Jesus verraten

Gestern las ich einen Beitrag, in dem jemand schrieb, es gäbe in den Parlamenten aber auch anderswo viele Menschen, die wegen der Ehe für alle und der Fristenlösung bereit wären, Jesus an Marx und Moslems zu verraten.

So schön die Alliteration auch sein mag, die Aussage ist dennoch abwegig, denn weder Moslems noch Marxisten beschäftigen sich vorwiegend mit der Ehe für alle noch mit der Fristenlösung.

Was der Autor sagen will, ist, daß beides, die Ehe für alle und die Fristenlösung gegen Gottes Gesetz verstoßen und deshalb deren Befürworter Verrat an Jesus Christus verüben.

Eine gewagte These; der ich nicht nachgehen möchte, da ich nicht Theologe bin.

Aber das Parlament, das ja spätestens seit Caesar (et tu mi fili Brute?) ein Hort des Verrats ist, das sollten wir uns näher anschauen.

Das Haus, in dem die vom Volk gewählten Abgeordneten zusammenkommen, heißt mit gutem Grund Volksvertretung.

Die Messlatte ist dort nicht die individuelle Überzeugung jedes einzelnen Parlamentariers, sondern deren Summe. Dort werden nicht nur gläubige Christen vertreten, sondern auch Andersgläubige und auch solche Menschen, die an gar nichts glauben, kurzum ein Ort, der zum Jesusverrat denkbar ungeeignet ist.

Christen aber auch zum Beispiel Moslems gehen davon aus, dass Ihr Glaubenskonstrukt allumfassend, allesstützend und alleingültig ist. Es ist für sie schwer verständlich, dass ein säkulärer Staat auch andere Bekenntnisse oder Ansichten berücksichtigen, schützen und gewährleisten muss. Daraus ergibt sich logischerweise, dass die Normen des Rechtsstaates stets und immer über denen der verschiedenen Bekenntnisse stehen.

Was für den Gläubigen seine Bibel, sein Koran ist, ist für den Staat die Verfassung und diese lässt sich in einem demokratischen Rechtsstaat auf einen Satz kondensieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Die Einsicht kam zwar spät, aber nun haben die meisten Menschen begriffen, dass die Ehe für alle eine Folge der Achtung der Menschenwürde ist. Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung von dem auszuschließen, was der Staat selbst als schützenswert ansieht, war diskriminierend. „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates“ sagt das deutsche Grundgesetz.

Wen zwei Menschen des gleichen Geschlechts ehelich zusammenleben, schaden sie damit niemandem.

Das mag bei der Fristenlösung anders sein. Unbestritten ist, dass der Rechtsstaat allen Frauen ein Mittel an die Hand geben muss, um Schwangerschaften abzubrechen. Seltsamerweise bestreiten das fast nie Frauen, aber fast immer Männer.

Wie dem auch sei, die Menschenwürde gebietet es, dass eine Frau über sich und ihre Nachkommenschaft entscheiden können muss. Das hat der Gesetzgeber so entschieden, wohlwissend, dass, sollte sich eine Frau zum Schwangerschaftsabbruch entscheiden, dies stets eine Entscheidung zum Nachteil des ungeborenen Kindes ist. In einem säkularen Rechtsstaat gilt die Regel, dass bestehendes Leben mehr gilt als entstehendes Leben.

Das kann man richtig, falsch oder verwerflich finden. Das entscheidet jeder nach seinem Bekenntnis, und dieses, ich wiederhole mich, rangiert unterhalb der jeweiligen Verfassung.

Es ist jedermann erlaubt, dafür zu arbeiten, dass möglichst wenig Frauen die Schwangerschaft unterbrechen. Die Abschaffung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung aber wäre ein erster Schritt weg von der Demokratie und hin zum Gottesstaat.

Fazit: Wer beklagt, dass in den Parlamenten Jesus an M&M oder wen auch immer verraten wird, der hat entweder im Fach Staatsbürgerkunde geschlafen, oder aber, er will unsere Demokratie abschaffen.

Göcherles Brüh

In den Gründerjahren, also im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, dachte mein Urgroßvater, auch er müsse auf den Karren springen und so gründete er in Rentweinsdorf eine Brauerei, die wenig phantasievoll Rotenhan Bräu hieß.

Bald schon war das Bier als „Göcherles Brüh“ landauf landab bekannt, wobei sich „Land“ strikt gesehen auf das Tal bezieht, in dem die Baunach fließt. Ein großes Verbreitungsgebiet war dem Rotenhanschen Gebräu nie beschieden, will man davon absehen, dass in den 60er Jahren einmal im Monat ein Hanomag Transporter nach Hannover geschickt wurde, um dort im Restaurant Tempo, einem Vorgriff auf das heutige fast food, einige Fässer abzuladen. Es musste dafür jeweils eine auf zwei Tage gefristete Fernverkehrslizenz erworben werden und die beiden Bierkutscher hatten für diese Fahrt extra Schirmmützen. Sie sahen damit richtig weltmännisch aus.

Nach der Gründung aber, war das alles noch nicht so einfach. Meine Urgroßmutter beschwerte sich, weil ihr Mann oft tagelang im Sudhaus stand, um die gerade erst angelernten Bierbrauer zu überwachen.

Wenn er das nicht tat, fuhr er auf Werbetour, denn er legte größten Wert darauf, seine Gründung „Exportbrauerei“ nennen zu können. Dazu hätte es genügt, eine Wirtschaft im thüringischen Hildburghausen zu haben, allein sein Sinn stand nach Höherem und so hatte er bald zwei Gaststätten in Leipzig, die sich rühmten, Bier aus dem Königreich Bayern auszuschenken.

Oft besuchte er seine sächsischen Kunden, um „Zeche zu machen“. Da bedeutete, dass er und seine Begleiter ein voluminöses Abendessen einnahmen, und die übrigen Gäste zumindest mit einem Liter Freibier bedacht wurden.

Er gab sich leutselig, sprach mit allen Gästen und lud sie ein, ihn doch einmal in Rentweinsdorf zu besuchen. Gern würde er ihnen Mälzerei und Brauerei zeigen und auch dann werde es nicht an Freibier fehlen.

Was „der alte gnädige Herr“, so wurde er im Dorf genannt, nicht wusste, war, dass gerade zu dieser Zeit die Sachsen das Wandern erfunden hatten.

In kleineren, meist männlichen Gruppen fuhr man mit der Bahn irgendwohin um dann per pedes die Schönheiten des Landes zu erkunden, wozu durchaus auch die Kellnerin der Gasthäuser am Wegesrand gezählt wurden.

Und so stand eines Tages eine schwitzende Gruppe Sachsen in Rentweinsdorf auf dem Schlosshof. Urgroßmutter berichtete, sie hätten alle einen Strohhut mit einer Büroklemme vor dem Bauch fixiert gehabt. Der Anblick muss herzzerreißend gewesen sein. Vehement verlangte man nach dem Herrn Baron, denn der hätte Freibier und Brauereiführung versprochen. Dieser ließ sich auch nicht lumpen, und beim Umtrunk am späten Nachmittag spendierte er auch noch Zigarren für die Besucher aus dem Ausland.

Die Stimmung wurde fröhlich und plötzlich hielt einer der reisenden Sachsen die Zigarrenkiste an die glänzende Glatze des Gastgebers und fragte diesen, was das wohl sei? Als keine Antwort kam, grölten alle Sachsen im Chor:

MONDSCHEIN AN DR GISDE VON HAVANNA!