Schirm und Mund halten

Die männlichen Glieder der Familie Rotenhan haben sich militärisch fast nie hervorgetan. Schön brav zu Hause blieben sie im Dreißigjährigen Krieg, wurden aber in dessen Folge, sehr zu meinem Ärger, evangelisch. Das war politisch opportun, sonst aber nichts.

Auch in den napoleonischen Kriegen tat sich niemand militärisch hervor, man trauerte der verlorenen Reichsunmittelbarkeit und dem verlorenen „Souveränitätl“ nach. Offenbar war das Beschäftigung genug.

Die Bedeutungslosigkeit der Familie Rotenhan ist geradezu legendär. Mein Vater redete sich die Sache schön, als er behauptete, nur bedeutungslose Familien schafften es, 800 Jahre alt zu werden. Damit hatte er insofern Recht, als im Lauf der Geschichte, niemand je auf die Idee gekommen ist, auf die Rotenhans neidisch zu sein und ihnen am Zeug flicken zu wollen.

Doch dann kam das 19. Jahrhundert!

Die großen Konflikte waren ausgeräumt, Europa in eine neue Form gegossen. Wie wir heute mit unserer Nachkriegsregelung dachten die Menschen, der Wiener Kongress habe zwar nicht alles gut geregelt, dafür aber dauerhaft.

Dauerhaftigkeit ist der Feind der Evolution, und nach dem 20. Januar werden wir Gelegenheit haben, dies hautnah miterleben zu dürfen.

Aber bleiben wir im vermeintlich friedlichen 19. Jahrhundert. Da war nach Napoleon zunächst so wenig los, dass sich sogar Rotenhans aus der Dickung wagten. Man wurde Politiker, Staatsbeamter und auch eben Soldat. Plötzlich wimmelte es nur so von Hauptmännern, Oberstleutnants, ja Obristen. Bei festen und Familientreffen sah man Orden, und Lametta, denn einige der Töchter hatten sogar Generäle geheiratet. Man war stolz auf die bedeutenden Schwiegersöhne. Es bohrte aber ein Stachel im Fleische der Familie: Wo blieb der General Rotenhan?

In der Not frisst der Teufel Fliegen, und als Onkel Ludwig am Ende doch noch General wurde, zwar nur der Infanterie und zu allem Elend auch noch im bayerischen Heer, atmete man auf und sah sich endlich aufgenommen in den Kreis der Familien, die das Geschick der Welt auf dem Felde der Ehre formen.

Der Bundeskanzler Erhard hat einmal zum Entsetzen der Presse gesagt „Wir sind wieder wer!“. Damals sagten Rotenhans: „Wir sind wer!“

Die Beförderung zum Generalmayor geschah im Jahre 1905. Schon ein Jahr später reichte Onkel Ludwig seinen Abschied ein. Offenbar hatte es sich bei der Generalswerdung um den sogenannten „goldenen Händedruck“ gehandelt.

Einer der Schwiegersöhne, Wilhelm Freiherr von Egloffstein, war preußischer General, auch nur der Infanterie, dennoch er galt etwas in der Familie. Bis zu dem Tag, als man in Rentweinsdorf eine „Sommerpartie“ vorhatte. Mehrere Leiterwagen mit je zwei Pferden fuhren auf den Schlosshof und Tante Else, die Generalin, organisierte die Verladung von Proviant und Personen. Geschrei und Durcheinander wurden von der durchsetzigen Dame im Zaum gehalten, als etwas Außergewöhnliches geschah: Jemand wagte es, sich einzumischen. Onkel Wilhelm, der Gemahl und General schlug vor, die Kisten mit dem Kirschsaft in den gedeckten Wagen zu laden, wegen der Sonne und so.

Da drehte sich Tante Else zu ihm um, drückte ihm etwas Längliches in die Hand und verwies ihn mit knappen Worten auf den ihm gebührenden Platz:

Du hältst den Schirm und den Mund!

Verlieren wir den Mittelstand?

In der vergangenen Woche habe ich in Palma de Mallorca gearbeitet und dabei wieder einmal festgestellt, dass es unterdessen kein Lokal, keine Autowerkstatt, keine Tankstelle und keine Immobilienagentur mehr gibt, wo nicht mindestens ein Argentinier arbeitet. Das sind meist studierte Leute, die, als sie nach Spanien kamen, wussten, dass sie unter ihrem Niveau arbeiten würden. Zu Hause gab es weder einen Arbeitsplatz noch eine Zukunft. Durch jahrzehntelange Misswirtschaft und Korruption ist dort die Mittelschicht komplett verloren gegangen.

