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Der Hölle Bein im Advent

Hab‘s schon mal gepostet. Aber im Advent und in der Weihnachtszeit liebt man es, Bekanntes erneut zu hören:

Der Hölle Bein im Advent

Wenn die Kinder, deren Eltern beim Kufi schafften, Schlitten fahren durften, mussten wir die Weihnachtsgeschichte „auserlawendich“ lernen. Für die Kugelfischer Kinder wurde in Ebern eine Weihnachtsfeier organisiert. Wenn die mit Geschenkkörben nach Hause kamen, büffelten wir noch immer: „Und du Beddlehem efraada…“

Unser Krippenspielt fand nur wenige Tage vor Weihnachten statt, während beim Kufi die Weihnachtsfeier schon Mitte Dezember abgehalten wurde.

Meine Mutter studierte im unteren Saal mit den Kindern all derer, die bei uns in Forst, Landwirtschaft oder Brauerei arbeiten, jedes Jahr ein Krippenspiel ein, das sich textlich auf den alttestamentarischen Prophezeiungen und der Weihnachtsgeschichte aufbaute.

Ich kann bis heute alles auswendig, allerdings auf fränkisch. Meine Kinder finden es natürlich mega-peinlich, wenn ich das Weihnachtsoratorium im Dialekt mitsinge.

Wie alle anderen lernte ich „mei Sprüchla“ auf fränkisch. Eine andere Sprache kannten wir nicht.

Biblische Texte sind ja manchmal schon an sich unverständlich, wie sehr erst für Kinder. „Der Hölle Bein“ war deshalb vollkommen klar. Tische, Bienen und Kühe hatten ja auch so was. Dennoch bestand „die Barona“ darauf, dass wir „der Hölle Pein“ sagten. Man muss ja nicht alles verstehen.

Es hab eine ganz klar geregelte Karriereleiter: Man fing an als Engel ohne Kerze, dann als Engel mit Kerze und später wurden die Mädchen Verkündigungsengel, die von den Moabitern und den Söhnen Sets berichteten, von den Ländern Sebulon und Naftali. Das war, als täte sich vom Baunachgrund aus ein Fenster in die weite Welt auf.

„Wer sänn denn die Moabiddä, Frau Baron?“ „Das sind die Bösen. Die Kinder Israel, sind die Guten.“

Wir wussten nicht, was Feinde waren, aber wir wussten, wer die Bösen waren, nämlich die Russn. Halbwegs böse waren auch die Spieler vom FC Gerach oder die gefürchteten Gegner aus Reckendorf. Aber Feinde hatten wir nicht, wollte man mal von den Idioten aus dem Oberdorf absehen.

Als Bub wurde man vom kerzenhaltenden Engel zum Hirten befördert. Als solcher stützte man sich auf einen Hirtenstab und schaute hütend auf das Schaf, eine Bank, über die ein Schafspelz gelegt worden war.

„Und es waren Hirdden in der selben Gechend auf den(!) Felde bei den Hürdden, die hüdeden des Nachds ihre Herte. Und siehe, des Herrn Engel drad zu ihnen und die Glarheid des Herrn leuchdede um sie. Und sie füchdeden sich sehr.“

Das waren machtvolle Worte, die der Hirte dem Publikum zurief!

Vor den Zuschauern hatten alle noch mehr Respekt als vor der Barona, weil im Saal auch die eigenen Eltern saßen. Wehe man blieb stecken, dann erhob sich die Faust des Vaters, der dem Steckenbleiber „kumm ner ham, Fregger“ entgegenschleuderte.

Eine Sonderkarriere war es, Maria sein zu dürfen. Sie hatte nichts aufzusagen, ebenso wie ihr Josef stumm blieb. Dessen Rolle war hingegen unbeliebt, weil er wegen der Nähe zur Mutter Gottes sofort in den Ruf des „Mädlesschmeggers“ kam. Das war so ungefähr das Schlimmste, was einem pubertierenden Buben passieren konnte.

Für Jungs war es karrieremäßig mit einem der Könige aus. Die kamen naturgemäß erst am Ende der Vorstellung als Überraschung hinter einem Vorhang hervor. Sie hatten nichts zu sagen, sondern breiteten nur ihre Schätze aus.

Dennoch waren sie meiner Mutter alljährlich ein Dorn im Auge. Hinter dem Vorhang langweilten sie sich gottsjämmerlich, während vorne rezitiert und gesungen wurde. Die traten regelmäßig mit zerknautschter Krone und verwischter Gesichtsbemalung auf. Dann war das Krippenspiel aus. Alle sangen „Oh du fröhliche….“

Jeder bekam eine Tüte mit Kaffee, Schnaps, Bläztla und Lebkuchen. Die Mädchen bekamen a Bubbn mid an Beddigoo und die Buben a Audola.

Weihnachten konnte kommen.

 

Stundenlohn 9 Pf

Schon in den 50er Jahren fanden meine Eltern, dass für die Gästezimmer ein Waschtisch mit Schüssel und Kanne nicht mehr ausreiche. Ein Duschbad musste her.

