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Konfirmation

Die Konfirmation war früher in erster Linie ein Fest, zu dem er junge Christ von Leuten, die er nur wenig kannte, Geschenke bekam. All das andere, das Geistliche, ging in diesem Regen von Gaben unter, obwohl das Meiste, was sich auf dem Gabentisch türmte, Mist war.

Ich bekam natürlich das absolute Muss für diese Gelegenheit, die betenden Hände von Albrecht Dürer, aber gleich mehrmals, bitteschön. Zweimal in Bronzeguss, einmal als Druck und einmal aus Porzellan. Hinzu kamen Sammeltassen, Steingutplatten, Humpen und gerahmte Bildchen mit fromm gemeinten Sprüchen: „Immer wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Darunter, erraten, die betenden Hände in Golddruck.

Was macht man mit dem ganzen Quatsch? Glücklicherweise hatten wir Luftgewehre und so diente all das als Zielscheibe. Für die härteren Sachen luden wir unsere Vettern aus Thüngen ein, die hatten Kleinkaliber, das reichte dann auch für die Hände in Bronze.

Wegschmeißen ging natürlich überhaupt nicht, denn es bestand die Gefahr, dass der Schenker dessen gewahr würde.

Meine Mutter hatte eine wunderbare Methode gefunden, Steingutplatten, die am Außenrand mit bunten Punkten verziert waren, die dann zur Mitte hin zusammenliefen, möglichst vor Zeugen fallen zu lassen, um dann über den Verlust des schönen Stücks lauthals zu klagen.

Damals waren Hochfrisuren der letzte Schrei. Man mutmaßte, dass die gewagtesten Kreationen dadurch entstanden, dass ein bis zwei altbackene Semmeln als innere Stütze halfen. Bei der Generalprobe am Samstag verbat sich der Pfarrer zum wiederholten Male jede Art von Hochfrisuren: „Meine Aufgabe ist es, euch zu segnen, nicht sie Semmeln.“

Das Babeddla ist dann doch mit Hochfrisur gekommen. Ein paar Jahre später gebar sie ein uneheliches Kind. „A Wunner!!“ Mehr Kommentar dazu gab es nicht.

Ich musste angesichts der Fülle von Geschenken Listen führen, damit klar war, wer was vorbeigebracht hatte. Es war natürlich Pflicht, sich bei all denen, die etwas geschenkt hatten, persönlich zu bedanken. Für mich war das kein Problem, denn ich kannte in Rentweinsdorf jede Ecke und wusste genau, wer wo wohnte.

Wenige Jahre zuvor, als meine Schwester konfirmiert worden war, bat sie mich, sie bei dem „Bedankemichs-Rundgang“ zu begleiten, wahrscheinlich war mangelnde Ortskenntnis eher nicht der Grund ihrer Bitte. Sie war damals mitten in der Pubertät, genierte sich, fühlte sich in ihrer Haut nicht wohl und überhaupt.

Wir liefen also durchs Dorf und bekamen fast überall von der Konfirmation übrig gebliebene Kniekrapfen geschenkt. Die mussten natürlich vor Ort gegessen werden, alles andere wäre unhöflich gewesen. Meine Schwester, die wir sowieso schon immer wegen ihres Fohlenspecks hänselten, litt Höllenqualen, während ich, damals noch ein spirreliger Bub, die Kniekrapfen mit Genuss verschlang.

Wir näherten uns nach mehreren Stunden der Kappelleite, wo das Original des Dorfes, die Schmidt’s Kaline wohnte. Wir haben erst kürzlich von ihr gehört.

Sie hörte sich das Dankesgestammel meiner Schwester an, dann musterte sie sie von oben bis unten und fällte ihr Urteil das den Rest jedes Selbstvertrauens in der frisch Konfirmierten zerstörte:

„Du bis ka Rodnhon, du bist a Dhüngen“ Die Rodnhon, des warn schönna Leud!“

Der Wasser Adel

Adam Schmidt fuhr einen blauen Hanomag Laster, auf dessen Bordwänden in altdeutscher Schrift zu lesen war: Rotenhan Bräu, Rentweinsdorf.

Er fuhr sehr langsam, nahm jede alte Frau mit, die vom Bahnhof heimschlurfte, fragte jeden Wandersmann, ob er mitfahren wolle. Jeder kannte ihn, er kannte jeden und war wohl der bestinformierte Mann des ehemaligen Landkreises Ebern.

Er hieß der „Wasser Ådel“, weil alle Adams in Franken Ådel genannt werden, ein fast dänisches Å. Warum Wasser? Für den Franken ist alles, was nicht Bier oder Wein ist, Wasser. Und weil der Wasser Ådel eben auch Limo von Haus zu Haus verkaufte, war er eben der Wasser Ådel.