Wenn ich in Deutschland ständig lese, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und sich ganz besonders auf der Seite der Geringverdiener proportional weiter öffnet, dann besteht langfristig die Gefahr, dass auch in Deutschland und Mitteleuropa die Mittelschicht flöten geht.

Bisher war die Mittelschicht die Mehrzahl der Bevölkerung, die am meisten für das Brutto Sozial Innen Produkt aufbrachte, und die auch am meisten konsumierte. Kurz, das sind die fleißigen Leute, von denen Politiker so gerne sprechen, das ist der Teil der Bevölkerung, der am meisten dafür tut, dass die Wirtschaft floriert.

Das sind die so oft belachten Spießer mit gehäkeltem Klorollenschoner und Wackelhund im Rückfenster. Das sind die vielen Menschen, die sich noch die Hände schmutzig machen, mit denen sie dann die Bild Zeitung halten. Das sind die vielen Frauen und Männer, denen wir früh am Morgen in den öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen.

Das sind Mitbürger, denen solche Menschen wie ich, der ich in einem sehr auskömmlichen akademischen Beruf arbeite, dankbar sein müssen. Dass hier in Mitteleuropa alles so wie am Schnürchen klappt, das ist der Mittelschichte zu verdanken. Das sind diejenigen, die nicht nur für sozialen Frieden sorgen, sondern diesen auch halten. Das ist die Basis unserer Gesellschaft. Das ist übrigens auch die Masse der Wähler, die über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt hat, dass Radikale in den bundesdeutschen Parlamenten fast nie etwas verloren hatten.

Dass die AfD nun gerade in diesem Teich fischt, zeigt, wie der Mittelstand merkt, wie sehr er gefährdet ist.

Wenn eine Regierung dies sieht, dies immer wieder aus Gutachten erfährt, und nicht dagegen tut, dann kann, dann muss man mit Fug und Recht von Misswirtschaft sprechen.

In den beiden vergangenen Jahren war das Gezänk über Flüchtlinge stets wichtiger, Putin nahm viel Platz auf der Agenda ein, nun folgt Trump ihm nach.

Da geht das Klein-Klein um den Mittelstand – ich bitte Sie – leicht verloren.

Misswirtschaft eben.

Haben Behinderte ein Geschlecht?

Die Abgeordnete der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, hat zunächst etwas Selbstverständliches festgestellt: Auch Behinderte haben ein Geschlecht.

Dies bedingt, dass Menschen mit Geschlecht, geschlechtliche Bedürfnisse haben, und da scheint die Politikerin in ein Wespennest gestochen zu haben, als sie nämlich nach ihrer vollkommen zutreffenden Feststellung fragte, wie man diese Bedürfnisse am besten befriedigen könne.

Hunger, Durst, Zuneigung und eben auch Sex sind Grundbedürfnisse des Menschen. Hunger und Durst müssen befriedigt werden, andere Bedürfnisse können je nach dem Willen des Individuums befriedigt werden. Betonung liegt auf „nach dem Willen des Individuums“. Nicht andere entscheiden, jeder Mensch entscheidet autonom darüber, wie er seine Bedürfnisse befriedigen will oder nicht, das gebietet Artikel 1 des Grundgesetzes. Danach ist die Würde des Menschen unantastbar. Es kann, es darf daher nicht sein, dass Menschen, deren Lebensbedingungen das Bedürfnis nach Befriedigung des Sexualtriebes erschweren, geschlechtslos leben müssen.

Vor sehr vielen Jahren habe ich einen Film gesehen, in dem ein junger Mann im Lazarett liegt. Das Augenlicht hatte er verloren, der Unterkiefer war ebenso weggeschossen wie Arme und ein Bein. Er wurde künstlich ernährt und liegen gelassen, weil er sowieso bald sterben würde und sein Leben nicht wert war, gelebt zu werden. So sagte der behandelnde Arzt. Und dann kam eine Krankenschwester, die nachts, wenn alle anderen weg waren, diesen geschundenen Körper liebkoste und den jungen Mann geschlechtlich befriedigte. Er würde dadurch nicht länger leben, aber plötzlich hatte sein Leben wieder einen Inhalt. Es war pure Barmherzigkeit der Krankenschwester. Sie wurde natürlich von einer Kollegin denunziert und mit Schimpf und Schande entlassen. Dem jungen sterbenden Soldaten aber hatte man das Einzige geraubt, das ihn noch mit dem Leben auf dieser Erde verband.

Mir gehen die Bilder dieses sehr dezent gedrehten Filmes seit Jahrzehnten nicht aus dem Kopf und sie haben mich gelehrt, dass Zuneigung, Liebe und Sex nicht Privilegien sind, die nur Gesunden zustehen. Nein, es sind Rechte des Menschen, die gleichberechtigt sind mit all den anderen, die er hat.

