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Schuhkauf

Die Notwendigkeit, uns Kindern neue Schule zu kaufen, war den Eltern natürlich ein stetiger Dorn im Auge, denn wir wuchsen, die Schuhe aber nicht. Ich musste zunächst die zu klein gewordenen Schuhe meines älteren Bruders auftragen, von dem meine Mutter behauptete, er litte am Schweißfuß. Seine Replik: „Leiden tu ich da garnich.“

Wenn seine Schuhe für mich noch zu groß waren, wurde vorne solange Watte hineingepresst, bis sie passten. Später wurden die Zeiten besser und ich bekam eigene neue Schuh. Die kaufte man bei Valentin Schmidt, „bei‘n Schmidtla in Äbern“. Das Geschäft gibt es heute noch, zwischen Sparkasse und Kirche. Dort gab es für Buben eigentlich nur diese kackbraunen Schuhe, die auch der Förster trug. Einmal konnte ich mich durchsetzen und bekam schwarze Haferlschuhe. „Die werd’n jedsd aber emal gepfleechd“ sagte die Mutter.

Viel beliebter als „das Schmidtla“ war der Scharrenbroich am Grünen Markt in Bamberg. Da gab es nämlich eine Rutsche, die vom Erdgeschoß in die Kinderabteilung nach unten führte. Das war fast so schön wie Kirchweih. Vater rutschte einmal mit, wusste aber nicht, dass man schneller vorwärtskam, wenn man sich auf einen kleinen bereitliegenden Teppich setzte. Ich kannte den Trick und fuhr ihm mit Karacho in den Rücken. Er wand sich vor Schmerz, denn mein Schuh traf ihn gerade dort, wo die Kugel von seinem Bauchschuss wieder rausgekommen war. Er wand sich vor Schmerzen und zur Strafe bekam ich keine neuen Schuhe.

Dass wir beim Scharrenbroich auch wirklich neue Schuhe bekämen, war nicht so sicher. In erster Linie hing es davon ab, ob Mutter davon ausgehen konnte, dass ihr Status als „Dame“ nicht ins Wanken geriet. Das geschah einmal, als sich beim Anprobieren herausstellte, dass meine beiden großen Zehen aus den Strümpfen schauten. Großmutter nannte derlei „Fleischmann schaut aus Wollmanns Laden.“ Bevor die Verkäuferin mit den neuen Schuhen ankam, hatte Mutter mir befohlen, meine alten Treter wieder anzuziehen und wir verließen unter fadenscheinigen Erklärungen das Etablissement.

Schlimmer war es, als ich in der Hochpubertät das Waschen auf das Rituelle der Handlung reduzierte. Es war Winter, ich hatte lange Lederhosen mit den obligaten dicken Wollstrümpfen an. Als die Verkäuferin hochbepackt mit Schuhschachteln kam, zog ich meine Winterstiebel aus und ein durchaus beachtliches Gerücherl verbreitete sich in den Hallen. Mutter erbleichte, dann wurde sie dunkelrot und zerrte mich, Entschuldigungen ans Personal richtend, aus dem Geschäft. Der Grüne Markt war voller Menschen, es war vor Weihnachten und Mutter pfiff mich coram publico an, so dass kein Hund mehr ein Stück trocken Brot von mir genommen hätte. Wie man nur so rücksichtslos zu Mutter und Verkaufspersonal sein könne, sicherlich hätte ich mich seit Wochen nicht gewaschen. Langsam bildete sich ein interessierter Kreis um uns. „Meinä wäschd sich fei aa ums verreggn ned,“ meinte eine Dame mit Hut, während eine Matrone fast eingegriffen hätte, denn „a södds Bübla ka mer doch ned so zamscheisn vor ölla Leud.“

Von all dem unbeeindruckt, wurde Mutter immer wütender und verstieg sich zu der rhetorischen Frage, was denn nun die Verkäuferinnen bei Scharrenbroich von der Gesamtfamilie Rotenhan halten müssten? Leider beantwortete ich die Frage: „Bei Scharrenbroich kennen sie uns nicht, aber all die Leut um uns rum, die haben jetzt einen Eindruck von der Gesamtfamilie Rotenhan.“ Dafür fing ich eine Schelle und bis Ostern keine neuen Schuhe.

Um Peinlichkeiten zu vermeiden, gab mir in der Karwoche Mutter „ein Geld“ und ich sollte beim Scharrenbroich allein Schuhe kaufen. Ich kam dann mir Knautschlack-Slippern wieder, was die Sache auch nicht besser machte.

„Die werd‘n jedsd aber emal gepfleechd,“ sagte Mutter, als sie wieder normal atmen konnte.

 

 

Prost Neujahr!

Silvester wurde bei uns in Rentweinsdorf nur so gefeiert, dass wir abends in den Jahresendgottesdienst gehen mussten. Der Pfarrer fand unweigerlich stets diese Worte: „In wenichen Minudden wird dieses Jahr zu Ende gehen und ein neues Jahr wird beginnen…“ Sapperlot, welche Erkenntnis!

Damit waren die Feierlichkeiten beendet, denn mein Vater sagte, als Forstmann habe er das Forstjahr zu begehen, startet am 1.Oktober. Gleichzeitig beginnt das Braujahr, das er als Eigentümer der Rotenhan Bräu, vulgo Göcherles Brüh, einhalten musste, dann kam am Vorabend des 1. Adventsonntags schon das ihn als Kirchenpatron betreffende Kirchenjahr und zu Petri begann damals noch das landwirtschaftliche Jahr. „Ich weigere mich, auch noch das Kalenderjahr begehen zu müssen.“

Sprachs und verschwand gegen 22 Uhr ins Bett. Die Silvesterabende waren quälend.

