wir seit Jahrzehnten durchaus erfolgreich mit uns herumgetragen haben, würde auch diesmal wieder wirken.

Auch diesmal? Ich bemerke mit Schrecken, dass es auch vorher nicht gewirkt hat. Wir haben uns im demokratischen mehr oder weniger Verstehen, im gleichmacherischen „du darfst ja alles sagen“ und in der so geliebten intellektuellen Augenhöhe wohl gefühlt. Wir haben nicht gemerkt, dass wir schon seit Jahrzehnten an denen vorbeireden und -regieren, die bisher resigniert das Maul gehalten haben.

Jetzt ist das, was diese Mitbürger schon immer sagen wollten wieder salonfähig geworden und nun tragen sie es auch in diesen Salon.

Eine skurrile Tante von mir, beschloss immer ihre skurrilen, ja abwegigen Äußerungen mit der Bemerkung: „Man wird ja noch mal was sagen dürfen.“ „Nein, darf man eben nicht!“ brüllten wir zurück, die alte Dame war stocktaub.

Nun sind wir so weit, dass man allgemein „noch was wird sagen dürfen.“

Wir kommen zu spät mit unseren Überlegungen, wie man die Vergessenen wieder ins Boot holen kann. Die wollen gar nicht mehr rein.

Ich habe daher das sehr ungute Gefühl, dass auf absehbare Zeit unsere europäischen Demokratien brauner werden und ich hege starke Zweifel, ob sie das aushalten werden.

In der nächsten Legislaturperiode werden sich nahezu alle europäischen Parlamente mit radikalen Neulingen herumschlagen müssen, seien es im Süden linke Radikale, seien es im übrigen Europa rechte Radikale.

Ich hatte die Hoffnung, dass AfD und Konsorten an ihrer eigenen Unfähigkeit scheitern würden. Offenbar haben sie das unterdessen selbst gemerkt, und nehmen sich organisatorisch am Riemen.

Das macht alles noch viel gefährlicher.

Der Hölle Bein im Advent

Wenn die Kinder, deren Eltern beim Kufi schafften, Schlitten fahren durften, mussten wir die Weihnachtsgeschichte „auserlawendich“ lernen. Für die Kugelfischer Kinder wurde in Ebern eine Weihnachtsfeier organisiert, von der sie mit Geschenkkörben nach Hause kamen, da büffelten wir nach immer: „Und du Beddlehem efraada…“

Unser Krippenspiel fand nur wenige Tage vor Weihnachten statt, während beim Kufi die Weihnachtsfeier schon Mitte Dezember abgehalten wurde.

Meine Mutter studierte mit den Kindern derer, die bei uns in Forst, Landwirtschaft oder Brauerei arbeiten, jedes Jahr ein Krippenspiel ein, das sich textlich auf den alttestamentarischen Prophezeiungen und der Weihnachtsgeschichte aufbaute.

Ich kann bis heute alles auswendig, allerdings auf fränkisch. Meine Kinder finden es natürlich mega-peinlich, wenn ich das Weihnachtsoratorium im Dialekt mitsinge.

Meine Freunde lernten die ihnen zugedachten Rollen sowieso auf fränkisch, sie konnten ja nichts Anderes. Ich lernte „mei Sprüchla“ absichtlich auf fränkisch, nur um meine Mutter zu ärgern und um mich zu amüsieren.

Ihr alljährlicher Kampf gegen „der Hölle Bein“ war aber auch wirklich eine sich wiederholende Kabarettnummer.

Es gab eine ganz klar geregelte Karriereleiter: Man fing an als Engel ohne Kerze, dann mit und später wurden die Mädchen Verkündigungsengel, die von den Moabitern und den Söhnen Sets berichteten, von den Ländern Sebulon und Naftali. Das war, als täte sich vom Baunachgrund ein Fenster in die weite Welt auf.

„Wer sänn denn die Moabiddä, Frau Baron?“ „Das sind die Feinde der Kinder Israel, und die sind die Guten.“

Wir wussten nicht, was Feinde waren, aber wir wussten, wer die Bösen waren, nämlich die Russn. Halbwegs böse waren auch die Spieler vom FC Gerach oder die gefürchteten Gegner aus Baunach. Aber Feinde hatten wir nicht, wollte man mal von den Idioten aus dem Oberdorf absehen.

