Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit, Epilog

Nach ermüdender Busfahrt, unsere letzte Station waren die Plitwitzer Seen gewesen, kamen wir abends in Wien an. Aufgeladen hatte man uns standesgemäß auf dem Heldenplatz, abgeladen wurden wir vor dem Westbahnhof, auf dem Europaplatz.

Ich weiß nicht, wie das heute dort aussieht, damals war es ein Anblick von Gammel, Verwahrlosung, sozialem Elend und Aussichtslosigkeit.

Der Bus stoppte genau vor einem Yonkee, der sich gerade mit Hund und Fuselflasche für die Nacht zurechtmachte. Er grölte unschöne Lieder und beschimpfte die tätowierte Prostituierte links von ihm, die mit Wiener Schmäh versuchte, die heimeilenden Büroangestellten für sich zu interessieren.

Scherben, Spritzen, alte Schuhe und Brotzeitpapier gaben ihr Bestes, um die Szene zu dekorieren.

Mitten in diesem Ambiente verabschiedete man sich: „Bussi, Bussi, grüß mir den Onkel Edi, Handkuss an die verehrte Frau Mamá, na, und das Hunderl wird sich ja freun, wenn Ihr jetzt alle wieder heim kommts.“

Ein ganz normales Abschiedsritual wäre das gewesen, wären nicht zwei ältere Damen voreinander in den Hofknicks versunken.

Es waren Ihre königliche Hoheit die Comtesse de Paris und Ihre kaiserliche Hoheit Regina Habsburg.

Wer auch nur ein ganz wenig historisches Gespür hatte, dem wurde klar, dass da die Repräsentantinnen der beiden bedeutendsten Dynastien Europas, die über Jahrhunderte das Geschick dieses und anderer Kontinente bestimmt hatten, sich gegenseitig Reverenz erwiesen.

Wie hatten sich die Zeiten geändert: Früher führten deren Männer Kriege und die Völker töteten sich gegenseitig.

Ihre angestammte Position war den beiden Damen nie gegeben worden, deren Würde haben sie übernommen.

Chapeau!

Politikversagen – auch in Katalonien

Seit geraumer Zeit beobachten wir eine Entwicklung, die wir noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hatten: Das Versagen der Politik

Okay, wir wussten, dass es unter den Politikern auch Idioten, Egomanen, Räuber und Doofe gab. Die Mehrheit derer, denen wir unser Mandat gaben, richteten es dann aber doch, dass meist irgendwas halbwegs Vernünftiges herauskam. Die großen Volksparteien Europas schafften es immer wieder einen Ausgleich der Interessen hinzukriegen. Die Politik der europäischen Regierungen und die Europapolitik in Brüssel waren immer irgendwie vernünftig und trugen die Abgeordneten durch die Jahre, die ihre jeweiligen Legislaturperioden dauerten.

Das hat sich geändert: Ein Gespenst geht um in Europa! Das der Volksbefragung.

Man fragt sich, wozu zum Beispiel Renzi in Italien oder Cameron in Großbritannien eine stabile Mehrheit im Parlament hatten? Doch ganz bestimmt nicht, um mitten in der Legislaturperiode das Stimmvoll über etwas zu befragen, wofür dieses ein mehrjähriges Mandat erteilt hat.

Beiden hat es den Posten gekostet, in Italien ohne schlimmere Folgen, aber auf den britischen Inseln hat die Unverantwortlichkeit, mit der der Wahlkampf um das Brexit Referendum geführt wurde, ein ganzes Land vor ein Desaster unabsehbaren Ausmaßes geführt.

Ähnliches Politikversagen beobachten wir in Spanien. Warum sollen die Katalanen nicht das bekommen, was die Basken längst haben? Steuerautonomie. In der Bundesrepublik hat sowas jedes Bundesland und die Welt geht dennoch nicht unter.

Die Verweigerung des Dialogs zwischen Madrid und Barcelona ist einfach nur infantil. Natürlich verbietet die spanische Verfassung die Separation. Wenn aber ein Teil eines Landes etwas haben will und denkt, dies sei nur durch die Unabhängigkeit zu bekommen, dann muss man reden. Dann muss man zu einem Kompromiss kommen, gesetzliche Regelungen verändern, und womöglich sogar die Verfassung modifizieren. In einer Demokratie geht derlei und ist normal.

Was gar nicht geht, ist undemokratisches Verhalten. Ich meine damit nicht, die Knüppelei der Guardia Civil gegen wahlwillige Katalanen, auch nicht die Verfassungsverstöße der katalanischen Regionalregierung.

Ich meine damit stures Festhalten an überkommenen Positionen, mögen sie noch so von der Verfassung und vom Verfassungsgerichtshof gestützt werden.

Dieses Verhalten ist einer Demokratie nicht würdig und es ist auch derer nicht würdig, die sich auf die Demokratie berufen.

Wir stehen vor dem katalanischen Problem und glauben, unseren Augen und Ohren nicht zu trauen. Die Politiker sprechen nicht miteinander und der König nimmt einseitig Stellung.

Das wäre seinem Vater nicht passiert. Der wusste, was ein „pater patriae“ zu tun hatte.

 

Pressefreiheit

Der Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia auf Malta schlägt ein neues Kapitel im Buch des Terrorismus auf.

Ging es bisher zunächst gegen die Staatsgewalt, dann gegen die Gesellschaft und ihre „westlichen“ Werte, so wird nun eine demokratische Säule unseres Lebens angegriffen, deren Bestehen unmittelbar mit der Freiheit des Einzelnen verbunden ist.

Wer Journalisten verunglimpft, sie als „Verräter des Volkes“ beschimpft, wer lauthals „Lügenpresse“ grölt und, vergessen wir das nicht, wer wissentlich „fake news“ produziert, beschädigt damit nicht nur die Freiheit der Presse, sondern auch unsere individuelle Freiheit der Meinungsäußerung. Beide sind von unseren europäischen Verfassungen geschützt.