Mit der Zeit stellte ich fest, dass man in Thüngen, im Haus meines Großvaters, Silvester krachend feierte, obwohl auch dort Kirchenpatron, Brauerei, Forstwirtshaft und Landwirtschaft betrieben wurden.

Die Feierlichkeiten begannen damit, dass wir nicht in den Jahresendgottesdienst gehen mussten. Stattdessen gab es ein opulentes Abendessen und danach wurde bei ausreichend Wein bis Mitternacht gespielt. Alles lief harmonisch ab, solange wir darauf achteten, dass meine Patentante beim „Karddln“ gewann. Es wurde aber auch „Ja-Nein-Fleckerweis“ gespielt und mein Vetter Schorsch und ich versuchten immer wieder, die Haare unseres Großvaters lila zu färben. Es gab dafür ein Pulver, dass dem alten Herrn auf den Kopf gesprüht werden musste, so dass lila eigentlich nur die Glatze wurde.

Zu Mitternacht prostete man sich zu, fiel sich in die Arme und hoffte auf bessere Zeiten. Und dann kam ein Moment, an den ich noch heute mit zwiespältigen Gefühlen zurückdenke: Es wurde Blei gegossen.

Das war in Rentweinsdorf nicht nur unüblich, es war verpönt, da heidnisch. Unsere Eltern waren sehr fromm und alles Okkulte war abzulehnen da des Teufels. Es gab nur eine einzige Ausnahme: Es wurde als wahr angesehen, dass die Schlosserbauerin Wilhelmine (née Seckendorff) in der ersten Nacht, die meine Schwester als Neugeborenes im Schloss verbrachte, als Geist im Reifrock an ihr Bettchen getreten war. Sie hatte in einem Jahr acht ihrer sechzehn Kinder verloren und Neugeborene waren seit über 60 Jahren nichtmehr im Haus gewesen. Das galt als ausreichende Legitimation fürs rumgeistern. Aber Bleigießen, das war abzulehnen. Es führe auf der Direttissima ins Verderben, führten die Eltern aus, denn wenn einer ein Rad gösse, dann setze sich eine Obsession im Hirn des Gießers fest, die unweigerlich zu einem womöglich fatalen Fahrrad- oder Autounfall führen werde. Das Böse sei stets präsent, lauere hinter jeder Ecke und deshalb dürfe man sich ihm – auch in seiner Erscheinungsform des Bleigießens – nicht nähern.

Nach einigem Zögern goss ich natürlich doch mehrere Löffel flüssiges Blei ins kalte Wasser. Meistens wurden meine Gebilde als Adler erkannt. Die daraufhin erwarteten schulischen Höhenflüge blieben allerdings regelmäßig aus. Ich fand daraufhin das mit der spukenden Ahnin erheblich okkulter.

Weit schon im Neuen Jahr gingen wir etwas wankend ins Bett und mussten nicht in den Neujahrsgottesdienst. Das besorgten meine in Rentweinsdorf gebliebenen Geschwister. Wenn wir um 11 Uhr mit Brummschädel immer noch im Bett lagen, kam der Großvater ins „Bubenzimmer“ und hielt uns eine Standpauke, die immer so ging:

„Wenn wir abends ein Liebesmahl hatten, dann saßen wir um 6 Uhr in der Früh auf dem Rücken unserer Pferde und ritten hinaus zum Exerzierplatz.“ Wir duckten uns in die Kissen, ließen den Sturm über uns hinwegfegen und fragten uns, weshalb uns der Großvater davon erzählte, dass er, nachdem er abends einen Puff besucht hatte, morgens wieder topfit war?

Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass unter Offizieren ein „Liebensmahl“ als ausuferndes Besäufnis sehr beliebt war, übrigens ohne Begleitung von Damen jedweder moralischen Couleur..

An Öberschd, dem Fest der Heiligen drei Könige, kehrte ich in mein Heimatland zurück, pries und lobte die Thüngener für alles, was ich gehört und gesehen hatte.

 

Beten mit dem Tranchierbesteck

 

Offenbar haben sich mein Vater und seine Mitgefangenen in amerikanischer Gefangenschaft derart gelangweilt, dass sie eine Lageruniversität gründeten. Dort studierte der Rittmeister Rotenhan die Anatomie der Haustiere.

Das qualifizierte ihn offenbar hinreichend dazu, den sonntäglichen Rehrücken zu tranchieren. Es gab andauernd Wild, weil das im Gegensatz zum Fleisch, das vom Metzger geholt wurde, nichts kostete.

Man kann sich vorstellen, dass uns das Zeug bald zum Hals heraushing, zumal es bis zur Unkenntlichkeit durchgebraten war. Um die dadurch eintretende saharamäßige Trockenheit des Fleisches zu bekämpfen, wurde gespickt, so dass man im nach wie vor trockenen Braten glibberige Speckstückchen fand.

Dazu gab es „Spatzenflügel“ so nannten wir Blaukraut und, ein Lichtblick, Klöß, mit der man die eigentlich ungenießbare Mehlschwitze aufditschen konnte.

Wenn ich mir denke, mit wie wenig Aufwand man aus diesen Zutaten ein Festwessen hätte bereiten können, werde ich schier schwermütig.

Wie dem auch sei, noch bevor wir uns zu Tisch setzten, stand der Rehrücken bereits auf der Kommode neben dem Esstisch und Vater begann mit der Tranchiererei.

