Archiv der Kategorie: Kunst

Carl Orff

Wir hatten im Landheim Schondorf Orffs Osterspiel aufgeführt. Ich habe mitgewirkt, aber nicht viel vom Ganzen wahrnehmen können, weil ich einer der Engel war. Die standen oder saßen hinter einem Vorhang an der Rückwand der Bühne und warteten auf ihren Einsatz. Der kam ein oder zweimal und wir mussten mehrstimmig singen: „silete, silete, silentium habete.“ Das war natürlich keine abendfüllende Aufgabe und die versammelten Engel langweilten sich. Mit dem Finger naschten wir Schokoladencreme aus dem Glas, (was wir nicht sollten und uns streng verboten war) mit dem Erfolg, dass auf meinem Engelsgewand ein riesiger brauner Fleck prangte.

Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hat Carl Orff bei einer der Aufführungen zugesehen, er wohnte ja in Dießen am Ammersee, das war nicht weit.

Uns wurde danach erzählt, die Darstellung des Teufels, Florian Raff gab ihn, sei des Residenztheaters würdig gewesen. Hinter dem Vorhang hörten wir ihn nur wüten.

Immerhin, die Musiklehrerin lobte hernach unseren Gesang und überging gnädig meinen Fleck. Meine Kameraden hänselten mich natürlich ausgiebig und behaupteten, der braune Fleck sei nur deshalb auf meinem Bauch gelandet, weil ich das Engelsgewand umgedreht hätte.

Wie dem auch sei, durch diese Aufführung kam es zu einer ersten Verbindung zwischen Landheim und Carl Orff und tatsächlich, wenige Monate später kam er, um uns von seiner Musik und von seinem Leben zu erzählen.

In der Turnhalle wurde auf der Seite zum Wald hin eine kleine Bühne aufgebaut, darauf stand ein Sessel und daneben eine Stehlampe. Im Halbkreis waren die Stühle darum aufgebaut. Alle kamen, die Schüler, die Lehrer, die Erzieher, denn niemand wollte sich den berühmten Komponisten entgehen lassen.

Wir Kleinen, die Frösche, durften ganz vorne sitzen und konnten so das faltige, weise und uralte Gesicht des Vortragenden genau studieren.

Ich erinnere mich, dass er über die Carmina Burana sprach und über den Schwan, der aus der Bratpfanne hüpft. Natürlich erzählte er auch von seinem Schulwerk, und wie wichtig Rhythmus und Intonation seien. In diesem Zusammenhang erwähnte er den einzigen Satz in deutscher Sprache, der nur aus Vokalen besteht. Klar, das ist nicht Hochdeutsch, vielmehr stammen die Worte aus bayerisch Schwaben, wo man, wie er hinzufügte einen Dialekt pflegt, den nur Eingeweihte verstehen.

Der Satz geht so: „I a ee a Oa oi.“ Ins Hochdeutsche interpretiert bedeutet er etwa: „Ich habe ja schon ein Ei (vom Korb auf dem Schrank) heruntergenommen.“

Der Satz ist ja sowieso schon eine Sensation, aber Carl Orff übte mit uns den Rhythmus:

. . – .- .

Immer schneller und schneller, Carl Orff dirigierte. Heute würde man sagen, er rockte die Turnhalle.

 

 

 

 

 

Dürfen Engel Farben tragen?

Eine von mir sehr geliebte Patentante schenkte mir zu jedem Weihnachtsfest einen weiteren Band der „Stuttgarter Bilerbibel für das christliche Haus.“ Viele Bilder haben mich natürlich mein ganzes Leben begleitet, so der Durchzug der Kinder Israel durch das Rote Meer, Moses im Körbchen auf dem Nil und der liebe Gott als bärtige Gestalt, die aus den Wolken hervorbraust.

Am eindrücklichsten aber waren die Bilder von Johannes dem Täufer bis zur Geburt Christi. Die Raben, die Brot brachten, der Kopf des Predigers, den man Salomé auf einem Teller reicht, die Verkündigung der Geburt und schließlich die Szene im Stall.

Ich war daher überhaupt nicht erstaunt, als ich neulich in der alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel Schnorr von Carolsfelds Verkündigung fand.

Das Bild hat alles, was es braucht: Maria senkt den Blick züchtig, sie liest gerade im Ratgeber „Proper Housekeeping for Unmarried Girls“. Hinter ihr eine arkadische Landschaft, die sich deutlich von den Bildern unterscheidet, die uns in der Tagesschau vom Heiligen Land gezeigt werden. Zwischen ihr und dem Engel steht ein filigraner Blumenstrauß, der etwas symbolisieren soll, nach dem Motto: „Na, wie ick den Landen hier kenne, wird es die unbefleckte Empfängnis sein.“

Der Verkündigungsengel stürmt auf sie zu, die Bänder, die ihn gürten, flattern hinter ihm, wie die Striche bei Walt Disney, die Geschwindigkeit andeuten sollen. Wenn er nicht gleich abbremst, zerdeppert er die Vase und Maria muss in ihrem Buch nachschlagen, wie man das Malheur beseitigt. Zwei nach unten gewölbte Finger deuten an, dass er etwas Wichtiges zu sagen hat.

