Die Dreifaltigkeit der Rentweinsdorfer Kerwa

Die Rentweinsdorfer Kirchweih war schon immer etwas Besonderes, schon allein deshalb, weil sie bereits am Donnerstag, dem Himmelfahrtstag, beginnt. Früher stand gegenüber vom Pfarrhaus das Kettenkarussell, links vom Kriegerdenkmal gab es eine Wurfbude und rechts davon bewiesen die Halbstarken an der Schießbude, wie toll sie waren.

Dann kam das Karussell, auf dem eine Trambahn, ein Traktor, ein Feuerwehrauto später ein Düsenjäger Runden drehten. Dahinter hatten der Kaufmann Müller und sein Kollege, der Götzen-Schmidt, ihre Buden aufgestellt, wo es vom Eis bis zu Tröten alles gab.

Schon rechts von der ehemaligen gepflasterten Regenrinne stand die Losbude. Der Erlös, ging an den Kindergarten. Irgendwo dazwischen hatten der Herold und der Biggo ihre Bratwurststände aufgebaut, die den ganzen Festplatz in eine einzigartige Duftwolke hüllten. Später ersetzte beide der Rango.

Für uns Buben begann die Kerwa schon einige Tage vorher, weil wir beim Aufbau des Karussells helfen durften. Auf dem etwas abschüssigen Planplatz war es gar nicht so einfach, die Lauffläche für Trambahn und Konsorten waagerecht hinzubekommen. Mit Unterlegeplättchen und Wasserwaage schafften wir das schließlich, hatten dabei nicht nur etwas gelernt, sondern auch noch ein paar Freifahrten verdient. Eine Fahrt kostete 20 Pfennig, sechs, eine Mark. Heute würde man das Marketing nennen, damals stürzte mich diese Preisgestaltung in unendliche mathematische Grübeleien.

Kettenkarussell bin ich nur einmal gefahren… Aber die Schießbude hatte es mir angetan obwohl ich kaum über den Tresen schauen konnte. Karussellfahren liebte ich und stellte bei jeder neuen Kerwa fest, dass ich dafür eigentlich schon zu groß und zu erwachsen war. Von unseren Eltern bekamen wir eine Mark, von unserem Großvater noch mal fünfzig Pfennig drauf. Das war damals schon nicht viel. Wenn ich kein Geld mehr hatte, munterte mich die Schmidts Kalina so auf: „Ach Goodla, geh hald ham zu dein Vadder, der soll a Echn ausn Wald hol, nacher hadder wieder a Geld“. So habe ich anlässlich der Kerwa auch gelernt, wie das mit dem Geldverdienen geht.

Eine besondere Anziehungskraft hatte die Losbude. Hauptgewinn war ein Fresseimer. Der war bis oben hin mit Bombom, Lutscher, Schogglaad, Blädsla, Eichetti Eiskonfekt und Brausepulver aufgefüllt. Störend war nur die Flasche Waldmeistersekt. Diesen Fresseimer zu gewinnen, ist mir einmal gelungen. Ich dachte damals, schöner kann es jetzt im Leben nimmer kommen.

Zur Bratwurst wurden wir vom Vater eingeladen, Manchmal gab es sogar „a dobblda Eigazwiggda“. Viel später habe ich dann gelernt, dass die Kunst es Bratwurstessens darin liegt, nur die Wurst zu vertilgen und dann das Brödla neu bestücken zu lassen. Meine aus der Schweiz stammende Frau hat das System sofort begriffen und eine Vorliebe für die Rentweinsdorfer Bratwurst entwickelt. Als ich sie das erste Mal mit auf die Kerwa brachte, hat sie an einem Tag 18 Stück verdrückt.

Die Kirchweih soll ja an die Weihe unserer Kirche erinnern. Das war ein schwieriges Thema, denn was eine Dreifaltigkeit ist, wussten wir nicht. Meine „Sunndichshosen“ hatte an jedem Bein vorn und hinten eine Falte, wozu braucht man drei? Und dann mussten wir auch noch in die Kirche gehen! Das mussten wir an anderen Sonntagen auch, aber besonders am Kirchweihsonntag war das quälend. Während Pfarrer Laacke predigte, kreisten aller Gedanken nur um Bradwörschd, Seidla, Schiessbude und den Fresseimer.

Und dann kam der Dienstag. Über Nacht war alles abgebaut worden. Wir Buben suchten den Planplatz nach verlorenen Münzen ab und wurden auch immer fündig.

„Aber was mechsd mid an Märgla, wennst damit nimmer sechs mol Karussell fahrn kast?“

 

Die wahl als Errungenschaft

Es hat nach den klassischen Demokratien in Athen und Rom lange gedauert, bis sich wieder die Überzeugung breitmachte, dass Abstammung kein Garant für Grips oder Führungsfähigkeiten ist. Besonders Europa musste immer wieder depperte, halbdemente, psychisch kranke und brunsbieslblöde Herrscher über sich ergehen lassen. Manchmal bemerkte das der Untertan gar nicht, manchmal bezahlt er es mit dem eigenen Leben. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist ein beredtes Beispiel dafür.