Wenn alle da waren, wurde das Tischgebet gesprochen. Dazu legte der dipl. Haustieranatom nicht etwa Tranchiermesser und -gabel beiseite, vielmehr kreuzte er sie und nahm eine devote Gebetshaltung an. Wir liebten das.

Plötzlich bekamen unsere Eltern einen sozialen Anfall und fanden, die armen Dienstmädchen müssten am Sonntag bereits um 12 Uhr Dienstschluss haben. Man überlegte, was zu tun sei und dabei heraus kam das Frühmi.

Das bedeutete, dass wir ungefrühstückt in die Kirche mussten, und wenn sie aus war, gab es gleich ein verspätetes aufgedonnertes Frühstück. Es gab Käse, Wurst, ein Ei. Marmelade gab es auch, aber die verschmähten wir, denn die gab´s von Mo bis Sa als Einziges zum Frühstück.

Alle fanden das herrlich, nur mir behagte das neue Regime nicht, denn, da ich sowieso Kreislaufprobleme hatte, fiel ich von nun an, da nüchtern, beim Glaubensbekenntnis regelmäßig aus der Kirchbank. Außerdem fand ich, dass einmal am Tag was Warmes auf den Teller muss, und wenn es Staubrehrücken wäre. Abends gab es ja immer Brotzeit.

Die Eltern aber sonnten sich in der Aura der verständnisvollen Dienstherren und freuten sich mit den Dienstmädchen, die nun schon erheblich früher mit dem Gschbusi zum Fußballspiel gehen konnten.

Nebenbei bemerkt, frage ich mich, was sich unsere Eltern dabei gedacht haben, denn durch das Frühmi wurden die Mädchen vom Kirchgang abgehalten.  Beten wurde durch das Dekorieren von Aufschnitt Platten ersetzt. Par bleu!

Sei dem wie es wolle, es kam der Sonntag, an dem unser Vater in die Küche geschickt wurde, weil das Brot ausgegangen war. Dort empfing ihn ein verführerischer Geruch und er fand die gesamte Küchenmannschaft am Tisch sitzend vor. Es gab Rehrücken mit Spatzenflügeln, Klößen und Mehlschwitzsoße.

Ja, so ohne Sonntagsessen, nein das ginge nicht, wenn die Herrschaften plötzlich auf Frühmi machten, das wäre noch lange kein Grund, auf den guten fränkischen Sonntagsbraten zu verzichten.

Am nächsten Sonntag kreuzte beim Tischgebet unser Vater wieder fromm Tranchiermesser und -gabel, der Rehschlegel war wieder trocken und die Klöß schmeckten himmlisch.

Das niedliche Eisfähnchen

Als wir Kinder waren, empfanden wir das ganze Dorf als riesigen Abenteuerspielplatz. Im kleinen Bach, der das Überlaufwasser von den Karpfenteichen in die Baunach leitet, bauten wir Staudämme, wenn die Bierfässer ausgepicht wurden, bastelten wir aus dem langsam erkühlenden Pech Fackeln und aus den Brettern auf dem riesigen Haufen daneben, hämmerten wir uns „Häusla“ zusammen. Der Bach war gefährlich, weil er etwa 500 Meter lang unterirdisch verlief, der vollkommen ungesicherte Pechkessel war natürlich brandgefährlich und so ein wüster Holzhaufen konnte leicht ins Rutschen geraten. Es ist aber nie etwas passiert, außer dass wir vor Dreck starrten, ständig offene Knie hatten und immer wieder mal einen blauen Fingernagel, weil einen Nagel auf den Kopf zu treffen, muss ja auch erst einmal gelernt werden.

Abgesehen vom Abenteuerspielplatz hatte das Dorf auch ein „route gastronomique“ zu bieten, wo es all das gab, was uns zu Hause nie vorgesetzt wurde:

Bei der Dorett, dem Faktotum unseres Großvaters, gab es „a Zuggerla“, wenn ich morgens beim Will’s Beck Brötchen holte, fiel manchmal ein Plätzchen oder zu Fasching ein Krapfen ab. Den Will’s Beck am Kaulberg gibt es schon lange nicht mehr, sogar das Haus wurde abgerissen.

Wenn wir zum Wurst kaufen geschickt wurden, gab es beim Herold, dem Metzger neben der Kirche, ein dünnes Stück Fleischwurst, beim Biggo, dem Metzger im Unterdorf gab es ein erheblich dickeres.

Wenn das Leergut an der Brauerei angeliefert wurde, stürzten wir uns auf die Limoflaschen um den süßen Rest zu trinken, das „Noagerl“ wie ich später lernte. Manchmal tummelten sich in den Flaschen Wespen.

Am Begehrtesten war natürlich ein Eis. Beim Kaufmann Müller gab es Schöller Eis, beim Götzen-Schmidt und im „Kónsum“ gab es Eva Eis. In der Türkei, der Teil des Ortes heißt heute aus ungeklärten Umständen noch so, wohnten viele unserer Freunde und der „Kónsum“ hatte als erster sein Geschäft zum Teil als Selbstbedienungsladen eingerichtet. Da konnte man stundenlang überlegen, ob es besser sei, fünf „Pfennichbombom“ zu kaufen oder einen Schlotzer für fünf Pfennig.

Doch zurück zum Eis. Das billigste kostete 10 Pfennig, war rund und steckte auf einem runden Stiel. Das zu 20 Pfennig war viereckig und der Stiel war eine kleine Spachtel. Krönung war ein „Fuchzichereis“. Das gab es bereits im Becher, innen weiß und außenrum ein roter Rand, von dem es hieß, es seien gequirlte Erdbeeren. Immerhin schmeckte es süß.