Als Bub wurde man vom kerzenhaltenden Engel zum Hirten befördert. Als solcher stützte man sich auf einen Hirtenstab und schaute hütend auf eine Bank, über die ein Schafspelz gelegt worden war.

„Und es waren Hirdden in der selben Gechend auf den(!) Felde bei den Hürdden, die hüdeden des Nachds ihre Herte. Und siehe, des Herrn Engel drad zu ihnen und die Glarheid des Herrn leuchdede um sie. Und sie füchdeden sich sehr.“

Das waren machtvolle Worte, die der Hirte dem Publikum zurief: Vor den Zuschauern hatten alle noch mehr Respekt als vor der Barona, weil im Saal ja auch die eigenen Eltern saßen. Wehe man blieb stecken, dann erhob sich die Faust des Vaters, der dem Steckenbleiber „kumm ner ham, Fregger“ entgegenschleuderte.

Eine Sonderkarriere war es, Maria sein zu dürfen. Sie hatte nichts aufzusagen, ebenso wie ihr Josef stumm blieb. Seine Rolle war allerdings unbeliebt, weil er wegen der Nähe zur Mutter Gottes sofort in den Ruf des „Mädlesschmeggers“ kam, und das war so ungefähr das Schlimmste, was einem pubertierenden Buben passieren konnte.

Für Jungs war es karrieremäßig mit einem der Könige aus. Die kamen naturgemäß erst am Ende der Vorstellung „comme par hazard“ hinter einem Vorhang hervor. Sie hatten nichts zu sagen, sondern breiteten nur ihre Schätze aus.

Dennoch waren sie meiner Mutter alljährlich ein Dorn im Auge. Hinter dem Vorhang langweilten sie sich natürlich gottsjämmerlich und erschienen regelmäßig mit zerknautschter Krone und verwischter Gesichtsbemalung vor dem erwartungsvollen Publikum.

Alle sangen „Oh du fröhliche…,“ jeder bekam eine Tüte mit Kaffee, Schnaps, Bläztla und Lebkuchen. Die Mädchen bekamen a Bubbn mid an Beddigoo und die Buben a Audola.

Weihnachten konnte kommen.

 

Der Apostel Paulus und die Homosexualität

Neulich schrieb ich darüber, dass auch für Christen der Grundsatz gilt, dass an oberster Stelle die Menschenrechte stehen und danach erst die Gesetze, Ge- und Verbote aus der Bibel.

Ich habe damals den ersten Korinther Brief, Kapitel 6 Vers 9 nachgelesen, der immer wieder dazu herangezogen wird, um darzutun, das Christentum verbiete die gleichgeschlechtliche Liebe.

Ich hoffe, der Leser wird sich ebenso amüsieren, wie ich es seither tue.

Ich zitiere mal den Bibelvers:

„Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht erleben werden? Lasst euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes erleben.“

Wenn man mal hochrechnet, wie hoch der Prozentsatz der Gesamtbevölkerung Ehebrecher, Diebe, Trunkenbolde oder Lästerer sind, dann sind die Homosexuellen eine relativ unwichtige Menge.

Da wird es im Himmel ziemlich langweilig, weil fast niemand dorthin kommt, ich zum Beispiel schon aus zwei Gründen nicht: Erstens lästere ich sehr gerne und zweitens trinke ich zu viel Wein.

Ganze Berufszweige sind vom Reiche des Herrn ausgeschlossen, zum Beispiel Bankiers, deren Götze das Geld ist, die Bewohner einiger Landstriche werden es schwer haben, ich denke da nur an den Geiz der Schwaben, der Katalanen und der Schotten. Da gehen doch die paar Lustknaben und Knabenschänder in der Masse unter!

Aber es ist mal wieder typisch: Im berechtigten Vertrauen darauf, dass eh niemand die Bibel in die Hand nehmen wird, um nachzulesen, was da behauptet wird, postulieren interessierte Kreise seit Jahrzehnten, das Christentum verbiete Homosexualität und vergessen all die anderen, die auch „verboten“ werden. Das ist natürlich hochgradiger Mumpitz, denn würde man den Bibelvers ernstnehmen, beraubte sich der gute Paulus mit einem Satz seiner gesamten Klientel: Der hebe den Finger, der im Lauf seines Lebens nicht irgendeines der oben genannten Ausschlusskriterien erfüllt hätte.