Danach waren sich Europas Völker einig, dass wenn man schon Könige hat, dann sollen die bittschön nicht mitreden dürfen. Sie werden auf den Posten einer moralischen Instanz verschoben, den, so muss man sagen, die meisten von ihnen auch professionell ausfüllen.

Man begann dem Beispiel aus den USA folgend auch auf dem alten Kontinent die Regierenden zu wählen, und das ging auch immer gut, bis auf eine verheerende Ausnahme: Adolf Hitler. Der kam auf demokratische Weise an die Macht, dann aber kümmerte er sich nicht mehr um Gewaltenteilung, um Rechtsstaat, um Anstand und Moral. Er fand sogar ein Parlament, das zuschaute und ihn ermächtigte, das Parlament zu missachten.

Die Konsequenz war der 2. Weltkrieg. Danach war es umso mehr die Überzeugung der Völker, diejenigen, die sie regieren sollten, selbst auszuwählen und zu beaufsichtigen. Eine zunächst mit Scheelaugen betrachtete vierte Macht kam zur Exekutive, zur Legislative und zur Judikative hinzu. Es war die freie Presse, die alle drei überwachte. Oft genug hat sie seither bewiesen, dass die drei klassischen Mächte sich eben doch nicht so effektiv gegenseitig kontrollieren, wie wir dies alle wünschen.

Dass wir unsere Politiker wählen, dass keiner ein Amt ohne demokratische Legitimation ausüben kann, das ist eine lang erkämpfte Errungenschaft.

Nun haben wir seit gut 100 Tagen einen Mann im Weißen Haus sitzen, dem es in derart kurzer Zeit gelungen ist, sich über alle demokratischen Regeln hinwegzusetzen.

Wie geht das denn?

Ich habe neulich ein interessantes Interview gelesen, in dem ein britischer Politologe sagt, dass seit gut 100 Jahren Bernie Sanders der erste US Politiker sei, der versucht habe, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, ohne sich diesen Posten durch Geld zu erkaufen.

Der Mann hat Recht. Die Abermillionen an Wahlspenden für die Bewerber um das höchste Amt in Washington DC sagen zumindest eines aus: Der wählende „kleine Mann“ ist, wenn es hoch kommt, Stimmvieh.

Ist das einer Demokratie würdig?

Ich glaube immer mehr, dass wir uns abgewöhnen sollten, in den USA noch eine Demokratie zu sehen. Zurzeit klappen ja nicht einmal mehr die „checks and balances“, die zwischen den Wahlen das Funktionieren einer Demokratie sicherstellen sollen.

Die US-Amerikaner betrachten ihre Heimat als „the land of the free“. Das hört man immer wieder: „Wir können hier machen, was wir wollen“.

Aber wer will dort schon abends auf dunkler Straße einem Polizisten begegnen? Wer will dort schon in den Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben? Wer will sich schon willkürlichen Einreisebeschränkungen ausgesetzt sehen? Wer will schon in einem Land leben, wo es immer wieder zu gewalttätigen Rassenkonflikten kommt? Wer will schon wegen einer Lüge, die dem UN Sicherheitsrat aufgetischt wurde, im Irak sein Leben lassen?

Irgendwie scheint es aus europäischer Sicht so zu sein, dass die Mechanismen, die eine Demokratie wach und am Leben erhalten, in den USA nicht mehr richtig funktionieren.

Ich schreibe aus europäischer Sicht und erhebe beileibe nicht den Anspruch, hier sei alles Gold und eitel Sonnenschein.

Auch wir müssen aufpassen! Dass die Wahl eine hehre Errungenschaft ist, wissen viele Mitbürger schon nicht mehr. In mehreren europäischen Staaten haben wir erst kürzlich erlebt, dass Wahlen unvorhergesehen, knapp oder besorgniserregend ausgehen können.

Das Volk ist der Souverän. Aber der Souverän ist das ganze Volk. Wer nicht zur Wahl geht, oder wer Rattenfängern auf den Leim geht, der hat sich als Souverän abgemeldet.

Das erleben die Menschen in den USA gerade am eigenen Leib.

Menschenwürde: Selbstbestimmungsrecht

Wie weit reicht das Selbstbestimmungsrecht?

Weil niemand Einfluss auf seine eigene Geburt hat, und wie wir gelernt haben, die Zufälligkeit der Entstehung von Leben zur Würde des Menschen gehört, gibt es eine Denkschule, die meint, auch das Ende des Lebens sei dem Selbstbestimmungsrecht, der Würde des Menschen, entzogen.

Tatsächlich war Selbstmord, und zwar nur dann wenn er misslang, bis 1961 ein strafbarer Tatbestand. Da man einen Toten nichtmehr verurteilen kann, war der missglückte Suizid das einzige Delikt, das nur im Stadium des Versuchs strafbar war. Das war schon hirnverdreht genug, wurde aber durch die Begründung, weshalb das strafbar sei, noch übertroffen: Die Krone verliert durch den Selbstmord einen Untertan (sic). Besser kann man das Wort „Untertan“ nicht definieren.

Das wurde bis 1961 so weiter angewendet und statt eines Psychologen saß ein Staatsanwalt am Krankenbett all derer, die den Versuch der Selbsttötung überlebt hatten.

