Wen meinte Bonhoeffer?

Es muss ein Anfall von midlife-crisis gewesen sein, als ich 1997 den Segelschein machte. Ich dachte, das Leben berge keine Herausforderungen mehr an mich, also suchte ich mir eine.

Als ich meiner Mutter von der bestandenen Prüfung berichtete, begann sie sofort zu klagen, das sei ja schrecklich, und wie ich ihr denn sowas antun könne.

Ich bat sie, sich zu erklären: „Ach, da muss ich ja jetzt andauernd Kränze ins Mittelmeer werfen“. Offenbar erwartete sie, dass man als Segler mehrmals ertrinken kann.

Richtig gesegelt bin ich nie, obwohl ich mir eine Jolle gekauft hatte. Der Baum knallte mir bei Wendemanövern immer an den Kopf, weil er einfach zu tief hing. Meine Kinder behaupteten, mein dicker Bauch hindere mich am schnellen Wegducken.

Wie dem auch sei, es lag kein Segen über der Angelegenheit. Bald verkaufte ich die Jolle und meine Mutter war erleichtert.

Nun habe ich in der kommenden Woche vor, meinen ersten richtigen Segeltörn auf der Adria vorzunehmen. Skipper ist ein Vetter, der behauptet, segeln zu können. Wir, das sind noch drei weitere Verwandte, meine Frau und ich, sind nun sehr gespannt auf das, was auf uns zukommen wird.

Dass die Sache doch etwas mulmig ist, merkte ich daran, dass ich meinem Patensohn in Rentweinsdorf von dem Törn berichtete und ich ihn, schließlich ist er Chef der Familie, bat, sollten wir umkommen, nach Split zu reisen und dort für jeden eine Kranz in die Adria gleiten zu lassen.

Seine Antwort war entwaffnend: „Onkel Hans, da runter zu fahren, ist viel zu teuer, die Dinger schmeißen wir in den Kappelsee“.

Es muss der Heilige Geist gewesen sein, der mich in dem Moment an Bonhoeffers Gebet denken ließ:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“

Seither nagt der Verdacht in mir, Bonhoeffer könnte mit den guten Mächten doch nicht die Familie Rotenhan gemeint haben.

Die Hammerzehen Ihrer Majestät

Als ich in Marburg studierte wohnte ich für 75 DM in einem kleinen Zimmer in der Weidenhäuser Straße. Eines schönen Tages stand ich in der Sparkasse Schlange hinter einer sehr altmodisch gekleideten Dame. Dass es sich wirklich um eine Dame handelte, bemerkte ich daran, dass sie ganz offensichtlich, nicht gewohnt war, Schlange zu stehen. Als sie dran war, kramte sie einen zerknüllten Brief aus der Tasche und bat den Kassierer, ihn ihr vorzulesen, sie sei fast blind. Der Kassier lehnte das natürlich ab und so setzte ich mich mit ihr in eine Ecke und erfüllte ihre Bitte. Der Brief war gerichtet an Manon Gräfin zu Solms Laubach. Kein Wunder, dass sie nicht Schlange stehen wollte…

Der Mops ist alter Damen Freude, und so besuchte ich sie oft in ihrem Altersheim. Ich wohnte im Haus deneben. Sie lebte dort eher kümmerlich unter lauter vermeintlichen Kriminellen, die ihr ständig das Joghurt aus dem gemeinschaftlichen Eisschrank klauten.

Ihr Vater war kaiserlicher Regierungspräsident in Elsass-Lothringen gewesen, und hatte zu Lebzeiten eine schöne Rente. Nach seiner Pensionierung lebte die Familie in einer stattlichen Villa mit Park am Rande Marburgs. Da anzunehmen war, Manon werde heiraten, hatte sie nichts gelernt und nie gearbeitet. Aufs Alter ging dann das Geld aus. Ihr Bruder, Ernst Otto, kam für sie auf, hielt sie aber knapp, was sie ihm übelnahm.

In der Weidenhäuser Straße kannte man sie nur als die Vogelgräfin, weil sie eine spezielle Vorliebe für diese Tiere hatte, aber nicht für alle. Auf den breiten Sims vor ihrem Fenster, streute sie im Winter reichlich Vogelfutter. Meisen, Spatzen, Kernbeißer und Kreuzschnäbel waren willkommen, aber wehe, eine Taube wagte sich an den Futterplatz. Wenn das passierte, nahm die Vogelgräfin einen extra bereitstehenden Becher kalten Wassers und schüttete ihn über das arme Vieh.