Frau Scharfenberg regt nun an, der niederländischen Regelung folgend, behinderten Menschen, die dessen ungeachtet selbstverständlich auch sexuelle Begierden haben, von der Krankenkasse bezahlte Prostituierte vorbeizuschicken.

Ein Aufschrei geht durch das Land!

Warum eigentlich? Eine Prostituierte ist doch nicht automatisch eine grell geschminkte, kurzbehoste, langbestiefelte und ordinäre Person. Und wen soll man denn sonst hinschicken? Soll man das Pflegepersonal speziell ausbilden? Soll man es der Familie überlassen? Das ist doch lebensfremder Quatsch!

Es ist gut, dass das Geschlechtliche nicht auf den Marktplatz getragen wird. Alles Intime soll intim bleiben. Das heißt aber nicht, dass die gesellschaftlich akzeptierten Regeln des Umgangs mit dem Geschlechtlichen dazu führen, dass via dieser Regeln entschieden wird, wer Sex haben darf und wer davon ausgeschlossen ist.

 

 

Weinkenner

Mein Großvater in Thüngen war ein bedeutender und engagierter Landwirt, aber vom Wald verstand er nichts. Zwei seiner Schwiegersöhne waren ausgewiesene Forstleute, aber entweder traute er ihnen nicht oder wollte sich vor ihnen keine Blöße geben, jedenfalls ließ er sich von ihnen nicht beraten. Das übernahm für ein wahrscheinlich beachtliches Honorar der befreundete Philipp Stauffenberg. Der kam einmal im Jahr und langweilte meinen Großvater über den Tag hin, denn für ihn war Wald ausschließlich deshalb interessant, weil dort das Wild lebte, dem er als leidenschaftlicher Jäger auflauerte.

Festmeter, Überhälter, Sturmschäden, Borkenkäfer, Holzpreise und Wachstum hatten die beiden hinter sich gebracht, als es dann abends ein „gutes Abendessen“ gab. Keine Brotzeit, sondern ein richtiges Diner. Es wurde bei solchen Gelegenheiten im Schloss in Thüngen enorm aufgetischt, ich erinnere mich an Exoten wie Wachteleier im Salat! Die miese Laune, die mein Großvater den ganzen Tag vor sich hergeschoben hatte, hellte sich auf, denn endlich, endlich konnte er mit Philipp über die Jagd sprechen.

Seltsamer Weise gab es in Thüngen damals nie Frankenwein. Es musste immer ein von der DLG ausgezeichneter Tropfen sein, der Großvater hatte den Posten des Vize-Präsidenten inne. Das Weingut Reichsrat von Buhl in Deidesheim war damals dran, und mein Vetter Schorsch und ich, die wir als Halbstarke beim Diner anwesend sein durften, überlegten uns, wie wir uns eine der Flaschen unter den Nagel reißen könnten.

Die beiden Herren diskutierten gerade, wo man auf der Jagd in Tambach stehen müsse, um am meisten Enten schießen zu können, als Schorsch einen genialen Einfall hatte: In eine kurze Gesprächspause, eher einem Atemholen der beiden Herren, sagte er halblaut aber doch hörbar: „Hans, der Wein hat was.“

Natürlich war der Wein vorher geprüft worden, ob er nach Korken schmeckte, möpselte oder sonst was tat und er war vom Großvater gutgeheißen worden. Nun aber brach Panik aus. „Der Wein hat was“, das ist das Todesurteil für jeden Weinkenner, weil dadurch offenbar wird, dass es mit seiner Kennerschaft nicht so furchtbar weit her sein kann, er hatte den Fehler ja nicht bemerkt.

„Philipp, hat der Wein was?“ Und Philipp Stauffenberg nahm einen vorsichtigen Schluck, rollte den Wein im Mund von links nach rechts, saugte Luft darüber und sann dem Geschmack eine Weile nach. Dann gab er sein Urteil ab: „Ganz am Schwänzle könnt er was haben.“

Sofort wurde der Wein abserviert, die Gläser ausgetauscht und ein gänzlich anderer Wein aus dem gleichen Weingut wurde serviert. Diesmal prüften Philipp und der Großvater den Wein gemeinsam, der natürlich ebenso in Ordnung war, wie der zuvor. Wir aber hatten unser Ziel erreicht: Die angebrochene Flasche und die beiden in Reserve stehenden, wanderten mit uns in die Bastelbude, wo wir uns ganz gehörig einen angesoffen haben.

Der Brummschädel am anderen Morgen konnte das Gefühl des Triumphes nicht überdecken.