Wir können uns ein Leben ohne ungehinderten Zugang zu Nachrichten gar nicht mehr vorstellen. Information, Analyse, Meinung, Unterhaltung, das alles konsumieren wir täglich mit mehr oder weniger Enthusiasmus, mit mehr oder weniger Zustimmung, aber stets mit dem Wissen, dass es notwendig ist, sich auf dem Laufenden zu halten und auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Abweichende Meinungen werden durch abweichende Meinungen anderer relativiert und manchmal auch korrigiert. Nie aber darf „Andersdenke“ zu Hass oder dem Aussetzen des Dialogs führen, siehe Katalonien.

Eine Demokratie ist eigentlich eine „Parlokratie“. Solange man miteinander redet, ist alles regelbar.

Nach „Charlie Hebdo“ ereignete sich wieder ein brutaler und feiger Mord an einer Journalistin.

Können wir etwas dagegen tun?

Ja, und ob! Es ist ganz einfach: Jeder sollte an jeden Morgen eine der guten Zeitungen lesen, die es glücklicherweise nach wie vor in Europa gibt.

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit VII

Am nächsten Morgen ging es heim. Unter sorgsamer Umgehung von Sarajewo fuhren wir über unbefestigte Straßen zur Adria hinunter. Der Busfahrer raste dahin, als befänden wir uns auf der Autobahn, Eselskarren wurden ohn Ansehn des Gegenverkehrs überholt. In den Schluchten unter uns lagen Traktoren, Autowracks und ein ganzer Bus.

Käiserliche Hoheit aber verbreitete über das Bordmikrofon Frohmut und Zuversicht: „Die Gospa fährt mit uns, da kann nichts passieren“. Wahrscheinlich war sie nur froh, Sarajewo vermieden zu haben. Ich dachte derweil mit großen Sorgen an den versteckten Eiskasten.

Offenbar fuhr die Gospa tatsächlich mit, denn wir kamen wohlbehalten in Split an. Kulturbeflissen wie man halt so ist, machten sich alle an die Besichtigung der Stadt. Diokletians Palast und so. Ich aber fragte käiserliche Hoheit, ob ich sie zu Mittagessen einladen dürfe. Zu meiner Freude sagte sie zu. Gerade waren Weißwein und köstlicher Fisch serviert, da tat sich die Tür auf. Der alte Graf Nostitz kam herein und setzte sich ungefragt an unseren Tisch. Er hielt uns einen Vortrag darüber, dass es ein Skanal sei, dass in der Hofburg ein Bürgerlicher als Bundespräsident residiere. Er konnte sich gar nicht mehr beruhigen und versaute uns damit das Mahl.

Übernachtet wurde in einem Ferienhotel an den Plitwitzer Seen, wo Winnetou im Film mit Old Shatterhand Blutsbrüderschaft schloss. Die Seen waren nicht zu sehen, weil es schon Nacht war, als wir ankamen. In unserem Dreibettzimmer bekam ich das Notbett. Von Bett konnte gar keine Rede sein, von Not aber schon. Ich konnte nicht schlafen. Fluchend und leicht bekleidet verlegte ich die Matratze mitten in der Nacht auf den Boden, was zwar meinem Schlaf nicht aufhalf, wohl aber zu Pauls Belustigung beitrug. Was macht man nicht alles.

„Sozialismus betegség“ fluchte ich. Kroatisch beherrsche ich nicht, aber ich dachte, wenn ich auf Ungarisch „Sozialismus ist eine Krankheit“ fluche, würden die das über die Abhöranlage schon verstehen. Vielleicht aber würde der jugoslawische Geheimdienst auch nur denken, ich betete den Rosenkranz. Das hatte ich von der streitenden Mutter gelernt.

Ohne weitere Zwischenfälle kamen wir nach Wien, wo sich alle, von den vergangenen Tagen erschöpft, verabschiedeten.

Was hatten mir diese Tage gebracht? Vordergründig eine bis heute anhaltende Zuneigung und Bewunderung für Regina Habsburg. Ich habe sie als engagierte, humorvolle, fromme und extrem vornehme Dame kennengelernt. Ich bewundere sie nachhaltig und versäume es nie, wenn ich in Wien bin, ein Vaterunser an ihrem Sarkophag in der Kapuzinergruft zu beten.

Nicht zu vernachlässigen ist, dass diese Wallfahrt mir einen einmaligen und nie wiederkehrenden Einblick in die Welt des k.u.k. Hochadels ermöglichte. In meinem Leben habe ich nicht wieder eine solche Ansammlung von Exzentrikerinnen erleben dürfen.

Wichtigster Eindruck aber war die versammelte Frömmigkeit, die mich im Bus zunächst nervte dann belustigte, in Medjugorje aber von Anfang an tief berührt hat. Man verstand ja kein Wort, aber die Zielgerichtetheit einer riesigen Gemeinde, diese Solidargemeinschaft der Betenden, das begleitet mich bis heute.

Und das Sonnenwunder? Ich fand es kurios, suchte vergeblich nach einer physikalischen Erklärung und erlebte den nachträglichen Neid meiner katholischen Mitchristinnen eher als kindische Niedertracht. Aber was war das Sonnenwunder schon für mich?

Für Paul aber war das Wunder lebensbestimmend. Es war der Beginn eines neuen, gesunden Lebens. Bald nach der Wallfahrt konnte er an Krücken gehen. Ein Jahr nach der Wallfahrt warf er die Krücken auf den Abfall. Heute ist er glücklich verheiratet, hat viele Kinder und ist sehr erfolgreich in seinem Beruf.

Zwei Jahre später erfuhr ich, dass die streitende Tochter geheiratet habe.

Fazit der Wallfahrt: Ein voller Erfolg!