Seine Frau Karolina, die Schmidt’s Kalina, war wie er selbst ein Original. Sie kehrte den Planplatz zwischen Kirche und Schloss und was ihr Mann aus dem Landkreis mit heimbrachte, vervollständigte sie durch ihr profundes Wissen über das Hin und Her im Dorf.

Sie hatten zwei Söhne. Der ältere hatte, solange ich mich erinnern kann, eine beeindruckende Wampe. Er liebte das Bier und den roten Eingelegten, da bleibt die Wampe nicht aus. „Wenn mer ner hindn aa nuch aaner rauswachsed“ kommentierte er seine Leibesfülle.

In jungen und wohl noch ansehnlicheren Jahren heiratete er eine Katholikin. Das war schon seltsam genug, denn darüber hinaus war sie auch noch die Tochter von Flüchtlingen. Sie sprach kein fränkisch und das ganze Dorf fragte sich bang, wie die beiden sich wohl unterhielten, die non verbale Kommunikation war damals noch nicht erfunden worden.

Die alten und die jungen Schmidts wohnten sehr beengt in einem kleinen Haus im Oberdorf, und da die Kalina a Guschn wie a Schwerd hatte, und der Ådel auch nicht auf’s Maul gefallen war, trugen sie ihre durchaus verbale Kommunikation lautstark aus. Mitten im Streit hielt die Kalina inne, deutete auf die Wand zum Nachbarzimmer und meinte: „Ned so laud, die es doch ned gawohnd“. Worauf der Ådel antwortete: „Die werd‘s gawohnd“, und der Streit ging munter weiter.

Der zweite Sohn war sehr groß und heißt daher bis heute im Dorf nur „der Zwaasdöggerd“.

In dem kleinen Haus wohnte auch noch der Kunz’n Jörch, irgendwie verwandt mit den Schmidts. Er konnte die Bibel auswendig und die Psalmen rückwärts. Zum Ausgleich wusch er sich nicht. Als er sich eines Tages den Oberschenkelhals brach und in Ebern ins Krankenhaus eingeliefert wurde, steckten ihn die Nonnen in die Badewanne. Am nächsten Tag war er tot. Immer wenn wir uns nicht waschen wollten, wurde der Kunz’n Jörch bemüht, um uns die Folgen mangelnder Reinlichkeit vor Augen zu führen.

Die Kalina wollte von mir schon al kleinem Buben immer wissen, wen ich denn mal heiraten würde. Meine stete Antwort: „Iich heier amol ned!“ Und sie ebenso stet: „Södda Vöchl ham schon merra gapfüffn.“ Sie sollte Recht behalten.

Eines Tages wurde im Dorf ein Fest gefeiert. Zu fortgeschrittener Stunde sprach der Schmidts Ådel meinen Vater an. Seine Kalina hatte er am Arm: „Herr Baron, ham denn Sie den Abschussblan scho gamachd?“

Mein Vater antwortete, der Abschussplan sei nicht nur fertig, er sei auch schon bei der unteren Jagdbehörde in Ebern abgegeben worden. Darauf der Ådel:

„Schood derfür, sunsd hädd ich Sie nämlich gabähdn, äss Sie mei Alda aa mid draufsetzn.“

Bamberg

Als Kind war Bamberg für mich die Stadt aller Städte, ja eigentlich die einzige Stadt, ich kannte nämlich keine andere. Es war die Nachkriegszeit. Damals war es für mich gar keine „Zeit“ es war halt so. Normal war der Mann vor dem Schuhhaus Zeller am Grünen Markt. Er hatte keine Beine mehr und stand auf seinen Stümpfen in einer Art unten zugenähter Lederhose. Er verkaufte Schnürsenkel und Schuhcreme. Er war genauso groß wie ich.

Dass der Krieg noch nicht lange her war, merkte man auch an der Vorzugsbehandlung, die mein Vater genoss, denn fast alle Bamberger Stadtpolizisten waren Feldwebel in seinem Regiment gewesen. Ich sehe noch, wie sein kleiner VW an erheblich ansehnlicheren Autos vorbei auf den Parkplatz gelotst wurde. Beim Einfahren salutierte der Polizist.

Als meine Mutter einmal reumütig auf der Wache erschien, um einen Strafzettel zu bezahlen, kam sofort ein übergewichtiger Polizist aus dem Hinterzimmer und stauchte den jungen Kollegen am Tresen zusammen: “Die Fraa vo unnern Riddmastä bezohld in Bamberch kanna Strafzeddl.“

Ein Paradies war natürlich das Geschäft von Spielwaren Albrecht in der Austraße. Wir drückten unsere Nasen am Schaufenster platt und bewunderten Steiftiere, Leiterwagen und Modellautos. Gegenüber im Gasthaus zum Specht wurde immer zu Mittag gegessen, weil dort Rotenhan Bräu ausgeschenkt wurde.