Geld hatte wir so gut wie nie und deshalb richtete ich mein Sinnen und Trachten nach dem Erwerb desselben.

Mutter zahlt ganz gut, wenn sie den Grind von den aufgeschlagenen Knien kratzen durfte, aber es brauchte vier Grinde, um 20 Pfennig zusammenzubringen. Also verlegte ich mich darauf, bei den „Besüchern“ zu betteln. Als das ruchbar wurde, vermahnte man mich streng. Das Betteln in jeglicher Form wurde mir verboten.

Eines Tages ging ich mit Tante Hesi spazieren. Ihr wurde gesagt, mögliche Betteleien zu überhören und mir wurden Höllenqualen angedroht, sollte ich es wagen…

Mein Hirn arbeitete nun fieberhaft an der Frage, wie ich, ohne zu betteln, zu einem Eis käme.

Als wir zu Kaufmann Müllers Laden kamen sah ich im grellen Sonnenlicht das Fähnchen flattern, dass Jung und Alt darauf aufmerksam machen sollte, dass man hier Schöller Eis kaufen konnte.

Da zog ich an Tante Hesis Hand und sagte zu ihr: „Ach, sieh doch mal das niedliche Eisfähnchen!“

Triumphierend kam ich mit einem Zwanzichgereis nach Hause und die edle Spenderin verteidigte sich meiner Mutter gegenüber mit dem Argument, da müsse man erstmal drauf kommen!

Der neue Lehrer aus Pfarrweisach

Meine Großmutter aus Rentweinsdorf hat ihren Schwiegervater nicht gemocht. Das hat schon damals niemanden verwundert.

Von seiner Frau wird berichtet, sie habe immer, wenn sich der „alte gnädige Herr“ genähert habe, gesagt: „Kinderchen, geht ganz schnell weg, der liebe, liebe Vater kommt!“

Bei meiner Großmutter war der Grund der Abneigung genau feststellbar: Als er sie, die aus der Neumark kommende, blutjunge Frau den Arbeitern und Angestellten vorstellte, schloss er seine Rede mit den Worten: „Die wird fei jetzt schön gefunden!“

Er war ein großer Kommunikator, networker würde man heute sagen. Er legte Wert darauf, möglichst jeden im Landkreis Ebern persönlich zu kennen und sprach deshalb jeden an, den er noch nicht gesehen hatte.

Besonders gern tat er das in der Bahn. Das war damals noch ein dampfgetriebenes Ungeheuer mit drei bis fünf Personenwagen. Er stieg hinten ein und bis Bamberg hatte er sich nach vorn durchgearbeitet, mit jedem und jeder gesprochen. Es war seine Angewohnheit, Unbekannten die Frage zu stellen, ob er denn der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei. Der antwortete dann, nein, er sei der neue Finanzamtsgehilfe aus Ebern mit Namen Österlein, ursprünglich stamme er aus Werneck und so fort.

Urgroßvater Gottfried war immer bestens informiert und hörte deshalb das Gras wachsen, was er durchaus auch in seinem Interesse zu verwerten wusste, wie ich in einer der Geschichten im Buch „Die Kloßköchin und der Pfarrer von Gerach“ berichtet habe.

Irgendwann wurde bei den Vettern in Eyrichshof beim Frühstück davon geredet, dass der Rentweinsdorfer im Zug immer den neuen Lehrer aus Pfarrweisach wähnte. „Und so suchete man mit Fleiß“ wann denn der gnädige Herr wieder den Zug nach Bamberg nähme.

An diesem Tag wurde in Eyrichshof in den ersten, den mittleren und in den letzten Wagen einer der Sommergäste gesetzt mit der strikten Anweisung, auf die Frage, ob er der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei, mit „ja“ zu antworten.

In Rentweinsdorf stieg der „alte gnädige Herr“ wie gewohnt in den letzten Wagen und als er dort einen unbekannten jungen Mann antraf, war er freudig überrascht, endlich einmal auf die ewig gleiche Frage eine positive Antwort zu bekommen. Beim Kandidaten im mittleren Wagon roch er den Braten, ließ sich aber nichts anmerken und fragte zwischen Breitengüßbach und Bamberg auch noch den dritten Unbekannten, ob er der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei. Der bestätigte dies und nach einem kurzen Gespräch war man auch schon in der Domstadt angekommen. Kurz vor dem Aussteigen beauftragte er den neuen Lehrer aus Pfarrweisach noch, herzliche Grüße nach Eyrichshof auszurichten.

Wenn der Urgroßvater weiterfuhr, etwa nach München, dann bestellte er sich vorher telegraphisch Verwandte und Bekannte an den Perron, wie man damals sagte. Wenn der Zug dann in Nürnberg hielt, war der alte Herr natürlich mit einer Zugbekanntschaft in ein rauschendes Gespräch vertieft. Auf dem Bahnsteig tippelten seine Cousinen Leonrod aufgeregt hin und her und fanden den lieben Gottfried nicht.

Als der Zug bereits angeruckelt hatte, besann sich dieser seiner Verwandtschaft, riss das Abteilfenster herunter und grüßte winkend und rufend die alten Jungfern.