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit VI

Die Tage in Medjugorje hatten nur ein Ziel: der Gottesdienst am Nachmittag. Langsam wurde es Paul und mir fad und so baten wir, ob der Busfahrer, der sich ebenso langweilte wie wir, nicht eine kleine Tour nach Mostar unternehmen könnte. Wir versprachen, zur Nachmittagsmesse wieder da zu sein, und los ging´s.

Damals war Mostar noch nicht zerbombt und die alte Brücke stand auch noch. Ich schob Paul über die Brücke, wir staunten hinunter und ich unterhielt mich mit den sephardischen Händlerinnen in den Souvenirläden auf Spanisch. Sogar meine Hoffnung, mal etwas anderes zu essen zu bekommen, erfüllte sich. Wir fanden ein Restaurant, wo es Cevapcici gab, Hundesdremmerln wie Qualtinger sagte. Paul bekam dazu noch ein riesiges Eis, und so waren beide glücklich.

Zurück beim Bus bemerkte ich, dass der Fahrer Bierflaschen in ein offenbar geheimes Eisfach hinter der Verkleidung einlagerte. Er beklagte sich, dass er nun auf der Rückreise „Bier vo do“ trinken müsse. Das klang so, als erlitte er gerade alttestamentarische Heimsuchungen.

Tatsächlich kamen wir pünktlich zur Messe wieder nach Medjugorje und gingen auch gleich brav in die Kirche. Nach einer Stunde fanden Paul und ich, dass es nun gut sei, und ich schob ihn um die Kirche herum, wo wir hinter der Apsis den Sonnenuntergang beobachten wollten.

Medjugorje liegt auf einer Hochebene, die nach Westen von einer Bergkette begrenzt wird, so dass man meint, hinter den Bergen plumpse die Sonne in die Adria.

Schon auf der Herfahrt war immer wieder vom Sonnenwunder die Rede gewesen. Nicht immer, aber manchmal könne man während die Gospa den Seher Kinder erscheine, gewisse Veränderungen an der Sonne beobachten, das Sonnenwunder eben.

Paul und ich saßen ganz friedlich hinter der Apsis und schauten dem Sonnenuntergang zu, als sich plötzlich die Sonne aus ihrer ursprünglichen Position löste, wo ein dunkles Loch übrigblieb.  Die Sonne selbst bewegte sich auf uns zu, wich wieder zurück , umkreiste das schwarze Loch und näherte sich uns.

Kein Zweifel, das war das Sonnenwunder. Ich schaute gebannt diesem Phänomen zu, als ich neben mir Pauls Stimme hörte: „Danke, liebe Gospa.“

Ich streichelte ihn über die Schulter und murmelte „Ich lass dich mit ihr allein“.

Ich war wirklich sehr bewegt. Da hatte der Bub bei allem Spaß und bei aller Rumalberei die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass ihm die Mutter Gottes ein Zeichen für seine Gesundung gäbe. Und als dieses Zeichen kam, erkannte er es sofort als an ihn gerichtet. Deshalb war sein „Danke“ das einzig adäquate Wort.

Auch wenn ich meine Gebete an Jesus Christus richte, denke ich bis heute, dass das Wort „Danke“ in unser aller Gebete einen wichtigen Platz einnehmen sollte.

Dann läuteten die Glocken, die Messe war aus und die Menge der Wallfahrer strömte auf die Esplanade vor der Kirche.

Ich war von dem Erlebten noch etwas benommen, als vor mir ein Bus und mehrere Limousinen hielten. Heraus strömte meine gesamte katholische Verwandt- und Bekanntschaft aus Franken. Johanna Castell, damals schon verheiratete Lobkowitz, und Isabell Ortenburg, unterdessen verheiratete Salis riefen unisono „Hans, was machst den duu hier?“ Und sie hatten ja Recht: in Medjugojje kann man alles erwarten, außer den Hans Rotenhan. Der war damals in Franken als rote Socke verschrien und dann war er auch noch als Aussteiger nach Ibiza abgehauen. Mal ganz abgesehen davon, dass Rotenhan und evangelisch fast ein Synonym ist.

Es blieb nicht viel Zeit mit ihnen, denn unterdessen hatte Paul seiner Mutter vom Sonnenwunder berichtet, die dies sofort den anderen Damen unserer Gruppe weitererzählte. Die Aufregung war groß.

Und dann geschah etwas Kurioses: Mit den Tagen hatte ich mich vom Paria (männlich, deutsch, evangelisch, nur Baron Aund kein Trachtenjanker) zum geduldeten Glied der Mannschaft emporgearbeitet (trägt und schiebt des „oarme Buberl“, wirkt als ÖAMTC etc.).

Auf einmal schwappte mir eine Welle der Kälte entgegen. Wenn man mich vorher irgendwie akzeptiert hatte, so schaute man mich nun scheel an. Man war eifersüchtig. Es sei eine Ungerechtigkeit, hörte ich, dass ausgerechnet ein „Brodestant“ das Wunder des Erscheinens der Heiligen Mutter Gottes erleben durfte, und sie, die noch nie etwas anderes gewesen seien als erzkatholisch, wären leer ausgegangen.

Beim Abendessen setzte ich mich Schutz suchend neben käiserliche Hoheit. Ich wusste unterdessen, dass wir uns gegenseitig mochten. Es gab wieder serbische Bohnensuppe und in Eierteig ausgebackene Schnitzel.

„Zur Änderung des Speiseplanes hat die Wunderwirkung offenbar nicht gereicht“ sagte ich so leicht hin. Das hätte ich nicht tun sollen, denn vor Lachen verschluckte sich käiserliche Hoheit und ich musste ihr ganz ununtertänig auf den Rücken hauen, um den Erstickungstod zu verhindern.