In Franken wird ein herrlicher Witz erzählt, wo jemand in den Himmel kommt und vom „Bedrus“ empfangen wird. Der sagt ihm, dass er machen könne, was er wolle, nur um 8 zum Frühstück, um 12 zum Mittagessen und um 19 Uhr zum Abendessen müsse er in den Speisesaal kommen. Dort ist er immer allein und bekommt nur einen Apfel. Nach drei Tagen beschwert sich der fromme Mann und will wissen, wenn er schon so schlecht behandelt werde, wie es dann in der Hölle zuginge. Petrus öffnet eine Klappe und man sieht in den Speisesaal der Hölle, wo Bratwürschd, Kalbsnierenbraten und Klöß aufgetischt werden, dass sich die Tische biegen. Ja, warum er denn das nicht auch bekäme, zumal er doch ein gottesfürchtiges Leben geführt habe, für das er im Himmel belohnt werden müsse etc.pp.

„Bedrus“ antwortet: „Ja, wäche aan, schürn mir die Küchn ned a!“

 

Der Mensch lebt fei ned vom Brot allein

Pausenhof in Rentweinsdorf, einem kleinen Ort in Unterfranken. Im Religionsunterricht war die Versuchung Jesu durchgenommen worden und der Heiner meinte: „Des find ich für gemein, wie der Deufl immer den Jesus ärcherd.“ Worauf die Renade nur sagte: „Noja, lass na doch sei Frääd“, zu Deutsch, lass ihn doch, wenn es ihn freut.

Als ich noch ein Kind war, umgab uns der christliche Glaube von allen Seiten. Im Dorf gab es einen alten Mann, der das Neue Testament auswendig konnte und die Psalmen rückwärts. Besonders Letzteres wurde als Beweis seiner Frömmigkeit gewertet. Tischgebete und das Abendgebet waren Konstanten. Stoßgebete, „mach dass die Mutter nix merkt“ waren häufig aber unregelmäßig notwendig. Vor dem Schlafengehen las unsere Großmutter vor, manchmal Märchen, manchmal aus der Kinderbibel. Da verschwamm Manches und in der kindlichen Phantasie formte sich aus zwei Geschichten eine neue, zum Beispiel Goliath und das tapfere Schneiderlein.

Mein ganzes ästhetisches Empfinden war geprägt von der Schnorr von Carolsfeld´schen Kinderbibel. Das führte auch zu ersten Glaubenszweifeln, denn als wir die zehn Gebote mit Ausleechung von Dogdä Maddin Luddä durchnahmen, kam mir meine bebilderte Kinderbibel als flagranter Verstoß gegen das Bildnis Verbot vor. Mein Vater sagte, das sei schon in Ordnung. Als Jurist lernte ich dann, was das bedeutet: Gesetzesauslegung gegen den Wortlaut.

Die Dreieinigkeit war natürlich ein Buch mit sieben Siegeln. Mir genügte der liebe Gott vollkommen, zu dem betete ich und von dem wusste ich, dass er mich behütete, wenn ich nachts Angst hatte. Jesus war irgendwie auch wichtig, aber das reduzierte sich darauf, dass es ohne ihn kein Weihnachten gäbe. Und überhaupt, es gab ja nicht nur drei wichtige Instanzen sondern derer vier: Gott, Jesus, der Heilige Geist und die Patronatsfamilie. Für die wurde an jedem Sonntag gebetet und ich dachte auf gut fränkisch „des wird aa scho sowas sei.“ Irgendwann fragte ich und erfuhr zu meinem namenlosen Erstaunen, dass die Patronatsfamilie „wir“ waren. Damals gab es noch das Kirchenpatronat, ein allerletzter Rest aus feudalistischer Zeit. Der Patron, mein Großvater, später mein Vater, bestimmte den Ortspfarrer und wenn der zu lange predigte, fand es mein Großvater noch für angebracht, laut „Amen“ zu sagen, worauf die Predigt abrupt endete. Für die Patronatsfamilie wurde zwar gebetet, aber in erster Linie saß sie im „Baronsstall“, einem opulent mit Stuck verziertem Zimmer dessen Fenster sich zur Kanzel hin öffneten. Harte Kirchenbank? Von wegen: wir saßen auf gepolsterten. Stühlen.