Böllern – ist ja nur ein Mal im Jahr

In Deutschland leben in erster Linie vortreffliche Menschen. Billigtextilien werden gemieden, Ihr wisst schon, wegen der Kindernäherinnen in Bangladesch. Nach dem Flug in den Urlaub wird fleissig geradelt und Tram gefahren, weil das mit dem „CO2 carbon footprint“ muss ja irgendwie in Ordnung gebracht werden. Fleisch? Igitt, das ist ja Tierquälerei. Ab und zu ein Hühnerbrüstchen, aber mehr wirklich nicht. Man sollte die Kinder erst gar nicht an Fleisch gewöhnen. Alle fühlen sich als vegane Menschen. Nur  ist das halt so wie mit dem Sozialismus: an der Umsetzung hapert es. Auto fahren ist des Teufels, die meisten Rostlauben stehen nur rum, aber manchmal, wenn die Eltern zu Besuch kommen, fährt man mit ihnen eben doch nach Potsdam und zu IKEA raus muss man halt auch ab und zu. Man lebt, konsumiert, isst, reist, arbeitet, genießt und redet bewusst: Rücksicht, Nachhaltigkeit, Verantwortung, Vorbild, Überzeugungsarbeit, Ehrlichkeit und soziales Engagement, das sich die verschiedenen Banner, die der Normal-Deutsche vor sich herträgt.

„Wir Konsumenten können eben doch etwas erreichen, im Supermarkt gibt es jetzt sogar Hühnchenflügel, weil wir nicht wollen, dass sie nach Afrika exportiert werden und dort den Bauern den Markt versauen“.

Wenn ich mir die Vortrefflichkeit um mich herum so ansehe, dann habe ich der Verdacht, diese Vorzeigemenschen pupsen nur auf dem Klo und dann mit vorgehaltener Hand.

Mit zunehmendem schlechtem Gewissen fahre ich ein bald sieben Jahre altes Auto mit Dieselantrieb. Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, stelle ich mir vor, was ich meinen Mitmenschen feinstaubmäßig da so antue. Dann kann ich wirklich überhaupt nicht mehr schlafen. Wie ein grauer Schleier senkten sich die Kilos und Aber Kilos, die ich in diesen sieben Jahren an Feinstaub produziert habe, auf mein Bett und rauben mir Atem, Schlaf und das halbwegs gute Gewissen.

Dann kommt Silvester und Deutschland fällt in eine Feinstauborgie: Von 18 Uhr am Silvesterabend bis 4 Uhr am Neujahrtag werden in Deutschland 15% des Feinstaubs produziert, der im ganzen Jahr anfällt. Fast alle machen mit, die nicht mitmachen, billigen es.

Das ist doch nicht zu fassen: Da werden Milliarden in den Konsum gepresst, der zum großen Teil am Finanzamt vorbeigeht, weil Schmuggelware gekauft wird. Augen, Gesichter, Hände, Balkoneinrichtungen und Autos werden zerstört. Es wird ein riesiger Saustall auf den Straßen hinterlassen, und keiner tut wirklich etwas dagegen. Auf dem Prenzlauer Berg, wo die Vortrefflichkeit erfunden wurde, waren gestern nicht signifikant weniger Böller zu hören, als sonst wo.

Ich fasse es nicht! Wie allumfassend schizophren kann eine Gesellschaft für wenige Stunden werden?

Meine Familie und ich haben uns vorgenommen, immer an Silvester vortrefflich zu sein. Tröten sind auch lustig und Krach machen sie allemal. Aber Null Feinstaub.

 

Pfarrer – ein Traumberuf

Der Erste der Scholle, der Zweite dem Kaiser, der Dritte der Kirche. Mein Urgroßvater hatte es noch so mit seinen Söhnen gehalten und mein Vater hätte an dem Gedanken auch Gefallen gefunden, wäre sein zweiter Sohn nicht durch Knickebeinigkeit und Scheeläugigkeit gepaart mit Hühnerbrust aufgefallen. Er übersprang geistig den Kaiser und so ward ich für die evangelisch – lutherische Landeskirche in Bayern bestimmt. Die Sache hatte allerdings den Haken, dass ich nicht wollte.

Da fügte es Gott und berief Tante Kaula zu sich. Sie hieß eigentliche Tante Carola, hatte einen Buckel und machte uns Kinder „fürchenich“. Tante Kaulas Erbe war wider alle Erwartung mein Vater und so stellte er zu seiner großen Verwunderung fest, dass er unter anderem in den Besitz einer umfangreichen Steinsammlung gekommen war.

