Der schiere Unanstand

Unser Vater behauptete immer, dass eine Geschichte, wenn sie nicht unanständig sei, langweile.

Nun ist das, was die Generation unserer Väter für unanständig hielt, von dem was heute als „dirty jokes“ oder „chistes verdes“ im Umlauf ist, weiter entfernt als Königsberg von Köln.

Wenn die Autofahrerei zu lange wurde, sangen wir mit Vater:

„Leicht und sicher springt der Floh ohne Sprungbrett über den Popo-o.“

Wir kringelten uns vor Vergnügen.

Später, das war dann schon intellektuell anspruchsvoller, dichteten wir mit ihm Verse, die nur eine Bedingung hatten: Das Wort Scheiße musste darin vorkommen.

Unübertroffen diese beiden:

„Wer Scheiße auf den Dachfirst klebt, beweist, dass er nach Höh‘rem strebt“

und

„Scheiße in der Lampenschale verbreitet trübes Licht im Saale.“

Unschwer erkennt man, dass solcherart eine Fahrt nach München im Fluge verging, der Beweglichkeit des Hirnkastens diente und natürlich das Höchstmögliche an Unanstand herausgeholt wurde.

Witze oder Geschichten, die das Geschlechtliche auch nur streiften, waren tabu. Wahrscheinlich denken deshalb fast alle unsere europäischen Nachbarn, die Deutschen hätten keinen Humor. Wenn man sich in Heathrow die Schuhe putzen lässt, fallen einem schier die Ohren ab, seil der „shoe shine man“ nur Limericks vorträgt, die unter Kennern ja nur dann gut als gut gelten, wenn sie alles was gute Erziehung bedeutet, hinter sich gelassen haben.

Kurzum, man war prüde. Meinem Bruder passierte es noch, dass der Hausherr die Töchter aus dem Zimmer schickte, um ihm einen unanständigen Witz zu erzählen. Ein Nachttopf kam darin vor.

Als mein Großvater, das 20. Jahrhundert war noch neu, in der Neumark als Bräutigam bei den zukünftigen Schwiegereltern Besuch machte, wurde beim Mittagessen darüber gesprochen, dass ein entfernter Onkel von einer Asienreise gesund zurückgekommen sei, obwohl er mit dem Schiff einen Tornado habe durchfahren müssen.

Der Bräutigam stutzte und überlegte dann laut. „Tornado, Tornado, wo habe ich heute schon das Wort Tornado gelesen?“

Der Hausherr versuchte durch Jagdgeschichten ein neues Thema anzuschneiden, aber der Bräutigam insistierte. Es lässt mir keine Ruhe, Tornado, Irgendwo habe ich heute schon einmal das Wort „Tornado“ gelesen. Friederike, die jüngste Tochter, kicherte und wurde des Raumes verwiesen. Die Braut, als solche durfte sie neben ihm sitzen, knuffte unter dem Tisch, worauf der Bräutigam rief: „Clara, was knuffst du mich unter dem Tisch?“

Nun wusste der Hausherr keinen weiteren Rat mehr. Er bat seinen Ältesten: „Franz-Just, nimm doch bitte mal den Siegfried vor die Tür.“

Dort klärte der zukünftige Schwager den Bräutigam auf, dass das Wort „Tornado“ in blauer Schrift in den erst kürzlich von der Firma Villeroy & Boch gelieferten Wasserklosetts zu lesen sei.

Leider gibt es das Modell nicht mehr.

Der Hallelujazwerg

Üpä, unser Großvater in Rentweinsdorf, lag monatelang im Bett und konnte nicht sterben. Sein Rücken war aufgelegen, eine konkrete Erkrankung war nicht feststellbar, wollte man vom Alter absehen.

Immer wenn er dachte, er werde nun sterben, verlangte er nach dem Abendmahl. Dies wurde allgemein als Katastrophe angesehen, denn danach blühte er regelmäßig auf. Aber wer will einem Sterbenden schon das Abendmahl verweigern?

Nach langem Hin und Her wurde jemand gesucht, der, um die Verlegung ins Krankenhaus zu verhindern, die Pflege zu Hause übernehmen konnte. Man fand Herrn Stengel. Er war ausgebildeter Krankenpfleger und Diakon. Letzteres, so dachte man, werde seine Akzeptanz beim Kranken erhöhen.

Das war eine Fehleinschätzung, denn Üpä fand, Diakon sei kein Beruf für Männer, erst recht nicht für solche die das Gardemaß deutlich unterschritten. Herr Stengel war nur etwa 1,65 m groß.

Es wird berichtet, er habe sich den Namen des Pflegers nicht merken können. Ich bin davon überzeugt, dass er ihn sich nicht merken wollte. Wie dem auch sei, er nannte den kleinwüchsigen Gottesmann nur den Hallelujazwerg.