Sie wollte mich zu ihrem Erben machen, denn Karl Ottochen war wegen scheinbaren Geizes in Ungnade gefallen, ebenso ihre Patennichte, denn die war geschieden und deren Schwester, da dement, kam auch nicht in Frage. Schließlich brachte ich sie dazu, ein Testament zugunsten der geschiedenen Patennichte zu errichten, und argumentierte, ohne sie würde sie im Winter gar nicht gehen können, denn:

Die Patennichte war mit einem Mann verheiratet gewesen, der eine Fabrik für Holzbeine betrieb. Trotz stattgehabter Scheidung ließ er es sich nicht nehmen, im Winter jede Woche eine Kiste Sägemehl per Post an die Gräfin zu schicken. Wenn sie auf die Straße ging, hängte sie sich einen Leinensack mit Sägemehl um den Hals. Vor jedem Schritt streute sie eine Handvoll davon auf die Straße und so hatte sie das Gefühl sicher zu gehen. Die Weidenhäuser Straße nahm an dem Spektakel Anteil.

Ich wohnte damals zur Untermiete bei einem Herrn, der im Erdgeschoss des Hauses eine Schusterei betrieb. Eines Abends lud er mich auf ein Glas Bier ein, und als ich seine Wohnung betrat, hatte er einen Anzug aus Schlangenleder und offenbar sonst nichts an. Ich fand, dass damit mein Aufenthalt in der Weidenhäuser Straße seinen Höhepunkt erreicht hatte und mietete mich zur Untermiete im Forstamt ein. Es stellte sich heraus, dass dies just die Villa des alten Grafen Solms war. Ich arrangierte einen Besuch in Manons altem Elternhaus und war von Stund an „persona gratisima“ sowohl bei der Forstamtsgattin als auch bei der Vogelgräfin.

Manon liebte es, in die Konditorei eingeladen zu werden. Oberhalb der Stadt gab es ein Ausflugslokal, wo Damen mit Hutnadel verkehrten. Dort erzählte sie mir mit Stentorstimme Geschichten, denen die erwähnten Damen gebannt zuhörten. Es handelte sich ausschließlich um Begebenheiten aus dem mitteldeutschen Hochadel. Büdingens, Ysenburgs, Stolbergs und Solmse wurden in Anekdoten und unbeschreiblichen Abenteuern ausführlichst beschrieben. Auch Carmen Sylva, die dichtende rumänische Königin aus dem rheinischen Hause Wied, kam immer wieder vor. Manon erzählte mit überlauter Stimme, Carmen Sylva sei einmal in Berlin zum Arzt gegangen, weil sie an Hammerzehen litt. Im Café war es mucks Mäuschen still geworden, als sie fortfuhr: „Der Doktor hat gleich gesagt, da kann man wenig machen, aber seien Majestät froh, hat sie doch nur Hammerzehen. Hämorrhoiden sind viel schlimmer und fangen auch mit H an.“

Ein Raunen ging durch den Saal…

Logik ist nicht immer Logik

Logik ist die Lehrer von der Folgerichtigkeit des Denkens. Es ist logisch, dass der Stein birst, wenn man lang genug mit dem Hammer draufhaut. Es ist auch logisch, dass das Hungergefühl nachlässt, wenn der Mensch etwas isst.

In den vergangenen Monaten aber mussten wir erleben, dass es ganz offensichtlich diesseits und jenseits des Atlantiks zwei verschiedene Denkschulen gibt, die die Folgerichtigkeit unseres Tuns unterschiedlich bewerten.

In Europa ist es verfestigte Überzeugung, dass eine allgemeine Krankenversicherung gut ist für alle Menschen und, wenn sie nur konsequent verwaltet wird, zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen führt.

Nicht so in den USA. Dort denkt man, dass eine allgemeine Krankenversicherung die Menschen entmündigt, dass dies ein Anschlag auf die Freiheit des Bürgers sei, mit einem Wort: Sozialismus.