Den Kindergottesdienst hielt meine Mutter. Einmal sollten wir biblische Geschichten nacherzählen. Es ging um das Damaskus Erlebnis des Apostels Paulus. Ludwig, wir nannten ihn Lubber, wurde aufgerufen und erzählte, als handele es sich um einen Abenteuerroman: Wie der Baulus nüber auf Damaskus gariddn ist, hat’s auf a mol an Schloch gedahn, und den Baulus hat‘s vo sein Gaul runderghiem. Und wie er sich a wengla berabbld hat, hat na fei a Stimm gfreechd: „Saulus, warum lässt Du elender Fregger mich ned in Ruh?“ Damals hadder sich nämlich nuch Saulus gschriem. Und da had der Saulus erschdamol gfreechd, wer denn da zu na spricht. Und do is wieder die Stimm kumma und had geschd: „Ich bin dein Herr und Meistä und du sollst mich endlich nimmer verfolchn!“  Und da hod sich der Saulus wieder hiegaleechd, wo er doch grad erscht aufgstanna war und hat sich bekehrt. Und drum haasd er etzert Baulus.

Und dann war da noch die Geschichte mit dem Tschona. Er hieß eigentlich John und man munkelte, sein Vater sei zwar Ami aber auf und davon. Im Kindergottesdienst mühte sich meine Mutter ab, uns nach Matthäus 4,4 klarzumachen, dass es nicht nur materielle Speise für den Menschen gäbe, sondern dass auch Gottes Wort für sein Wohlergehen notwendig sei. Da merkte sie, dass der Tschona schlief. Sie rief ihn auf:
„Tschona, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, wie geht’s weiter?

Der Tschona erhob sich schwerfällig und nach einigem Nachdenken sagte er: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern er braucht Fleisch auch.“

Meine Mutter ging zur Schnappatmung über, aber wir fanden dass der Tschona da etwas sehr Vernünftiges gesagt hatte.

Villa, Yacht und Adelstitel

Von Zeit zu Zeit wird es notwendig, daran zu erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor eine Republik ist.

Diese Tatsache teilt sich dem Mitbürger nicht sofort mit, die die sogenannte „Yellow Press“ am Leben hält, indem er sie liest.

Danach scheint nichts wichtiger zu sein, als irgendeinen Adelstitel oder ersatzweise eine geliftete Prinzessin herumführen zu können, wobei bei Letzterer die Tatsache des stattgehabten Liftings meist leichter feststellbar ist, als die Echtheit des Titels.

Der Adel ist eine typische Klassengesellschaft. Ganz oben rangieren die sogenannten regierenden Häuser, die dies entweder noch heute tun oder bis 1918 vorgaben dies zu tun, das ist die erste Abteilung. In der zweiten Abteilung tummeln sich Fürsten, Prinzen und Grafen, die bis 1806 Herrscher über ein souveränes Duodezländle waren. Die sind allesamt auf Napoleon schlecht zu sprechen. In die dritte Abteilung stürzt der aus den vorherigen Klassen ab, der sich nicht gesetzestreu verhalten hat. Damit ist nicht unbedingt Scheckbetrug gemeint, sondern die Tatsache, dass er – horribile dictu – bürgerlich geheiratet hat. Alle drei Abteilungen tragen eine geschlossene Krone über dem Wappen.

Einfachere Grafen haben dort eine offene Krone mit neun Zacken, während sich Barone mit einer noch offeneren Krone, sie hat nur sieben Zacken, begnügen müssen. Barone erkennt man auch daran, dass sie Freiherrn heißen. Schließlich gibt es noch den Briefadel, der trägt nur ein „von“ vor dem Nachnamen und deren Mitglieder tun sich schwer in dem Geschäft, auf das wir nun zu sprechen kommen:

Es gibt nämlich noch einen sozusagen republikanischen Adel. Auch in ihn wird man durch einen Akt der Liebe aufgenommen, allerdings spielt sich dieser nicht im Schlafgemach der hochherrschaftlichen Eltern ab, sondern auf dem Girokonto eines verarmten Prinzen, Fürsten oder Herzogs. Man ahnt es, wir sprechen von der Adoption. Durch diesen Rechtsakt übernimmt der oder die Adoptierte rückwirkend von Geburt an den Nachnamen des durch Geld in elterlicher Liebe Entflammten. Der Vorname aber bleibt, und das ist verräterisch: Leopold, August, Eitel Heinrich und natürlich Ludwig, da rauscht der Hofball durch die Gehörgänge. Was aber soll man zu Karl-Heinz, Klaus-Jürgen, Thorsten, Uwe oder Finn sagen? Da fällt einem Baggerführer, Friseur oder Tankwart ein.