Immer wenn der Halleluja Zwerg das Zimmer betrat, wusste Üpä, dass er beim Wenden seines Körpers, beim Waschen, bei allem, was der Pfleger tat, Schmerzen haben würde. Er behandelte den bedauernswerten Herrn Stengel schlecht und eines schönen Morgens kündigte er ihm fristlos.

Unsere Mutter fand den Hallelujazwerg, wie er auf seinem Koffer sitzend vor der Kirche auf den Bahnbus wartete. Sie konnte ihn zur Rückkehr überreden.

Dann besuchte sie Üpä an seinem Krankenbett. Da er nahezu taub war, konnte man mit ihm nur per Schreibtäfelchen kommunizieren. Sie schreib:

„Wenn der Hallelujazwerg weggeht, musst Du ins Krankenhaus.“

Üpä holte seine Brille aus dem Etui, putzte sie umständlich, setzte sie ebenso umständlich auf und las. Dann sagte er:

„Ja, schickt den Kerl ins Krankenhaus!“

Mutter wischte den Text aus und schrieb:

„Wenn der Hallelujazwerg geht, musst DU ins Krankenhaus.“

Üpä hatte seine Brille unterdessen wieder verstaut, holte sie nun umständlich wieder aus dem Etui, putzte sie, setzte sie auf und las. Nach einer Weile ließ er das Täfelchen sinken und seufzte:

„Ja, wenn ihr jetzt mit dem Hallelujazwerg schon per du seid…“

Immerhin, Herr Stengel blieb. Wenig später starb Üpä dann doch noch einen gnädigen Tod. Statt einer Kondolenz sagte die Dorett, Üpäs Faktotum, zu meinen Eltern:

„Des hätt fei ned so lang müss dauer. Bei die Bauern wär scho längst a mal a Fenster offn gabliem.

Herr Stengel reiste schon vor der Beerdigung ab.

 

Die AfD punktet

Die AfD schickt ihre Anhänger ins Land mit dem Auftrag, das Folgende unter die Menschen zu bringen:

„Seit Jahrzehnten werden wir jedes Mal, wenn wir mit dem Flugzeug verreisen, wie die Verbrecher behandelt. Unser Gepäck wird gefilzt, wir werden gefilzt und wenn wir Pech haben, werden wir auch noch begrapscht. Wir werden wie Terroristen behandelt. Aber dann pochen eine Million Flüchtlinge an unsere Grenzen und die Merkel lässt sie ohne jede Kontrolle rein.“

Knapp vorbei ist dennoch voll daneben. Hier wird das ganz deutlich: Eine internationale Maßnahme zur Sicherung des Flugverkehrs wird gleichgesetzt mit einer Notstandessituation. Miteinander zu tun haben beide Dinge gar nichts, aber sie sind scheinbar ähnlich.

Dass im Herbst 2015 unkontrolliert Hunderttausende nach Deutschland eingereist sind, ist ein Fakt. Es ist aber kein Argument.

Es ist ein essenzieller Bestandteil populistischer Politik, komplexe Probleme mit den Sorgen und Ängsten der Bürger gleichzusetzen. So versteht, oder besser „ver-spürt“ jeder Bürger sofort, wo der Hase im Pfeffer liegt, ohne viel nachdenken zu müssen.

Die unkontrollierte Einwanderung von Flüchtlingen, hat nichts mit den Kontrollen am Flughafen zu tun.

Die Gleichsetzung von kontrollierter Ausreise mit unkontrollierter Einreise weckt allerdings schlummernde Ressentiments: Die Ausländer kommen „so“ rein, aber wir Deutsche müssen uns bis aufs Hemd ausziehen. Nachtigall ick hör dir trapsen…

Im Herbst 2015 bestand ein menschlicher und politischer Notstand. Eine sofortige und effiziente Reaktion des Staates war notwendig. Man konnte weder auf dem Bahnhof von Budapest noch an den Grenzübergängen ungezählte Massen von Menschen verrecken lassen. Wenn Menschen ohne Verpflegung und Unterkunft in den eigenen Ausscheidungen leben müssen, wenn es für sie kein Ausweichen nach vorn oder hinten, nach links oder rechts gibt, dann nennt man das eine Katastrophe. Ins Juristische übersetzt, nennt man das einen übergesetzlichen Notstand.

Uns Älteren ist noch erinnerlich, wie Helmut Schmidt als Innensenator von Hamburg bei der Flutwelle ohne Recht und Gesetz, sogar ohne Befehlsgewalt, der Bundeswehr anordnete, Menschenleben zu retten. Er war ein Held, weil er den übergesetzlichen Notstand erkannte und handelte.