Wir sprechen hier nicht von Ethik, nicht von Religion und wir sprechen auch nicht darüber, dass ein Selbstmord immer eine Tragödie für die zurückbleibende Familie ist. Wir sprechen davon, wie weit das Selbstbestimmungsrecht des Menschen reicht.

Seit 1961 hat man in Deutschland gemerkt, dass mit dem Zufall der Geburt die Zufälligkeit aufhört. Die Würde des Menschen beginnt mit der Geburt und je erwachsener ein Mensch wird, desto mehr kann er das der Würde innewohnende Selbstbestimmungsrecht autonom ausleben.

Das ist nicht immer ganz leicht, miterleben zu müssen: Zunächst wehren sich unsere Kinder gegen die Bevormundung durch ihre Eltern und nun merke ich, wie ich beginne, mich gegen die Bevormundung meiner Kinder zu wehren.

Die Würde des Menschen beinhaltet auch, der Übergriffigkeit der nächsten Verwandtschaft Paroli zu bieten.

Aber ich schweife ab. Wir waren bei der Frage, ob das Recht auf Selbstbestimmung den eigenen Tod einschließt?

Selbstverständlich!

Im September 2010 war eine Todesanzeige in den gossen Zeitungen Deutschlands in aller Munde: Eberhard von Brauchitsch und seine Frau Helga waren am gleichen Tag in Zürich verstorben.

Es war klar, sie hatten die Möglichkeit eines assistierten Freitodes in der Schweiz in Anspruch genommen.

Nun ist es ja manchmal nicht so einfach, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Krankheit, Bewegungslosigkeit, der Möglichkeiten gibt es viele, die Hilfe zum eigenen Tod sinnvoll erscheinen lassen.

Weil in Deutschland die Hilfe zum Freitod noch immer rechtlich unklar ist, zwingt man verzweifelte Menschen dazu, den Wunsch, das eigene Leben zu beenden, mit unwürdigen Mitteln, und schlimmer noch, mit unsicheren Methoden zu verfolgen.

Fazit: Wenn der Rechtsstaat erkannt hat, dass der Freitod Teil der Würde des Menschen ist, dann darf er diesen Wunsch nicht nur körperlich gesunden Menschen offenhalten. Gerade diejenigen, die durch unerträgliche Krankheiten den Tod herbeisehnen, sind diejenigen, die um ihrer Würde willen der Hilfe anderer bedürfen. Das aber darf nicht länger strafbar sein.

Javier Bardem, der spanische Schauspieler hat in dem Film „Mar adentro“ einen jungen Mann verkörpert, der nach einem Sprung ins Meer, es war eine felsige Untiefe, vom Hals abwärts gelähmt im Bett lag. Immer deutlicher wurde es, dass dieser Zustand irreversibel war und immer deutlicher wurde es, dass der Mann in seinem Bett nur mehr sterben wollte.

Als ihm endlich, endlich eine anonyme Hand den Strohhalm in den Mund führt, mit dem er die tödliche Flüssigkeit aufsaugen kann, ging durch den Kinosaal ein Aufatmen, nur vergleichbar mit dem erlösten Gesicht des Gelähmten.

Schweinfurt

Der Name sagt es schon: diese Stadt war uns Kindern suspekt. Die haben ja nicht einmal einen Dom!

Man reiste damals wenig. Das machten nur Skandinavier und die Leute aus dem Ruhrgebiet. Wenn wir reisten, dann nach Thüngen, um dort Großvater, Tanten, Vettern und eine Cousine zu besuchen. Egal ob man hintenrum über Hofheim oder vornrum über Ebelsbach fuhr, schlecht wurde uns immer. Ich zog hintenrum vor. Dort kam man durch den Ort Löffelsterz, ein Solitär in der fränkischen Toponomie!

Immer, auch wenn wir mit der Bahn fuhren, mussten wir durch Schweinfurt. Zwischen Schonungen verlaufen parallel die Bundestrasse, die Schiene und der schiffbare Main. Es fehlte nur das Flugzeug, dann wäre alle Fortbewegungsmittel vereint gewesen. Wenn die Lokomotiven uns überholten, erklärte uns der Vater den Unterschied zwischen Dampf und Rauch. Da beides auf fränkisch „Qualm“ heißt, glaubten wir ihm nicht.

Schweinfurt hatte zwei Bahnhöfe, den Stadt- und den Hauptbahnhof. Wozu? Rentweinsdorf hatte doch auch nur einen, und die Metropole Bamberg auch? Aber immerhin, zwischen beiden Bahnhöfen ging es durch einen Tunnel, das versöhnte.

Die Stadt war vom Unglück verfolgt: Kaum war das im Krieg zerstörte Rathaus wiederaufgebaut, brannte es nieder.

Und dann gab es dort Industrie, richtige, riesige Fabriken. Wenn wir beim Fichtel und Sachs vorbeifuhren, schauerten wir, denn der Eigentümer hatte sich erschossen. „Weibergeschichten“ sagte die Mutter. Was das war, wussten wir nicht. Gleich daneben stand die Fabrik vom Kugelfischer. Darunter konnten wir uns was vorstellen, denn in Ebern gab es ein Zweigwerk und da arbeiteten die Väter vieler unserer Spielkameraden.