Der Fliesenleger Lechner aus Ebern wurde damit beauftragt, in einem Kabuff, einer ehemaligen Abstellkammer, Boden und Wände zu kacheln, „rausbleddln“ wie man dazu in Franken sagt.

Es war kurz vor der Kirchweih und ich brauchte Geld, deshalb bot ich Meister Lechner meine Hilfe an. Er erklärte mir, bleddln sei eine schwierige Sache, an die man nicht einfach Ungelernte heranlassen dürfe. Aber den Mörtel, die „Speis“, wie er es nannte, die dürfe ich anrühren.

Als ich ihn nach der Entlohnung fragte, schaute er etwas verblüfft, aber mein Hinweis auf die kommende Kirchweih überzeigte ihn dann doch.

Ich bekam nun von ihm eine erste Lektion in Tarifverträgen und Steuerpolitik. Er erklärte mir, er würde mit liebend gerne 10 Pf in der Stunde bezahlen, dann aber müsse er mir 3 Pf für die Lohnsteuer abziehen. Alles unter 10 Pf sei allerdings lohnsteuerfrei. Wir einigten uns auf einen Stundenlohn von 9 Pf und nach der Schule rührte ich fleißig Sand, Zement und Wasser zusammen. Das ging alles mit der Hand vor sich, denn einen Betonmischer ins zweite Obergeschoß zu tragen, lohnte denn doch nicht.

Der Lechners Hans kniete bei seiner Arbeit notgedrungen fast immer. Er hatte mit Schaumgummi ausgeschlagene Knieschoner, die ich sehr bewunderte. Für die Wände waren eierschalenfarbene Fliesen vorgesehen. Als die verlegt waren, ging es darum, welche Farbe die Verfugung zwischen den Kacheln erhalten sollte.

„Rot“ entschied ich, denn rot und weiß seien nicht nur die Farben Frankens, sondern auch die der Familie Rotenhan. Der Lechners Hans grinste und verfugte in Rot. Meine Eltern waren entsetzt, sie hatten an etwas Dezenteres gedacht! Das rote Zeug aber wieder rauspuhlen stellte sich als zu teuer heraus, und so war das „drübere Duschbad“ ein Vorläufer für die später so modern werdende Farbenpracht in deutschen Badezimmern.

Zum Mittagessen ging der Lechners Hans immer in die Schlosswirtschaft. Dort geschah einmal etwas ganz Außergewöhnliches. Das Telefon läutete. Kurz danach trat der alte Herold, der Wirt, hinter dem Schanktresen hervor und verkündete in der Wirtsstube, der Fliesenleger Lechner werde am Telefon verlangt.

Während dieser in der Küche telefonierte, verbreitete sich in der Wirtsstube gespannte Erwartung, man aß nicht mehr, man trank nicht mehr, man wartete auf den Lechner.

Als der wieder erschien wurde er mit Fragen überschüttetet: „Wer war denn edzerd des?“ „Wer moch ner des sei, wo übern Middoch vo dir was will?“

Der Lechner aber setzte sich ganz ruhig an seinen Platz, und als sich die Fragerei gelegt hatte, verkündete er:

„Des war der Nasser, der will äss ich na sein Suezkonol rausbleddl!“

Und dann war das Duschbad fertig. In einer offiziellen Lohntüte bekam ich meinen Lohn: 10 Stunden, macht 90 Pf.

Jetzt brauchte ich nur noch 10 weitere Pf. Mit einer Mark konnte man an der Kirchweih sechs Mal Karussell fahren.

 

Der schnöde Mammon

Geld spielte in unserer Jugend keine Rolle. Wir bekamen kein Taschengeld und es wurde auch nicht darüber geredet.

Der Grund war wohl der, dass niemand wirklich etwas davon verstand. Weshalb in der Weimarer Republik das Geld plötzlich nichts mehr wert war, wie eine Inflation entsteht, was ist Geldpolitik? All das waren Fragen, die in einem kleinen Dorf in Unterfranken wirklich niemanden interessierten.

Die Bewegungen der Holzpreise waren Indikatoren dafür, ob wir zu Weihnachten und Geburtstagen mehr oder weniger Geschenke bekamen.

Geld in der Hand hatten wir als Kinder sowieso nie. Außer an der Kirchweih. Da bekamen wir vom Vater 1 Mark und vom Großvater 50 Pfennige. Das reichte natürlich hinten und vorne nicht für die Schießbude, das Karussell und für den Losverkäufer. Die Kunst lag nun darin die Großmutter, Tanten und Onkel anzuschnorren, ohne dass es wie schnorren aussah. Die merkten es natürlich sofort. Betteln war eben verboten und so musste es eher vor unseren eigenen Augen so aussehen, als bettelten wir nicht.

Irgendwie gelang es uns immer über die Runden der Kirchweihtage zu kommen. Am Ende hatten wir einige Stoffblumen geschossen, genügend im Karussell gesessen und auch so manche Bratwurst verspeist.

