Bei Babs da ist was los!

Nach glücklicher Scheidung kam Babs nach San Antonio auf Ibiza. Sie hatte dort ein kleines Häuschen und langweilte sich bald. Als lebensfrohe Rheinländerin lag der Gedanke nahe, eine Kneipe auf zu machen.

Was heute ein Kinderspiel ist, war damals schier unmöglich, der Generalissimo lebte noch und Recht und Ordnung wurden nach Gutdünken geregelt. Da genügte es eben nicht, einen Antrag zu stellen, da war voller Körpereinsatz gefragt. Das merkte Babs schnell und da sie nicht unansehnlich war, gelang es ihr in, wie man munkelte, verdächtig kurzer Zeit alle Papiere beieinander zu haben. Der hübsche Sekretär des hässlichen Bürgermeisters soll entscheide beigetragen haben.

Die Bar „Bei Babs“ wurde zum Treffpunkt aller in San Antonio lebenden Deutschsprachler. Als ich dort im Jahr 1978 aufkreuzte, kostete das 0,3 l Glas San Miguel für Residenten 20 PTAS, für Touristen 25.

Ab und zu kam ein Spanier in die Kneipe, der schon erwähnte Gemeindesekretär, manchmal der an einen Stierkämpfer gemahnende Chef der Guardia Civil und öfter auch der Chef der Bierniederlassung. Das waren allesamt wichtige Personen, die sich Babs auf ihre Weise gefügig machte. Besonders im Hochsommer war es nicht immer ganz leicht, genügend Bier zu bekommen, es musste ja zur Gänze mit dem Schiff herantransportiert werden.

Babs konnte kein spanisch. Wenn einer ihres iberischen Triumvirats kam, dann hörte sie sich lange deren Wortschwall an, lehnte sodann den Unterarm auf den Schanktisch, beugte sich vor, so dass der Gesprächspartner auch visuell auf seine Kosten kam und sagte: „Yo pensar, tu tener razón,“ also „ich denken, du Recht haben.“ Nachdem Babs noch klargemacht hatte, dass sie die Bar heute um Mitternacht schließen werde, zog der wichtige Mann zufrieden und erwartungsfroh ab.

Eines Tages erschien Günther auf der Bildfläche. Er kam aus dem Nichts, hatte nichts und konnte nichts. Er sah aus wie ein im Abstieg begriffener Vorstadtgigolo. Es war deutlich, dass er gekommen war, um in Deutschland über was auch immer Gras wachsen zu lassen.

Bald schon keimte in ihm der Gedanke auf, der Liebhaber einer Kneipenbesitzerin zu werden, wo sich alle Deutschen trafen, könne nur von Vorteil sein. Er verbrachte nun seine Abende im „Bei Babs“ und erzählte der Wirtin von seinen vergangenen Heldentaten und auch davon, wie ungerecht das Leben ihn jüngst behandelt habe, mit der Folge, dass er mittellos sei, aber voller Tatendrang, neu anzufangen.

Mag sein, dass es Babs danach war, sich mit einem ihrer Liebhaber auch verbal austauschen zu können, jedenfalls stieg Günther zum ständigen Begleiter der Wirtin auf. „Hauptbeschäler“, sagte Rolf, der einen Reitstall betrieb.

Das Triumvirat grollte. Da die drei kein deutsch und Günther kein spanisch sprachen, blieb es bei nonverbalen Bekundungen der gegenseitigen Geringschätzung.

Eines Abends kam es zum show down, der eine boxte den anderen vor die Brust, woraufhin der andere, das Bierglas am Tresen zerschlug und auf den Kontrahenten losging. Die Wirtin schrie grell auf und nach kurzem Gemenge lag Günther am Boden und in seinem Blute. Ich erbot mich, ihn nach Ibiza ins Krankenhaus zu fahren und Günther verließ erhobenen Hauptes das Feld, er fühlte sich als moralischer Sieger.

Im Auto fiel diese Pose rasch von ihm ab. Er wurde kleinlaut und erklärte mir, er habe schreckliche Angst vor der zu erwartenden Spritze und ich solle mich nicht wundern, wenn er schreien, ja weinen werde.

Genau so kam es dann auch, ich wurde dessen Zeuge. Als Übersetzer musste ich mit ins Behandlungszimmer.

Ich habe Babs davon nichts erzählt, dennoch waren seine Nächte in ihrem Bett gezählt. Das war auch vernünftig, denn das rotierende Triumvirat, sorgte für Biernachschub, Sicherheit und ein zugedrücktes Auge von wegen der Sperrstunde.