Im Herbst 2015 erkannte und handelte die Bundeskanzlerin Merkel nach den gleichen Maximen. Und wenn man eine gescheite Frau ist, wie Anita Lasker Wallfisch, dann nutzt man es, ihr vor aller Welt dafür zu denken, wenn man am Holocaust Gedenktag im Bundestag eingeladen ist, eine Rede zu halten.

Es ist unbestritten, dass nach dem Ansturm der Flüchtlinge die Behörden überfordert waren. Es ist auch unbestritten, dass die Politik auf die Überforderung spät, zankend und zögerlich reagiert hat. Und schließlich ist es auch unbestritten, dass durch den unkontrollierten Grenzübertritt radikale und gewaltbereite Menschen ins Land gekommen sind.

Die Folgen aber mit dem Ursprung gleichzusetzen, das ist die Infamie der AfD. Es ist intellektuell infam, es ist aber auch menschlich infam, weil diese Argumentation spaltet, statt zu einen.

Allerdings punktet die AfD mit der beschriebenen Propagandamasche.

Einfache Lösungen sind ja so charmant! Darauf hereinzufallen, kann einem aber nur dann passieren, wenn man nicht genügend nachdenkt.

Noch etwas zum Schluss: Offenbar kann in Deutschland noch immer damit gepunktet werden, wenn suggeriert wird, Deutsche seien vom Gesetz besser zu behandeln als Ausländer.

Hat die Zeit ohne Diktatur in Deutschland in den Köpfen der dort lebenden Menschen nichts bewirkt?

Die Dankbarkeit und Pfarrer Rupprecht

Die Dankbarkeit und Pfarrer Rupprecht.

Es gibt wenig, was Kinder mehr nervt als dieses ewige „Hast du auch brav danke gesagt?“ nur weil ein liedschäftiger Onkel eine gebrauchte Quietschente aus der Manteltasche hervorgeholt hatte.

Als Kind muss man ja sogar dankbar sein für Sachen, die man gar nicht haben wollte, geschweige denn, sich gewünscht hatte. Ich denke da an selbst gestrickte Socken, Karpfen, Besichtigung des Rathaussaales von Miltenberg oder eine weitere Ausgabe der Bilderbibel.

Vanilleeis, Schokolade mit Nüssen drin, Besuch der Sandkerwa in Bamberg, Kasperletheater oder Karl May Filme, das gab´s natürlich nie.

Im Hainkino in Bamberg lief einmal einer von diesen in Jugoslawien gedrehten Karl May Filmen mit Pierre Brice und einem echten Ami als Old Shatterhand, Lex Barker. Wir wollten da natürlich hin. Unsere Mutter aber griff zum „Fränkischen Tag“ und las aus der Kritik vor:

„Unsinnige Schieß- und Prügelszenen…“ Das bestärkte uns in unserem Willen, geradezu unbedingt, hinzuwollen. Es gibt doch nichts Schöneres, als zwei Ganoven, die sich auf dem Gipfel eines steilen Berges in einer Schlammpfütze prügeln.

Wenn wir den Film hätten sehen dürfen, dann wären wir dankbar gewesen. Stattdessen zitierte unser Vater mal wieder aus den maghrebinischen Geschichten (Gregor von Rezzori), wonach Weib und Kinder in gebührender Dankbarkeit die Ermahnungen und Züchtigungen des Ehemannes und Vaters entgegenzunehmen hätten.

Mit der Zeit wurde das ganze Dankbarkeitsgedöns ja nicht besser, es wurde schlimmer: Wir mussten Latein lernen. In allen grammatikalischen Wendungen und Verästelungen hinein, wurde übersetzt, dass „gratus animus“ etwas sei, das nur der haben könne, der auch das notwendige moralische Rüstzeug mitbekommen habe. Mitbekommen hatte ich es offenbar nicht, denn beklommen stellte ich fest, dass ich fast nie für etwas dankbar war. Wie auch? Es gab ja bei 45 Minuten quälend langweiligem Lateinunterricht, an dessen Ende es immer Spitz auf Knopf zwischen der Note vier oder fünf stand, höchstens einen Grund zur Dankbarkeit, nämlich den, dass es keine Doppelstunde war.

Unsere armen Lateinlehrer konnten ja nichts dafür, aber außer bei den wenigen Masochisten, die vorgaben, die Oden des Horaz nicht nur zu verstehen, sondern daraus sogar Freude zu saugen, quälten sie uns über alle Maße.

Und dann kam auch noch der Pfarrer Rupprecht im Religionsunterricht. Er kündigte an, er wolle mit uns heute über Dankbarkeit reden. Geistig und körperlich rutschte ich auf meinem Stuhl in mich zusammen und versuchte nicht aufzufallen.

