„Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“
Da steht er nun der kategorische Imperativ. Er tut das seit dem Jahr 1785. Alle finden, der Kant, ja Recht hat er schon, nur ist es halt so eine Sache, diesen komplizierten Gedanken auch umzusetzen.
Der zentrale Gedanke ist „die Maxime deines Willens“. Was ist das denn bitteschön?
Kant, und das nimmt man ihm vielerorts übel, geht davon aus, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, dass durch die pure Anstrengung seiner Denkfähigkeit zu eigenständigen Ergebnissen, eigenständigen Maximen kommen kann.
Ja, wo kämen wir denn da hin?
Eigenständiges Denken ist der Feind jeden Kollektivs. Parteien, Vereine, Kirchen, Fußballklubs und Familien haben alle ein gemeinsames Prinzip: Durch die Bündelung von gemeinsamen Interessen, Überzeugungen oder Zielen, wird selbständiges Denken weitgehend überflüssig. Die Lehre, die Ideologie, das Ziel oder die Hoffnung sind so klar definiert, dass es leicht wird, verhältnismäßig kritiklos, manchmal sogar gedankenlos dem Guru, dem Präsidenten, dem Idol oder dem Alphatier zu folgen. Die Maxime des eigenen Willens wird ersetzt durch das Gemeinsame.
Dagegen ist a priori nichts einzuwenden. Irgendwo möchte man sich ja auch zu Hause fühlen.
Problematisch wird die Sache stets dann, wenn das Vereinende von dessen Gefolgsleuten zum „Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung“ erhoben wird.
Dass das Diktatoren so machen ist klar, dass die Kommunisten das machten ist mega-klar. Dass die Religion dazu missbraucht wird, wissen wir längst. Aber ist uns auch klar, dass das auch hierzulande so geschieht?
In dieser Woche wurde plötzlich die Ehe von den konservativen Christen gekidnappt und für göttlich erklärt. Es blieb ihnen auch wenig anderes als die Entführung, denn die Ehe wurde nicht von Gott gestiftet und ist auch per se nichts Heiliges. Für viele Christen ist sie allerdings schon etwas Heiliges. Das ist ja auch gut so. Aber dürfen Christen so tun, als gelte das für alle?
Die Diskussion um die Ehe für alle hat wieder einmal exemplarisch gezeigt, dass viele meiner lieben Mitchristen immer noch postulieren, dass das göttliche Gesetz über dem weltlichen Gesetz steht. Damit verlangen sie aber, und wir wollen mal hoffen, dass sie das gar nicht merken, nach nichts anderem als nach dem Gottesstaat. Wozu das führt sehen wir in Nahost.
Kants Verdienst war es, den Willen des Menschen losgelöst von Gott oder anderen Autoritäten zu definieren. Zeitgeist der Aufklärung eben.
Glücklicherweise leben wir in einem säkulären Staat, einem säkulären Rechtsstatt sogar. Warum ist es so schwer zu verstehen, dass jeder hier und glauben kann, was er will? Warum ist es so schwer zu verstehen, dass weder Einzelne noch Kollektive das Recht oder gar den Anspruch haben, verlangen zu dürfen, dass der Staat nach ihren Überzeugungen organisiert wird?
Und warum ist es schwer zu verstehen, dass selbst christliche Politiker Gesetze verabschieden müssen, die nicht den eigenen aber den Bedürfnissen anderer gerecht werden müssen. Maxime sind dabei die Menschenwürde und das Recht auf freie Persönlichkeitsgestaltung.
Deswegen ist es in einer von Christen mit regierten Demokratie vollkommen richtig und verfassungskonform, eine vernünftige Abtreibungsregelung geschaffen zu haben und deshalb war es auch vollkommen richtig, dass 75 Politiker aus der Unionsfraktion für die Ehe für alle gestimmt haben.
Alles was die Menschenwürde beeinträchtigt (§ 1 BGB: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt“), alles was die freie Entfaltung der Persönlichkeit behindert, ist verfassungswidrig.
Das ist jetzt einmal leicht zu verstehen, oder?