Schließlich, links von der Straße fuhren wir an riesigen Klinkerbau der SKF vorbei. Schwedische Kugellager Fabrik? Was sollte das denn? Hier war doch Franken!

Unsere Mutter erzählte, dass sie im Krieg jeden Morgen mit der Werntalbahn nach Schweinfurt gefahren war, um bei SKF zu arbeiten. Im Zug trafen sich immer die gleichen Leute, aber einmal stieg in Müdesheim ein Mann zu, der in Arnstein schon wieder ausstieg. Sein Aufenthalt in der Bahn wurde von den übrigen Passagieren misstrauisch und neugierig verfolgt. Als in Arnstein der Zug wieder anruckelte, fragte der Neuners Beder:

„Wer war denn des?“  Langes Schweigen, bis der Schneiders Frieder seufzte: „Unner Herrgodd wenn na ned bessä kennd wie du und iich, kummd er besdimmd nei die Höll.“

Und Schweinfurt hatte natürlich „die Ami“. Es gab sie in Bamberg in Würzburg und in Schweinfurt. Es war beruhigend, sie hier zu wissen, denn die Russn lauerten ja gleich hinter Maroldsweisach.

Dessen ungeachtet hatten die Schweinfurter Ami einen schlechteren Ruf als die in BA und WÜ. Es kam immer wieder zu Messerstechereien. Es wurde berichtet, in der Kaserne würden sich verfeindete Clans „mid die Messer zwischn die Zähn“ verfolgen. Wir glaubten das erneut erschauernd, Schweinfurt war alles zuzutrauen.

Und dann wollte Georg Schäfer, der Chef von Kugelfischer, für seine Gemäldesammlung ein repräsentatives Haus. Als er erfuhr, dass Mies van der Rohe, sein Schwiegersohn, das wegen Fidel Castro nie verwirklichte „Bacardi Project“ in der Schublade hatte, bat er ihn nach Schweinfurt. Der weltberühmte Architekt schaute sich die Sammlung und dann die Stadt an, dann fuhr er mit dem Abendzug wieder weg.

Das „Bacardi Projekt“ baute Mies van der Rohe später als „Neue Nationalgalerie“ in Berlin, und Eingeweihte waren schadenfroh. Einen solchen Jahrhundertbau hätte man Schweinfurt nun wirklich nicht gegönnt!

Rentweinsdorf

Als die Rhönautobahn noch nicht gebaut war, musste man sich von Fulda bis Nürnberg auf der B 279 von Dorf zu Dorf nach Süden quälen, Ortsumgehungsstraßen gab es noch nicht. Man kann daher annehmen, dass Rentweinsdorf in Skandinavien erstaunlich bekannt war, jedenfalls bekannter als in Deutschland. Im Sommer machten tausende von überladenen PKWs mit internationalem Kennzeichen DK, S, SF oder N das Überquerender Dorfstraße schier unmöglich. Rentweinsdorf ist und war ein vollkommen unbedeutendes Dorf, will man einmal davon absehen, dass ich dort geboren wurde. Normalerweise passierte so was in Ebern oder Bamberg.

Rentweinsdorf war voller Geheimnisse und Geschichten. Im Dach über der „ündern Wirtschaft“ wohnte eine alte Frau, von der es hieß, sie sei eine Hexe. Manchmal schaute sie zum Fenster raus und wenn ich sie sah, hatte ich Angst. Als sich ihr Sohn erhängte, verfolgte mich dessen Schicksal, hauptsächlich die Vorstellung, wie verzweifelt er gewesen sein musste, wochenlang vor dem Einschlafen. Andererseits war es aber auch normal, immerhin war die Mutter eine Hexe.

Den Wirt der „ündern Wirtschaft“ den Biggo, liebte ich, weil er uns Kindern immer ein „mords drümmer Schdüggla Fläschwurschd“ abschnitt, ganz im Gegensatz zum Herolds Metzger, von dem es hieß er schnitte sich fast in die Finger, wenn er die obligate Scheibe „für die Glann“ hergab.

Es hieß, der Biggo, sei ein alter Nazi. Ich wusste nicht so recht, was das ist, beobachtete aber, dass immer die durchziehenden Schäfer bei ihm Station machten und dann alte Zeiten hochleben ließen. Der örtlich unstete Beruf des Schäfers war damals ein beliebtes Rückzugsrevier von Männern, die es nach dem Krieg vorzogen, nicht allzu sehr aufzufallen.

Der Biggo war nicht der Vorstand des Griechervereins, aber dessen Begräbnisprediger. Im Fußballverein betrug der Jahresbeitrag 50 DM. Im Kriegerverein verlangte man nur 20 „und an Granz griech ich aa“ meinte der Hochs Karl.

Kurz nach Weihnachten war ein Mitglied des Kriegervereins verstorben und der Biggo, den man nie in der Kirche sah, trat an das offene Grab und sprach: „In diesen Dachen, wo das Licht zu uns Menschen gekommen ist, hat sich eine dungle Wolge der Drauer über diese Gemeinte gelechd. Der Dod unseres guden Kameraden, der allseits belibbde Friederich, had uns alle dief gedroffen…“ Die Trauergemeinde war beeindruckt, ich auch, denn sonst würde ich Biggos Worte längst vergessen haben.