Es wurde dann doch recht interessant. Pfarrer Rupprecht wohnte in Utting am Ammersee. Es kam daher nicht selten vor, dass er einen Fisch, möglichst eine Renke, aß, so berichtete er. In Mehl wälzen und dann braten, davon hielt er nicht allzu viel, aber in viel Butter schwenken und dann geröstete Mandelscheibchen darüber, davon schwärmte er.

„Und dann blieb eine Gräte in meinem Hals stecken. Ich hustete, trank das Bier aus, schluckte Kartoffeln hinterher. Es nutzte nichts. In Panik verließ ich die Wirtschaft und rannte durchs Dorf bis zum Haus des Arztes, der natürlich auch gerade zu Mittag aß. Ich klingelte ihn heraus, und versprach ihm alle Schätze der Erde, wenn er mich nur von der todbringenden Gräte befreie. Der Doktor nahm eine Pinzette aus der sterilen Büchse, bat mich aaaa zu sagen, und holte die Gräte mit einem Griff heraus. 50 DM hat er dafür verlangt. Ich bezahlte in der Überzeugung, übers Ohr gehauen worden zu sein. Ihr seht, Dankbarkeit ist wie die Zeit, beide sind relativ.“

Der Bankräuber

Der Walder wuchs in einem winzigen Dorf auf, mitten im Steigerwald.

Als er sechzehn Jahre alt geworden war, radelte er nach Haßfurt und bestand dort die theoretische Fahrprüfung, was ihn fortan zum Führen eines Mopeds berechtigte.

Er hatte aber kein Moped. Der Großvater und der Nachbar und der Vater von der Ramona, seiner Freundin, hatten in der Scheune noch je eine Ruine dessen, was vorher mal eine NSU Quckly gewesen war. Tatsächlich gelang es, aus diesen drei Vehikeln ein neues zusammenzuschrauben. Der Walder malte es feuerrot an, und wenn man auf den Gepäckträger ein Kissen legte, dann saß auch die Ramona recht bequem.

Die beiden erkundeten die Weiten und die Büsche des Steigerwaldes, nur bei Regen und im Winter war es schon irgendwie unbequem mit der roten Quickly.

Aber bald schon waren zwei Jahre vergangen, und der Walder konnte den Führerschein machen. Er hatte darauf gespart.

Zu einem Auto reichten seine Ersparnisse aber nicht. Auch gilt leider die Regel nicht, dass wer eine NSU Quickly in der Scheune hat, auch ein kaputtes Auto dort verwahrt.

Der Walder sparte weiter, aber irgendwie reichte es nie, um ein gebrauchtes Auto kaufen zu können. Die Ramona aber drängelte, und ab und zu sprach sie davon, dass der Siggi zwar ein Auto habe, aber keine Freundin, was den Walder durchaus alarmierte.

Und so reifte in ihm der Plan, die Kreissparkasse zu überfallen. Er wusste, dass einige Dörfer weiter einmal in der Woche der Sparkassen Bus vor der Kirche hielt. Ein paar Mal hatte er sich die Sache angesehen, dann ging er zur Tat über. Mit einer Spielzeugpistole und einem Tuch vor dem Gesicht stürmte er den Bus und schrie: „Fünfdausend Märgla, oder s‘ gnalld.“

An dem Tag war der Breuers Oddo zum Dienst im Sparkassen Bus eingeteilt. Er trainierte damals die Jugendmannschaft des SV Rapid Ebelsbach und konnte gut mit jungen Männern umgehen. Zwar hob er die Hände, aber gleichzeitig verwickelte er den Bankräuber in ein Gespräch: „Bürschla, du bist doch noch jung. Du versaust dir des ganz Lähm.“ Der Walder aber entgegnete, dass er ein Auto brauche, weil die Quickly bald den Geist aufgeben würde. Das verstand der Oddo natürlich, aber er versuchte weiter, die Straftat zu verhindern: „Bass auf, du haust edserd ab und ich vegess den Aufdridd. Morchn kummsd auf Haßfurt und nacher säh mer amol, wie des mid an Gredid is.“

Das verstand der Walder und verließ unverrichteter Dinge den Sparkassen Bus.

Der Breuers Oddo hatte sich gerade vom Schrecken erholt, als der Bankräuber wieder in den Bus stürmte: „Ich hab’s mir annersch überleechd, ich will doch des Gäld.“

Da drückte der Oddo den Alarmknopf und ein ohrenbetäubendes Geheul ging los. Dem Walder gelang zwar die Flucht, aber seine feuerrote Quickly sprang nicht an und so konnte der Breuers Oddo den Walder festhalten bis die Polizei kam.