 

A Lady never…

Die Balearischen Inseln sind wohl bestückt mit einer Brigade von britischen Ladies, denen allen einige Merkmale gemein sind:

  • Sie kamen alle, als das Pfund noch wesentlich mehr wert war, vulgo sie sind jetzt eher verarmt.
  • Sie haben alle einen tatterigen Ehemann, der zu Entsetzen der spanischen Mitbürger kurze Hosen trägt, aber dennoch aussieht, wie ein General der Indienarmee.
  • In Ermanglung eines Ehemannes haben sie einen Hund.
  • Sie können kein Wort spanisch.
  • Im Sommer liegen sie stundenlang in der prallen Sonne.
  • Den Rest des Jahres spielen sie Bridge, das hält den Geist wach.
  • Damit dieser nicht zu wach bleibt, wird beim Spielen hart gesoffen.

Die übermäßige Sonnenanbeterei bleibt natürlich nicht folgenlos, man erkennt die Untertaninnen „of her gracious majesty“ unschwer an der geröteten Elefantenhaut.

Wenn wir bei spanischen Freunden eingeladen waren und dort waren auch Gäste aus dem vereinigten Königreich, dann wurde ich immer an die Schnittstelle gesetzt, wo Spanier auf Briten stießen. Unglücklicherweise hatte sich herumgesprochen, dass ich mehrere Sprachen beherrsche. Die Folge war, dass ich die dargebotenen Speisen nicht genießen konnte, weil ich von spanisch nach englisch meist unanständige Witze übersetzen musste und von englisch nach spanisch zu erklären hatte, weshalb Gibraltar unzweifelhaft britisch sei, um dann von spanisch nach englisch die darauffolgenden Verwünschungen rüberzubringen.

Am schwierigsten war das mit den unanständigen Witzen, dazu bedarf es einer einschlägigen Etymologie, die aber dann auch nichts nutzt, wenn der Witz auf Englisch einfach nicht komisch ist.

Das Gibraltarproblem hatte ich schon bald im Griff, indem ich nach jedem Satz ein „ich übersetze nur“ einbaute. So erreichte ich wenigstens, keine entleerten Weinflaschen über den Schädel gezogen zu bekommen.

Bei all diesen Anstrengungen konnte ich zwar nicht essen, wohl aber trinken, so dass ich meistens bereits dann einen sitzen hatte, wenn man zu café y copa überging. Die Spanier tranken dann Brandy aus Jerez de la Frontera und die Briten Pure Malt aus den Highlands.

Einmal saß ich einer englischen Dame gegenüber, neben deren Gedeck der Gastgeber eine Flasche Whisky gestellt hatte. Immer wieder goss er ihr nach. Einmal vergaß er das und so bat mich mein Gegenüber dies zu tun. Erklärend fügte sie hinzu: „A Lady never helps herself, if she is properly brought up”.

Ich habe es mir verkniffen zu erwidern: „A Lady never empties the whole of a bottle if she is properly brought up”.

 

 

Don Chapuzas

Auf Ibiza in den 80er Jahren war jeder sein eigener Architekt, Klempner und ganz besonders Heizungsingenieur. Das klingt abwegig, aber wer je einen Winter auf Ibiza verbracht hat, der weiß wirklich, was es heißt, bis auf die Knochen zu frieren.

Jeder konnte alles und hauptsächlich, jeder traute sich alles zu. Was dabei herauskam war Pfusch, una chapuza, und denjenigen, der dies verbrochen hatte, den nannte man Don Chapuzas.

Ich erinnere mich an einen Tüftler, der sich dachte, einen Kamin aus Kupferröhren zu bauen, sei dann sinnvoll, wenn diese Röhren mit Wasser gefüllt würden. Da heißes Wasser leichter ist als kaltes, war ihm klar, dass er somit die oben liegenden Schlafräume würde wärmen können. Zu seinem großen Erstaunen, hatte das das Wasser damals offenbar auf Ibiza noch nicht mitbekommen, und die obere Etage blieb kalt. Dafür war das Erdgeschoss stets verräuchert, weil der Kamin ausschließlich aus Kupferröhren gebaut hatte. Eines Tage war er unvorsichtig und sagte zu seiner Frau, sie sähe nicht nur aus wie ein geräucherter Schinken, sie röche auch so. Daraufhin drohte sie mit Scheidung und stellte eine kuriose Bedingung, wenn er dies verhindern wolle: „Ich lass mich scheiden, oder du umbaust den Kamin von drei Seiten mit hitzereflektierenden Steinen mit einem richtigen Abzug. Also machte sich Don Chapuzas an die Arbeit und bald schon war nicht nur das Klima des Erdgeschosses sondern auch das der Ehe bereinigt. Der obere Stock blieb aber weiter kalt. Am Ende baute der dipl. ing. (privat) gegen alle seine physikalischen Überzeugungen verstoßend eine Umwälzpumpe ein und tatsächlich gelang es so, die nasse Winterkälte halbwegs aus den Schlafräumen zu vertreiben.