 

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit V

Zum Frühstück in der Kantine am nächsten Morgen kam eine der JAT Prinzessinnen in äußerst euphorischer Stimmung. Es sprudelte nur so auch ihr heraus, sie sei fast durch! Ja, womit denn? Sie berichtete, sie wohne nun schon seit Jahren immer, wenn sie nach Medjugorje käme, bei einer muslimischen Familie und seither unternehme sie alles, um sie zum Christentum zu bekehren.

Offenbar hatte sie vor Jahren als Gastgeschenk das mitgebracht, was man in Franken „a Lurdesla“ nennt, also eine Statue der Jungfrau von Lourdes im elektrischen Sternenkranz.

„Und stellt´s euch vur, ich komm da herein in die gute Stubn und da steht die Heilige Mutter Gottes auf dem Tisch und die Lamperln um sie her löichdn.“

Ich tröstete mich in der Gewissheit, dass der Liebe Gott ihrer trotz allem gnädig sein werde.

Der Tag ging dahin, zu Mittag gab es Salat mit in Eierteig ausgebratenem Schnitzel. Ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter, eine „Gadohlenhasserin“, so heißt so was auf fränkisch, empört davon berichtet hatte, dass eine „gadohlische“ Freundin von ihrer Wallfahrt nach Lourdes lediglich zu berichten wusste, dass es dort ganz vorzüglich Austern gegeben habe. Was das Kulinarische anging, spielte unsere Wallfahrt höchstens in der dritten Liga.

Nach der Messe ereignete sich ein Eklat und das kam so: Nachdem ich nun schon seit Tagen meinen Patensohn herumschob oder –trug, mich bemühte ihn zu bespaßen, nachdem seit Tagen neue, nervende und auch beglückende religiöse Erlebnisse über mir hereinbrachen, dachte ich, es könne nicht schaden, wenn ich zum Abendmahl ginge. Meine Schwester hatte das beobachtet, und fuhr mich nach dem Gottesdienst an, ich hätte das als Nicht-Katholik nicht gedurft, ich hätte mir die Heilsgaben vom Tisch des Herrn erschlichen. Ich fand das nach Tagen des gemeinsamen Betens, Singens, Lachens und Kümmern derart hirnrissig, dass ich nicht in der Lage war, ernsthaft zu antworten und deshalb erwiderte ich, von Heilsgaben im Plural könne ja wohl keine Rede sein, denn nicht einmal einen Wein hätten sie mir gegeben. Das machte die Sache nur noch schlimmer und so war es gut, dass rheinische Pilger aus dem Nichts mit der Nachricht daherkamen, sie wüssten aus guter Quelle, dass die Gospa heute Abend bei Sonnenuntergang am Ort der Erscheinung zu sehen sein werde.

Medjugorje ist von steilen Karstbergen umgeben. Auf einem davon war Maria den Seher Kindern, als sie die Ziegen hüteten, erschienen. Kein Weg, kein Steg führt da hinauf, man muss über spitze und scharfkantige Kalksteine nach oben klettern. Meine Schwester musste mit mir und dem Schicksal hadernd unten bleiben, um Paul beizustehen. Mich hatte Käiserliche Hoheit gebeten, mitzukommen, man wisse ja nie, was bei einem solchen Haufen alter Damen alles passieren könne.

Nach dem Abendessen in der Kantine, es gab serbische Bohnensuppe und in Eierteig ausgebackene Schnitzel, machten wir uns auf den Weg. Ich weiß nicht mehr, wie viele Höhenmeter wir überwinden mussten, aber bald schon war ich voll im Einsatz: „A geh, mach mir den ÖAMTC“. Ich könnte als Anhang zum Gotha eine Doktorarbeit über Umfang und Beschaffenheit der Popos des weiblichen k.u.k. Hochadels anbieten. Ich habe sie alle angeschoben. Pállfy, Trautmannsdorff, Colalto, Thun, Schwarzenberg, Croy, Hunyadi, Montecuccoli. Alle wollten hinauf und schafften es nicht allein.

Gegen jedes Dafürhalten kamen wir gesund oben an. Der die Rheinländer begleitende Priester und käiserliche Hoheit (was brauchten wir da noch einen begleitenden Priester?), begannen zunächst Marienlieder zu singen. „Meerstern, ich dich grüße“ konnte ich unterdessen. Dann wurde der Rosenkranz gebetet, aber es tat sich nichts. Man versuchte es noch einmal, die Gospa erschien immer noch nicht.

Unterdessen war es dunkel geworden und käiserliche Hoheit mahnte zum Aufbruch. Der Abstieg ohne Licht werde sicherlich gefährlicher sein als der Aufstieg. Diesmal war meine Tätigkeit als ÖAMTC mehr die, Handerln zu halten, und ich machte Studien über Umfang und Beschaffenheit der vorhandenen Siegel- und sonstigen Ringe. Käiserliche Hoheit war die Einzige, die daran gedacht hatte, eine Taschenlampe mitzunehmen und so wechselten sich die Hilferufe nach dem ÖAMTC und „käiserliche Hoheit, bittschön, das Lamperl“ ab.

Dann stürzte käiserliche Hoheit. Glücklicherweise hatte sie sich nicht verletzt, aber das Lamperl war verloren gegangen. Nun war ich im vollen Einsatz bis sich kurz vor dem Tal das kaiserliche Lamperl in Höchstdero Lodenmanteltasche wiederfand.

„A Wunder, a Wunder, die Gospa hat´s Lamperl retour bracht.“ Alle waren tief ergriffen. Ich fand, dass das eigentliche Wunder bestand darin, dass bei dieser waghalsigen und sinnlosen Tour niemand zu Schaden gekommen war.

Sinnlose Tour? Von wegen!

Die rheinischen Pilger hatten droben weiter gesungen und gebetet, und als wir nun alle unten angekommen waren, schwoll die Intensität des Betens und Singens zu orkanartiger Lautstärke an.