Der diffusen Angst der US Bürger vor dem, was sie Sozialismus nennen, was wir als Sozialdemokratie verstehen, könnte man begegnen, indem wir als Europäer nachweisen, dass die gehabten sozialdemokratischen oder sogar sozialistischen Regierungen in Europa dann nicht allzu schlecht waren, solang sie sich im demokratischen Wertesystem bewegten.

Davon aber will man jenseits des großen Teiches nichts wissen, selbst dann nicht, wenn sich nun herausgestellt hat, dass die Abschaffung der allgemeinen Krankenversicherung schwieriger ist, als deren Einführung.

Unsere Logik sagt, dass Amokläufer an ihrem Tun behindert werden, wenn der Zugang zu Waffen beschränkt ist. Wenn ein Verrückter eine Waffe hat, ist die Chance, dass er sie benutzt größer, als wenn ein Verrückter keine Waffe hat.

Selbst die Verletzten von Las Vegas aber sagten, nicht die Waffe sei gefährlich, sondern der Verrückte dahinter. Die Logik würde gebietet, wenn dem so ist, den Verrückten abzuschaffen. Da das nicht so ohne Weiteres geht, sollte man halt die Waffe abschaffen, oder zumindest ihren Erwerb erschweren.

Die Waffenlogik geht sogar noch weiter: Wären alle Besucher des Konzerts in Las Vegas bewaffnet gewesen, hätte man dem Schützen schnell den Garaus gemacht. Eine angesichts der ausgebrochenen Panik geradezu hirnrissige Idee.

Der 45. Präsident hat im Wahlkampf versprochen, „never ever“ die Waffengesetze zu ändern. Man kann nur hoffen, dass er mit diesem Versprechen ebenso sorglos umgeht, wie mit allen anderen. Ansonsten müsste man ihm vorwerfen, er nehme den Schusswaffentod von jährlich 33.000 US Bürgern billigend in Kauf. Dies erfüllt in europäischen Rechtsystemen den Tatbestand er Beihilfe zum Mord.

Das wird dem Herrn im Weißen Haus ziemlich egal sein, zeigt aber, dass Logik eben nicht Logik ist.

Von Zenon bis Kant rotieren die bedeutenden Denker dieser Welt in ihren Gräbern.

Stolz auf Soldaten

Als neulich der unsägliche Ausspruch rundging, man könne auch als Deutscher stolz darauf sein, was unsere Soldaten in den beiden Weltkriegen geleistet haben, kam mir dieser Satz zunächst vollkommen normal vor.

In meiner Kindheit habe ich nichts anderes gehört. Mein Großvater war kaiserlicher Berufssoldat gewesen, mein Vater war Gleiches in der Wehrmacht, meine Großmutter war eine in der Wolle gefärbte Militaristin und meine Mutter wurde sauer, als ich die einmal fragte, weshalb die Deutschen denn dauernd Kriege verlören, immerhin die beiden letzten.

Dem stand in keiner Weise entgegen, dass ich alle vier abgöttisch liebte, ich hatte als Kind keine Wahrnehmung, die dem widersprach, was um mich gedacht und geredet wurde.

Soldat zu sein, war eine riesige Ehre, in der Bibliothek standen bebilderte Bücher, die 1914 bis 1918 in den hehrsten Farben schilderten, unsere Großmutter las uns abends auch Bücher von Pearl S. Buck vor, aber das Leben auf dem U-Bott oder dem Panzerkreuzer wurde uns von ihr vor dem Schlafengehen ebenso nahegebracht.

Vom Gefühl her ist mir all das ganz nah, was die Neonazis nun wieder propagieren. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Deutschen, die in den 50er Jahren aufgewachsen sind, ebenso wie ich eine tendenziell rechtslastige Erziehung erhalten haben.

Es ist unseren Lehrern zu verdanken und dann natürlich auch den 68ern, dass unsere Generation aus dem Cocon der Nachkriegsdenke herausgefunden hat.

Als die Mauer fiel, war mir sofort klar, dass dies auf die Dauer zu einem Rechtsruck in der deutschen Politiklandschaft führen würde. Wo das Denken gelenkt wird, wird der Bodensatz des alten Denkens nicht weggespült, und wo der Staat per se den Antifaschismus für sich gepachtet hat, ist Vergangenheitsbewältigung nicht notwendig. Dann blubbert eben weiter das Gerede, dass es in den Nazi- Jahren noch Arbeit, Wohlstand, Ordnung und Ehre gab. Übrigens, und das mag ein Knackpunkt sein, das war für einen Arbeitslosen aus Hoyerswerda gefühlsmäßig zum letzten Mal so „beim Adolf“ so.