Beim Mittagessen verkündete er nun, ich bekäme von ihm die Steinsammlung, wenn ich Pfarrer würde. Ich wollte mir die Sache vorher genau ansehen und erfuhr, die Steinsammlung lagere im Oberen Saal in einer Holzkiste. Das hätte mich schon stutzig machen müssen, denn wer bewahrt seine Diamanten schon in einer Holzkiste auf? Und siehe da, ich hob der Deckel der ziemlich großen Kiste und darin befand sich eine Sammlung geologisch sicherlich interessanter Brocken, vom Glimmerschiefer über Basalt bis hin zu einigen Kalksteinen mit Einschlüssen von Krähenfüßen oder so was.

Ich war enttäuscht, nein, ich war erbost. Mir was klar, dass Pfarrer zu sein etwas Erhabenes ist, schließlich hat niemand einen direkteren Draht zum lieben Gott als Hochwürden der evangelisch – lutherischen Landeskirche in Bayern. Das Lockmittel Glimmerschiefer war klar unpassend, ja grenzte an Blasphemie. Beim Abendessen schimpfte ich wie ein Rohrspatz und mein Vater sah ein, dass er die Sache überdehnt hatte. Man sprach nicht mehr darüber.

Jahre später, ich war bereits im Gymnasium und bemerkte, dass meine Karriere dort nicht wirklich erfolgreich verlaufen würde, da verkündete mein Vater, wer nie sitzenbliebe, bekäme zum Abitur einen neuen Volkswagen. Ich fiel ins Grübeln, denn dass ich den VW nicht bekommen würde war klar. Da fielen mir Tante Kaulas Steine wieder ein und ich machte meinem Vater den Vorschlag, dass ich auch dann einen Volkswagen bekäme, wenn ich Pfarrer würde. Er schlug ein.

Im Dorf verbreitete sich die Nachricht wie der Blitz: „Der Schloss-Hans wird fei Pfarrer.“ Zunächst wurde ich nun zu jeder Beerdigung von Kanarienvögeln, Wellensittichen und Hamstern eingeladen, um den Beisetzungen einen würdigen Rahmen zu verleihen. Die Erwachsenen im Dorf aber hatten ihren Spott mit mir: „Hans, du wirst amol a Lüchnsoocher vo die Kanzl ro!“ oder:“Denna Pfaffn stenn die Händ zwamol wegwärdsich vo de Ärwed, und so a Faulbälz willst du wern?

Ich war erschüttert, zumal ich davon ausging, dass die Erwachsenen die oben geschilderte Erhabenheit des Berufs des Pfarrers mit mir teilten. Immerhin sah ich all diese Lästerer allsonntäglich in der Kirche. Was wollten sie dort, wenn sie das, was der Herr Pfarrer predigte, für Lügen hielten?

Dann fragte mich die sächsische Köchin meiner Großmutter, was der Unterschied zwischen einem Bäcker und einem Pfarrer sei? Auflösung: Der Bäcker backt „Brädchen“ und der Pfarrer „dud brädchen“.

Darüber konnte ich mich schon nicht mehr ärgern, denn die Pubertät begann mit all ihren akustischen und geruchlichen Beschwernissen für meine Umwelt. Für mich hatte die Pubertät den ganz großen Vorteil, dass mir erstmals in meinem Leben alles vollkommen wurscht war. Als ich aus diesem wunderbaren Zustand erwachte, war ich sitzen geblieben und dennoch weiterhin Klassenschlechtester und die Idee, Pferrer zu werden, hatte sich verflüchtigt.

Den (gebrauchten) VW hab ich mir dann beim Kufi in Ebern am Fließband verdient.

Bierausfahrer

Wir wollten mit dem VW Bus die Sahara durchqueren und dazu braucht man ja etwas Geld. Ich arbeitete dafür in der Schloßbrauerei Thüngen, wo man mich zunächst für ein U-Boot meines Großvaters hielt. Man beschloss das Barons-Bürschla auf die Probe zu stellen und ließ mich drei Tage lang härteste und unangenehmste Arbeiten verrichten. Offenbar habe ich das Verfahren erfolgreich durchlaufen, denn vom vierten Tag an war ich Beifahrer im Bierauto. Ich habe die Namen der verschiedenen Chauffeure vergessen. Der erste, man vertraute ihm nur noch kurze Strecken an, ernährte sich ausschließlich vom Bier. Er war spindeldürr und hatte einen Blähbauch. Er erzählte viel von vergangenen Zeiten, auch davon, wie der Sekt aus dem Juliusspital in den Kellern der Brauerei ausgelagert worden war.  „Wie die Ami nacher kumma senn, ham sa den ganzn Sekt auf den Misthaufn gschütt. Wie des Zeuch, wo do aus’n Überlauf rauskumma is, nimmer so arch gschdungn hat, ham mers gsuffn.“ Nicht nur angenehm waren die Kontakte mit den Wirten. Der in Halsheim hielt uns längere Zeit fest, nur um mir zu berichten, was der Bruder vom Baron doch für ein fabelhafter Nazi gewesen sei.