Der Ortspfarrer fand immer, dass die Spendenfreudigkeit seiner Schäfchen zu wünschen übrigließe und deshalb schickte er meinen Vater los, um das Kirchgeld einzusammeln, wohl in der Annahme, dass, wenn der Baron kommt, sich keiner traue, wenig zu geben. Einmal hat er das gemacht, dann hat er die Aufgabe an mich weitergeleitet, der ich mit Inbrunst nachkam. Wie sonst wäre ich in alle Häuser des Dorfes gekommen?

Es war herrlich: Der alte Schleichers Bauer erzählte von meinem Urgroßvater: „Der had sie junga Mädla fei a wenig gern gsehn.“ Die Saddlera gab mir Plätzchen und erzählte mir, ihr Mann, der Sattler sei im Krieg vermisst. Der Appelmanns Schuster, der Großvater meines Freundes Berthold, zeigte mir, wie man mit Nägeln aus Holz Absätze an der Sohle fixiert, der „glaa Schmied“ erlaubte mir, Eisen in die Glut zu legen und dann mit dem Hammer auf das dann weiß rote Stück einzuschlagen. Frau Kawan wohnte mit meinem Klassenkameraden, den wir boshafter Weise „die Gurge“ nannten, in der Gasse hinter dem kleinen Schmied an der öffentlichen Wasserpumpe. Ich verstand sie nicht, weil sie kein fränkisch sprach.

Schräg gegenüber wohnte der Ziers Fritz, der an hohen Tagen der Christenheit im Posaunenchor das Bumberdoon spielte. Er hatte einen Jagdhund, Tell, und wenn der apportieren sollte rief er „Dell, abord, abord.“

Glückliche 6000 Jahre

In der Süddeutschen vom 22.4.2017 wurde ein Artikel publiziert, der die Diskrepanz zwischen US Forschern und US Christen darstellt.

Man muss sich das mal reinziehen: 30.000.000 (in Worten: Dreißig Millionen) Amis glauben, dass die Erde genauso erschaffen wurde, wie es in der Bibel steht.

Beweis: (Finger auf die Bibel) Da steht‘s doch!

Der göttliche Prozess des Erschaffens begann vor 6000 Jahren und dauerte sechs Tage und keinen Moment länger. Nun ist Gott in erster Linie ein vom reformatorischen Arbeitsethos geprägtes Wesen: Wenn er am Samstagabend noch nicht fertig gewesen wäre, hätte er am Sonntag niemals ruhen können, nix da, mit der südlichen „mañana Mentalität“.

Wem das nicht Beweis genug ist, der sei an die Chinesen erinnert: Die wussten vor 6000 Jahren nichts von Gott und das tun sie zum großen Teil heute noch nicht. Dennoch sind sie alle so geschaffen worden, wie es in der Bibel steht. Okay, mit Schlitzaugen zwar, aber das weiß sogar jeder evangelikale Farmer: „Nach hinten fällt der Bulle ab!“

Evolution wird ja bis heute insbesondere von WASPS (white anglo-saxon protestants) geleugnet, weil sie unangenehmerweise suggeriert, man könne nicht nur vom Affen, sondern, fast schlimmer noch, vom Neger abzustammen. Die Leugnung jeglicher Evolution macht es erst möglich zwischen großartigen (awsome) weißen Menschen und – naja – eben Menschen anderer Hautfarbe zu unterscheiden.

Dabei würde die menschgemachte Klimakatastrophe doch so gut in das Welt- und Sündenbild der Evangelikalen passen:

Erbsünde entstand durch Evas Biss in den Apfel. Für so was sind dann Frauen als Protagonisten grad recht. Der Dinosaurier, der bis dahin zahm an Evchen Seite gelebt hatte, wurde durch den Biss in den Apfel zum Fleischfresser. Im deutschen Besinnungsaufsatz hätte mein Lehrer hier mit roter Tinte „Bezug?“ an den Rand geschrieben.

Der Untergang Roms mit gleichzeitigem Aufstieg der Germanen? Ist doch so klar wie der Sieg Deutschlands über das sündige Frankreich 1871. Gott straft den Zügellosen und lohnt des Helden Zucht.

AIDS? Gottes Strafe für Tohuwa Popohu.

Warum ist der Klimawandel nicht Strafe Gottes? Die Ausbeutung der Natur, die Ausbeutung der Welt nach dem Kosten-Nutzen Prinzip, Krieg um Erdöl, Abholzung des Regenwaldes, das sind doch alles menschgemachte Fehlleistungen, oder?.

Seht her, so schnell kann es gehen, dass man falsch denkt: Der Klimawandel kann keine Strafe Gottes sein, weil es ihn gar nicht gibt.

Ich aber auch!

Ich bin wirklich bestürzt, wie die bodenlose Blöd- und Verbohrtheit einiger Christen die ganze Mannschaft in Misskredit bringt, so wie es mich erbost, dass die kriminellen Hassprediger es fertiggebracht haben, den gesamten Islam unter Generalverdacht zu stellen.