Kommentar der streitenden Mutter. „Die Gospa da droben und mir da herunten. Na Servus!“

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit IV

Käiserliche Hoheit sprach übrigens ein glasklares Hochdeutsch, sie war eine geborene Sachsen Meiningen. Es waren unsere österreichischen Mitstreiterinnen, die die das Ä auf den Kaiser setzten.

Auf der Fahrt von Sarajewo nach Madjugorje setzte sie sich wieder zu uns in die hinterste Bank im Bus. Sie sei nervös, sagte sie. Das sei sie immer kurz vor dem Ziel der Wallfahrt. Werde alles gut gehen? Werden alle den Segen des Ortes spüren? Sie meinte, beten würde helfen, aber irgendwann habe man auch genug gebetet.

Also griff ich wieder in den Sack meiner Geschichtchen:

„In jeder Residenz und in fast jedem Schloss gibt es ein en Kaisersaal“, so begann ich. Oft hatte einen solchen Saal kein einziger Kaiser betreten, aber er wurde eingerichtet, für den Fall, dass der Kaiser einmal käme, und dann muss man eben vorbereitet sein. Meine Eltern wohnten damals schon nicht mehr im Rentweinsdorfer Schloss, wo bereits mein ältester Bruder wohnte. Sie hatten im Nachbardorf die leerstehende Dorfschule gemietet und sehr hübsch für sich hergerichtet. Meine Mutter war zu der Zeit wieder in häufigeren Briefwechsel mit ihrer doch etwas entfernten Freundin Regina Habsburg getreten, so dass sie sich einbildete, es könne zu einem Besuch kommen. Die Kaiserin in einer ehemaligen Schule empfangen? Und ein richtiges Gästezimmer gab es auch nicht!  Also ließ meine Mutter im Dachboden ein wunderschönes Gästezimmer mit Bad einrichten. Kein Wort verlor sie darüber, weshalb sie diese Investition in einem gemieteten Haus tätigte, aber wir durchschauten sie natürlich und tauften das Neue zu ihrem Ärger Reginen-Bad.

Käiserliche Hoheit lachte Tränen und so waren wir schon fast in Medjugorje angekommen. „Lachen ist fast so gut wie beten“, sagte sie.

Es war knapp geworden, der Gottesdienst hatte gerade begonnen, und so ließen wir alles im Bus und strömten mit den vielen anderen Pilgern in die erstaunlich schmucklose Wallfahrtskirche. Meine Schwester und ich schoben Pauls Rollstuhl einträchtig vor uns her und bemerkten, wie der Bub sich plötzlich entspannte. Er war dort nicht ein Einzelphänomen im Rollstuhl, er war einer unter Vielen. Kranke, Verletzte, Irre und ganz normale Menschen füllten die Kirche, wo wir einem dreistündigen Gottesdienst auf Kroatisch beiwohnten. Wenn der Priester wenigstens Lateinisch geredet hätte! Aber nein, Kroatisch! Ich, eigentlich niemand von uns, verstand ein Wort. Die allgemeinen Gebete sprach jeder in seiner Muttersprache, aber auch das hatte seine Tücken. Ich sagte das Glaubensbekenntnis wenn das Vaterunser dran war und umgekehrt. Meine katholische Schwester, mit der Liturgie der Messe besser vertraut als ich „neigschmeckter Lutherbock“, knuffte mich dann und ich wechselte elegant zu dem, was gerade dran war.

Man kann sich vorstellen, dass eine Messe auf Kroatisch, die drei Stunden dauert, anstrengend ist, sogar für einen Kroaten. Paul schien das alles nichts auszumachen. Er blühte auf. Er war einer unter so Vielen, die alle mit einem sehr konkreten Anliegen nach Medjugorje gekommen waren.

Irgendwann wurde es mucksmäuschenstill. Meine Schwester murmelte, dies sei die Stunde der Marienerscheinung, die Gospa erschiene nun in der Sakristei den Seher Kindern.

„Mit der Pünktlichkeit eines jugoslawischen Bummelzuges“, murmelte ich zurück und wurde zur Ernsthaftigkeit ermahnt.

Alle waren sehr ergriffen, nur ich nicht, denn das war in meinen Augen Hokuspokus: Marienerscheinung in der Sakristei, keiner kann sie sehen, außer ein paar Kindern, die auch niemand sehen konnte. Nur diese wurden Zeugen des täglichen Erscheinens. Danach berichteten die Kinder in dürren Worten, die in fast alle Sprachen der Welt übersetzt wurden, sie hätten die Gospa gesehen.

Im englischen Strafprozess nennt man das „hear say evidence“.

Ich war zu meiner eigenen Verblüffung am Ende dennoch beeindruckt und ergriffen. Die Solidargemeinschaft der Betenden, wie ich sie hier erlebte, war neu für mich. Die Kirche war proppenvoll und alle waren vereint in der Andacht, in der Anbetung und im Glauben. Ich war mir nicht sicher, ob man an die Heilsbotschaft Jesu Christi glaubte oder nur an die Marienerscheinung. Allerdings hatte ich unterdessen gelernt, mein, in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns erworbenes Verständnis des Christentums, zu relativieren.

Nach der Kirche wurden uns unsere Unterkünfte zugeteilt. Ein Hotel gab es nicht, und so wohnten wir in noch unverputzten Häusern, die die Anwohner in Erwartung des Übernachtungsgeschäftes für sich und die Pilger hochgezogen hatten. Die ganze Region lebte von der Wallfahrt.

Abendessen bekamen wir in einer Art Kantine mitten im Dorf. Es gab serbische Bohnensuppe und in Eierteig ausgebackene Schnitzel.

Wallfahrt mit kaiserliher Hoheit III

„Sarajewo ist nicht gut für uns Habsburger“

„Als nächstes erreichen wir Marburg“, verkündete käiserliche Hoheit über das Busmikrophon. Es regnete in Strömen. Als wir dort ankamen, stand auf dem Ortsschild „MARIBOR“, aber das störte niemanden.