Da kommt es gut an, wenn einer sich mal wieder traut und einen „man-wird-sowas-doch-noch-mal sagen-dürfen“ Satz rauslässt. Nicht umsonst stand auf den blau-roten Wahlplakaten „Trau dich, Deutschland!“

Die Beißhemmungen entfallen zunehmend und wir, die wir einen intellektuell anderen Weg zur deutschen Vergangenheit gefunden haben, stehen mehr oder weniger hilflos herum. Die „Waffen“, die wir bisher in der politischen Auseinandersetzung gebraucht haben, taugen plötzlich nicht mehr. Ich meine das Wort. Wer nicht zuhören will, kann nicht diskutieren. Dabei ist das gesprochene oder geschriebene Wort das einzig legitime Mittel, das in der demokratischen Auseinandersetzung gebrauch werden darf. Wir dürfen nicht zulassen, dass Demagogie, Pöbelei, Hass und Gewaltbereitschaft normal werden.

Wir in Deutschland haben immerhin allen Grund, sehr zufrieden zu sein mit unserer Bundeswehr. Mit wenigen Ausnahmen hat sie sich stets als demokratisches Heer verstanden und benommen.

 

A Fichürla wie a Deichmolch

Bei Kindern ist immer irgendwas Mode und das wird dann bis zum Abwinken betrieben, sei es Fahrradfahren, Ritterles, Fangerles, Fussball oder Versteckerles. Bei meinen Vettern in Thüngen war lange Zeit das Fangen und Halten von Teichmolchen große Mode. In Eimern, Weckgläsern oder Bierflaschen wurden die bedauernswerten Viecher gehaltern, manchmal auch in Freigehegen, die den zusätzlichen Reiz brachten, die Lurche über Nacht am Abhauen zu hindern, was meist misslang. Tagelang standen wir in moddrigen Pfützen und Tümpeln, um mit der Hand oder mit einem kleinen Netz die Teichmolche wieder einzufangen, die uns in der Nacht zuvor abhandengekommen waren.

Es war Sommer, wir hatten nur kurze Lederhoden an und waren alle braungebrannt, als kämen wir gerade von der Adria zurück. Auf dem Thüngener Schlosshof versuchten auch unsere Tanten, braun zu werden. Sie lagen züchtig im einteiligen Badeanzug auf Liegestühlen. Bewegungslos und mit geschlossenen Augen dienten sie dem Gott der Schönheit.

Natürlich schauten wir, die vorpubertären Burschen, uns genauer an, was da geboten wurde, wobei der Gedanke, die Tanten mit Wasser zu bespritzen, das Verlockendste an dem ganzen Unternehmen war. Allerdings trauten wir uns das nicht und spielten weiter Teichmolch-Dompteure. Die eher plumpen Tierchen gediehen in unserer Obhut und unserer Phantasie zu wunderschönen  Geschöpfen, wir bewunderten ihre Behändigkeit und Eleganz im Wasser und belachten ihre Unbeholfenheit auf dem Sand.

Eines Tages sonnte sich Tante Christa auf dem Schlosshof, und, unerhört, sie tat es im Bikini. Zunächst aus der Distanz dann zögerlich näherkommend betrachteten wir dieses außergewöhnliche Schauspiel mit Interesse. Irgendwann bemerkte sie uns und öffnete die Augen. Verlegen standen wir nun rum, bis einer von uns die Situation so erklärte und entschärfte:

„Danbde Grisda, du hasd fei a Fichürla wie a Deichmolch!“

Neulich haben wir ihren 85. Geburtstag gefeiert und dabei festgestellt, dass ihr „Fichürla“ unverändert geblieben ist.

Wege zu unbewohnten Buchten

Früher war die Küste Mallorcas unbewohnt.Die Piraten waren eine ständige Gefahr, nur ein paar winzige Fischerhütten duckten sich am Strand und in den Buchten. Man aß Schweinefleisch und diese Typen waren verdächtig, die da Tiere aus dem Meer zogen, die schon schlecht rochen, wenn sie ihren Weg in die Dörfer gefunden hatten.

Irgendwann fiel mir auf, dass trotz der mangelnden Bebauung zu jedem Strand und zu jeder Bucht ein Weg führt.