Man legte ihm Handschellen an. Der Walder aber deutete mit dem Kinn auf die am Boden liegende NSU Quickly und brüllte zum Breuers Oddo hinüber:

„Sixdes edserd, wieso ich a Audo brauch?“

 

 

Es geschah zu Prag

Als über dem Hradschin noch die rote Fahne wehte, war man in der ČSSR natürlich besonders solidarisch mit allen afrikanischen Staaten, die auch nur annähernd eine linksgerichtete Regierung hatten. Man lieferte nicht nur Kabel und Kraftwerke sondern auch Kultur. Nach einer Konzerttournee durch mehrere afrikanische Staaten brachte das Tschechische Philharmonische Orchester nicht nur viele Eindrücke, sondern auch einen Geiger mit. Nennen wir ihn Mbene Awolowo.

Er sollte zum Spitzenviolinisten ausgebildet werden, er war der Stolz seines Vaterlandes. Es wurde sogar extra ein Vertrag abgeschlossen, in dem sich die ČSSR verpflichtete, Herrn Awolowo in die Geiger-Meisterklasse an der Musikhochschule in Prag aufzunehmen. Darüber hinaus sollte am Ende der zweijährigen Lehrzeit eine Langspielplatte aufgenommen werden, auf der Mbene Awolowo als Solist mit dem Tschechischen Philharmonischen Orchester zu hören wäre.

Mbene war bald die Sensation des Nachtlebens von Prag. Afrikaner sah man damals dort eher selten. Er konnte sich über den Zuspruch der Damenwelt nicht beklagen. In den Kneipen spendierte man ihm oft ein, zwei Bier, weil er halt so schön aus der fernen Welt erzählen konnte.

Die morgendlichen Aufenthalte an der Musikhochschule waren allerdings eher problematisch, weil Nachtleben und so. Aber nicht nur das: Im Lichte einer Meisterklasse betrachtet, war das Talent des Staatsgastes Mbene Awolowo eben doch etwas weniger scheinend, als es die Kulturfunktionäre seines Heimatlandes geschildert hatten. Vor Ort hatte man ihn nicht auf die Probe stellen können, damit hätte man womöglich die Kulturfunktionäre vor den Kopf gestoßen.

Aber Vertrag ist Vertrag. Die sozialistischen Staaten wurden stets von westlichen Konzernherren gelobt, sie seien zwar schwierige Verhandlungspartner, aber sie hielten dann die Verträge. So auch auf dem Musiksektor. Mbene wurde in der Meisterklasse mitgezogen, manchmal durfte er umblättern, manchmal erbarmte sich ein Lehrer und übte mit ihm eine Etüde ein.

Mbene war nicht wirklich unbegabt. Wenn er in den Studentenkneipen auf die Bühne sprang und mitspielte, tobte der Saal. Er spielte eigentlich jedes Instrument, aber halt nicht auf Meisterklasseniveau.

Als sich das zweite Jahr seinem Ende zuneigte, erinnerte man sich der Verpflichtung, eine LP mit ihm einzuspielen. Man holte Haydns Esterhazy Partituren heraus und versuchte, den Cellopart auf Violine neu zu arrangieren. Es misslang. Man befragte in höchster Not den Musikhistoriker an der Hochschule und der riet zu Oskar Riedings Violinkonzert in h-moll, op. 35. Das Konzert ist in erster Linie wegen seines leicht zu spielenden Soloparts bekannt geworden.

Am Tag der Aufnahme arbeitete das Tschechische Philharmonische Orchester wie immer sauber, fehlerfrei und engagiert. Letzteres galt auch für den Solisten, aber bei den schnellen Notenläufen haperte es. Was tun?

Jemand schlug vor, der erste Geiger solle all das spielen, was Mbene nicht so ganz schaffte. Der aber, so entgegnete der Direktor der Musikhochschule, könnte deshalb beleidigt sein und den Schmuh zu Hause ausplappern. Die Leitung der Prager Musikhochschule sah sich schon kollektiv in Sibirien.

Da meldete sich der Tonmeister: Man solle Herrn Awolowo unter irgendeinem technischen Vorwand, bitten, vor dem Tonmeister mehrmals alle möglichen Tonleitern zu spielen. Das geschah auch.

Der brave Tonmeister schnitt später aus der Gesamtaufnahme all die Stellen heraus, an denen Mbene gepatzt hatte. An ihrer statt setzte er ein aus Tonschnipseln zusammengesetztes Surrogat. Alle Welt war zufrieden.

Mit der LP unter dem Arm trat Mbene Awolowo die Heimreise an. Die Platte verkaufte sich wie warme Semmeln. Musikkenner fragen sich noch heute, wie es dem Solisten gelang, die einzelnen Töne in den Läufen so akkurat voneinander zu trennen.