Nach dem Mittagessen war ein Besuch bei Onkel Anton an der Reihe. Der wohnt noch heute im Dom droben auf dem Berg. Er war von 1434 bis 1459 Bischof in Bamberg. Sein Epitaph befindet sich am dritten östlichen Pfeiler. Dort hat sich der Arme immer so schrecklich gelangweilt und war froh, wenn wir Kinder ihn am Fuß kitzelten.

Später kamen wir am Schlengerla vorbei. Dort lag einmal ein Mann auf der Straße, umringt von keifenden Weibern: „A Zamgsuffnä, a Sünd un a Schand, wie mer so viel saufn ka, der wenn hamkummd, wenn des meiner wär!“ So ging das einige Zeit hin und her. Mein Vater stand daneben und in eine Keifpause hinein sagte er: „Wenn man euch Weibern so zuhört, bleibt einen ja nur noch der Suff.“ Wir fanden Zuflucht beim Juwelier Triebel an der unteren Brücke, sonst wären wir alle miteinander gelyncht worden.

Regelmäßig musste auch „der Gürtlerschen“ ein Besuch abgestattet werden. Sie führte einen Antiquitätenhandel, eigentlich aber war es ein besserer Trödelmarkt. Bei zweifelhafter Ware meinte sie immer „De is ned andigg, des is höxdens andünn.“ Sie wollte immer rausbekommen, wer unser Vater war. Einmal fragte sie unsere Mutter. „Na, wer glauben Sie denn, dass er ist?“ fragte sie zurück: „Endwedä a Baron oder a jüdischer Rechdsanwald.“

Oft mussten wir zum Schönleinsplatz, dort befand sich Puppenklinik, wo die malträtierten Gefährten meiner Schwester geheilt wurden. Danach ging’s zum Flurbereinigungsamt gleich daneben. Dort gab es einen Aufzug, man stelle sich das vor!

Während Vater Dinge erledigte, fuhren wir unermüdlich Aufzug und waren bald „amtsbekannt“: „Än Rodnhan sei Bagasch is widä do.“

Wenn wir ganz brav waren, gab es in der Konditorei Riffelmacher an der Oberen Brücke heiße Schokolade mit Schlagsahne. Das Gefühl der kühlen Sahne auf der Oberlippe, und dann die kochend heiße Schokolade, ich träume noch heute davon.

Das Auto parkte damals auf dem Maximiliansplatz, die Tiefgarage wurde erst viel später gebaut. Aber den Häddie, den gab es schon – ein Blick in die große weite Welt. „Bei’n Häddie“ gab es alles, was unsere Phantasie ersehnte und natürlich noch viel mehr. Dorthin gingen wir mit unserer Mutter. Mit dem Vater gingen wir immer zu Waffen Schmidt, bevor wir ins Auto stiegen. Dort wurden Patronen für die Gewehre gekauft und dort bekam ich auch mein erstes Taschenmesser. An der Wand hing ein Zettel: „Von innen beschmutzte Lederhosen können zur Reparatur nicht angenommen werden!“

Mid die Schrödn auf’n Hos’nbod’n

Die Jagd spielt in Franken eine riesige Rolle. Im Winter sind ganze Dörfer wie ausgestorben, weil die einen als Schützen, die andren als Treiber mit „naus die Jachd“ gehen. Zurück bleiben Vorschulkinder, stillende Mütter und Bettlägerige. Wer nicht zum Treiben oder zum Schießen gebraucht wird, dem fällt die wichtige Aufgabe zu, Bratwörschd, Lindensuppe und Bier für die Mittagspause vorzubereiten.

Für eine anständige Jagd muss es bitter kalt sein, dann kommt das Wild nicht so leicht aus der Dickung und entsprechend langsamer kommt es dem Schützen vor die Flinte oder Büchse.

„Büchse? Damit schießt man doch Rehe?“

„Ja.“

„Aber Drückjagden sind doch verboten!“

„Ja und?“

„Unn ausser diesen“, sechd der Bedä, „wenn a Sau kummt, mußt a Büchsn dabei ham.“

Die Kälte dient in erster Linie als Begründung für den doch erheblichen Schnapskonsum vor, während und nach jedem Trieb.

Während die Schützen auf der einen Seite des Waldes zu Fuß Stellung bezogen, wurden die Treiber auf Wagen, die ein Traktor zog und auf denen Strohballen als Sitzbänke dienten, auf die andere Seite gezogen. Es war schneidend kalt, zwangsläufig gingen Schnapsflaschen und Thermokannen umher. Mit auf dem Wagen saß auch Frantek, ein aus dem Krieg übrig gebliebener polnischer Zwangsarbeiter. Einer der Mittreiber fragte den Unverheirateten:

„Frandegg, wie mecht mer a gscheids Kind?“

Frantek verdrehte die Augen, blieb jedoch die Antwort schuldig, die sofort nachgeliefert wurde:
„Nüchdern und mid viel Liebe, mechd mer des! Unn, Frandegg, wie mecht ma a dumms Kind?“ Wieder keine Antwort und darauf:

„Freech a mol dein Vaddä!“ Grohlendes Gelächter.