Später gab es Geld für Schulnoten: Für eine Eins, eine Mark, für eine Zwei nichts und für eine Drei fünfzig Pfennige. Schlechtere Noten waren in der Volksschule nicht vorgesehen. Als wir auf’s Gymnasium kamen, sollte sich das blitzartig ändern.

Wenn wir unseren Großvater in Thüngen besuchten, schenkte er uns immer 5 Mark. Er war unermesslich reich, denn er fuhr einen Mercedes. 5 Mark war ein Vermögen, das in Thüngen allerdings recht schnell schmolz, denn dort gab es einen Spielzeugladen. In Rentweinsdorf gab es nichts zu kaufen außer einem Fümferlutschä vielleicht. Halt, es gab auch Zehnerkaugummi, aber die waren verboten, ebenso wie Mickey Maus Hefte. Mutter war überzeugt, Kaugummi und Mickey Maus führten direkt in die Kriminalität. Als ich später anfing, den Spiegel zu lesen, war es der Vater, der in ein ähnliches Horn blies.

Bis heute habe ich kein richtiges Verhältnis zum Geld. Ich bin der Meinung, dass man genug davon verdienen muss, um es ausgeben zu können. Sparen, anlegen, investieren? Ich habe keinen Schimmer wie man das macht.

Diese Ahnungslosigkeit macht mir zwar das Leben leicht, ist aber sicherlich die Folge davon, dass über Geld nicht gesprochen wurde. In meinem nun schon langen beruflichen Leben habe ich immer wieder Menschen erlebt, denen ich gerne auf fränkisch zugerufen hätte: „Das ledsde Hemd had keine Daschn!“

Oft haben diese Bekannten, Freunde oder Mandanten mit einer beneidenswerten Behändigkeit Geld verdient und vermehrt. Am bemerkenswertesten fand ich den, der außer Ruhr-Platt keine Sprache beherrschte. Er brachte es zum wichtigsten deutschen Importeur für Herrensocken. Er flog jedes Jahr nach Fernost und nahm sich einen Dolmetscher für Ruhr-Platt und Englisch mit. Nach ein paar Jahren war er Multimillionär.

Ich hätte das nie geschafft, ich weiß auch warum: Frau Schorn, die Köchin meiner Mutter, würzte alljährlich ihre Neujahrswünsche mit diesem Satz:

„Den Gäld sei Hanswurschd und in ein Kallobb auf’n Krab zu!“

Wenn man das verinnerlicht, kann man gar nicht Millionär werden!

Die Russn kumma!

„Hinder Marro wohnd der Russ“, predigte die Dorett, die Köchin meines Großvaters. Das war unbestreitbar so, denn wenn man hinter Maroldsweisach rechts in einen Feldweg einbog, landete man nach wenigen hundert Metern am Stacheldraht. Von den Türmen wendeten sich Ferngläser und Gewehre in Richtung der Neugierigen.

Maroldsweisach liegt an der Weisach, wer der Herr Marolds war, blieb ungeklärt, war auch egal, denn alle sprachen nur von „Marro“.

An sich wäre das mit dem Russen hinter Maroldsweisach gar nicht so schlimm gewesen, aber in Marro endete die Bahnlinie von Bamberg. Das bedeutete, dass „der Russ“ dort am Bahnhof nur ein Billett lösen musste und über Voccawind –  Todtenweisach – Pfaffendorf – Junkersdorf – Pfarrweisach – Fischbach – Eyrichshof – Ebern, schwupp war er schon in Rentweinsdorf. Das kostete ihn pro Mann 20 Pfennig und dauerte etwa eine Stunde.

Die Bummelbahn hieß im Volksmund „Marroganer“ oder „der Marroggo Express“. Die Personenbeförderung war nur ein Nebenprodukt, denn ursprünglich war die Bahnlinie gebaut worden, um den Basalt aus den Brüchen bei Marro und Voccawind abtransportieren zu können. Der letzte Zug fuhr in Bamberg um 22 Uhr ab. Er hieß „der Lumpensammler“, denn wer sonst hätte so spät noch in der Stadt zu tun gehabt?

Dort in Bamberg gab’s immerhin „die Ami“. Wenn die die Bahn genommen hätten, wenn der Russ kummd, wären sie genau in der Mitte, in Rentweinsdorf nämlich, aufeinandergeprallt und hätten unser Dorf in ein Schlachtfeld verwandelt.

Meine Angst vor den Russen war schier unbeschreiblich. Wenn irgendetwas im Dorf krachte, von der Flur der Schuss eines Jägers zu hören war, wenn die Kirchenglocken außer der Reihe läuteten, immer gab es einen, der im Diskant „die Russn kumma“ schrie.

Die Russen waren ja noch dazu Leute, die nicht an den lieben Gott glaubten, Kommunisten! Sie hatten unsere halbe Verwandtschaft, die im Osten Deutschlands gelebt hatte, vertrieben. Während „die Ami“ über den Ozean gekommen waren, nur um uns zu helfen! Und fromme Christen waren sie auch noch! Obwohl, ein paar von denen waren „Neecher“AA. Vor denen hatten wir zunächst ebenfalls Angst, aber es stellte sich heraus, dass die einem viel mehr Kaugummi schenkten, als ihre weisen Kameraden. Die Russen, die wussten ja nicht einmal, was Kaugummi ist, erzählte die Dorett.