Dann ließ er sich in die Polster seines Sitzplatzes sinken und sagte mit voller Überzeugung zu seinen Mitreisenden: „Ham jetzt die eine Freud g’habt, dass sie mich wenigstens noch ham sehen können!“

Spielschulden sind Ehrenschulden

Ein entfernter Verwandter meines Urgroßvaters diente nicht in Franken, sondern in der k.u.k. Armee als Oberleutnant. Er war in Galizien stationiert, wo es im Winter kalt, im Sommer heiß, immer aber langweilig war.

Man vertrieb sich die Zeit beim Spiel, und nachdem der Oberleutnant all sein Geld „verjeut“ hatte, stellte er fest, dass er bei seinem Regimentskommandeur riesige Spielschulden hatte, die er mit seinem mickrigen Sold nie werde abbezahlen können.

Der Kommandeur war mit einer sehr begüterten Wienerin verheiratet und hatte es wirklich nicht notwendig, auf der Bezahlung der Spielschulden zu bestehen. Dennoch bestellte er den Untergebenen zu sich und machte ihm in einem Privatissimum klar: „Spuilschuidn san Ehrnschuidn.“

Da der Schuldner wusste, dass an eine Bezahlung gar nicht zu denken war, kam diese Bemerkung einer Aufforderung zum Selbstmord gleich.

Unser armer Oberleutnant machte qualvolle Tage und Nächte durch, als ihn nach einer Woche der Kommandeur erneut einbestellte. Wieder begann er seine Rede mit dem schon bekannten Satz. „Spuilschuidn san Ehrnschuidn,“ und der junge Mann dachte schon, als nächstes werde ihm ein Revolver gereicht, als er freundlich gebeten wurde, Platz zu nehmen. Der Adjutant reichte Cognac und Zigarren und nachdem dieser sich zurückgezogen hatte, begann der Kommandeur zu sprechen.

Er machte darauf aufmerksam, wie viele wertvolle Leben das Laster des Spiels schon gekostet habe, er verstand auch die Seelenpein derer, denen es materiell unmöglich war, die Ehrenschuld abzutragen, um dann zu wirklichen Grund seiner Einladung zu kommen. Er habe in Wien eine einzige Tochter, Erbin des beträchtlichen Vermögens ihrer Mutter. Diese Tochter, ein reizendes Geschöpf übrigens, sei bisher unverheiratet, und wenn der Kamerad Oberleutnant die junge Dame heiraten würde, wolle der Kommandant auf die Zahlung der Spielschulden verzichten, darüber hinaus bot er eine ansehnliche Mitgift aus.

Ohne zu zögern oder gar zu überlegen, schlug der erleichterte junge Mann ein. Noch ehe er nach Wien fahren konnte, um seine Braut kennenzulernen, wurde die Verlobung in der Wiener Presse angezeigt, da gab es kein Zurück mehr.

Es stellt sich heraus, dass die Braut unbeschreiblich hässlich war. Als der Brautvater die Schockstarre des Bräutigams bemerkte, flüsterte er ihm ins Ohr „Spuilschuid san Ehrnschuidn.“ Der junge Mann entspannte sich und bald schon wurde Hochzeit gefeiert.

Die Ehe soll sehr glücklich gewesen sein. Mit dem riesigen Vermögen der frühversterbenden Mutter zog man sich nach Bamberg in eine Villa am Schillerplatz zurück. Dort wuchsen die drei Töchter auf, die durch die Bank nach der Mutter geraten waren. Sie hatten deren Aussehen und deren Wiener Akzent geerbt, nicht aber deren Vermögen. Der klägliche Rest desselben musste ja auch noch dreigeteilt werden. Keine hat je geheiratet. Immerhin blieb ihnen die Villa am Schillerplatz. Bekannt als „die drei Schillerplätzchen“ waren sie in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Schrecken so manchen jungen Mannes. Die Schillerplätzchen fühlten sich mit allen noch so entfernt Verwandten ganz nah verwandt, und wenn ein fescher Leutnant seine Dame auf der Langen Gasse in Bamberg ausführte, konnte es passieren, dass drei ältere Damen auf ihn zustürmten, und riefen „Geh her, kriegst an Schmatz.“ Das war für die Beziehung zu der jeweiligen jungen Dame in den seltensten Fällen förderlich.

Unser Vater wurde öfters mit einem „Schmatz“ bedroht und erzählte uns Kindern die Geschichte immer wieder, um uns vor den Gefahren des „jeuens“ zu warnen.

Immerhin: Keinen von uns fünf Geschwistern hat je die Versuchung des Glücksspiels gepackt.

Schimpfen in Franken. (Von Todschlägen, Flöhen, Schweinezähnen, Verreckern und nicht ausgebildeten Schlingeln)

Natürlich können Franken schimpfen wie alle anderen auch, aber ich empfinde das fränkische Gezeter immer erheblich freundlicher, weniger blasphemisch und erheblich versöhnlicher als das, was in Altbayern abgeht.

Flüche und Beschimpfungen, in denen das Wort „Sakrament“ vorkommt, habe ich überhaupt erst kennengelernt, als ich mit zehn Jahren Oberbayern ins Internat kam.

Das hat später noch eine Steigerung erfahren, als ich in Spanien Flüche lernte, die Spirituelles mit primären oder sekundären geschlechtlichen Merkmalen oder Neigungen koppelten.