Ich war natürlich auch ein Don Chapuzas vor dem Herrn. Meine Spezialität waren Pumpen. Zunächst fand ich, es sei eine Schande, dass das Wasser unserer Sickergrube einfach so im Boden verschwand. Also baute ich ein Auffangbecken, in dem ich das mehr oder weniger gereinigte Abwasser sammelte um dann mittels einer versenkbaren Pumpe mit dem Inhalt all die Hecken und Fruchtbäume zu wässern, die ich gepflanzt hatte, die aber nicht vom Hintern weg wuchsen. Jedes Mal, wenn ich meine lieben Pflanzen pflegte, stank es unsäglich. Keiner der Nachbarn hat je protestiert, man hatte vollstes Verständnis für mein Abwassermanagement.

Als die Pflanzen ergrünten, fand ich, dass wir uns unabhängig machen müssten von den andauernden „cortes de agua“ Unterbrechungen der Wasserzufuhr. Ich kaufte eine weitere Pumpe, mehrere Rückschlagventile, setzte einen Tank auf´s Dach und siehe da, wir hatten nun stets Wasser und noch dazu zum immer gleichen Druck. Was ich nicht bedacht hatte, waren die häufigen „cortes de luz“ die Unterbrechungen der Stromzufuhr. Das passierte meistens zur Unzeit und so musste ich oft mäßig bekleidet bei Wind und Sturm nach draußen, um den Hahn wieder auf „normal“ zu stellen. Dann schoss das Wasser mit dem üblichen Überdruck wieder direkt in die Leitungen, die dies übel nahmen. Eines Tages stellten wir fest, dass eine erst gestern angebrachte Gasflasche schon wieder leer war. Unter dem Küchenboden, war eine Wasserleitung geborsten. Wir brachen ein Stück Küchenboden in Größe eines Grabsteines auf, und ich ersetzte die defekte Wasserleitung. „Das bleibt jetzt auf Probe zwei Wochen offen,“ forderte meine Frau. Das gab mir Zeit, passende Bodenplatten zu finden, um das Loch wieder zu schließen. Ich fand aber keine, das Modell war ausgelaufen. Wenn schon denn schon, dann machen wir das Loch halt mit grünen Kacheln zu.

Wenn Gäste fragten, was sich denn unter diesen Steinen verberge, sagten wir, das sei unser Familiengrab.

Der Hecht

Die Straftat ist verjährt, man kann die Geschichte erzählen.

In Rentweinsdorf gibt es vier hintereinanderliegende Seen, die in einer Aufwallung von Phantasie erster, zweiter, dritter und vierter See genannt wurden.

Sie werden alle von einem kleinen Bach gespeist und dienen der Aufzucht von Karpfen und Schleien, außer im vierten See. Dort gibt es Forellen, weil der Bach direkt aus dem Wald in den See mündet, das Wasser am kältesten ist, dennoch aber nie ganz zufriert.

Man kann sich vorstellen, dass im vierten See die prachtvollsten Forellen gediehen. Wer hinten am Wald in der Dämmerung seine Angel auswarf, der konnte stets sicher sein, ein hinreichendes Abendessen mit nach Hause bringen zu können.

Der See verwaltete sich allein, die Forellen laichten und überlebten im Winter im Durchfluss des kleinen Baches, man musste nur darauf achten, nicht zu viele Forellen dem Kochtopf zuzuführen.

Und dann kam das Jahr 1956. Nach Einsetzen der Eisschmelze konnte man zwar feststellen, dass auch in diesem Winter die restlichen Forellen überlebt hatten, aber je weiter das Jahr fortschritt desto weniger Forellen wurden gesehen, geschweige denn geangelt.

Herr Elflein, der Förster, in solchen Sachen erfahren, riet zur Geduld. „Des werd scho“, meinte er geheimnisvoll und alle fragten sich, was da noch werden solle, wenn keine Fische im Wasser zu finden waren.

Unserem Vater sagte er, er glaube, dass im Gefieder herumfliegender Wildenten der Laich eines Hechtes in den See gekommen sei, der dort prächtig gedeihe, zumal er dort ganz allein die wunderbaren Forellen jage.

Herr Elflein meinte, wenn alles aufgefressen sei und der Hecht nun wirklich unstillbaren Hunger habe, erst dann werde sich das Tier bequemen, den Köder an der Angel einer näheren Überprüfung zu unterziehen.

Und so war es auch. An einem sonnigen Abend im September setze sich der Förster an den vierten See und lockte das hungrige Tier ganz geduldig, in dem er immer wieder den Blinker in die Mitte des Sees auswarf. Nach einigen Versuchen machte es einen Ruck, der den Angler fast umgeworfen hätte.