Mit einem anderen Bierkutscher befuhr ich die die Vordere Rhön. Ortsnamen, die ich nur dem vom Hörensagen kannte, füllten sich mit Inhalt. In Langenporzelten durften nur 20 Liter Fässer geliefert werden, weil die Wirtin zu alt war, größere zu bewegen. In Wartmannsrot durfte nur geliefert werden, wenn der Wirt vor dem Abladen zahlte In Rieneck und Zeitlofs gab’s die besten Brotzeiten. Irgendwann fiel mir auf, dass wir durchaus nicht den kürzesten Weg von Abladeplatz zu Abladeplatz nahmen. Ich wurde belehrt, als Bierfahrer müsse man strategisch vorgehen. Wo man eine Brotzeit bekommt, muss man gegen 10 Uhr abladen. In Burgsinn gab es umsonst eine Bratwurst mit Sauerkraut, also 12 Uhr. Dann weiter nach Mittelsinn und Obersinn. Dort mussten die Bierkästen in den Keller geschafft werden. Problem dabei: Der Stallhasensaft rann die Kellertreppe hinab, äußerste Rutschgefahr! Nachmittagsbrotzeit dann in Eußenheim, und weil es von dort nach Thüngen nichtmehr weit war, durchaus auch mal zwei Bier. Das abschließende Bier am Nachmittag war nur die Krone einer fast ungebrochenen Kette von Bieren, die wir im Laufe des Arbeitstages zu uns nahmen. Wenn es einmal nur eine Tasse Kaffee gab wie beim Wirt in Detter, waren wir beide eigentlich ganz dankbar für den alkoholischen Aussetzer, dennoch schimpfte mein Chauffeur danach: „So droggn ka iich mein Kaffee fei ned gadring“! Bevor wir eine Wirtschaft anfuhren, wurde ich über den Charakter des Wirtes und dessen familiäres Umfeld genauestens unterrichtet: „Die Fraa von Wird in Rieneck – ach Goodla! Aber sei Dochdä, naja, des is aa scho wiedä Jaahre her.“

Begleitet wurde die Fahrt von den monotonen Hinweisen: “Do drühm ham mer fei a Debboh.“

Mit dem dritten Bierkutscher belieferte ich die Flaschenbier Depots in Würzburg und Umgebung. Er erklärte mir, dass sich mein Großvater von den 8.50 DM, die ein Kasten Bier kostet 6 „Märgla“ als Reinverdienst in die Tasche stecke. „Ka Wunner, äß der an Merzedes had.“ Er kannte sich aber nicht nur in Wirtschaftsdingen aus, seine wahre Expertise waren die Frauen. Er konnte am Gang einer Frau erkennen, ob sie Spaß an Sex habe und besonders, wie lange es her gewesen sei, dass… Er legte Wert darauf, sein Wissen auf mich zu übertragen, und frug mich ab: „Die do mit den schwadzn Däschla?“. „Drei Stündla“ antwortete ich. „Aff, blöder, höxdns zwanzich Minuddn.“ So lernte ich die Straßen Würzburgs unter einem unerwarteten Gesichtspunkt kennen. In Geretsried, der scheußlichen Schlafstadt oben auf den Hügeln störte ich ihn ganz offensichtlich. Manche grüne Witwe erwartete ihn dort nicht nur als Flaschenbierlieferant. Irgendwann gelang es ihm, mich loszuwerden, denn plötzlich fand ich mich auf der Rhönroute wieder, was meiner Sittlichkeit wohl bekam, der Leber weniger.

 

Rechtzeitig zur Weihnacht

Wie jeder geplagte Haushaltsvorstand weiß, ist eines der wichtigsten Anforderungen, die das Weihnachtsfest an ihn stellt, nein, die Anforderung schlechthin das Motto: „Wie immer!“

Nichts darf sich ändern, sonst wird die Großmutter zänkisch, die unverheiratete Tante melancholisch und die Kinder aufsässig.

In diesem Zusammenhang ist wiederum eines der wichtigsten „Wie-immers“ die Länge der Fäden, an denen die Äpfel an den Baum gehängt werden.

Dass der Faden rot zu sein hat, versteht sich von selbst, nur das mit der Länge ist nun schon seit etwa 30 Jahren ein Ärgernis.