Ich gebe zu, Hans ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber ich mosere ja auch nur aus dem Sumpf des Baronats heraus.

Und nun treffen auf jedem Empfang, Presseball oder sonstigem „event“, höchst vornehme Herrschaften auf vornamentliche verdächtige Verwandte. Zu deren Graus sagen Karl-Heinz &Co „Mahlzeit“, klopfen an offene Türen oder, was fast noch unangenehmer ist, sie sind schlicht kriminell.

Glücklicherweise ist die hier dargelegte „Problematik“ der Mehrheit schnurz, denn der Adel entbehrt in einer Republik nicht nur einer Funktion sondern auch jedweder Berechtigung. Die Faszination des adelig Seins reduziert sich für den, der es ist, auf eine unübersichtlich große Verwandtschaft und einen Lodenmantel samt Jagerhuat im Schrank.

Weshalb, so fragt man sich, gibt es Menschen, die für so was bereit sind, Geld auszugeben? Es ist ja gerade das höchste Gut in einem Rechtsstaat, Bürger sein zu dürfen.

Die Erklärung wird wohl im seichten Gewässer des Angebertums zu finden sein. Wir leben in einer Möchtegern Gesellschaft, in der Villa, Yacht, Auto und neue Blondine etwas gelten. Und wenn man das alles schon hat, dann legt man halt noch mit einem adeligen Nachnamen nach.

Zefix aber auch das mit den Vornamen!

Was tun? (vier Tage später)

Wenn man einem unterfränkischen Bauern, der gerade seine Zuckerrüben erntet, vom bedingungslosen Grundeinkommen erzählt, dann lässt der die Hunde von der Kette. Für alle, die ihr Lebtag hart gearbeitet haben, ist die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen ein typisches Hirngespinst urbaner, universitärer linker Spinner, die schon immer von „Staatsknete“ gelebt haben.

Wirklich?

Wenn die Ereignisse in den USA zu etwas gut waren, dann dazu, dass sich ausnahmslos alle fragen, wie es jetzt weitergehen soll. Die Wahlen in Mäc Pom, der Brexit, die FPÖ und nun Trump machen deutlich, dass es kein „weiter so“ geben wird.

Die Vergessenen werden wiederentdeckt. Und da sage noch einer, Wahlen wären Augenwischerei! Denn sie wären nicht wiederentdeckt worden, wären diese vernachlässigten Bürger nicht zur Wahl gegangen und hätten etwas Ungeheuerliches getan: So zu wählen, wie wir es nicht wollten!

Neulich habe ich geschrieben, Bildung sei das Rezept um diesen Teil des Wahlvolkes von den Radikalinskis abzuhalten. Da bin ich wohl voll in meine eigene intellektuell-bornierte Falle gelaufen. Bildung ist nur ein langfristig richtiges Ziel.

Und die, denen es jetzt mies geht? Sollen wir sie warten lassen?

Wir müssen nachdenken und wir dürfen keine Denkverbote haben.

Man mag einwenden, dass es für jemanden, der jetzt schon in der dritten Generation Hartz IV bekommt, egal ist, ob das, was er bekommt in Zukunft „bedingungsloses Grundeinkommen“ heißt. Es wird darüber aber vergessen, dass in den kommenden Jahren Automaten, Computer und Dinge, die noch gar nicht erfunden worden sind, vielen, die heute noch einen Job haben, die Arbeit abnehmen werden.

Wir müssen auf jeden Fall umdenken. Bedingungsloses Grundeinkommen? Mag ein Irrweg sein. Wir wissen es nicht. Aber wir sollten beginnen, diejenigen, die dieses Modell propagieren, nicht weiterhin als linke Spinner mit Affinität zum Rumsitzen ab zu tun.

Die Zeitläufte sind zu erschreckend, als dass wir es uns erlauben könnten, so zu tun, als bestünde kein Handlungsbedarf.

Ganz Alte erinnern sich noch daran, wie die Deutschen einem Mann mit Schnurbart hinterhergerannt sind, weil er Arbeitsplätze schaffte und versprach, die Schmach von Versailles zu sühnen. Hätte Hitler englisch gesprochen, Goebbels hätte für ihn folgenden Spruch erfunden:

Make Germany Great Again!