Ich fragte meinen Freund Pau, der zunächst laut und dann verächtlich lachte. „So blöd kann auch nur ein Deutscher fragen. Irgendwie mussten die Schmuggler doch an’ s Meer kommen!“

Es stellte sich heraus, dass Paus Großvater einer der großen Schmuggler Bosse an der Südküste war. „Der hat dem Juan March doch erst gezeigt, wie das mit der Schmugglerei geht!“

Tatsächlich lebte Mallorca vor dem Einsetzen des Tourismus-Booms in erster Linie vom Schmuggel. „Contrabando de tabaco“, das war das Hauptgeschäft, aber auch Grundnahrungsmittel, Motoren, Nylon Strümpfe und Parfüm gehörten zu dem, was im Ausland billig zu holen war und am spanischen Zoll vorbei auf den Markt gebracht werden konnte.

Pau schmunzelte, als er fortfuhr, er schien den alten Zeiten nachzutrauern: „Das große Glück waren die schlecht bezahlten Leute vom Zoll und von der Guardia Civil. Die bettelten geradezu danach, bestochen zu werden. Liebend gerne haben die dann woanders hin geschaut, wenn mal wieder eine größere Ladung ankam.“

Damals gehörte Algerien zu Frankreich und dort arbeiteten ganze Fabriken ausschließlich für den spanischen Markt. Einige dieser Fabriken kaufte später Juan March auf, ganz nach dem Motto; “Wozu hat der Mensch zwei Hände? Damit er zwei Mal kassieren kann.“ Einmal als Zigarettenfabrikant und ein zweites Mal als Schmuggler.

Pau gab zu, dass das Genie von Juan March das seines Großvaters übertraf. „Der hat dann die Banca March gekündigt und war über Jahre hin der reichste Mann Spaniens.“

Noch heute gehört seinen Nachkommen alles Land östlich von Colonia de Sant Jordi. „Westlich davon gehörte alles uns“, sagte Pau.

So befand sich die gesamte Südküste von Mallorca vom Faro des Cap de Ses Salines bis nach Sa Rápita unter der Kontrolle zweier Schmuggler Familien. Paradiesische Zustände!

Unterdessen sind das hoch angesehene Familien, es gibt eben nichts Besseres als ein kriminelles Genie zum Großvater. Wie angesehen, zeigt folgende Anekdote: Im Fischrestaurant Manolo in Ses Salines war für 14.30 eine Reservierung für eine Familie Rodríguez eingegangen. Als zur angesagten Zeit niemand kam, vergab Manolo den Tisch an Carlos March, dem Chef der March-Gruppe. Kaum hatten er und seine Familie sich hingesetzt, erschien Don Felipe mit Anhang. Damals war er noch Kronprinz. Er sagte, er habe zur Tarnung auf den Namen Rodríguez reserviert. Manolo antwortete, er bedauere, aber er habe wegen der Verspätung den Tisch schon weiter anderweitig besetzt. Carlos March reagierte sofort und geistesgegenwärtig: „Ich überlasse Hoheit unseren Tisch, wenn er nachher zu café, brandy y puro zu mir auf die Finca Sa Vall kommt“. So geschah es. Es soll eine große Sause geworden sein.

 

Volksbefragung? Ich bin dagegen.

Es ist üblich geworden, das Volk zu befragen, wenn in einem Staat etwas Wichtiges geändert werden soll.

Beispiele: Italien, Verfassungsreforrm, Großbritannien, Brexit, Katalonien, Unabhängigkeit von Spanien.

In allen Fällen handelt es sich um Entscheidungen, die tief in das bisherige Gefüge des jeweiligen Staates eingreifen. Sie haben erheblich größere Auswirkungen als eine simple Verfassungsänderung. Für die aber braucht es eine Zwei Drittel Mehrheit im Parlament. Es ist geradezu ein Absurdum, die italienische Verfassungsreform per einfacher Mehrheit der zur Wahl Gegangenen scheitern zu lassen und darüber geht eine bisher stabile Regierung hopps.

Ähnlich verhält es sich mit dem Brexit. Der Austritt aus der EU ist eben erheblich mehr als eine Verfassungsänderung. Die Regierung aber hält sich daran, obwohl das Referendum nicht bindend war. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entscheidung Vieler auf der Basis von Lügen der Herren Johnson und Farage fußte.