Die verkürzte Wahrnehmung unserer jüngsten deutschen Geschichte, war damals gang und gäbe. Es wäre ja auch zu schwierig gewesen, zu erklären, wie das denn kam, dass „die Ami“ und „der Russ“ zunächst zusammen gegen die Deutschen gekämpft hatten. Wie auch?“ Die Deudschn warn ümmä die Gudn“, sagte die Dorett und keiner widersprach. Wozu auch? Es war ja so!

Mit zehn Jahren kam ich dann nach Schondorf am Ammersee ins Internat. Das war wohl meine Rettung. Die Angst vor den Russen ist mit auch dort noch jahrelang geblieben. Aber wenigstens wurden wir nicht in so hanebüchener Weise der Geschichtsklitterung ausgesetzt.

Der „Marroggo Express“ endet jetzt in Ebern. In Rentweinsdorf hält er nicht immer. Man muss zuvor etwas Wunderbares drücken: Die „Haldewunschdasde.“

Coburg, Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren.

Zu den Zeiten, als es noch Rotenhan Bräu gab, schlicht „Göcherles Brüh“ genannt, hatte unser Vater öfters in Coburg zu tun. Es gab da eine Bier Niederlassung und der Betreiber als auch die Wirtschaften mussten ab und zu besucht werden. Wir Kinder fuhren immer liebend gerne mit nach Coburg, mit kurzem O, bitteschön. In den zu besuchenden gastronomischen Betrieben musste halt Zeche gemacht werden, und da fiel für uns immer eine Limo ab.

Wirklich wichtig aber war der anschließende Besuch auf dem Marktplatz. In meiner Erinnerung standen dort drei Bratwurststände nebeneinander, aus denen es qualmte. Sie verbreiteten einen wunderbaren Duft über den ganzen Platz.

In Coburg werden die Bratwürste nicht auf Holzkohle gebraten, sondern auf „Dannabetz“. Hochdeutsch und biologisch korrekt müsste man Kiefernzapfen sagen. Wenn das austretende Fett in die Glut tropfte, stieg eine riesige Stichflamme nach oben. Die Würste sind entsprechend krebserregend. Aber davon wusste man damals noch nichts. Wir genossen einfach unsere außen schwarze und innen saftige „Eigazwiggda“. Die heißen noch heute so, weil sie in ein Weggla eingezwickt werden. Man konnte auch „a dobblda Eigazwiggda“ haben, aber das nur an ganz hohen Feiertagen der Christenheit.

Die Bratwurst ersetzte das Mittagessen und danach mussten wir wegen der Verdauung auf die Veste laufen. Das langweilte uns natürlich schrecklich, nur der Eingang hatte es uns angetan. Dort hängt oben drin ein Tor aus unten angespitzten Balken. Wir taten immer so, als ob es jeden Moment runterkrachen würde und man sich nur durch schnelles Durchhuschen davor retten konnte, jämmerlich aufgespießt zu werden.

Von innen kannten wir die Veste, soweit zugänglich, bald in- und auswendig. Mich beeindruckten die verschieden hohen Stühle am Esstisch. Alle, Große und Kleine sollten den Kopf auf der gleichen Höhe haben. Unser Vater machte uns darauf aufmerksam, dass die tieferen Stühle, auf denen die Herren saßen, meist ein schmutziges Dreieck aufwiesen. Da hatten die Herren gekleckert, während die Röcke der Damen den Überzug vor deren Kleckereien schützten.

Etwas Besonderes war immer der Besuch auf dem Vogelschuss. So heißt in Coburg das, was in Rentweindorf „Kerwa“ genannt wurde. Der Vogelschuss war in meiner Erinnerung aber mindestens zwanzig Mal größer. Es gab alles im Plural: Karussells, Schießbuden, Zuckerwatte und natürlich wieder Eigazwiggda.

Später kam das Landestheater hinzu. Als erstes sah ich Madama Butterfly und habe mich trotz des Harakiri der Cio-Cio San schrecklich gelangweilt. Toll war allerdings, dass nach der Pause der böse Pinkerton plötzlich sang: „Der Baron Rotenhan soll nach her seine Brieftasche an der Sektbar abholen“.

Später haben wir immer eine der Proszeniumslogen gemietet, die hatten vor der Renovierung hinten dran einen kleinen Salon. So arteten die Pausen immer in mittlere Gelage von mitgebrachtem Sekt aus.

Der Opernchor, egal ob „Die Fledermaus“ oder „La Traviata“ gegeben wurde, sah gleichbleibend so aus, als sei der Kirchenchor aus der Moritzkirche ins Theater umgezogen.