Über allem der Heilige Geist – la paloma blanca. Man weiß nicht, stürzt sich der Vogel auf den Inhalt der Gefäße auf dem Bord oder rüttelt er falkengleicht über der Szene?

Alles wirkt sehr mediterran, es könnte auf einer „possessió“, einem Herrenhaus auf Mallorca spielen.

Doch halt: Was ein rechter Engel ist, der hat auch Flügel, und die Flügel dieses Engels sind schwarz-rot-gold. Was soll das denn?

Das Bild entstand 1820. Der Schrecken, die Furie Napoleon war bezwungen, erst ein Jahr später starb „L’Empereur“ auf Sankt Helena.

In Europa begann die Jugend darüber nachzudenken, was denn nun werden solle. Nachdem sie unter größten Verlusten in den Befreiungskriegen den Kopf hinhalten durfte, stellte man nun resigniert fest, dass es eine Befreiung zu den Zuständen vor 1805 geworden war. Metternich überzog das Land mit einem Spitzelnetz, um das ihn Erdogan beneiden würde. Freies Denken war möglich, freies Sprechen schon erheblich weniger, freies Publizieren ging gar nicht.

Natürlich war die Jugend der deutschen Kleinstaaterei müde. Das führte zu ständigen Kriegen gepaart mit lähmender Provinzialität.

Der Gedanke der deutschen Einheit durfte gedacht werden aber unter keinen Umständen durfte er artikuliert werden. Erst beim Hambacher Fest, zwölf Jahre später, wagte man es, Fahnen in schwarz-rot-gold zu schwenken.

Wenn aber Schnorrs Verkündigungsengel diese Farben auf den Flügeln trug, dann bekam der Begriff „Verkündigung“ eine ganz neue Bedeutung und jeder verstand sofort, weshalb es der Engel so eilig hatte.

 

Blumen im Po

In Berlin läuft gerade eine etwas abstruse Hieronymus Bosch Ausstellung in einem abgelegenen Haus mit Einschüssen aus dem Krieg. Das ist schon sinister genug, die Multi Media Show allerdings im abgedunkelten Raum mit furchteinflößender Musikuntermalung gäbe dem geprüften Besucher den Rest, fände man dort nicht immer wieder Ausschnitte aus dem „Garten der Lüste“ einem den bekanntesten Gemälde von Don Hieronymus. Darauf findet man in der unteren Mitte einen gebückten Herrn, dem eine Blume aus dem Po wächst.
Wenn man in Spanien von jemandem sagt „este tiene en el culo flores“, dann meint man damit, dass er Glück habe, ja, sein ganzes Leben lang vom Glück verfolgt werde.
Jeder kennt eine oder einen, der immer unverschämtes Glück hatte, der fröhlich pfeifend den Gefahren des Lebens ausweicht und mit schlafwandlerischer Sicherheit immer dann „hier!“ schreit, wenn mal wieder ein Stückchen Glück ausgeteilt wird.
Ich empfinde mein Leben als eine solche Kette von glücklichen Aneinanderfügungen, und nun wird dem geneigten Leser auch klar werden, weshalb ich oben von einem „gebückten Herrn“ schrieb.
Es lohnt sich einen positiven Blick nach hinten zu werfen. Der eine hat mehr Glück gehabt, der andere weniger, aber wenn wir ehrlich sind, waren die guten Stunden in der Mehrzahl.
Neulich traf ich per Zufall einen Freund wieder, mit dem ich im Jahr 1971 Kreta bereist hatte. Er frug, ob mich das Leben denn gut behandelt habe? Ich konnte nur ja sagen und dieses „ja“ hat mir bewusst gemacht, wie sehr ich glücklich war und deshalb allen Grund habe, auch jetzt glücklich zu sein.
Natürlich gab es auch dunkle Tage, besonders dann, wenn mich Leute betrogen haben, aber da war ich meistens selbst schuld und hätte mir als Anwalt eigentlich das Lehrgeld zurückgeben lassen müssen.
Glück ist etwas Unerfassbares. Das heißt aber nicht, dass man nichts dafür tun könne. Zum Beispiel führt das Lachen geradewegs zum Glück. Oder, bitte melden, wer kennt einen glücklichen Miesepeter?