Wenn am 1. Oktober tatsächlich in Katalonien darüber abgestimmt wird, ob man sich von Spanien loslösen soll, so ist das eine Entscheidung, die nicht nur die Katalanen etwas angeht, sondern alle Spanier. Aber alle diejenigen, die nicht in Katalonien wohnen können gar nicht mitstimmen.

Volksbefragung hört sich so demokratisch an, alle werden gefragt, und alle dürfen mitentscheiden. Da Mehrheiten wechseln, da die Wahlbeteiligung schwankt, wird auf diese Weise die Grundlage jeden States auf eine labile Grundlage gestellt, die Werte werden beliebig.

Ja, aber die Schweiz! Ja, da funktioniert es, weil die Schweizer vom Vorschulalter an wissen, wie wichtig ihre direkte Demokratie ist und weil jeder Schweizer mit seinem direkten Eingriffsrecht umgehen kann. Der Ausgang des Brexit Referendum beweist, dass die Bürger einer repräsentativen Demokratie nicht daran gewohnt sind, ihr Wahlrecht wichtig zu nehmen: Die es am meisten angeht, die Jugend, ist erst gar nicht wählen gegangen.

Ähnlich ist es jetzt in Katalonien: Die Parteien, die die Separation befürworten, haben ein Klima der Pression geschaffen, in dem es schwer ist, sich für den Verbleib in Spanien zu äußern, ganz abgesehen davon, dass die spanische Verfassung in ihrem Artikel 155 ein solches Referendum verbietet. In einem solchen Klima sind freie Wahlen nicht möglich.

Wir, die wir in Demokratien leben, in denen der Wille des Volkes alle vier Jahre an unsere Parlamentsabgeordneten delegiert wird, sind bisher gut damit gefahren, dass Probleme ausdiskutiert werden. Wenn dieses Ausdiskutieren dem Diktat des eher zufälligen Ausgangs eines Referendums ausgesetzt wird, verlieren wir ein gutes Stück bewährter demokratischer Tradition.

Wie schnell Volkeswille in eine Diktatur mündet, haben die Deutschen in den 12 Jahren nach 1933 erlebt, Polen, Ungarn und Türken erleben es zur Stunde.

 

 

Dunrobin Castle

Nachdem der 5. Duke of Sutherland kinderlos verstorben war, erbte den Titel ein entfernter Verwandter in männlicher Linie.

„Aber das Land, das hat meine Mutter bekommen und nach ihr werde ich es bekommen. Das ist mir auch lieber so.“

Lord Strathnaver grinste breit und lud meine Frau und mich ein, am kommenden Morgen auf ihn vor Dunrobin Castle zu warten, er würde uns den Familiensitz zeigen.

Er und seine Familie wohnten damals wunderschön in der Dairy, in der ehemaligen Molkerei direkt am Meer. Wir waren dort zum Abendessen eingeladen.

Dunrobin Castle liegt auch direkt am Meer, von dem es durch einen beeindruckenden französischen Garten getrennt ist. Ein eigener Landungssteg ist natürlich auch da, denn man kam zur Sommerfrische aus London mit der eigenen Yacht, die Reise über Land war zu beschwerlich.

Der Lord führte uns zunächst in einen Pavillon im Park. „Wir haben nur etwa 10% ausstellen können, der Rest steckt noch im Lager.“ Es handelt sich um die Jagdtrophäen des 3. Duke of Sutherland. Löwen, Tiger, Elefanten, Büffel, Hirsche und sogar ein ausgestopfter Wal sind dort zu bestaunen. Der Duke war ein leidenschaftlicher Jäger. Im Pavillon werden einige hundert ausgestopfte Tiere gezeigt.

Im Schloss erfreute uns der Lord in jedem Zimmer mit einer anderen Anekdote.