Es ist ja schön, einen Glauben zu haben. Das ist eine individuelle Entscheidung. Ich finde aber, es ist keine individuelle Entscheidung mehr, deshalb gleich das gesamte Hirn abzuschalten.

Fundamentalisten gab es schon immer. Nun aber haben diese Fundamentalisten einen 45. Präsidenten gewählt. Der lebt zwar nach allen Messlatten ihres Glaubens vollkommen gottlos, zumal sündig in dritter Ehe und durch Nadelöhre passt der schon mal gleich gar nicht!

Das macht aber nix, denn er leugnet die Erderwärmung.

SANCTA, meinetwegen

SIMPLICITAS aber sicher!

 

 

 

Menschenwürde. Das Recht auf Unvorhersehbarkeit.

Das Gute an den Verwandtenbesuchen über Ostern ist, dass man auf diese Weise freiwillig Menschen trifft, die man sonst nur auf Beerdigungen sieht. Es wird sich noch etwas hinziehen, bis ich alles verarbeitet habe, was ich in Thüngen, wo meine Mutter herkommt, mit Freunden und Verwandten besprochen habe, hier erstmal Eines:

Wir sprachen über Menschenrechte und überlegten, ob das Klonen von Menschen mit der Würde desselben vereinbar sei. Der Bauch sagt natürlich unreflektiert vehement „nein“, auch wenn es irgendwie faszinierend klingt, wenn man sich durch einen Klon ein seelenloses Ersatzteillager an Organen anschaffen kann. Seelenlos deshalb, weil ich natürlich zunächst davon ausgehe, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes sind. Ein nicht von Gott geschaffener Mensch ist deshalb per definitionem „seelenlos“.

Das wäre im Lichte der Menschenrechte erstmal unerheblich, denn die Menschenwürde ist losgelöst von jeglichem Credo in unsere Verfassung gekommen. Christen, Buddhisten, Juden, Moslems, Atheisten und Hindus, die Würde aller Menschen ist unantastbar. Deshalb war es mit interessant, die Frage zu diskutieren, ob man einen Menschen klonen darf, ganz unabhängig davon, ob ein Mensch das Geschöpf Gottes ist oder nicht.

Ich sagte, einen Menschen dürfe man schon deshalb nicht klonen, weil dann ein gengleicher künstlicher Mensch entstünde, der allerdings nicht gleich bliebe, weil die Umstände des Lebens, das zu leben ihn trifft, nicht die nämlichen sein werden, die die „Klonmutter“ treffen oder getroffen haben. Sie werden also nie gleich sein. Hinzu kommt, dass auch ein Mensch, der unter Missachtung der Menschenwürde geschaffen wird, natürlich Anspruch auf Menschenwürde hat, er kann also niemals als Ersatzteillager gebraucht und missbraucht werden.

Darüber hinaus ermangelt es dem geklonten Leben einer Eigenschaft, die mir nachhaltig zu denken gibt: Ein Mensch kann nur dann im Sinne der Menschenwürde geschaffen werden, wenn dies zufällig geschieht. Das Zusammentreffen von Samenzelle und Eizelle muss notgedrungen zufällig sein, die Züchtung von Menschen ist rechtswidrig.

Nun ist es ja nicht so, dass unser Leben einfach wäre.

Darum: Und was ist mit der in vitrio Fertilisation? Das ist ja nun alles andere als zufällig. Da gilt der Wille des Paares, das sich Nachkommen wünscht, mehr als das Recht des Ungeborenen auf Zufälligkeit. Alles, was darüber hinausgeht, ist aber deutlich mit der Würde des Menschen nicht vereinbar, also natürlich auch der Versuch, den „idealen“ Germanen zu schaffen, selbst dann, wenn unter Umständen die beteiligten Hitlerjungen und BdM Maiden einverstanden gewesen sein sollten.

Stellen wir uns nur kurz vor, die Zufälligkeit, das Unvorhersehbare wäre plötzlich nicht mehr Teil unseres Lebens: Glück, Unglück, Lebensweg, Partnerwahl und natürlich der eigene Tod wären bekannt und veröffentlicht. Vorzüge hätte das natürlich schon: endlich wäre der Urlaub so planbar, dass man zu Onkel Fridolins Beerdigung grad noch rechtzeitig von den Seychellen zurückkäme. Das gewählte Beispiel zeigt, wie absurd das alles ist, und zeigt auch, welch hohes Gut die Nichtvorhersehbarkeit unseres Lebensweges ist.

Friedrich II, der Staufer, hatte in schon fortgeschrittenem Alter eine Wahrsagerin befragt, die ihm mitteilte, er werde an einem blumigen Ort sterben. Daraufhin beschloss der Listige, der sein ganzes Leben damit zugebracht hatte, Konventionen, Gesetzmäßigkeiten und überkommene Ethik über den Haufen zu werfen, diesmal den Tod zu überlisten und mied „hinfort“ die Stadt Florenz.