(se non è vero, è ben trovato. Mir hat die Geschichte Jaroslaw Opela, der spätere Dirigent der Wilden Gungl in München, in den 70er Jahren erzählt)

Ist facebook des Teufels?

Immer mehr Freunde und Verwandte schauen mich scheel an, weil ich im facebook aktiv mitmache.

Das Mildeste ist noch, wenn aus Gregor von Rezzoris maghrebinischen Geschichten zitiert wird: „Wer sich zum Mist macht, den werden die Hühner auseinanderkratzen.“

„Du machst dich da gemein mit Leuten, die niedliche Kätzchen posten, gleichzeitig nationalsozialistisches Gedankengut unter die Leute bringen und fake news nicht nur glauben, sondern auch noch teilen.“

Bedauerlicherweise ist es so, dass unterdessen ein erheblicher Prozentsatz seine Nachrichten aus der Welt über facebook empfängt. Kein Wunder, dass sich unterdessen selbst solche Propaganda hält, die erkennbar unwahr ist.

Und tatsächlich ist es so, dass sich facebook unterdessen zum Zentralorgan der Hetze gegen den Islam etabliert hat.

Für Otto Normaldenker ist doch klar, dass Nachrichten von Menschen publiziert werden müssen, die ihr Handwerk erlernt haben. Einen Stuhl kauft man ja auch nicht bei Bäcker.

Bei facebook aber darf jeder seine krude, undurchdachte, antidemokratische Bauchmeinung in die Welt hinausposaunen und kann noch dazu einer gewissen Aufmerksamkeit sicher sein.

Facebook-Hetzer erinnern mich an Kettenhunde. Auch diese gebärden sich wild und gefährlich, solange sie sich in dem von der Kette vorgegebenen Radius bewegen. Lässt man sie von der Kette, verlieren sie ihre Selbstsicherheit und verkriechen sich.

Das „Schöne“ an facebook ist ja, dass man aus der Ferne schimpfen kann. Es fehlt der Augenkontakt mit dem Kontrahenten. Das macht mutig.

Und deshalb haben manche Kritiker eben schon Recht, wenn sie sagen, facebook (pars pro toto) sei „des Teufels.“

Es ist ein Medium, in dem fern aller Norm, fern allen Anstandes und fern aller Kontrolle alles gesagt werden kann. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass dieses Gesagte zu einem ganz großen Teil schlimm, unwahr, volksverhetzerisch und unanständig ist.

Als ich vor Jahren ein facebokk account aufmachte, wollte ich es gleich wieder zumachen. Zu sehr war ich entsetzt von der Niveaulosigkeit, dem Fehlen an demokratischer Verantwortung, dem Unflat und der Spießigkeit.

Und dann nahm ich mir vor, möglichst oft etwas Lustiges, etwas Kritisches, etwas Informatives, etwas Unterhaltendes zu posten. Und ich nahm mir natürlich vor, mich nie auf das Niveau derer hinabzubewegen, die Andersdenkende abqualifizieren, sie mit Schimpforten überziehen und vermeintlich der Lächerlichkeit preisgeben.

Kurz ich wollte in all dem Hirnriss, all dem Unanstand, all der Hetze ein Zeichen von biederem europäischem Bildungsbürgertum setzen.

Es gab ja immer schon solche Idealisten, die sich mit Verbrechern gemein machten, weil sie dachten, ihr anständiges Verhalten werde den Kurs des Schiffes verändern können.

Mein Großonkel war aus diesem Grunde Nazi geworden. Er hat sich schließlich aus Verzweiflung erschossen.

Es gibt keinen Gut-Nazi. Und ich frage mich nun, ob es auch keinen Gut-facebooker geben kann.

Frieden seit 1945

Leider stimmt das nicht wirklich, denn es gab die schrecklichen Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Dennoch gilt: Dies hat es noch nie gegeben: In Mitteleuropa herrscht seit 73 Jahren Frieden. Das ist die Lebenszeit von zweieinhalb Generationen.

Alle, die diese Zeilen lesen, wissen von einem Vater oder Großvater, der im Krieg war, alle wissen von Angehörigen, die gefallen sind oder die aus ihrer Heimat flüchten mussten.

1939 – 1945, 1914 – 1918, 1870 – 1871, 1848 und die napoleonischen Kriege, all das steht für unsägliches Leid und Blutvergießen. Diese Kriege sind mehr oder weniger im kollektiven Gedächtnis geblieben. Man hat den Eindruck, die Kriege seien lediglich unterbrochen worden von jeweils etwa 30 Jahren des Verschnaufens.

Ist unsere Welt so friedfertig geworden, dass wir nichtmehr auf uns schießen?

