Die Straftat ist verjährt, man kann die Geschichte erzählen.
In Rentweinsdorf gibt es vier hintereinanderliegende Seen, die in einer Aufwallung von Phantasie erster, zweiter, dritter und vierter See genannt wurden.
Sie werden alle von einem kleinen Bach gespeist und dienen der Aufzucht von Karpfen und Schleien, außer im vierten See. Dort gibt es Forellen, weil der Bach direkt aus dem Wald in den See mündet, das Wasser am kältesten ist, dennoch aber nie ganz zufriert.
Man kann sich vorstellen, dass im vierten See die prachtvollsten Forellen gediehen. Wer hinten am Wald in der Dämmerung seine Angel auswarf, der konnte stets sicher sein, ein hinreichendes Abendessen mit nach Hause bringen zu können.
Der See verwaltete sich allein, die Forellen laichten und überlebten im Winter im Durchfluss des kleinen Baches, man musste nur darauf achten, nicht zu viele Forellen dem Kochtopf zuzuführen.
Und dann kam das Jahr 1956. Nach Einsetzen der Eisschmelze konnte man zwar feststellen, dass auch in diesem Winter die restlichen Forellen überlebt hatten, aber je weiter das Jahr fortschritt desto weniger Forellen wurden gesehen, geschweige denn geangelt.
Herr Elflein, der Förster, in solchen Sachen erfahren, riet zur Geduld. „Des werd scho“, meinte er geheimnisvoll und alle fragten sich, was da noch werden solle, wenn keine Fische im Wasser zu finden waren.
Unserem Vater sagte er, er glaube, dass im Gefieder herumfliegender Wildenten der Laich eines Hechtes in den See gekommen sei, der dort prächtig gedeihe, zumal er dort ganz allein die wunderbaren Forellen jage.
Herr Elflein meinte, wenn alles aufgefressen sei und der Hecht nun wirklich unstillbaren Hunger habe, erst dann werde sich das Tier bequemen, den Köder an der Angel einer näheren Überprüfung zu unterziehen.
Und so war es auch. An einem sonnigen Abend im September setze sich der Förster an den vierten See und lockte das hungrige Tier ganz geduldig, in dem er immer wieder den Blinker in die Mitte des Sees auswarf. Nach einigen Versuchen machte es einen Ruck, der den Angler fast umgeworfen hätte.
Die Flossen des Fisches an der Angel peitschten das stille Wasser des Sees und Herr Elflein musste seine ganze Kraft einsetzen, um die Beute ans Ufer zu bringen. Er kämpfte eine Stunde, dann gab er auf. Er wickelte seine Angel um einen nahestehenden Baum und ging nach Hause.
Das war natürlich ein flagranter Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, allerdings hatten weder die Polizei noch der Tierschutzbund am vierten See einen ständigen Posten.
An nachfolgenden Morgen erschien der Angler wieder am Ort der Tat, wickelte die Angel vom Baum und holte den vollkommen ermatteten Hecht aus dem Wasser.
Er war riesig. Er landete bei uns in der Badewanne, in der wir Kinder abends den Dreck an uns einweichten, um ihn dann ins Handtuch zu rubbeln.
Der tote Fisch war so lang wie die Wanne. Unsere Mutter zeigte uns die fürchterlichen Zähne ausgiebig, so dass wir wirklich schlotternde Angst vor dem toten Vieh hatten.
Unterdessen bat unser Vater per Telefon Freunde und Verwandte „von den Hecken und Zäunen“ für den Abend ins Haus, denn der Hecht musste dringend aufgegessen werden.
Wie Frau Schorn, die Köchin, ihn zubereitet hat, weiß ich nicht, erinnere mich aber an das Stimmengewirr der vielen Gäste. Ans Einschlafen war nicht zu denken.
Ich hatte fortan Angst. Ich fürchtete, der Hecht könne durch den Auslauf der Wanne wieder auferstehen, oder schlimmer noch, im Klo lauern, um dann zuzubeißen, wenn ich dort der Stimme der Natur folgte. Es war schrecklich.
Moral und sittliche Nutzanweisung: Einen gefangenen Hecht nie im Kinderbad zwischenlagern.