Manchmal traf ich im Theater meinen Patenonkel Alhard Schack. Sein Vater war Hofmarschall beim letzten Herzog gewesen und sang beim Rasieren immer den Choral „Lobe den Herren o meine Seele“, allerdings den zweiten Vers, der so beginnt: „Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren, // und kehren um zu ihrem Staub.“ Offenbar konnte er seine Herrschaft nur mit dieser Gewissheit ertragen.

Onkel Alhard zeigte manchmal auf die untere rechte Proszeniumsloge. Dort habe in seiner Jugend der abgedankte Zar Ferdinand von Bulgarien gesessen. „Von dort unten hat er sich immer die schönsten Tänzerinnen ausgeguckt.“ Zu meiner Zeit war er aber bereits zu seinem Staub umgekehrt.

Der Zeigefinger, die Farbtöpfe und die Sauen.

Von Tante Bertha wurde behauptet, ihr Zeigefinger sei länger als ihr Mittelfinger gewesen, weil sie mit ihm so oft gefuchtelt hätte. Nun ja, ihr Mann war Prälat.

Nach einer besonders traurigen Beerdigung erhob Tante Bertha mal wieder den Zeigefinger und sagte zu ihren sieben Schwestern: „Jetzt wird aber nicht gleich weitergestorben, und wenn, Anna, der Reihe nach!“

Tante Anna war die älteste der acht Schwestern meines Großvaters in Thüngen. Als Amama die achte Tochter in Folge geboren hatte, sagte der Gärtner zu Apapa: „Da werden sich Herr Baron noch einmal bemühen müssen.“

Er bemühte sich und Amama gebar Zwillingsbuben. Beim Eintreffen des Telegramms, mit dem die Geburt angezeigt wurde, sagte meine Urgroßmutter in Rentweinsdorf „Beharrlichkeit führt doch zum Ziel!“

Beim Mädchen Anna stellte man sehr früh eine außergewöhnliche Begabung für die Malerei fest. Sie malte ihre Schwestern, auch ein herrliches Doppelportrait der beiden Brüder.

Als Anna zur Jungfrau erblühte, beschlossen die Eltern, ihr Talent dadurch zu fördern, dass man sie nach Paris schickte, allerdings, das schon, man gab ihr einen Chaperon in Form von Fräulein von Vierling mit, die über die Sittsamkeit in der verrufenen Stadt wachen sollte.

Die Zeit verging und keine Nachricht kam aus Paris. Von Amama angestachelt aber auch selbst höchst besorgt, setze sich Apapa „auf“ die Bahn und als er unangemeldet in der angemieteten Wohnung an der Seine erschien, fand er dort seine Tochter eifrig malend vor. Fräulein von Vierling war längst mit einem notleidenden Landschaftsmaler durchgebrannt.

Trotz ihrer Proteste nahm Apapa seine Tochter wieder mit nach Deutschland und schrieb sie an der Kunstakademie in München ein. Dort wurde sie Schülerin von Angelo Janck, der bald schon ein Auge auf sie warf.

Die beiden heirateten und unter der Begründung, nicht über Farbtöpfe ins Ehebett klettern zu wollen, hat er ihr das Malen verboten. In unserer Familie wird dazu erzählt, der Kunstprofessor habe festgestellt, dass Annas Talent größer war als das eigene. Ich nehme an, dass das in der Familie Janck anders dargestellt wird.

Als Onkel Angelo starb, zog Tante Anna ins Stiftshaus nach Thüngen. Dort wohnten alle unverheirateten oder verwitweten Tanten und bildeten, sehr zum Verdruss meiner Großeltern, eine Art familiärer Gegenregierung. Insbesondere waren sie der Meinung, dass die Kinder drüben im Schloss nicht genug zu essen bekämen. Die Folgen kann man sich vorstellen.

Aber die Tanten nahmen auch regen Anteil am Erwachsenwerden ihrer Nichten und Neffen.

Nach – wohlgemerkt nach – dem Verlobungsspaziergang meiner Eltern sagte Tante Anna zu meiner Mutter: „Gell, das Küssen ist doch so aaangenehm!“

Und dann starb plötzlich und unerwartet meine Großmutter. Tante Bertha nahm dies zum Anlass ihre Schwestern auf Reihenfolge zu vergattern. Tante Anna hat sich daran gehalten Tante Bertha natürlich nicht.

Mein Großvater, der noch relativ junge Witwer, war untröstlich. Man fürchtete um seinen Verstand, wenn nicht sogar um sein Leben. Und dann kam die Nachricht, dass Sauen aus dem Gramschatzer Wald ins Thüngener Revier gedrückt seien. Damit war die offizielle Trauerphase beendet.

Noch was zum Lutherjahr

In Thüngen gab es in der Untergasse ein Kino. Dort wurden in Farbe Filme wie „Urlaub am Wolfgangsee“ oder „Gitte singt an der Adria“ gezeigt. Aber einmal gab es einen Film in schwarz-weiß und es war ja auch durchaus sinnvoll, dass der dann über Luther ging. Das war mein erster Kontakt mit dem Reformator und ich habe ihn gleich kommerzialisiert, war somit dem Jahr 2017 schon weit voraus:

Ich konnte die Szene, in der Bruder Martin seine Zelle schrubbt so gut nachmachen, dass mir ein Großvater dafür jedes Mal 50 Pfennige gab.