Sicherlich nicht, aber seit dem Ende des 2. Weltkrieges haben die Staaten, ihre Politiker und nicht zuletzt die Menschen dafür gesorgt, dass es nicht wieder zum Krieg kam. Ob da das Gleichgewicht des Schreckens, die Nachrüstung und die Abrüstungsvereinbarungen immer die adäquaten Mittel waren, das wird die Geschichtsforschung finden müssen. Immerhin: Funktioniert hat’s.

Alle männlichen Leser müssen sich klar sein, dass sie in der Logik der europäischen Geschichte gefallen sein müssten, nur noch mit einem Bein rumlaufen könnten, den Bruder und den Vater verloren haben müssten und ein großer Teil der weiblichen Leserinnen wäre Witwe, hätte den Bruder oder Bräutigam verloren.

Davon kann keine Rede sein! Gott sei Lob und Dank!

Wenn man sich das klar macht, dann ist es einfach kleinlich und widerlich, die täglichen Verunglimpfungen anderer, die täglichen Tatsachenverdrehungen, den täglichen Hass in den sozialen Medien miterleben zu müssen.

Vergessen wir nicht: Bevor der Krieg 1933 losgehen konnte, mussten die Köpfe der Menschen manipuliert werden.

Negeraufstand ist in Kuba

Neulich sah ich in der österreichischen Nachrichtensendung ZIB 2 das Interview, in dem Armin Wolf, der Moderator, den FPÖ Spitzenkandidaten für Niederösterreich Udo Landbauer als ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“ interviewte.

Ein Liederbuch dieser Burschenschaft war bekannt geworden, in dem antisemitische und rassistische Lieder abgedruckt sind. Zunächst kam Christian Strache ins Bild, der FPÖ Chef. Er sagte, Landbauer träfe keine Verantwortung, denn das Buch sei gedruckt worden, als dieser 11 Jahre alt gewesen war, sprich 1997. Bei Liedern kommt es bekanntlich darauf an, wann man sie singt, nicht wann sie gedruckt wurden. Hauptsächlich aber ist es bedenklich, dass 3 Jahre vor der Jahrtausendwende es noch Burschenschaften gab, die es für notwendig erachteten, derlei Schund drucken zu lassen.

Es sind ja nicht alte Lieder aus der Nazizeit. Wenn „der Jude Ben Gurion“ darin vorkommt, und man werde die siebte Million auch noch schaffen, dann zeigt sich, dass es auch noch nach dem Holocaust Menschen gibt, die blöd, skrupellos und menschenverachtend genug sind, sowas zu erdenken.

Armin Wolf zitierte im Interview einen weiteren Titel: „Negeraufstand ist in Kuba…“, dessen Text so schrecklich sei, dass er daraus nicht zitieren wolle.

Ich bekam einen Schreck. Das Lied kannte ich. Wir haben es als Schüler gesungen und uns nichts dabei gedacht. Ich bin nicht sicher, ob es in einem Liederbuch abgedruckt war, aber wir wissen es ja alle, je blöder und/oder unanständiger ein Text ist, desto leichter prägt er sich ein.

Mit zunehmender Reife, haben wir das Lied nicht mehr gesungen, es ist einfach widerlich und eklig. Offenbar ist diese zunehmende Reife bei den österreichischen Burschenschaftlern nicht immer feststellbar, denn das besagte Liederbuch ist noch im Gebrauch. Bei einer Hausdurchsuchung im „Vereinsheim“ wurden 19 Exemplare gefunden.

Landbauer verteidigte sich, zu seiner Zeit seien die Texte geschwärzt gewesen, einige Seiten sogar herausgerissen worden, und überhaupt er sei ein schlechter Sänger.

Diese Ausreden disqualifizieren ihn nicht als Politiker, aber sie disqualifizieren ihn als seriösen Politiker. Das mit dem Schwärzen und dem Herausreißen glaubt ihm eh keiner, und es ist allgemein bekannt, dass beim Grölen unsäglicher Lieder es noch nie darauf angekommen ist, eine gute Stimme zu haben.

Es war ein Fehler, die österreichische Regierung Schüssel-Haider von Beginn an zu ächten. „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Das gilt auch jetzt wieder. Die schwarz-blaue Regierung in Wien muss die Möglichkeit erhalten, zu beweisen, dass die FPÖ unterdessen die braunen Unterhosen ausgezogen hat.

Es wird sich zeigen, wie Bundeskanzler Kurz und sein Koalitionspartner Strache mit dem Landbauer-Skandal umgehen. Und daran, wie damit umgegangen wird, wird sich auch zeigen, ob man der Regierung in Wien über den Weg trauen kann. Derzeit sieht es schlecht aus, denn der FPÖ-Innenminister Kickl hat in Überschreitung seiner Kompetenzen Ermittlungen ausgeschlossen.