Das geht in Franken alles weniger aggressiv zu, ja fast schon resignierend. Wenn einer „irrt“, den Straßenverkehr behindert oder wenn vom Nachbarbalkon zu laute Musik herüberschallt, dann beschimpft der Franke nicht etwa den Urheber dieser Ungemach, sondern kommentiert lediglich vor sich selbst oder seiner Umgebung dies:

„Leud gäbs zern derschlogn!“ Da dies in die Tat umgesetzt ganz offenbar wenig gemeinschaftsfördernd wäre, schiebt der Raunzer schnell noch nach. „Wemmer ner Zaid hädd!“

Es ist nicht wirklich böse gemeint, der Humor koaliert hier mit der Verzweiflung, weil man ja sowieso nichts dagegen unternehmen zu kann.

Als die bizzelböse Austragsbäuerin, der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Schwiegertochter einmal so richtig die Meinung sagen wollte, keifte sie: „Nix hasda miedgabrachd, blos Läus und Flöh!“ Aber kann man das so stehen lassen? Muss man dem nicht durch Überhöhung ins Absurde die Schärfe nehmen? Deshalb murmelte sie, als der Widerhall der Beschimpfung verebbt war. „Und die warn grang!“

Auch das Wort „Sauzahn“ wird nicht nur dazu verwendet, einen Schuft, Betrüger oder Tunichtgut zu charakterisieren. In dem Begriff steckt eine gute Portion Bewunderung, weil der Sauzahn das tut, was man sich selbst nicht zu tun getraut: Er rebelliert gegen die gegebene Ordnung. Wie früher den Räuber in seiner Höhle umweht den „Dens Porcae“, so seine korrekte Einordnung in die biologische Systematik, ein Hauch von Romantik und Steppenwolf.

Ein weites Feld ist der „Fregger“ eine mundartliche Ableitung des Verreckers, eine unschöne Bezeichnung, in hochdeutschem Munde. In Franken allerdings gibt es diese Spezies im Diminutiv, und ein Freggerla ist meistens ein niedliches, rosiges Neugeborenes.

Sogar ein „elender Fregger“ hat nicht die Bedeutung, die es hätte, würde man so einen Mitmenschen in Hannover bezeichnen. Hier nähert sich der Miser mori miserabilis (s.o.) dem Dens Porcae. Auch einem elenden Fregger haftet etwas an, das ihn sympathisch wirken lässt, so dass man ihm eigentlich alles verzeiht. Ein seltenes etymologisches Beispiel dafür, dass eine pejorative Steigerung sich in ihr Gegenteil verkehren kann.

Anders verhält es sich, wenn dem Übeltäter „Fregger, elender“ nachgerufen wird. Da ist es doch ratsam, sich den Augen des Zürnenden zumindest bis zur Brotzeit am Abend zu entziehen.

Wenn der Schimpfende allerdings ungewollt das trifft, von dem der Beschimpfte im Tiefsten seines Inneren weiß oder wähnt, dass es wahr ist, dann wird es brenzlich.

Mein Bruder hat einmal die Beamten einer Polizeistreife „ungalernda Schbitzbuhm“ genannt. Sie fühlten sich ertappt, zeigten ihn wegen Beamtenbeleidigung an und er kam mit einem Strafbefehl davon.

Der lügt beim Beten!

Man sagt, nirgendwo werde mehr gelogen als vor Gericht und im Beichtstuhl. Früher gab es noch eine dritte Instanz: Nirgend wurde so viel gelogen wie beim Lastenausgleich. Für die Jüngeren: Das waren Zahlungen, die die Bundesrepublik den deutschen Flüchtlingen zukommen ließ, die in ihrer Heimat Eigentum verloren hatten. Es heißt, allein der schlesische Wald habe sich damals verdoppelt und niemand habe je geahnt, wie viele Furniereichen und andere Werthölzer dort gestanden hätten.

Als in Rentweinsdorf die Flurbereinigung durchgeführt wurde, gab es einen Schieberfahrer, also einer, der die Planierraupe bedient, der meinem Vater immer vorjammerte, wie viel Wald er im Riesengebirge verloren habe. Das Abfragen einiger forsttechnischer Minima brachte ans Licht des Tages, dass der Mann keine Ahnung hatte. Mein Vater erklärte mir damals, als wir wieder in seinem VW Käfer saßen, in Schlesien habe es garkeinen richtigen Wald gegeben, das wäre hauptsächlich „Pusch“ gewesen.

Ostelbische Großgrundbesitzer wurden zu Schieberfahrern, es gab noch in den Fünfziger Jahren interessante Berufsträger:

Als im Rentweinsdorf die Amis, dann die „displaced people“, so nannte man die durch die Kriegswirren verschleppten oder gestrandeten Menschen, und schließlich auch noch die Insassen des Altersheims ausgezogen waren, blieben Wanzen und anderes Ungeziefer zurück, das zwangläufig dort auftritt, wo viele Menschen eng und bei ungenügenden sanitären Verhältnissen zusammenleben müssen.

Kammerjäger wurden gerufen. Beim gemeinsamen Mittagessen stellte sich heraus, dass der Chef Oberst im Generalstab gewesen war und sein ihm untergebener Mitarbeiter Generalleutnant. Meine Mutter war durchaus angetan und meinte, sie habe gleich gemerkt, dass die sich zu benehmen wüssten. Mein Vater hielt sich zurück, denn, er sagte immer, es habe ihm gereicht, den Krieg einmal zu verlieren, das müsse nun verbal nicht noch einmal passieren. Außerdem nahm er ihnen die behaupteten Heldentaten nicht ab.

Ähnliches passierte, wenn Verwandte oder Freunde, die nach Argentinien oder „Deutsch Süd-West Afrika“ ausgewandert waren und nun auf „Heimaturlaub“ vorbeischauten.