Später nervte Dr. Martin Luther nur noch. Allein im Gymnasium haben wir ihn fünf Mal durchgeknetet, zwei Mal im Geschichtsunterricht, zwei Mal in Religionsunterricht und ein Mal im Deutschunterricht. Interessent war, dass materieübergreifend fünf Mal das Gleicht erzählt wurde. Es ging nicht um Inhalte. Es ging um den Antagonismus zu Rom. Es wurde nur erzählt, was Luther (zu Recht natürlich) an den Katholen Schieße fand.

Geht ja auch nicht, Sünden zu vergeben gegen Zaster. Und dieses ständige Gedöns mit der Mutter Gottes! Jeder Mensch hat eine Mutter und soo oft kommt diese Maria in der Bibel auch wieder nicht vor. Und diese Heiligenbildchen! Da schauen wir uns doch lieber unseren Martin an, den hat nämlich Lucas Cranach gemalt, und der war Franke.

Tatsächlich wurde nie inhaltlich besprochen, was Luther für den christlichen Glauben bedeutet hat. Man erkannte das ganz besonders daran, dass unsere Lehrer die Finger tunlichst vom Thema der Eigenverantwortlichkeit des Christenmenschen ließen. Naja, es waren die Sechziger und man wollte seine Eleven ja nicht „streggsdilängs“ in die Arme des SDS treiben, Rudi Dutschke und so. Selbständiges Nachzudenken war nicht unbedingt Lernziel. Nein, blöd ließ man uns nicht, aber es war doch schon so gedacht, uns beizubringen, innerhalb gewisser Grenzen nachzudenken, „mental containment“ halt.

Und das mit dem Zölibat. Tunlichst nicht in die Details gehen, aber es wurde schon darauf hingewiesen, dass das evangelische Pfarrhaus ein Born der Gelehrsamkeit war und ist, ohne das die Sache mit den Dichtern und Denkern gar nicht vorstellbar ist. Jean Paul kann man zwar heute nichtmehr lesen, aber wichtig, also wichtig war er schon. Ebenso wir Hermann Hesse, wenn an auch gewisse Bücher von ihm besser von der Jugend fernhält. Und im Nachhinein kommen ja da noch Einige andere dazu: Gudrun Ensslin, naja, der hatte man das mit der Eigenverantwortlichkeit vielleicht zu intensiv dargelegt, sonst wäre die nie vom Pfarrhaus zur Baader Meinhof Bande gewechselt. Aber die hier, das ist jetzt wirklich mal ein schönes Beispiel: Angela Merkel! Wenn es die damals schon gegeben hätte, hätten wir sie bestimmt auch fünfmal durchnehmen müssen.

Naja, und solche Geistesgrößen hat das katholische Pfarrhaus eben nie hervorgebracht. Nur Abschreckendes gab es von den Ultramontanen zu berichten, Hexenverbrennung, Ämterkauf, Nepotismus und natürlich Alexander VI, die Sau. Im Kloster Schönthal gibt es eine Gedenkplatte mit dem Bildnis eines Papstes Alexander. Ich habe gesehen, wie meine Mutter davor die Faust ballte und „Drecksau, elende“ flüsterte. Naja, es war nur Alexander III, macht ja auch nix.

Ich wundere mich, wie es bei all dieser Indoktrination doch hatte passieren können, dass ich die Katholiken stets als Mitchristen ansah, dass ich nie dachte, die seien schlechter. Zum Zorn so manchen Eiferers denke ich unterdessen, dass sie nicht mal anders sind, denn es geht um die Essenz, nicht um das Dekorum.

Aber kehren wir zurück in unsere Kindheit. Damals spielte der Reformator eine immense Rolle als Hilfe zum „Mädla ärchern.“

Das ging so: Man lief neben einem Mädchen her und sagte: Doggder Maddin Ludder ging mid seinä Frau in die grüne … und dann kniff man die Mitschülerin in den Oberarm. Wenn sie „au“ sagte, war der Spaß gelungen.

Ein weiterer Beitrag zur intellektuellen Reifung der fränkisch-lutherischen Jugend, der dem Bruder Martin im Paradiese angerechnet werden wird.

Jagd, Schnaps und ein Fürst in Gefahr

Wenn es kalt wird, gehen die Franken zur Jagd. Zumindest tun es die Franken, die auf dem Land leben.

Natürlich gibt es unzählige Geschichten und Anekdoten, seltsamerweise nur wenige über wirkliche Jagdunfälle. Ein solcher passierte meinem Großvater während einer Drückjagd in der Rhön. Bei eisiger Kälte saß er und wartete auf Sauen oder sonst erlegbares Wild, als einem nur wenige Dutzend Meter neben ihm stationiertem Schützen eine Sau kam. Dieser schoss, fehlte, die Kugel traf eine vereiste Buche, wurde in ihrem Lauf abgleitet und schoss meinem Großvater den linken Ringfinger ab. Das Schlimme war, dass er sich auf Fronturlaub befand und ihm daher der Prozess wegen des Verdachts auf Selbstverstümmelung gemacht wurde. Glücklicherweise blieb das ergebnislos, seine fünf Töchter aber verbreiteten derweil, ihr Vater habe sich den Finger beim Nasepopeln abgebrochen. Wenn wir als Buben der gleichen Tätigkeit nachgingen, wurden wir anhand seines Beispiels gewarnt. Mein Entsetzen ist nur schwer beschreibbar, als ich merkte, dass dem geliebten Großvater tatsächlich ein Finger fehlte.