Dass die Staatsanwaltschaft dennoch ermittelt ist ein Lichtblick.

Der Beruf des Vaters

Die Zeit vor meiner Einschulung ist mehr in Erinnerung geblieben, als der erste Schultag selbst. Natürlich bekam ich eine riesige Schultüte voller Süßigkeiten, und natürlich war diese riesige Tüte bis zur Hälfte mit alten Ausgeben des Baunach- und Itzboten ausgestopft worden.

Beides war zu erwarten gewesen. Unvorbereitet trafen mich die „Sprüch“ im Dorf, die mein tiefes Misstrauen gegen den Schulbetrieb bestätigten.

„Do gehd’s fei aus an annern Fässla.“ Ein an sich sinnentleerter Satz, nach dem es dann aus einem anderen Fässchen ginge, der mit aber sofort klarmachte, dass es mit dem ersten Schultag vorbei sein würde mit unbeschränkter Freiheit. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, weshalb ich in die Schule müsste, ich konnte ja alles: Fahrrad fahren, Nägel einschlagen, Zwillen basteln, einen Lanz Traktor von einem Fendt Traktor am Geräusch unterscheiden, das Vaterunser aufsagen, ich wusste, dass Westen hinter Salmsdorf, Norden hinter Ebern, Osten hinter Treinfeld und Süden hinter Sendelbach lag. Was hätte die Schule mir noch beibringen können?

Noch mehr, als das „Fässla Theorem“ nervte mich meine Mutter. Fast täglich schärfte sie mir ein, was ich zu sagen hätte, wenn ich nach dem Beruf unseres Vaters befragt werden würde.

Ich gebe zu, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht hatte, aber weshalb es so wahnsinnig wichtig war, zu wissen, dass mein Vater Land- und Forstwirt sei, blieb mir verborgen. Ich verstand nicht einmal, was das sein sollte. Mutter sagte, das eine sei ein besserer Bauer du das andere ein besserer Förster. Und was hat das mit dem Wirt zu tun? Im Dorf gab es drei Wirte, alles behäbige Gestalten, denen man ansah, dass das Bier ihnen schmeckte. Unser Vater verabscheute Bier und war wirklich nicht behäbig, weder geistig, noch körperlich. Wenn er aber ein besserer Bauer und ein besserer Förster war, warum nannte man ihn dann nicht so, und weshalb war er besser als die Bauern und Förster, die ich kannte?

Als Kind hatte ich schnell gelernt, dass es zwecklos war, Mutters Gedanken zu hinterfragen oder diesen gar zu widersprechen. Dann war mein Vater halt Land- und Forstwirt. Er hatte nie eine Gabel oder eine Axt in er Hand, er fuhr nur immer mit seinem VW Käfer aufs Feld oder in den Wald um die dort arbeitenden Menschen zu besuchen, Land- und Forstwirt eben.

Kurz nach dem ersten Schultag wurden wir tatsächlich nach dem Beruf unseres Vaters gefragt: Schreiner, Kreisbaumeister, Brauer, Schlosser. „Schafft in Ebern bein Kuffi“ war der häufigste Beruf. Dann kam ich dran und sagte problemlos mein „Sprüchla“ auf: „Mein Vater ist Land- und Forstwirrt.“

Berthold, mein neben mir sitzender Freund, knuffte mich und sagte: „Aff, blöder, dei Vaddä is Baron.“ Ich knuffte zurück und zischte: „Halds Maul, mei Muddä hods, mir gawiesn.“

Jahre später habe ich Mutter gefragt, weshalb sie so absonderlichen Wert darauf gelegt habe, dass ich den Beruf meines Vaters mit Land- und Forstwirt anzugeben hätte.

Es stellte sich heraus, dass auch sie in der Schule gefragt worden war, was der Vater sei. Sie standen in einer Reihe, mussten das Katheder erklimmen und von dort oben mitteilen, welchem Beruf der Vater nachging. Meine Mutter hatte keine Ahnung, aber vor ihr war der Rösche Bibbl dran, und dessen Vater, so verkündete er, sei Fleischbeschauer.

„Mein Vater ist auch Fleischbeschauer,“ stammelte sie etwas verwirrt, als sie droben stand.

„Dein Vater ist Land- und Forstwirt und darüber hinaus Abgeordneter im Reichstag!“ polterte der Lehrer.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Sache mit dem Fleischbeschauer im Dorf. Das arme Mädchen wurde zu Hause und beim Spielen auf der Straße damit aufgezogen.

Diese Schmach wollte Mutter mir ersparen.