Bis Ende der 80er Jahre nahm man das Gesangbuch der evangelischen Landeskirche in Bayern zur Hand und wickelte den roten Faden so oft längsseits darum wie man Äpfel hatte. Dann wurde der Faden durchgeschnitten, die Enden verknotet und zwischen Daumen und Zeigefinger eine Schleife gebildet, die um den Stiel gelegt, perfektes Aufhängen garantierte.

Dann aber brachten die Landeskirchen dieses neue Gesangbuch heraus, in Berlin ist es grün, in Bayern ist es blau ein Ärgernis sind beide: sie sind zu dick! Der darum gewickelte Faden wird dadurch zu lang und der arme Apfel hängt dann irgendwo seelenlos am Baum, womöglich sogar ein Stockwerk tiefer als an dem Ast, an dem er angebracht wurde. Die Symbiose Ast – Faden – Apfel ist nicht mehr, von dem Prinzip „wie immer“ ganz zu schweigen.

Ersatz für das alte Gesangbuch zu finden, ist nicht einfach, denn die Bibel zu nehmen grenzt an Frevel, irgendein Schmöker verbietet sich für das Maßnehmen aber auch, Donna Leon, Fanny Hill oder Brechts Gedichte – eine Blasphemie, man würde seiner Weihnachten nicht mehr froh.

Nun aber habe ich heute Morgen den perfekten Ersatz für das alte Gesangbuch der evangelischen Landeskirche in Bayern gefunden. Es ist ein frommes Buch, allerdings nicht die Essenz des Christentums und darum bedenkenlos verwendbar. Das Buch ist auch überall zu haben, wenn es nicht sowieso schon in jedem halbwegs christlichen Haushalt vorrätig ist. Hier vorab die ISBN Nummer: 3-438-06201-1.

Das Buch liegt gut in der Hand und hat fast auf den Millimeter genau die gleichen Ausmaße wie das alte Gesangbuch. Gerade habe ich zwanzig Mal einen roten Bindfaden darum gewickelt und alte vertraute Gedanken an die Heilige Weihnacht meiner Kindheit in Franken wurden wieder wach: Plätzchen- und Tannenduft, Vorfreude und Mutterkuss, Weihnachtslieder und Bedankemichbrief. Ach, es ist eine Lust wieder im richtigen Weihnachten zu leben.

Nun will ich Sie alle aber nicht länger auf die Folter spannen. Das richtige Buch ist die Wortkonkordanz zur Lutherbibel, herausgegeben von der Deutschen Bibelgesellschaft. Ist in jeder besseren Buchhandlung zu haben. Darum, wer das Buch noch nicht hat:

„Auf, auf, rette deine Weihnacht, kauf die Wortkonkordanz und alles ist wie immer!“

Eine friedliche Geschichte zu Weihnachten

Wenige wissen, dass das Gewässer, das Kanada von Grönland trennt, Kennedy Kanal heißt. Noch weniger aber wissen, dass die Insel, die genau in der Mitte des Kanals liegt, weniger als 12 Seemeilen von der kanadischen Küste entfernt und weniger als 12 Seemeilen von der Küste Grönlands entfernt, Hans Island heißt.

Zwar ist die Insel unbewohnt und wenn man mal ganz ehrlich ist, dann handelt es sich auch nur um einen 1,3 qkm großen Felsen im Eismeer ohne jegliche Vegetation. Dennoch denke, dass die Namensgebung ein Volltreffer ist. Leider gehört mir die Insel trotz des Namens nicht, vielmehr streiten sich Kanada und Dänemark erbittert darüber, wes Eiland der Felsen sei.

Internationale Gerichte wurden befragt, diplomatische Noten wurden ausgetauscht, die UNO behandelte die kitzelige Frage, alles ergebnislos. Beide Seiten halten felsenfest an ihrem Anspruch am Felsen fest.

Auf der Insel ist wirklich nichts los, kein Hafen, keine richtige Anlegestelle, nichts, nada de nada.

Alle paar Jahre aber kommt ein kanadisches oder dänisches Patrouillenboot vorbei und dann entbrennt der Krieg um die Insel jedes Mal von Neuem. Und das geht so:

Der kanadische Kapitän des Bootes erklimmt das Plateau der Insel, entfernt die dort gehisste dänische Flagge, nimmt die dort liegende Flasche Aquavit mit, hisst die kanadische und hinterlässt zu Füssen des Mastes eine Flache kanadischen Whiskeys. Das Fläschchen harrt nun aus, bis irgendwann einmal ein dänisches Patrouillenboot vorbeikommt, dann erklimmt sein Kapitän das Plateau, entfernt die kanadische Flagge, nimmt die Flasche Whiskey an sich, hisst die dänische Flagge und hinterlässt eine Flasche Aquavit.