Er starb im Castell Florenti

Gegen die Islamhetze

Immer häufiger findet man in den sozialen Medien Aufrufe, sich gegen den Islam zu stellen. Das sei eine verbrecherische, mörderische und rückwärtsgewandte Religion. Autoren, die in Ländern mit mehrheitlich moslemischer Bevölkerung gelebt haben, berichten von Steinigungen, Auspeitschungen, Zensur und Hinrichtungen.

Und sie haben ja Recht, sowas gibt es tatsächlich in Staaten, in denen der Islam Mehrheits- oder Staatsreligion ist.

Das kann aber niemanden verwundern, denn keiner dieser Staaten ist eine Demokratie oder ein Rechtsstaat.

Der Mensch ist schlecht, wenn man ihn lässt. In Deutschland hat man zwischen 1933 und 1945 gesehen, wie innerhalb kürzester Zeit alle Bande frommer Scheu abfielen und der Staat mit Wissen und Duldung seiner Bevölkerung Juden, Schwule, Behinderte und sogenannte Gewohnheitsverbrecher umgebracht hat.

Im demokratischen Deutschland leben etwa 4,5 Millionen Moslems. Kommt es hier zu Steinigungen, Auspeitschungen etc?

Natürlich gäbe es diese Barbareien auch in Deutschland, wenn man die Leute nur ließe. Ich erinnere mich an den Fall eines Sittlichkeitsverbrechers in meiner fränkischen Heimat in den 60er Jahren. Einhellige Meinung vor dem Landgericht: „Zwirnt na nauf!“

Und die wütende Volksseele hätte das auch getan, aber da war der Rechtsstaat in Form der Polizei vor.

Mein Freund Heiner Süselbeck hat neulich gesagt, wir hätten bereits ein Islamgesetz, es hieße allerdings Grundgesetz.

Wer den Islam bei uns verteufelt, tut der Demokratie einen Bärendienst, weil er so die Moslems in eine Schmollecke drängt, wo diese Menschen alles werden außer integriert. Dort, in der Wegwendung von der Gesellschaft, entstehen dann Radikalisierungen und junge Menschen entschließen sich, sich dem Terror zuzuwenden, den ein Islam, der zu politischen Zwecken missbraucht wird, predigt.

Die unbestreitbaren Auswüchse und Widerwärtigkeiten, die im Namen des Propheten geschehen, können nur dort wachsen und gedeihen, wo Demokratie ein Fremdwort ist.

Ich will in keiner Weise behaupten, die Integration unserer muslimischen Mitbürger sei eine einfache Sache. Fehler und Widerstände auf beiden Seiten erschweren das seit Jahrzehnten.

Seien wir doch einfach etwas demütiger, denn im Namen unseres christlichen Gottes wurden auch Kriege geführt, Unschuldige verbrannt und von Staats wegen systematisch Unrecht begangen.

Halten wir an den Werten unserer europäischen Demokratien fest, bewahren und stärken wir sie. Dann haben weder missbrauchte Religionen noch verbrecherische Ideologien auf die Dauer bei uns eine Chance.

 

Islamgesetz

In der CDU denkt man über ein Islamgesetz nach.

Das ist kein Wahlkampfgetöse, das ist höchstens Wahlkampfgeraschel, denn jedem Juristen ist klar, dass es fast unmöglich sein wird, ein Islamgesetz zu erlassen, das nicht die Verfassung verletzen würde.

Jeder versteht, dass ein Gesetz, dass nur diejenigen betrifft, die Schultze heißen, elementar gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen würde. So ähnlich wäre es mit dem Islamgesetz.

Dennoch lohnt es, in dieser Richtung weiter zu denken.

In meiner Jugend gab es die beiden großen christlichen Kirchen und einige versprengte winzige Minderheiten, die demoskopisch überhaupt keine Rolle spielten. Hinzu kam, dass beide Kirchen durch Verträge mit dem Staat gleichbehandelt wurden, ich verweise auf die Kirchensteuer, die durch das Finanzamt einkassiert wird.

Ich hielt bisher immer dieses deutsche Sondergut für einen eklatanten Einbruch in das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche, aber selbst ich bin lernfähig.

Die Situation hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend geändert. Es gibt eben nicht mehr nur die beiden christlichen Kirchen. Durch millionenfachen Zuzug aus dem Ausland sind dringend benötigte Arbeitnehmer ins Land gekommen, die zu einem erheblichen Teil dem Islam anhängen. Das ist uns Mitteleuropäern eine vollkommen fremde Religion und deshalb verhalten wir uns so, wie die Soziologie es lehrt: Das Fremde und Neue wird erstmal abgelehnt. Übrigens auch dann, wenn das Fremde schon nichtmehr ganz so neu ist.

Das ist gesamtgesellschaftlich gesehen ein besorgniserregend falsches Verhalten. Der Islam ist nun mal in Deutschland angekommen und da nützt keine Ablehnung, Hass schon mal gar nicht, vielmehr müssen wir uns mit dem Islam befassen.

Und da stellen wir fest, dass sich die Moscheen weder selbst finanzieren noch von Seelsorgern geleitet werden, die Wurzeln in der deutschen Gesellschaft haben. Grob gesagt, schickt und bezahlt die Imame der türkische Staat und die Moscheen finanziert der Petrodollar.