Die Flossen des Fisches an der Angel peitschten das stille Wasser des Sees und Herr Elflein musste seine ganze Kraft einsetzen, um die Beute ans Ufer zu bringen. Er kämpfte eine Stunde, dann gab er auf. Er wickelte seine Angel um einen nahestehenden Baum und ging nach Hause.

Das war natürlich ein flagranter Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, allerdings hatten weder die Polizei noch der Tierschutzbund am vierten See einen ständigen Posten.

An nachfolgenden Morgen erschien der Angler wieder am Ort der Tat, wickelte die Angel vom Baum und holte den vollkommen ermatteten Hecht aus dem Wasser.

Er war riesig. Er landete bei uns in der Badewanne, in der wir Kinder abends den Dreck an uns einweichten, um ihn dann ins Handtuch zu rubbeln.

Der tote Fisch war so lang wie die Wanne. Unsere Mutter zeigte uns die fürchterlichen Zähne ausgiebig, so dass wir wirklich schlotternde Angst vor dem toten Vieh hatten.

Unterdessen bat unser Vater per Telefon Freunde und Verwandte „von den Hecken und Zäunen“ für den Abend ins Haus, denn der Hecht musste dringend aufgegessen werden.

Wie Frau Schorn, die Köchin, ihn zubereitet hat, weiß ich nicht, erinnere mich aber an das Stimmengewirr der vielen Gäste. Ans Einschlafen war nicht zu denken.

Ich hatte fortan Angst. Ich fürchtete, der Hecht könne durch den Auslauf der Wanne wieder auferstehen, oder schlimmer noch, im Klo lauern, um dann zuzubeißen, wenn ich dort der Stimme der Natur folgte. Es war schrecklich.

Moral und sittliche Nutzanweisung: Einen gefangenen Hecht nie im Kinderbad zwischenlagern.

 

Tempora mutantur…

… und wir verändern uns in ihnen. So endet der Satz, der zwar nicht wörtlich, aber dessen ungeachtet auf Ovid zurückgeht.

Schon länger frage ich mich – und einige Freunde meines Alters tun das auch – weshalb Menschen, Bekannte, ja sogar Freunde um uns in den vergangenen Jahren einen Hang zu rechtsgerichtetem Gedankengut entwickelt haben begleitet von Stetigem Beteuern, natürlich nicht pro AfD zu sein.

Das ist umso erstaunlicher, als es meine Generation war, die als erste in Europa und ganz speziell in Deutschland die Segnungen einer frei verfassten Gesellschaft genießen konnte. Dabei ist unter ihnen kaum eine® der/die im Leben und Beruf nicht erfolgreich war. Alle haben ihr gutes Auskommen und alle konnten machen, was sie wollten.

Voraussetzung für dieses Wohlergehen waren einige Garantien des Grundgesetzes wie Niederlassungsfreiheit, Freiheit der Berufswahl, Pressefreiheit, Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft und so weiter.

Warum wenden sich plötzlich so Viele von dem ab, was sie durchs Leben getragen hat?

Liegt es womöglich daran, dass der zweite Teil der Ovid Sentenz nicht mehr gilt? Verändern sie sich nicht mehr in den sich ändernden Zeiten? Neigen sie dazu, stehen zu bleiben, werden störrisch und weigern sich, Veränderungen anzunehmen?

Früher wurden die Menschen nicht so alt wie heute und früher änderten sich die Zeitläufte nicht so rasant wie heute. Für älter werdende Menschen ist das durchaus eine Herausforderung.

Man kann ja womöglich verstehen, dass ausländische Nachbarn für Manche gewöhnungsbedürftig sind. Aber muss das einhergehen mit Verachtung für alles Fremde? Warum brandet plötzlich der Antisemitismus wieder auf? Weshalb wird der Islam verunglimpft?

Weshalb sehen plötzlich viele von uns etwa in der Bundeskanzlerin den Urgrund allen Übels und lassen sich bereitwillig vor den Karren des Merkel bashings spannen?

Mancher, der alt wird und aufhört zu arbeiten, so scheint es mir, verliert schlagartig die Nähe zum Pulsschlag des Lebens. Umso mehr wird sich am Unverbrüchlichen, am Vertrauten, am Überkommenden orientiert.

Einfache Botschaften sind willkommene Haltegriffe für alle, denen die Zeitläufte davonlaufen.