„Dies ist die Ehefrau des Jägers.“ Wir standen vor einem Portrait einer jungen Frau in Trauerkleidung. „Nein, nein, ihr Mann lebte noch. Der britische Adel ließ sich damals stets in Trauerkleidung portraitieren in Solidarität mit der Queen, die um Prince Albert trauerte. Sie hat später ihren Mann verlassen. Er hatte sich zu sehr um wilde Tiere und andere Damen gekümmert. Sie zog nach Südengland. Die upper class hielt das für einen Skandal. Aunt Anne wurde geschnitten. Das hörte Queen Victoria, die den 3. Duke nicht ausstehen konnte. Eines Tages fuhr sie mit der Kutsche unangekündigt zur Victoria Station, vorneweg eine Ehrenkompanie, trapp trapp trapp, und hinter ihr eine weitere. Das fällt schon auf. Mit dem bereitgestellten Hofzug fuhr sie nach Sussex, wo Aunt Anne nun wohnte. Dort wartete wieder eine Ehrenkompanie, die die Queen zum Haus brachte. Sie nahm mit der 3. Herzogin von Sutherland den Tee, und dann fuhr sie zurück nach London, was wegen der Ehrenkompanien wieder auffiel. Sie hat kein einziges Wort in der Öffentlichkeit verloren, aber von Stund an wagte es keiner mehr, die Duchess nicht einzuladen, wenn man Feste feierte“.

Das ganze Schloss war mit einem dieser grässlichen Teppichböden ausgelegt, die man in Großbritannien sogar im Klo findet. Der Lord erklärte uns, das sei der Tartan des Sutherland Clans. „Meine Mutter ist Ceann Cinnidh der Sutherlands, Chefin des Clans. Irgendwann wurde ihr aus einer Konkursmasse dieser Teppichboden angeboten. Da der Preis gut war, hat sie den ganzen Posten übernommen. Es ist zwar nicht schön, den eigenen Tartan mit Füssen zu treten, aber so schonen wir das Parkett. Sutherlands gibt es auf der ganzen Welt und alle wollen Dunrobin Castle ein Mal in ihrem Leben besuchen. Da kommt Einiges an Besuchern zusammen.“

Der Park macht dem Lord Sorgen. Die Buchsbaumhecken lechzen im Sommer nach Sonne. Nur die nach Westen weisenden Äste wachsen und mit ihnen die Wurzeln. Die Hecken wandern jedes Jahr etwa einen Zentimeter nach Westen.

Der Lord spricht ausgezeichnetes Österreichisch. „Ja, das kam so; Mein Zwillingsbruder und ich haben uns als Jugendliche sehr schlecht benommen. Die Eltern beschlossen, uns zu trennen. Er wohnte fortan bei Verwandten in Frankreich und ich bei Freunden meines Vaters auf einem Schloss in den Alpen“.

Tod in Franken

 

Der Tod wird in Franken erfreulicherweise als das behandelt, was er ist: Ein zwingend vorgegebener Teil allen Lebens.

Verbal führt das manchmal zu seltsamen Höhenflügen wie etwa diesem im Diskant vorzutragenden:

„Lina geh a mol spaß halber rübä.“

„Wos is denn?“

Dei Mo is gschdorm.“

„Ja, erschd wird gassn!.“

Wenn auf der Straße der plötzliche Tod eines Nachbarn besprochen wurde, war das Folgende unweigerlich Bestandteil der Tratsches:

„Ledsda Wuchn hob ich na fei nuch gsenn. Hab ich na fei nuch gagrüsd. Had er fei nuch gadangd“. Im deutschen Besinnungsaufsatz hätte Lehrer mit roter Tinte an den Seitenrand geschrieben: „Bezug?“

Eine andere Geschichte erzählt von eineiigen Zwillingen, die sich so ähnlich waren, dass die Eltern nicht wussten, wer der Schorsch und wer der Luddwich war. Es endet grausam so: „Zern guudn Glügg is nacher aaner gschdurm. Wer, ham sa ned gewissd, aber der wo übrich gabliem ist, den hamsa nacher Schorschla gheisn.

Eine meiner Tanten, sie lebte auf dem Lichtenstein, hatte ein gestörtes Verhältnis zur Buchführung. Die besorgte ihr der Direktor der Raiffeisenkasse, der bei ihr extremen Geiz feststellte. Er fasste diesen seinen Eindruck in folgende Worte:

„Das ledsde Hemd had keine Daschn!“ Die Tante entsagte daraufhin seiner Hilfe, was sie bei der darauffolgenden Steuerprüfung arg bereuen musste.

Berühmt waren die Grabreden vom Biggo. Er war der Wirt der „ündern Wirdschaft in Rentweinsdorf. Er gab sich als Atheist, im Nachhinein glaube ich, dass er ein in der Wolle gefärbter Nazi war. Aber er konnte reden und er war Mitglied im Kriegerverein.