Auf dem Weg dorthin wurde gebetet und gesungen. Der arme Paul langweilte sich wohl noch mehr als ich. Bei mir aber stieg langsam reformatorischer Ärger hoch. Später hätte ich gesagt, die „Gospa“ hat sie geschickt, denn mitten in meinen Zorn setzte sich in einer Gebetspause unerwartet käiserliche Hoheit neben mich, an der ich sofort meinen Unmut ausließ:

Diese ewigen runtergeleierten Wiederholungen seien ja unerträglich, als guter (evangelischer) Christ könne man das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser auswendig, alle anderen Anliegen brächte man in den eigenen Worten vor Gott, und wiederholen müsse man die Gebete schon mal gleich gar nicht, denn der Liebe Gott sei weder begriffsstutzig noch schwerhörig.

Käiserliche Hoheit lachte und meinte, ich hätte die gleiche direkte Art zu reden, wie meine Mutter. Im Übrigen aber solle ich nicht so hochgestochen sein, denn nicht allen Menschen ginge es so gut wie mir. Es gäbe auch überarbeitete, unterernährte, überforderte, ausgebeutete und misshandelte Christen und die wären froh, wenn sie einmal am Tag ein unangestrengtes Gebet sprechen könnten. Ihr Leben sei eh schon anstrengend genug. Darüber hinaus solle ich mich nicht so wichtig nehmen, denn der Liebe Gott kenne meine Anliegen sowieso, da bedürfe es keiner Privataudienz für Hans Rotenhan in Form des persönlichen Gebetes.

Das war eine geistliche Watschn, die gesessen hatte. Noch nie hatte ich mein evangelisches Selbstverständnis hinterfragt, noch nie mir überlegt, dass ein Gebet mehr sein könnte als ein Forderungs- oder Danksagungskatalog. Dass ein Gebet das Gefühl und die Gewissheit sein könnte, eine Zeit mit Gott zu verbringen.

In Marburg übernachteten wir und am nächsten Morgen fuhren wir auf den Flugplatz von Laibach. Dass da „LJUBLJANA“ dranstand, störte wieder niemanden. Dort warteten wir auf zwei Prinzessinnen, die sich allerdings verspäteten. Die Gräfin Kinsky meinte nach der zweiten Stunde Wartens: „Die Bizzi hat ja nie ein Geld g´habt. Drum fliegt sie mit de Tschuuschn. Die JAT kommt selten pünktlich. Mit der AUA wär des ned passiert.“

Immerhin diente die Warterei dazu, dass ich den Grund für den Zwist zwischen streitender Mutter und streitender Tochter erfuhr. Letztere hatte angenommen, einfach so ihre Mutter auf einer Wallfahrt zu begleiten. Erst im Bus hatte sie erfahren, dass der Grund für die Wallfahrt der war, dass ihre Mutter meinte, dass die Tochter dadurch endlich einen Mann abbekäme. Sie war stinksauer:“ Mit de Männer hab ich, bittschön, noch nie ein Problem g´habt. Aber einen Ehemann, brauch ich nun wirklich ned. Die Mamá ist einfach nur noch agassant.“

Eine weitere Erkenntnis nahm ich auch noch mit vom Laibacher Flugplatz, denn als die Bizzi, Mutzi, Mucki, oder wie sie auch hießen nach fast drei Stunden immer noch nicht da waren, rief eine der Wallfahrerinnen mehrfach: „Jetzt können´s mich aber bald küssen, alle miternand.“

Aha!

Erst nach einer weiteren Wiederholung wurde mir klar, dass es sich dabei um die österreichische Variante des Götz-Zitats im Gebrauch der Oberschicht handelte.

Schließlich ging es über den Autoput nach Süden. Im Bus wurde aufgeregt kommentiert, dass gleich hinter Banja Luka der Onkel Ferdl ein Jagdschlößll besessen habe, und im Tal da drüben, ja da waren doch die berühmten Forellenteiche von der Tante Erzy.

Paul und ich summten die Melodie „Unser guater Kaiser kommt zurück“ vom Qualtinger.“

Ich weiß nicht, ob wir noch einmal übernachteten, aber in Sarajewo machten wir Station. Wir sollten uns etwas die Beine vertreten. Ich fragte käiserliche Hoheit, zu der ich unterdessen große Sympathie gefasst hatte, ob ich sie begleiten dürfe.

„Nein gehen Sie nur allen, ich bleib beim Bus, Sarajewo ist nicht gut für uns Habsburger“. Es war so faszinierend im Gespräch mit ihr, festzustellen, wie Geschichte in Familiengeschichte hinüberschwappte. Nach Tante Erzys Forellenteichen unterhielten wir uns über einige herausragende Persönlichkeiten der Habsburger. Am Ende sagte sie: “Es schmerzt uns schon, dass die Beliebteste und Bekannteste aus der Familie die Sissi ist. Die mögen wir gar nicht.“ Auf meinen fragenden Blick fügte sie hinzu: „Sie ist ihrer Aufgabe nicht nachgekommen.“

Zusammen mit der streitenden Tochter habe ich für eine gute dreiviertel Stunde Paul durch Sarajewo geschoben. Dabei haben wir uns ausgemalt, welcher der zahlreichen schnauzbärtigen Männer am Ende der Wallfahrt der Ihre sein werde.

Dann musste es plötzlich ganz schnell gehen, denn es galt, den Nachmittagsgottesdienst in Medjugorje nicht zu verpassen.