Es ist ja nicht so, dass es der beschriebenen Spezies Mensch schlecht geht. Sie sind nicht diejenigen, die die Politik allein gelassen hat. Viele sind tatsächlich keine Anhänger rechtspopulistischer Parteien oder Bewegungen. Und doch gerieren sie sich so. Da wird eine Kapitänin Rackete als „eitel und selbstdarstellen“, dann als „Schlepperin“ verunglimpft, ein Juso-Chef, der sich mal ein paar Gedanken macht, wird zunächst absichtlich falsch interpretiert und dann mit Jauche (Stalinist) übergossen, da wird von Einwanderung asozialer Kulturen schwadroniert und festgestellt, dass in Deutschland der Sozialismus regiere oder dass Meinungsfreiheit nur dann erlaubt sei, „wenn sie links-grün verseucht ist.“

Wo ist die großzügige, elegante Coolness geblieben? Die Bereitschaft zu teilen? Die gute alte christliche Nächstenliebe? Das Tolerieren?

Ist all das wirklich ersetzt worden durch rückwärts gerichtetes Gemäkel, missgelauntes Knurren?

Warum wenden Leute, denen es verdammt gut geht, sich dem zu, was sie in früheren Jahren als ewig gestrig kritisiert und zum Teil sogar aktiv bekämpft haben? Wie konnten so viele Reformer und Ex-Revoluzzer zu erz-reaktionären Knochen mutieren?

Und warum beschimpfen sie diejenigen unter uns, die sich auch im Alter weiter offen den Veränderungen in der Gesellschaft stellen, als „freigeistige Hallodris“, die sich dem linksgrünen Zeitgeist anbiedern?

In der Ovid Sentenz heißt es ja nicht „nos et mutamur contra illis“ vielmehr steht da, wir veränderten uns mit dem Lauf der Zeit.

Mandeln raus!

Unsere Mutter hat Volkswirtschaft studiert. Bevor sie dieses Studium hätte abschließen können, musste sie in die Kriegsproduktion und baute in Schweinfurt Kugellager zusammen.

Das war auch gut so, denn wie sie selbst zugab, wäre ihr Examen ein Fiasko geworden, sie hatte nichts verstanden.

Ihre wahre Expertise lag allerdings auf medizinischem Gebiet, Spezialabteilung Diagnose.

Da ich an jedem Morgen mit Kreislaufstörungen umfiel, war es vollkommen klar, dass das nur am Blinddarm liegen konnte. Also wurde ich nach Bamberg gefahren, wo ein willfähriger Professor sofort bereit war, mir den Blinddarm herauszureißen. Dafür hatte er zwei Gründe:

  1. Ich war damals noch Privatpatient.
  2. Mutter zu widersprechen, war nicht ratsam.

Wie sich herausstellte, war der Blinddarm kerngesund, aber man fand damals, es sei eh besser, wenn der Appendix beseitigt worden wäre.

Blöd nur, ich fiel weiter beim Aufstehen hin, mir wurde schlecht, es war ein Elend.

Mutter ließ eine gewisse Schonfrist verstreichen und diagnostizierte dann, die Mandeln wären der Grund für meine Kreislaufstörungen.

Diesmal ging es in die Uni-Klink nach Erlangen. Auch dort fand sich ein willfähriger Professor.

Wir liebten die Stadt wegen einer noch heute bestehenden Institution: Das Café Mengin (sprich wie lies) neben dem Schloss. Dort gab es Eis und auf dem Trottoir lümmelten zwei Chow Chow Hunde herum, die bereitwillig ihre lila Zunge herzeigten. Wir erfuhren dort staunend, es handele sich bei der Familie Mengin um französische Hugenotten, deren Namen „Monshin“ auszusprechen sei. Das war natürlich Quatsch, denn am Haus, auf den Löffeln, auf Tellern und Servietten stand doch ganz deutlich „Café Mengin“.

Nach einem ausgiebigen Besuch beim Mengin wurde ich mit dem Versprechen eingewiesen, dass mich jeden Tag „wer“ besuchen werde, und auch ganz bestimmt ein Eis mitbringen würde, denn das sei bei Mandeloperationen das wichtigste Mittel für die Genesung.

Die Operation war grässlich, weil ich nur örtlich betäubt war. Der Doktor fummelte mir im Mund herum und ich konnte nichts sagen. Böse Zungen behaupteten später, Letzteres hätte mich besonders gestört.

Einen Tag nach der Operation kam Mutter und brachte tatsächlich ein Eis mit. Ich erkannte sofort: Es war das fuchziger Eis von Langenese. Ich fand das mickrig.

Tags darauf kam Vater mit einer riesigen Tüte Eis vom Mengin, ich schätzte für mindestens 2 Mark. Dafür konnte man sich schon mal operieren lassen.

Als meine Mutter nach Abgabe eines weiteren 50 Pf Bechers einmal der ärztlichen Visite beiwohnte, erfuhr ich, dass die entfernten Mandeln etwas zerklüftet, aber ansonsten kerngesund waren.