Beide Staaten können mit diesem verbissen geführten Krieg gut leben und sollten dem Rest der Welt als Beispiel dienen.

Gloria in excelsis deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Frohe und gesegnete Weihnachten!

Cello spielen ist nicht leicht

Als ich elf Jahre alt war, beschlossen meine Eltern, ich hätte eine Begabung für das Cellospiel. In Schondorf im Internat bekam ich Cello Unterricht im Musikzimmer unter den gestrengen Blicken der vier Apostel von Albrecht Dürer. Noch heute denke ich, die vier Herren müssten mir gram sein.

Meine Lehrerin war Frau Raba. Sie war die Cellistin im damals sehr bekannten Raba Trio. Es war die Zeit der Glockenröcke. Dieser Mode versagte sich auch meine Cellolehrerin nicht. Man muss sich diese Röcke vorstellen, als seien sie Schweizer Kuhglocken, nur halt aus Stoff: oben ausufernd, um die Knie eng, so dass die Damen allerliebst trippelten.

Als ich zur ersten Unterrichtsstunde erschien, fragte ich mich, wie die Lehrerin mit diesem engen Rock wohl Cello spielen werde. Bevor sie sich hinsetzte, zog sie – ritsch, ratsch – an zwei Reißverschlüssen, der Rock öffnete und gab verborgene Falten frei, so dass sie das Cello zwischen die Beine nehmen konnte. Ich habe die erste Stunde im Zustand sittlicher Benommenheit in Erinnerung.

Ach Du Schönes Cello, so heißen die Saiten von links nach rechts vom Spieler aus gesehen. Das Problem war, dass ich beim Bespielen der A-Saite Gänsehaut bekam. Wer übt schon gern ein Musikinstrument, wenn er dabei von Gänsehautanfällen geschüttelt wird? Hinzu kam, dass mein kleiner Finger noch zu schwach war und schmerzhaft durchdrückte, sollte er eine Saite niederhalten. Ein erfahrener Musikpädagoge hätte schnell merken müssen, dass das mit mir und dem Cello keine Liebesehe werden würde. Aber Frau Raba war jung und brauchte das Geld. Sie erzählte mir, sie mache vom Vorspiel ihrer Schüler immer Tonbandaufnahmen. Bei mir kam es nie dazu, wohl auch deshalb, weil ich fast nie übte.

Dennoch war ich irgendwie stolz darauf, dass ich das internatseigene Halbcello bespielen durfte. Ich spielte meinem Bruder vor. Der behauptete später, ich hätte einmal bravourös über alle vier Saiten gestrichen. In meiner Erinnerung trug ich den Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ vor.

Die wöchentliche Cellostunde wurde eine ständige Probe der Demut, denn es stellte sich heraus, dass neben meiner Unlust zum Üben noch ein vollkommenes Fehlen des Gefühls für Takt hinzukam. Frau Raba stellte ein Metronom auf, ich leierte die Etüden runter. Frau Raba führte mir die Hand, dagegen wehrte ich mich, Frau Raba spielte mit mir, ich war immer vorher fertig. Es war schrecklich.

Offenbar erkundigte sich die Musiklehrerin, Fräulein Lohmann, irgendwann nach meinen Fortschritten, denn es war ein Vorspielen aller derjenigen geplant, die ein Instrument erlernten.

Nun war Frau Raba beim Ehrgeiz gepackt und sie bläute mir eines der Haydn Stücke ein, in denen die Cello Partie für den Fürsten Esterhazy besonders leicht gehalten war. Christiane Horn, eine musikbegnadete Klassenkameradin, sollte mich am Klavier begleiten. Wir übten und sie fand den Bogen heraus, mir durch meine synkopische Interpretation Haydns zu folgen – ein musikalisches Genie.

Es kam der Tag der Aufführung. Ich saß in der ersten Reihe, von unter dem Klavier schaute mich das Cello herausfordernd an. Nach einer furiosen Orgeldarbietung, die Gudrun von Eichel gab, waren Christiane und ich dran.

Ich bückte mich, um das Cello hervorzuholen. Es machte ratsch und mein dem Publikum zugewendeter Hosenboden riss. Ich hatte die Lacher auf meiner Seite, immerhin.

Ich setzte mich auf meinen Stuhl stimmte das Cello erst gar nicht und begann ohne Christiane prestissimo meine Cello Suite runterzuleiern. Irgendwann setzte auch Christiane ein und es gelang, gemeinsam aufzuhören.

Danach habe ich nie wieder ein Cello angerührt.