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit II

Es war sechs Uhr in der Früh. Ein Taxi brachte uns zum Heldenplatz. Schwach nur waren die Konturen der Hofburg zu erkennen. Auf dem Platz waberten Nebelschwaden. Während ich den Rollstuhl aus dem Kofferraum hievte und auseinanderklappte beobachtete ich eine seltsame Szene:

Wegen des Nebels nur undeutlich erkennbar, glaubte ich neben dem Bus eine große stocksteife Figur zu erkennen, vor der immer wieder andere Figuren zusammensanken. Morgengymnastik?

Ich packte Paul in den Rollstuhl und schob ihn neugierig auf die Szenerie zu. Beim Näherkommen traute ich meinen Augen nicht, denn vor mir machten ältere Damen reihenweise den Hofknicks vor Regina Habsburg. Es musste sie sein, vor wem macht man sonst in Österreich einen Hofknicks, es sei denn, es ist der Kardinal?

Auch meine Schwester versank vor ihr in höfischer Reverenz. Ich begrüßte die Dame mit einem Handkuss, was ich, aus Ibiza kommend, schon für übertrieben hielt.

Immer noch etwas müde, stiegen wir alle ein. Wir bekamen die letzte Bank, weil Paul die Beine hochlegen musste. Als wir das Stadtgebiet Wiens verließen, dämmerte es und ich erkannte langsam meine Mitreisenden: Lauter alte Damen von scheintot aufwärts, so schien es mir jedenfalls. Es stellte sich heraus, dass der Busfahrer, Paul, ein wirklich uralter Graf Nostitz und ich die einzigen männlichen Wesen waren.

Autobahnen gab es damals noch nicht so viele und wir quälten uns langsam auf Graz zu. Vor uns saßen Mutter und Tochter und stritten. Letztere war insofern ein Lichtblick, weil sie nur etwa zehn Jahre älter war als ich.

Bei einer kurzen Kaffeepause auf irgendeiner Passhöhe machte man sich bekannt. Meine Schwester war sofort der Star der Truppe, denn sie wallfahrtete ja sichtlich mit einem echten Anliegen. Das „oarme Buberl“ wurde mit zittriger Hand gesegnet und gestreichelt. Er ließ es über sich ergehen, war dann aber doch froh, als wir aufs Herren Klo flohen, wo der alte Graf mit der Prostata kämpfte.

Die Sternkreuz Ordensdamen, man ahnt es bei diesem Namen, setzen sich aus Mitgliedern des k.u.k. Hochadels zusammen. Kinsky, Windisch-Graetz, Montecuccoli, Hunyadi, Thun, Croy, Schwarzenberg, Trautmannsdorff, Pálffy, Mensdorff, alles war vertreten, dazu eine Wittelsbacher Prinzessin und die Herzogin von Württemberg samt Mutter, der Comtesse de Paris. Beim Weiterfahren unterbrach die Mutter vor uns ihren Streit mit der Tochter, um mir zu stecken, der Graf von Paris habe schon wieder eine neue Geliebte, und das in seinem Alter… Offenbar fand sie es verwerflicher, dass der Herr 78 Jahre alt war, als dass er, naja.

Nun aber begann der professionelle Teil der Wallfahrt, wir näherten uns Graz und es wurde der Rosenkranz gebetet. Regina Habsburg, alle nannten sie käiserliche Hoheit, betete über das Busmikrophon vor.

Mir war schon bei der Kaffeepause klargeworden, dass ich in dieser Gesellschaft schlechte Karten hatte: männlich, jung, deutsch, evangelisch, nur Baron und kein Trachtenjanker. Während alle den Rosenkranz geradezu frenetisch in Endlosschleife beteten, konnte ich nicht mithalten. Ich hatte den Text noch nie gehört, nur „die Frucht deines Leibes“ verstand ich. Immerhin wurde mir klar, weshalb man bei García Márquez immer liest, „er konnte nicht beten, denn er wusste die Worte nicht“.

Ich war es von Kindesbeinen an gewohnt, meine Anliegen vor Gott zu bringen, wie mir der Schnabel gewachsen war. Konnten, ja durften das Katholiken nicht? Brabbelten sie deshalb andauernd unverständliche Worte?

Irgendwann ermattete die Stimme von käiserlicher Hoheit und es wurde eine Pause eingelegt. Sie kam nach hinten, setzte sich neben mich und fragte nach meiner Mutter. Bald schon erzählte ich ihr lustige Anekdoten aus Franken, was sie sichtlich amüsierte. Während der ganzen Wallfahrt kam sie immer wieder zu uns in die letzte Bank, um sich zu erholen: „immer nur fromm sein, ist anstrengend“ gestand sie.

Die Pause währte allerdings nicht lange, denn bald schon begann die Prinzessin Windisch – Graetz den Rosenkranz auf Ungarisch zu beten.

„Ihre Mutter war eine Batthyány, Andrássy, Pállfy!“ Ich weiß es nichtmehr. Es war ein klingender Name der magyarischen Geschichte. Die streitende Mutter hatte es mir zugeflüstert. Nach frommer Pause fügte sie hinzu: „Bei dene Ungarn wäisst nie, ob sie beten oder fluchen. Wennst mich fragst, flucht sie grad“. Ihr vom Papst gesegneter Rosenkranz klickerte dennoch weiter. Alle hatten einen vom Papst gesegneten Rosenkranz.

Betend oder fluchend, es blieb unklar, erreichten wir die jugoslawische Grenze. Der Busfahrer hatte vorher das Mikrophon ergriffen und gebeten, während der Passkontrolle von religiösen Manifestationen Abstand nehmen zu wollen. „Weil, sonst lassn de Tschuuschn uns nie durch, bitte.“

Mir fielen die vielen Werbetafeln auf, die auf die Winterolympiade vom vergangenen Jahr in Sarajewo hinwiesen.

Bei strömendem Regen ging es weiterbetend den Südhang der Alpen hinab. Diesmal sang die bayrische Prinzessin den Rosenkranz. Ich begann, über Frustrationstoleranz nachzudenken.