Am kommenden Tag, nach dem ich die zwei Mark Tüte verdrückt hatte, besprach ich das Dilemma mit meinem Vater, denn es war ja abzusehen, dass ich morgens weiterhin umfallen würde. Die Weisheit seiner Antwort habe ich tatsächlich erst sehr viel später begriffen: „Wenn du einmal verheiratet sein wirst, wirst du das alles sehr viel besser verstehen.“

Und tatsächlich, ich fiel weiter um, und so konsultierte Mutter schweren Herzens die Kinderärztin in Ebern.

Diese riet zu zehn Tropfen Efortil vor dem Aufstehen.

Und siehe, der HErr wirkte ein Wunder und mir wurde morgens nimmer schlecht.

 

Versagen auf allen Ebenen

Alle wissen wie es geht: Das Volk wählt die Abgeordneten, diese wählen den Regierungschef und das Ganze wird von Richtern kontrolliert.

Man nennt das Gewaltenteilung. So funktionieren die demokratischen Staaten der Welt

Warum das dort, wo sich einige dieser Staaten zur EU zusammentun, nicht gelten soll, ist unklar.

Warum es bei der Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission anders sei soll, versteht nur, wer resignierend einsieht, dass sich so die Regierungschefs der EU eine Lizenz zum Kungeln erteilt haben.

Zwar ist es richtig, dass weder Weber noch Timmermans, die beiden Spitzenkandidaten bei den Europawahlen im Parlament eine Mehrheit hatten. Daran schuld ist am wenigsten der Wähler. Verantwortung tragen die im europäischen Parlament vertretenen Parteien. Erst durch ihre Unfähigkeit, ihre Stimmen auf einen der beiden Kandidaten zu konzentrieren, haben sie den Regierungschefs die Möglichkeit gegeben, so zu handeln, wie ich es aus meiner Zeit in der Schülermitverwaltung kenne: Die Kleinen da unten können sich nicht einigen, also übernehmen jetzt wir, die Lehrer.

Der Eindruck, Macron hätte darauf von vornherein hingearbeitet, macht sich breit. Und der Verdacht, er habe das deshalb getan, weil er der Bundeskanzlerin eins auswischen wollte, ist nicht von der Hand zu weisen. Es muss ja auch frustrierend sein, wenn der Präsident der „Grande Nation“ seit Amtsantritt von Frau Merkel vor den Augen der Welt immer dann übersehen wird, wenn er einen Vorschlag zur Reform Europas macht. Es verwundert, dass Paris wegen dieser unerträglichen Arroganz aus Berlin nicht schon viel früher in die Trickkiste gegriffen hat.

Immerhin, im Europäischen Rat machte man den Versuch, das Prinzip „Spitzenkandidat“ zu retten und einigte sich auf den Sozialisten Timmermans. Hony soit qui mal i pense, aber es scheint, als sei es der Bundeskanzlerin leichtgefallen, auf Weber zu verzichten.

Nun also stand Timmermans strahlend auf dem Schild. Was dann geschah, ist schier unfassbar: Polen, Ungarn und Tschechien lehnen diesen Mann ab mit der Begründung, der Schuft habe es gewagt, nachprüfen zu lassen, ob bei ihnen zu Haus alles mit rechten Dingen zugeht. Sekundiert werden sie von der Slowakei, wo kritische Journalisten um ihr Leben bangen müssen und von Italien, wo ein ganzes Land von seinem Innenminister einer „enculination générale“ (excuse my french) ausgesetzt wird.

Wir sind also unterdessen so weit gekommen, dass die Hühnerdiebe den Staatsanwalt verhindern können.

In dieser Situation des „rien ne va plus“ wird nun Ursula von der Leyen aus dem Hut gezaubert.

„Ja, irgendetwas musste doch angesichts der Lage passieren!“

Unter diesem Motto und nur unter diesem Motto kann man die Nominierung der Bundesverteidigungsministerin verstehen.

Das Schlimme ist, dass es unterdessen überhaupt nicht mehr darum geht, ob die Dame für das Amt geeignet ist oder nicht.

Die demokratische Glaubwürdigkeit Europas ist nachhaltig beschädigt worden. Nun liegt es an den Parlamentariern in Strassbourg, von der Leyen nicht zu wählen, damit sie uns Wählern noch in die Augen schauen können.

 

Auf dem Hof

Unsere Kindheit wäre erheblich langweiliger verlaufen, hätte es nicht den Gutshof gegeben. Zunächst gab es dort noch Kühe, Pferde und Schweine.

Ich mied den Kuhstall, weil ich fürchtete, die Viecher würden mir die kurzbehosten Beine mit ihrer riesigen Zunge ablecken. Vater bot mir 50 Pf, wenn ich mich traute, einmal den Futtertrog rauf und wieder runter zu laufen. Das war viel Geld und so überwand ich mich. Keine der Kühe hat geleckt. Meine „Heldentat“ war Thema beim Mittagessen und einer der „Besücher“ sagte, er habe im Kuhstall immer Angst, dass die Tiere ihm mit ihrem dreckigen Schwanz ins Gesicht schlügen. Nun hatte ich keine Angst mehr von vorne, dafür aber von hinten.