Wer zahlt, schafft an. Und so muss es nicht verwundern, wenn in den islamischen Gotteshäusern nicht auf Deutsch gepredigt wird und es immer wieder zu Hassparolen kommt, mit denen die Gläubigen nicht unbedingt integrationsfähiger werden.

Es muss ein Religionsgesetz her, das für alle Religionen gilt. Darin sollte stehen:

  1. Aus den jeweiligen Heiligen Schriften kann in jedweder Sprache gelesen werden, aber die Predigten werden in deutscher Sprache gehalten.
  2. Die Seelsorger werden in der Regel in Deutschland ausgebildet. Wurden sie im Ausland ausgebildet, haben sie sich einer Sprach- und Eignungsprüfung zu unterziehen.
  3. Jede Religionsgemeinschaft finanziert sich aus den Mitteln ihrer Mitglieder. Das Finanzamt kann, wenn das gewollt ist, Hilfe beim Einzug leisten.
  4. Spenden werden offengelegt.
  5. Alle Religionsgemeinschaften müssen die Werte des Grundgesetzes vorbehaltlos unterstützen.

Wir sollten Schluss machen mit dem Nachdenken über Islamgesetze. Wir müssen aber auch dringend Schluss machen mit der Dämonisierung des Islam, gleichzeitig aber unmissverständlich klarmachen, dass die Freiheit der Religionsausübung nur dann gewährleistet ist, wenn die Werte unserer Demokratie respektiert werden.

Dürfen Engel Farben tragen?

Eine von mir sehr geliebte Patentante schenkte mir zu jedem Weihnachtsfest einen weiteren Band der „Stuttgarter Bilerbibel für das christliche Haus.“ Viele Bilder haben mich natürlich mein ganzes Leben begleitet, so der Durchzug der Kinder Israel durch das Rote Meer, Moses im Körbchen auf dem Nil und der liebe Gott als bärtige Gestalt, die aus den Wolken hervorbraust.

Am eindrücklichsten aber waren die Bilder von Johannes dem Täufer bis zur Geburt Christi. Die Raben, die Brot brachten, der Kopf des Predigers, den man Salomé auf einem Teller reicht, die Verkündigung der Geburt und schließlich die Szene im Stall.

Ich war daher überhaupt nicht erstaunt, als ich neulich in der alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel Schnorr von Carolsfelds Verkündigung fand.

Das Bild hat alles, was es braucht: Maria senkt den Blick züchtig, sie liest gerade im Ratgeber „Proper Housekeeping for Unmarried Girls“. Hinter ihr eine arkadische Landschaft, die sich deutlich von den Bildern unterscheidet, die uns in der Tagesschau vom Heiligen Land gezeigt werden. Zwischen ihr und dem Engel steht ein filigraner Blumenstrauß, der etwas symbolisieren soll, nach dem Motto: „Na, wie ick den Landen hier kenne, wird es die unbefleckte Empfängnis sein.“

Der Verkündigungsengel stürmt auf sie zu, die Bänder, die ihn gürten, flattern hinter ihm, wie die Striche bei Walt Disney, die Geschwindigkeit andeuten sollen. Wenn er nicht gleich abbremst, zerdeppert er die Vase und Maria muss in ihrem Buch nachschlagen, wie man das Malheur beseitigt. Zwei nach unten gewölbte Finger deuten an, dass er etwas Wichtiges zu sagen hat.

Über allem der Heilige Geist – la paloma blanca. Man weiß nicht, stürzt sich der Vogel auf den Inhalt der Gefäße auf dem Bord oder rüttelt er falkengleicht über der Szene?

Alles wirkt sehr mediterran, es könnte auf einer „possessió“, einem Herrenhaus auf Mallorca spielen.

Doch halt: Was ein rechter Engel ist, der hat auch Flügel, und die Flügel dieses Engels sind schwarz-rot-gold. Was soll das denn?

Das Bild entstand 1820. Der Schrecken, die Furie Napoleon war bezwungen, erst ein Jahr später starb „L’Empereur“ auf Sankt Helena.

In Europa begann die Jugend darüber nachzudenken, was denn nun werden solle. Nachdem sie unter größten Verlusten in den Befreiungskriegen den Kopf hinhalten durfte, stellte man nun resigniert fest, dass es eine Befreiung zu den Zuständen vor 1805 geworden war. Metternich überzog das Land mit einem Spitzelnetz, um das ihn Erdogan beneiden würde. Freies Denken war möglich, freies Sprechen schon erheblich weniger, freies Publizieren ging gar nicht.

Natürlich war die Jugend der deutschen Kleinstaaterei müde. Das führte zu ständigen Kriegen gepaart mit lähmender Provinzialität.

Der Gedanke der deutschen Einheit durfte gedacht werden aber unter keinen Umständen durfte er artikuliert werden. Erst beim Hambacher Fest, zwölf Jahre später, wagte man es, Fahnen in schwarz-rot-gold zu schwenken.

Wenn aber Schnorrs Verkündigungsengel diese Farben auf den Flügeln trug, dann bekam der Begriff „Verkündigung“ eine ganz neue Bedeutung und jeder verstand sofort, weshalb es der Engel so eilig hatte.