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit I

Es war im Jahr 1985. Wir wohnten damals noch auf Ibiza. Ich hatte gerade begonnen, in der Kanzlei Estudio de Semir mit Hauptsitz in Barcelona zu arbeiten. Nach langer Zeit der wirtschaftlichen und beruflichen Unsicherheit schien sich ein vielversprechender Horizont zu öffnen. Ich war ausschließlich auf das konzentriert, was sich als die Chance meines Lebens herausstellen sollte.

Da klingelte das Telefon und meine Schwester bat mich, sie auf eine Wallfahrt nach Jugoslawien zu begleiten.

Wenige Jahre zuvor war sie katholisch geworden. Seit einiger Zeit pflegte sie hingebungsvoll und verbissen ihren Sohn, meinen Patensohn, der schwer erkrankt war und mittlerweile im Rollstuhl saß. Meine Schwester forderte mich in meinem Patenamt als Begleiter, denn ihr Mann sei Atheist und unsere Eltern, naja, das musste sogar ich zugeben, die waren einfach zu evangelisch, als dass man sie auf eine Wallfahrt zu einer Marienerscheinung hätte mitnehmen können. Allerdings war ich zu derlei auch nicht gerade prädestiniert.

Mir wurde erklärt, es ginge nach Medjugorje , in der Nähe der Stadt Mostar. Dort erschiene täglich mehreren Seher-Kindern die Mutter Gottes, auf Kroatisch „Gospa“, die Herrin.

Obwohl ich wusste, dass ich mich der Aufgabe nicht würde entziehen können, versuchte ich zunächst, das in mich gesetzte Vertrauen zu untergraben und fragte kindisch an, ob die Erscheinung denn mit der Pünktlichkeit eines jugoslawischen Bummelzuges eintreffe, ob man etwas sehe, röche oder sonst was spüre.

Meine Schwester wischte das alles beiseite und teilte mir lediglich mit, wann ich in München auf dem Flugplatz zu sein hätte, dort würden wir uns treffen, um zunächst gemeinsam mit dem Auto nach Wien zu fahren. Auf der Fahrt dorthin werde sie mir alles erklären.

Glücklicherweise waren die Gebrüder de Semir fromme Katholiken, die sofort einsahen, dass ich die Wallfahrt unternehmen müsste und meine Frau, die meinen Patensohn mindestens ebenso liebt wie ich, hatte zwar schwere Bedenken, stimmte dann aber doch der Unternehmung zu.

In Riem sah ich meinen Patensohn, nennen wir ihn Paul, zum ersten Mal im Rollstuhl Er war schmaler und erwachsener geworden, aber eben doch immer noch ein Zwölfjähriger. Mir war sofort klar, dass er alles brauchte außer Mitleid, dass er endlich wieder wie ein normaler Bub behandelt werden wollte.

Meine Schwester kam nicht dazu, mir die Einzelheiten des Heilsortes zu erklären, denn von München bis Wien grölten Paul und ich die Chansons von Georg Kreisler. Besonders angetan hatte es uns „Der General“, der drei Töchter hat, die ihm Ehr machen, obwohl eine davon beruflich zu viele Männer kennt. Nur der Sohn, der bringt Schande über die Familie, denn der ist ein General. „und wenn er träumt, is er a Held“.

Auch „Mütterlein“ begleitete uns, das Lied, in dem der missratene Sohn besingt, wie die Mutter, von der er alles gelernt hatte, beim Einbruch in die Länderbank geschnappt wird. Nun schwört er, er werde die Länderbank für das Mütterlein knacken. Zu Pauls großer Freude begrüßte uns bei der Ankunft in Wien eine riesige Reklame der Länderbank.

Wir hatten einen halben Tag Zeit in Wien und so schob ich Paul im Schönbrunner Park und im Stephansdom herum. Beim Hinausgehen, als wir am Zebrastreifen warteten, verlangte er quengelnd nach einem Eis, was ich damit abzuwürgen versuchte, dass er eine Riesenwatschn einfangen werde, wenn er weiter so rumnerve. Was dann geschah, war wahrscheinlich eine der gefährlichsten Episoden meines Lebens, denn im groben Dutzend warfen sich wohlbeleibte Wienerinnen auf mich und drohten mit Taschen, Regenschirmen und sonstigem schweren Gerät: „Wie man nur derart mit so an oarman Buberl umspringen, nedwahr!“ . Kaum schaltete die Ampel auf Grün, flüchtete ich mit dem höchst amüsierten Buberl im Rollstuhl in das Gewusel des Grabens und von dort ins Hawelka, wo ich eine Runde Esterhazy-Schnitte schmiss.

Dort dann erklärte mir meine Schwester, um was es ging: Die Sternkreuz Ordensdamen würden diese Wallfahrt organisieren. Das sei eine katholische Damenvereinigung, deren Vorsitzende traditionsgemäß die Kaiserin sei, heutzutage die Frau vom Otto Habsburg, die Regina Habsburg, die mit unsrer Mutter befreundet sei, weil ihr Bruder, bevor er Mönch wurde, als Student in Freiburg in sie verliebt gewesen sei, oder umgekehrt.

Ich fühlte mich überrollt. Zwar hatte ich mitgeholfen, auf Ibiza eine deutschsprachige evangelische Gemeinde aufzubauen, aber sehr fromm war ich nicht. Ich fühlte mich nicht bereit, ernsthaft an einer Marienwallfahrt teilzunehmen, erst Recht nicht unter der Ägide des ultramontanen Erzhauses Habsburg. Meine Schwester erinnerte mich daran, dass ich bei historischen Diskussionen stets gegen Preußen und für K-Kanien argumentiert hätte.

Das stimmte zwar, richtig wohl fühlte ich mich dennoch nicht.

Wir gingen früh zu Bett, denn am nächsten Morgen um 6 Uhr sollten wir auf dem Heldenplatz den Bus besteigen.