Einer behauptete, er brauche drei Tage zu Pferde, um seinen Besitz zu umreiten. Der andere sagte ganz bescheiden, er wisse nicht, wie viele Schafe er besitze, aber die Wachhunde habe er neulich durchzählen lassen. Man sei auf knapp 3.000 gekommen.

Als Jahre später einer meiner Brüder nach Argentinien reiste, besuchte er den reichen Schafszüchter. Er fand ihn vor einem stattlichen Haus in der Pampa ohne Strom und fliessend Wasser. Die Schafe mögen 3.000 gewesen sein, die Wachhunde konnte man an den Fingern beider Händen abzählen.

Weniger angeberisch dafür aber unangenehmer empfand ich Besucher aus dem heutigen Namibia. Die redeten nicht nur wie die Nazis, das waren auch welche. Ich war empört und meine Mutter sagte: „Ist doch gut, wenn einer wirklich das sagt, was er denkt.“ Ich aber blickte in Abgründe.

Und dann kam einer, der sich geschickt in die frommen Zirkel in Franken eingeschleust hatte, um dort Wertpapiere des schillernden Amerikaners Bernie Cornfeld unter die Leute zu bringen. Dem Ami traute man nicht, denn der ließ sich im Hawaii Hemd mit mehreren leicht bekleideten Frauen fotografieren.

„Nicht mit einer von denen ist er verheiratet“, wähnte meine Mutter.

Aber der Mittelsmann war fromm, deshalb traute man ihm und kaufte die Papiere. Als sich herausstellte, dass diese nichts wert waren, sagte mein Vater resignierend:

„Der lügt beim Beten!“

Hochzeit, hohe Zeit, manchmal sogar höchste Zeit.

Als sich neulich ein verzweifelter Bräutigam der Einmischungen seiner Mutter mit dem Argument zu erwehren versuchte, dies sei immerhin seine Hochzeit, konterte Frau Mamá so: „Du irrst, das ist die Hochzeit meines Sohnes!“

Dieser Satz macht klar, wie hoch politisch und gleichermaßen sensibel der Tag der Verbindung zweier junger Menschen ist. Wenn man in den sozialen Medien Fotos von Hochzeiten studiert, wird deutlich, dass dieses Ereignis oft dazu verwendet wird, die Bedeutung, die Vornehmheit und das „savoir être“ der beteiligten Familien darzustellen. Wenn es nicht der familieneigene Palazzo ist, wird einer gemietet, zum Polterabend Smoking, zur Hochzeit mit nachfolgendem Empfang Cut und zur Braut Soirée Frack.

Dass auf den Erinnerungsfotos gelächelt wird, ist eigentlich verwunderlich, denn Hochzeiten pflegen weit um sich greifende Verärgerungen vorauszugehen.

Wer denkt, zur Hochzeit könne man einladen, irrt. Zur Hochzeit muss eingeladen werden. Seltsamerweise spielen da unverheiratete oder verwitwete, eher entfernt verwandte Tanten eine ungeahnte Rolle. Sie müssen eingeladen werden, weil der Schleier der Braut, das Diadem oder was auch immer aus ihrer Familie stammt, weil ihr weiland Bruder Patenonkel des Vaters des Bräutigams war, oder weil man sie beerben will. Der Möglichkeiten sind da keine Grenzen gesetzt.

Mit der Einladung dieser Damen ist es allerdings noch nicht getan, sie müssen beim Diner am Abend der Hochzeit auch noch von einem wichtigen männlichen Teil der Familien geführt werden, womit klar ist, dass für die etwas jüngeren Damen nur noch die zweite Wahl an Tischherren übrigbleibt. Weitere Fâchés sind vorprogrammiert.

An sich kann man ja schon froh sein, wenn die beiden „Gegenfamilien“ nach gehabtem Polterabend nicht beleidigt zur Kirche schreiten. Denn bei den Aufführungen werden die Brautleute gnadenlos durch den Kakao gezogen, was so mancher Frau Mamá durchaus nicht in den Kram passen muss. Lauterwerdendes Tuscheln der Brautmutter mit dem in der Kirche neben ihr sitzenden Vater des Bräutigams ist oft Ausdruck dieser Verstimmung, während zu Wagners Hochzeitsmarsch der Brautvater mit Tränen der Rührung in den Augen seine Tochter dem am Altar wartenden Jüngling zuführt, dem er am Abend zuvor in weinseliger Stimmung zugerufen hatte: „Du darfst mich jetzt Pappi nennen!“

In Franken nimmt man mit gewissem Recht an, die Bratwurst zum Empfang nach der Kirche heile alle Wunden. Allerdings nur dann, wenn die Braut von hier stammt, und die Familie des Bräutigams, die von auswärts kommt, gute Miene zum fleischigen Spiel macht. Vorhandene Verstimmungen können umgekehrt durchaus verstärkt werden, wenn in Schleswig Holstein, der Heimat der Braut, an sich ein Sektempfang mit Häppchen geplant war, der Bräutigam aber seine Freunde bat, aus Franken mitgebrachte „Brodwöschd“ auf den ebenfalls mitgebrachten Grill zu legen. Nicht nur weht dann ein nicht autochthoner Duft durch den alten Lindenbestand des von einem Linnéschüler angelegten Parks, die Meute ruft dann auch noch – horribile est dictu – nach Bier, weil Sekt zur Bratwurst nicht schmeckt.