Unser Feind war der Schweizer. Der sprach fränkisch. Schweizer hatten immer ein rot-weiß gestreiftes Hemd an, und auf mindestens einer Schulter prangte ein Kuhfladen.

Weil ursprünglich die besten Rindviehpfleger aus dem CH-Land kamen, wurde ihre Herkunft zur Berufsbezeichnung. Unser Schweizer wollte nicht, dass wir im Heuboden spielten. Er meinte, wir trampelten die getrockneten Blüten kaputt und darunter leide die Qualität der Milch. Als Vater ihm sagte, wir dürften sehr wohl auf dem Heuboden spielen, war das für ihn eine herbe Niederlage. Ab sofort hasste er uns. Zunächst „vergaß“ er eine Gabel im Heu, was gefährlich hätte enden können. Unsere Rache war, dass wir auf die Gabel kackten. Das petzte der Schweizer unserem Vater, woraufhin wir das mit der Gabel petzten. Wir ernteten eine Kopfnuss, der Schweizer einen Anschiss.

Mich faszinierte jeden Morgen die Zeremonie des Anlassens der beiden Lanz Bulldogs. Diese schwarzen Monster wurden mit einer Lötlampe vorgeheizt und dann mit Manneskraft angekurbelt. Sobald die ersten schwarzen Wolken aus dem schornsteinartigen Auspuff kamen, war es bald geschafft.

Wenn wir mit all unseren Freunden im Hof spielten, „irrten“ wir ganz gewaltig, das heißt, wir störten diejenigen, die dort arbeiteten. Andererseits waren die auch ganz froh, auf diese Weise ihre Kinder in Sichtweite zu haben, denn überall lauerten mögliche Fährnisse: glühendes Eisen in der Schmiede, Sägen in der Schreinerei, heißes Pech wo die Bierfässer der Göcherles Brüh von innen ausgepicht wurden. Alles sehr verlockend und sehr verboten.

Im Herbst wenn sich der Gutshof in eine große Schlammpfütze verwandelt hatte, dann wurden Kartoffeln für die Schweine gedämpft. Ich glaube, das Ungetüm, das dann aufgestellt wurde, funktionierte nach dem Prinzip des Schnellkochtopfes. Wichtig war nur, dass köstliche Pellkartoffeln dabei entstanden, von denen wir uns bei jeder Ladung aus dem Kocher eine holten, bevor sie die Arbeiterinnen in den Kartoffelsilos feststampften.

Wenn es zum Abendessen Pellkartoffeln mit Quark (Zieberleskäs) gab, maulten wir, aber wenn es Dämpfkartoffeln ohne Quark gab, dann war das ein Fest.

In einer Ecke der Scheune lag die „Südn“ herum, vulgo Spreu, die als Rauhfutter den Schweinen und den Kühen gegeben wurde. Wir brauchten die Südn für etwas anderes: Wenn einer von uns über die Stränge schlug, wurde er hineingeworfen. Das war eine Höchststrafe, denn die schrecklich piksenden Spelzen und Grannen bekam man tagelang nicht aus den Kleidern, und frische Wäsche gab es halt nur am Samstag.

Als mir das einmal widerfuhr, führte das zu Sprachstudien, denn die „Südn“ ist trocken, wenn man aber von einem Regenguss durchnässt wurde, dann war man südnnass.

Sea Watch 3

Carola Rackete hat gegen italienische Gesetze verstoßen, deshalb ist es nur richtig und konsequent, dass sie verhaftet wurde und dass ihr der Prozess gemacht wird. In den sozialen Medien verstieg sich sogar jemand dazu zu behaupten, alles andere sei der Beginn des Unrechtsstaates.

Auch die italienische Verfassung sagt, dass der Staat Garant der Menschenwürde sei.

Das ist selbstverständlich.

Bundespräsident Steinmeier hat vollkommen richtig gesagt, schließlich sei Italien ja nicht irgendein Staat. Nicht nur gehört das Land zu den Gründungsmitgliedern der EU, die sich auch als Wertegemeinschaft versteht, Italien hatte schon eine Hochkultur, die auch das Wort „humanitas“ kannte, als wir nördlich der Alpen noch auf den Bäumen saßen und Eicheln rülpsten.

Auf den ersten Blick hat die Kapitänin Rackete italienisches Recht gebrochen. Wer nur darauf schaut, vergisst, dass die Grundrechte stets und immer über dem gesetzten Recht stehen. Wo der Staat die Würde des Menschen, die Unverletzlichkeit von Leib und Leben nicht mehr garantieren kann oder will, dort herrscht der sogenannte übergesetzliche Notstand.