Öfter als die Schützen trifft es die Treiber. Bei Hasenjagden, bei denen mit Schrot auf die armen Tiere geschossen wird, ist es fast schon üblich, dass die Treiber die „Schrödn“ spüren. Das passierte auch dem „Schorschla“ einem alten Mann aus dem Dorf. Es war klar, dass der Schrot, der auf den Boden seiner Lederhose prasselte, nur aus der Flinte vom Brauers Werner stammen konnte. Wutentbrannt, die Fäuste schüttelnd, lief der Getroffene auf den Schützen zu. Der blieb ganz ruhig stehen. Als er die Schnapsfahne vom Schorschla bereits riechen konnte, sagte er nur lapidar:

„Schorsch, ich will der a mol wos sooch: Du wennst kann Spaß versdesd, bleisd dahamm.“ Die Sache war damit ausgestanden, will man davon absehen, dass der Werner abends einige Seidla had müss spendier.

Schnaps spielt bei den Jagden natürlich eine riesige Rolle. Vor vierzig Jahren war es im Winter noch wirklich kalt, 15 bis 20 Grad unter Null waren keine Seltenheit.

An einem dieser lausig kalten Tage war ich Treiber in Thüngen. Vorneweg ein Traktor, wurden wir auf Strohballen sitzend zu unserem Einsatzort kutschiert. Die Schnapsflasche kreiste unablässig. Auch Frantek saß mit auf dem Wagen. Er war als polnischer Zwangsarbeiter im Krieg gekommen und dann geblieben. Frantek sprach gebrochen Deutsch, lebte alleine, und hatte einen hellblauen Opel Kadett, mit dem er jeden Samstagabend nach Würzburg fuhr. Man munkelte… Oft war er Opfer harmloser Witzeleien. An diesem Tag fragte ihn einer der Treiber:

„Frantek, wie mecht mer a gscheids Kind?“ Als keine Antwort kam, lieferte diese der Frager selbst: „Nüchdern und mid viel Liebe. Und, Frantek, wie mechd mer a dumms Kind? Wieder keine Antwort und dann: „Freech amol dein Vaddä!“ Grölendes Gelächter, die Schnapsflasche kreiste weiter.

Abends wurde die Strecke gelegt und verblasen. Dass auf einer Drückjagd eigentlich nur Hasen und womöglich Füchse geschossen werden sollten, war allen klar, Wenn dann aber auch mal ein Reh dabei war, dann wurde das halt erst vom Wagen abgeladen, wenn die Jagdhörner schon am Kleiderhaken im Schwarzen Adler hingen.

Einer dieser langen Jagden in der Rhön, hatte sich mein Großvater jemanden aus dem Dorf als Chauffeur mitgenommen. Als die Jagd vorbei war, merkte er, dass sein Fahrer die Zeit genutzt hatte, sich einen einzuhelfen. Er wurde mit Schimpf und Schande auf den Rücksitz verbannt und vorne saß neben meinem Großvater der Siegfried Castell. Nach einigen Kilometern Fahrt tippte der Betrunkene von hinten dem Beifahrer auf die Schulter und brabbelte: Fürschd, mach‘s Fenster auf, ich muss mich kotz!“

Ein Brief aus Kabul

Irgendwann in den 60er Jahren bekam meine Mutter einen Brief aus Kabul. Der Postbote war ganz aufgeregt. „Des muss do bei die Dürgn sei“, meinte er.

Der Brief enthielt eine Einladung zur Konfirmation einer Patentochter. Die Familie wohnte in Kabul weil der Vater, Onkel Edi, Statthalter der UNESCO in Afghanistan war.

Damals reisten nach Kabul die Hippies in einem VW Bus. Afghanistan war weit, exotisch und unheimlich. Dennoch, oder gerade deshalb setzt meine Mutter sich in den Kopf, der Einladung zu folgen. Mein Vater erzählte überall, er habe den Hinflug finanziert…

Die Reise war kompliziert und teuer und irgendwie ergab es sich, dass in Teheran zwei Tage Station gemacht werden musste.

Später berichtete meine Mutter, sie habe vor dem Hotel gestanden, als ein blitzblanker Mercedes vor ihr hielt und ein sehr gut aussehender Mann entstieg.

„Der hat mir fei die Hand geküsst!“ erzählte sie. Er stellte sich als General der kaiserlichen Luftwaffe vor und erbot sich, der Fremden die Stadt Teheran zu zeigen.