Bis zum Ball am Abend (white tie) sind so manche Verärgerungen verflogen, es sei denn man muss die unerträgliche Tante Berta zu Tisch führen. Danach beginnt die Gesellschaft zu tanzen. Der weise Brautvater hat natürlich dafür gesorgt dass für die bereits erwähnten alten Damen an strategischem Ort bequeme Sitzgelegenheiten bereitgehalten werden, denn nun verwandeln sich die ungeliebten aber unvermeidbaren Ladies in das, was sie am besten können: Sie bilden den Drachenfels. Alle nehmen für sich in Anspruch, über einen untrüglichen Züchterblick zu verfügen. „Ex catedra“ wird somit entschieden, ob es für die Braut bereits höchste Zeit war.

„Und die Helene hat sich ja wieder so unvorteilhaft angezogen, kein Wunder, dass sie keinen Mann findet, das arme Kind.“ Nebenbei, das arme Kind ist in den Vierzigern und lehrt politische Wissenschaften an der Uni in Heidelberg, wo man sich erzählt, um ihr Liebesleben müsse man sich keine Sorgen machen.

Und das Brautpaar? Naja, das verschwindet irgendwann einmal in Richtung Flitterwochen, was niemand so richtig bemerkt, denn eigentlich sind sie bei dieser Manifestation der Eitelkeiten lediglich Mittel zum Zweck.

Blubb Blubb Blubb

Der Arbeitstag begann damit, dass aus der Werkstatt eine Lötlampe geholt wurde. Mit ihr erhitzte man vorn einen Glühkopf. Dann schraubte der Traktorfahrer das Lenkrad ab und befestigte es seitlich am Schwungrad. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Lötlampe ihre Arbeit verrichtet hatte, drehte er mehrmals kräftig am Lenkrad und dann machte es zum ersten Mal Blubb. Gleichzeitig stieg eine kleine schwarze Rauchwolke aus dem senkrechten Auspuffrohr, das wir Schlot nannten.

Nach dem ersten ersterbenden Blubb drehte der Traktorfahrer weiter kräftig über das Lenk- am Schwungrad und irgendwann bequemte sich der Motor mehrere aufeinanderfolgende Blubbs zu produzieren, wobei jeder von einer einzelnen schwarzen Wolke begleitet wurde.

Das Lenkrad kam wieder an seinen eigentlichen Platz. Der Motor lief nun den ganzen Tag, egal ob gepflügt wurde, Heuwagen zu transportieren waren, die Zuckerrüben an die Bahn gebracht werden mussten oder ob Mittagspause war.

Die meisten werden es erraten haben, wir sprechen hier vom Lanz Bulldog. Das war ein zunächst graues, später blau lackiertes Ungetüm, in erster Linie für den landwirtschaftlichen Gebrauch. Aber auch Zirkusunternehmer nutzten ihn, um damit ihre unzähligen Wagen,mit den Tieren, das Zelt und die Akrobaten durchs Land ziehen zu können. Der Zirkus-Lanz hatte ein festes Dach und – für einen Traktor ungewöhnlich – normale Straßenreifen.

Der Lanz Bulldog hatte nur einen Zylinder und deshalb produzierte er nicht ein dröhnendes Motorengeräusch, vielmehr war, natürlich besonders im Leerlauf oder wenn schwere Last zu ziehen war, jede Auf und Ab Bewegung des Kolbens einzeln zu hören.

Ein Bulldog war das Synonym für Traktor, egal, ob er von Hanomag, Schlüter, Porsche, Magirus-Deutz, MAN, Fahr, McCormick, Fendt, Kramer oder Güldner stammte. Der Lanz aber war natürlich die Mercedes Klasse.

Mähdrescher gab es damals noch nicht und wenn die Getreidegarben auf hochbeladenen Anhängern von einem Bulldog auf den Hof gezogen wurden, dann stand dort der andere und trieb mit einem Treibriemen über das Schwungrad die Dreschmaschine an. Die stammte auch von der Firma Lanz und bestand zum größten Teil aus rosa eingelassenem Holz: Verkleidung, Schüttelroste und die Ballenpresse waren daraus gemacht, nur das Gestänge war aus Metall gefertigt.

Gedroschen wurde in der Scheune. Es konnte ja jederzeit zu regnen beginnen. Während heute der Mähdrescher eine Staubwolke hinter sich lässt, standen die Frauen und Männer, die an der Dreschmaschine arbeiteten und das Getreide in Säcke füllten den ganzen Tag über im dichten Staub, der mit viel Bier, an besonders heißen Tagen mit noch mehr Limo weggespült wurde.

Die Firma Lanz war eine Institution, ohne sie war Landwirtschaft gar nicht denkbar. Als die Firma plötzlich von John Deere aufgekauft wurde, hielt ich das für ein Sakrileg, meine Liebe und Verehrung zu diesen wunderbaren Krachmachern wurde zu einem ersten Opfer der Globalisierung.

Später kamen dann Mähdrescher auf den Hof, zunächst kaufte man die selbst, Lohndrusch ist eine spätere Erfindung.

Ich erinnere mich an meinen Großvater in Thüngen, der ein leidenschaftlicher Landwirt war und der seine Not hatte, seine fünf Töchter unter den Hut zu bringen. Beim „Käffchen“ nach dem Mittagessen sinnierte er über mehrere Prätendenten nach und war besonders von einem sehr angetan. Mein Vater, zufällig zu Besuch, hielt dagegen, das sei ein widerlicher Kerl, unzuverlässig, Weiberheld und Säufer. Das sah der Großvater durchaus ein, ließ sich aber nicht von seiner Meinung abbringen.

„Er hat aber drei Mähdrescher“ argumentierte er, das hob alles andere auf.