Was nun? (10.11.2016)

Alles wird schwieriger, alles wird weniger vorhersehbar, ach es ist ein Jammer!

Wenn man die in den Medien geäußerten Meinungen verfolgt, dann gewinnt man den Eindruck, die Welt wisse nicht, wohin sie nach Trumps Sieg den nächsten Schritt setzen soll.

Versuchen wir’s:

Wir wissen, dass Trump viele Menschen gewählt haben, deren Jobs ins Ausland gelagert worden waren, die von der Politik vernachlässigt worden waren und die in besseren Zeiten Tätigkeiten nachgegangen waren, bei denen keine hohen Anforderungen an die Bildung gestellt wurden.

Gegen die Abwanderung der Jobs können wir wenig tun, denn Venezuela zeigt es, sich den ökonomischen Tatsachen in den Weg zu stellen, bringt es nicht.

Natürlich können wir unsere Politiker dazu aufrufen, sich um die Vergessenen zu kümmern, aber ob das helfen wird, zumal wenn wir mal genau hinschauen, wer denn unsere Politiker sind?

Clinton (Bill) hatte hinter seinem Schreibtisch ein Schildchen aufgehängt, auf dem stand als Erinnerung „It’s the economy, stupid!“

Das sollte ihn daran erinnern, dass nichts gut funktioniert, wenn nicht der Rubel rollt. Offenbar hat er sich den Aufruf zu Herzen genommen, denn seine Präsidentschaft war wirtschaftlich äußerst erfolgreich.

In der globalisierten Welt kann man als nationaler Politiker wenig tun, um das fine-tuning der Weltwirtschaft zu beeinflussen. Helmut Schmidt hatte das erkannt und sich kühn zum ersten Weltökonomen aufgeschwungen.

Allerdings gibt es eine Zutat der Suppe, die zu Trumps Erfolg führte, die jeder einzelne Politiker, vom Bürgermeister bis ganz oben, allein, souverän und erfolgreich beeinflussen kann:

IT’S THE EDUCATION, STUPID!

Bildung bleibt am Menschen sein ganzen Leben kleben. Man kann Bildung nicht wie Arbeitsplätze wegrationalisieren oder auslagern.

Aber man kann Bildung nutzen, um die wegrationalisierten oder ausgelagerten Arbeitsplätze durch qualifiziertere zu ersetzen. Wenn die Jobs, die wenig Bildung brauchen, wegfallen, muss man halt die Bildung anheben, um die Menschen in die Jobs zu bringen, die höhere Qualifizierung voraussetzen.

Es muss gelingen, den Vergessenen, den Bildungsfernen und den Arbeitslosen in der dritten Generation die Gewissheit zu geben, dass es sich lohnt, sich ausbilden zu lassen.

Gebildete haben nicht als einziges Argument den ausgestreckten Mittelfinger, auch laufen sie nicht montags Demagogen hinterher. Wenn unsere demokratischen Regierungen in Europa das nicht erkennen, dann wird die Trump‘sche Saat auch in Europa aufgehen und statt der ersten Frau als US Präsidentin werden wir in Paris die erste Madame la Présidente erleben (von anderen ganz zu schweigen).

 

Stassbourg im Mai 1871

Nun gehörte Elsass-Lothringen schon zwei Monate zum Deutschen Reich, da wurde Monsieur La Garde, ins Hauptquartier berufen.

„Herr La Garde“, begann der Kommandant, „wie Sie wissen, sind Sie jetzt Untertan seiner Majestät des Kaisers. Ich frage mich, weshalb sie nach wie vor auf Ihrem französischen Namen beharren.“

„Monsieur le Commandant, ich will Ihnen mein Problem erklären. Seit Jahrhunderten heißt meine Familie La Garde. Wir sind stolze Elsässer. Als solche sind wir an die Wechselhaftigkeit der Zeitläufte gewohnt, unser Familienname aber ist geblieben.

Denn sehen Sie, wenn ich jetzt meinen Namen eindeutsche, werde ich Wache heißen. Dann, Sie werden verzeihen, kommen die Franzosen zurück, und man wird mich „Vache“ nennen.

Dann kommen die Deutschen zurück und ich werde Kuh heißen.

Dann kommen, Sie werden verzeihen, die Franzosen zurück und mein Name wird Cul sein.

Und wenn abermals die Deutschen zurückkommen, dann werde ich Arsch heißen.

Quand même, Monsieur le Commandant!