Mercedes, Handkuss und militärischer Rang scheinen die Schlüssel zu Mutters Vertrauen gewesen zu sein, denn sie setzte sich in das Auto und man brauste los.

Der Cicerone war schrecklich stolz auf die Neubauten der Hauptstadt. Schließlich protestierte meine Mutter und bekam die folgende Antwort: „Modern Teheran does not interest you? So I will show the old stuff to you“.

Es bedurfte offenbar der Autorität des Generals, denn sie durften die eigentlich nicht zugängliche Schatzkammer des Schah ansehen.

Es muss überwältigend gewesen sein: Rohe, geschliffene, gefasste, ungefasste Edelsteine in allen Farben, Formen und Größen, Broschen, Kronen lagen ungeschützt im riesigen begehbaren Tresor. Eine Pracht sondergleichen.

„Der General hat schon gemerkt, wie mir die Hände zuckten“. Er hat sie nur angelächelt und gesagt: „Both of us, we are no criminals, aren’t we?“

„Er hat mich dann vollkommen unbehelligt am Hotel wieder abgesetzt. Nur einen Whisky wollte er an der Bar mit mir trinken. Ich hab ihn dann an Mohamed erinnert, und so blieb’s beim Tee!“

Am nächsten Tag saß auf dem Nebensitz der Pfarrer, der die Konfirmation durchführen sollte, so dass meine Mutter mit geistlichem Beistand in Kabul ankam.

Nach der Feier blieb sie noch ein paar Tage, und Onkel Edi zeigte ihr Land und Leute. Ich habe meine Mutter stets beneidet wegen dieser Reise. Afghanistan war damals schlichtweg das Sehnsuchtsland der Jugend Europas. Das war alles noch vor dem sowjetischen Einmarsch, der König regierte noch und die Buddhastatuen standen noch an ihrem Platz.

Onkel Edi war ein Sprachgenie. Wo auch immer er hin versetzt wurde, in kürzester Zeit beherrschte er die Landessprache. Nur Englisch, er hatte es auf dem Gymnasium in Nürnberg gelernt, sprach er mit breitestem fränkischen Akzent. Einmal vertrat meine Mutter Tante Iga, seine Frau, auf einem langweiligen Diplomatenempfang. Als er nach dem Verbleib der hochverehrten Frau Gemahlin gefragt wurde, antwortete er: „She is ill. She has a very low bloodbreshä.“

Als wir unsere Mutter in Frankfurt am Flugplatz abholten, brachte sie uns zu unserem unbeschreiblichen Entzücken für jeden eine dieser bestickten Schafsfelljacken mit. Mit einem Schlag waren wir alle mega in. Der Schafsgeruch war trotz mehrmaligem Reinigen nicht rauszukriegen. Viele Jahre später, als ich schon mit meiner kleinen Familie auf Ibiza lebte, hat meine Frau die Jacke hinter meinem Rücken entsorgt.

 

 

 

 

Wen meinte Bonhoeffer?

Es muss ein Anfall von midlife-crisis gewesen sein, als ich 1997 den Segelschein machte. Ich dachte, das Leben berge keine Herausforderungen mehr an mich, also suchte ich mir eine.

Als ich meiner Mutter von der bestandenen Prüfung berichtete, begann sie sofort zu klagen, das sei ja schrecklich, und wie ich ihr denn sowas antun könne.

Ich bat sie, sich zu erklären: „Ach, da muss ich ja jetzt andauernd Kränze ins Mittelmeer werfen“. Offenbar erwartete sie, dass man als Segler mehrmals ertrinken kann.

Richtig gesegelt bin ich nie, obwohl ich mir eine Jolle gekauft hatte. Der Baum knallte mir bei Wendemanövern immer an den Kopf, weil er einfach zu tief hing. Meine Kinder behaupteten, mein dicker Bauch hindere mich am schnellen Wegducken.

Wie dem auch sei, es lag kein Segen über der Angelegenheit. Bald verkaufte ich die Jolle und meine Mutter war erleichtert.

Nun habe ich in der kommenden Woche vor, meinen ersten richtigen Segeltörn auf der Adria vorzunehmen. Skipper ist ein Vetter, der behauptet, segeln zu können. Wir, das sind noch drei weitere Verwandte, meine Frau und ich, sind nun sehr gespannt auf das, was auf uns zukommen wird.

Dass die Sache doch etwas mulmig ist, merkte ich daran, dass ich meinem Patensohn in Rentweinsdorf von dem Törn berichtete und ich ihn, schließlich ist er Chef der Familie, bat, sollten wir umkommen, nach Split zu reisen und dort für jeden eine Kranz in die Adria gleiten zu lassen.

Seine Antwort war entwaffnend: „Onkel Hans, da runter zu fahren, ist viel zu teuer, die Dinger schmeißen wir in den Kappelsee“.

Es muss der Heilige Geist gewesen sein, der mich in dem Moment an Bonhoeffers Gebet denken ließ:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“

Seither nagt der Verdacht in mir, Bonhoeffer könnte mit den guten Mächten doch nicht die Familie Rotenhan gemeint haben.