In der Schlosswirtschaft hatte damals der Hochs Karl erzählt, er sei aus dem Fußballverein ausgetreten, weil dort der Jahresbeitrag 50 Mark kostete, der im „Griecherverain“ aber nur 30. „Un an Granz griech ich aa!“ Das zeigt, wie sehr man sich auf das eigene Sterben vorbereitete.

Um die Weihnachtszeit passierte im Ort ein schrecklicher Unfall. Ich glaube, es war der Regs Schuster, der unter seinem umgefallenen Traktor starb. An seinem Grab stand der Biggo und rief mit seiner sonoren Stimme den Trauernden zu: “In dieser frohen Weihnachdszeid, wo das Lichd zu uns Menschen kummd, da sengde sich eine dungle Wolge der Drauer und Verzweiflung über uns Gristenmenschen…“ Die Gemeinde war beeindruckt, der Pfarrer befürchtete, der Biggo könne ihm die Schau stehlen.

Wenn einer starb, nein eine starb, der man nachsagte, sie habe „a Guschn wie a Schwerdd“, dann fragte man die Hinterbliebenen: „Habd Ihr hoffendlich ned vergessn, die Guschn extra dod zern schlogn?“

Es ging direkt und grausam zu, aber immerhin redete damals noch keiner euphemistisch von „heimgehen“ oder „wenn mir mal was passieren sollte“.

Manchmal wünschte sich auch einer, dass was passierte. Es war natürlich der Schmitt´s Adel, der meinen Vater dies fragte:

„Herr Baron, ham Sie denn scho den Abschußblan ferddich?“

Als mein Vater bejahte, kam dies: „Schood derfür, ich hädd Sie sunsd gabädn, äss Sie mein Alda mid drauf sedserdn.“ Seine Frau, die Schmitt´s Kalina, stand neben ihm.

„Fregger, ehländer“ schimpfte sie, und dann lachten alle drei.

 

Vormund. Neue Unterkunft

Vormund. Neue Unterkunft.

Heute Morgen war ich mit der Tante meiner beiden Mündel beim Jobcenter. Sie war einbestellt worden und ich wollte versuchen, dass sie irgendetwas als Näherin bekommt. Der Beamte aber war nicht da. Benachrichtigt wurde sie davon nicht. Nun, wir haben hinterlassen, dass wir da waren und was sie sich wünscht, bzw, was sie kann. Mal schauen, ob beim nächsten Termin der Beamte da ist und was gefunden hat.

Danach musste ich in einer Kanzlei in der Innenstadt etwas erledigen und nahm die junge Dame mit. Siegessäule, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, all das wurde bestaunt. In die Kanzlei habe ich sie dann mitgenommen, wo ich 36 Mal unterschreiben musste. Es gibt nichts Schlimmeres als juristische Dokumente aus England.

Die kopftuchtragende Tante traf in der Kanzlei auf eine Praktikantin aus Israel. Alles blieb friedlich.

Berlin, internationale Stadt.

Danach lud ich sie zu einem Kaffee ein. Sie schaufelte zwei Löffel Zucker in ihren Espresso und konnte es nicht fassen, dass ich keinen Zucker nahm. Von meiner Apfelschnitte wollte sie nichts abhaben, obwohl ich ihr versicherte, sie sei sicher „halal“.

Die neue Unterkunft liegt in Steglitz. Umgeben von Schrebergärten, stehen dort zwei identische Backsteinhäuser nebeneinander. Sie haben etwas wilhelminisch Militärisches an sich. Das Zimmer liegt im zweiten Obergeschoss, ist groß und hell. Zu dritt haben sie eine gemeinsame Küche mit zwei Herden.

Meine beiden Buben waren in der Schule, aber der traumatisierte Onkel war da und hat sogar ein paar Worte gesprochen. Alle sind glücklich und zufrieden, ich mit ihnen.

Die Unterkunft macht einen sehr gepflegten und geordneten Eindruck. Sie wird von einem Sozialarbeiter geleitet, den ich heute leider nicht kennenlernen konnte.

Jetzt kann ich doch etwas beruhigt nach Palma fahren, wo ich Kanzleiarbeit mit Strandleben verbinden will. Mal sehen, ob so was klappen kann.