Wenn 42 Menschen von einem Schiff aus dem Meer gefischt werden, ganz einerlei, ob das Schiff zufällig vorbeikam oder dort in humanitärer Mission kreuzte, dann muss es den nächsten sicheren Hafen anlaufen dürfen. „Sicher“ bedeutet dabei nicht nur geschützt hinter einer hohen Hafenmole, sondern auch, dass im Land, zu dem der Hafen gehört, voraussehbar den Opfern nicht erneut Unrecht getan wird.

Wenn nun ein Land, das ein Rechtsstaat ist, Hilfe und Anlanden verweigert, dann missachtet es seine eigene Verfassung, es ist nichtmehr Garant dessen, was die eigene „magna carta“ vorgibt. Die Menschenwürde wird dann nicht nur bezüglich der Opfer missachtet, sie wird auch bezüglich der Helfer mit Füßen getreten, denn niemandem ist zuzumuten, zur Untätigkeit gezwungen zu werden, wo man helfen könnte.

Wenn tatsächlich, wie von der Kapitänin befürchtet, einige der Flüchtlinge über Bord gesprungen wären und den Tod gefunden hätten, hätte man sich fragen müssen, ob die Kapitänin wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar geworden wäre. Das Recht auf das Leben und das Recht auf Unverletzlichkeit des Leibes ist ein höheres Rechtsgut als die Gefahr, wegen Missachtung der Hafenordnung ins Gefängnis gesteckt zu werden.

Es ist unbestreitbar, dass es freiwillig gewesen wäre, wenn Menschen ins Meer gesprungen und dort ertrunken wären. Allerdings kann kein vernünftig denkender Demokrat behaupten, der Rechtsstaat habe das Recht, Menschen in die Verzweiflung zu treiben.

Wenn der Innenminister Salvini noch so sehr in menschenverachtender und widerlicher Art und Weise schimpft, sich über Frau Rackete mokiert und damit vergessen machen will, dass da mehr als 40 Menschenleben auf dem Spiel standen, dann sagt das in erster Linie etwas über den Charakter dieses Herrn aus.

Dass es die Menschen, die Italien wohnen, zulassen, dass ihre Regierung eine Politik auf Stammtischniveau betreibt, ist betrüblich aber hoffentlich ein vorübergehender Zustand.

Salvini hat ohne Not in Italien partiell das Recht auf Menschenwürde außer Kraft gesetzt. Für die davon Betroffenen ist das ein übergesetzlicher Notstand. Entgegen geltendem Recht die Einhaltung der Grundrechte zu erzwingen, ist nicht nur legitim, es ist auch Pflicht.

No tengas miedo, mi amor.

Natürlich hatte die zweijährige Valeria Angst. Aber ihr Vater hatte ihr gesagt, er werde sie sicher durch den breiten Fluss tragen, am anderen Ufer erwarte sie alle ein besseres Leben.

Während die Mutter und Ehefrau drüben angekommen ist, sind der Vater und die kleine Valeria ertrunken.

Bei allem Schrecknis kann es beinahe tröstlich erscheinen, dass die beiden nicht getrennt wurden, denn solange der Vater in der Nähe war, konnte das Mädchen seinen Worten trauen: „No tengas miedo, mi amor.“

Wasser ist ein gefährliches Element geworden. Seit Jahren ertrinken Verzweifelte im Mittelmeer und nun müssen wir mit Schrecken erfahren, dass auch der Rio Grande eine menschenfressende Bestie geworden ist.

Weder das Mittelmeer noch der Fluss sind daran schuld. Verantwortung tragen wir Menschen, die wir es zulassen, dass andere Menschen derart verzweifelt sind, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen, nur um der gegenwärtigen Misere zu entkommen.

Und wenn die tapfere Kapitänin Carola Rackete ihre aus dem Meer gefischten Passagiere aus menschlicher Notwendigkeit auf Lampedusa gegen den Willen des italienischen Innenministers an Land setzt, dann droht ihr eine jahrelange Gefängnisstrafe, weil opportunerweise soeben die Gesetze entsprechend verändert wurden.

Und wenn dem 45. Präsidenten das Foto der ertrunkenen Valeria vorgehalten wird, dann fällt dem nichts Besseres ein, als zu schimpfen, daran seien die Demokraten im amerikanischen Kongress schuld.

In Europa können wir auf den EuGH bauen, der mit Sicherheit die italienische inhumane Gesetzgebung kassieren wird, aber auf was kann Amerika bauen?

Eigentlich ist mir zum Kotzen, aber wenn ich an die vielen kleinen Valerias denke, dann ist der Drang zu weinen stärker.

Damit aber ist es nicht getan. Wir müssen aktiv werden. Wir dürfen nicht zuschauen, wie andere Menschen ertrinken.