Frantek hatte einen hellblauen Opel Kadett mit dem fuhr er jeden Samstag ins Puff nach Würzburg. Insgeheim wurde er von den Männern des Dorfes beneidet, weil er diese Ausflüge ohne jegliche Heimlichtuerei unternahm. „Brauch ich Auto für irgendwas, oder?“

Besonders am Nachmittag ging es bei den Jagden zunehmend lockerer zu: Schnaps, Bratwürschd, Bier und „nuch a Schnäbsla“ machten träge und man nahm es nicht mehr so genau mit den Vorschriften, besonders bei den Hasenjagden, wo man mit feinem Schrot die Beute erlegte.

Und es begab sich, dass ein Schütze dem Schorsch versehentlich eine Ladung Schrot auf dem Hosenboden dessen Lederhose entlud. Das war nicht gefährlich, geschmerzt hat es aber doch.

Und so brach der Schorsch das Treiben ab, drehte um und stürzte Rache suchend auf den Mordsschützen zu. Der blieb ganz ruhig stehen und schaute dem Wütenden in die Augen.

Als dessen heißer Atem schon zu spüren war, hob der Schütze die Hand und sagte:

„Schorschla, du wennst kann Spaß verstehsd, bleist daham!“

Schirm und Mund halten

Die männlichen Glieder der Familie Rotenhan haben sich militärisch fast nie hervorgetan. Schön brav zu Hause blieben sie im Dreißigjährigen Krieg, wurden aber in dessen Folge, sehr zu meinem Ärger, evangelisch. Das war politisch opportun, sonst aber nichts.

Auch in den napoleonischen Kriegen tat sich niemand militärisch hervor, man trauerte der verlorenen Reichsunmittelbarkeit und dem verlorenen „Souveränitätl“ nach. Offenbar war das Beschäftigung genug.

Die Bedeutungslosigkeit der Familie Rotenhan ist geradezu legendär. Mein Vater redete sich die Sache schön, als er behauptete, nur bedeutungslose Familien schafften es, 800 Jahre alt zu werden. Damit hatte er insofern Recht, als im Lauf der Geschichte, niemand je auf die Idee gekommen ist, auf die Rotenhans neidisch zu sein und ihnen am Zeug flicken zu wollen.

Doch dann kam das 19. Jahrhundert!

Die großen Konflikte waren ausgeräumt, Europa in eine neue Form gegossen. Wie wir heute mit unserer Nachkriegsregelung dachten die Menschen, der Wiener Kongress habe zwar nicht alles gut geregelt, dafür aber dauerhaft.

Dauerhaftigkeit ist der Feind der Evolution, und nach dem 20. Januar werden wir Gelegenheit haben, dies hautnah miterleben zu dürfen.

Aber bleiben wir im vermeintlich friedlichen 19. Jahrhundert. Da war nach Napoleon zunächst so wenig los, dass sich sogar Rotenhans aus der Dickung wagten. Man wurde Politiker, Staatsbeamter und auch eben Soldat. Plötzlich wimmelte es nur so von Hauptmännern, Oberstleutnants, ja Obristen. Bei festen und Familientreffen sah man Orden, und Lametta, denn einige der Töchter hatten sogar Generäle geheiratet. Man war stolz auf die bedeutenden Schwiegersöhne. Es bohrte aber ein Stachel im Fleische der Familie: Wo blieb der General Rotenhan?

In der Not frisst der Teufel Fliegen, und als Onkel Ludwig am Ende doch noch General wurde, zwar nur der Infanterie und zu allem Elend auch noch im bayerischen Heer, atmete man auf und sah sich endlich aufgenommen in den Kreis der Familien, die das Geschick der Welt auf dem Felde der Ehre formen.

Der Bundeskanzler Erhard hat einmal zum Entsetzen der Presse gesagt „Wir sind wieder wer!“. Damals sagten Rotenhans: „Wir sind wer!“

Die Beförderung zum Generalmayor geschah im Jahre 1905. Schon ein Jahr später reichte Onkel Ludwig seinen Abschied ein. Offenbar hatte es sich bei der Generalswerdung um den sogenannten „goldenen Händedruck“ gehandelt.

Einer der Schwiegersöhne, Wilhelm Freiherr von Egloffstein, war preußischer General, auch nur der Infanterie, dennoch er galt etwas in der Familie. Bis zu dem Tag, als man in Rentweinsdorf eine „Sommerpartie“ vorhatte. Mehrere Leiterwagen mit je zwei Pferden fuhren auf den Schlosshof und Tante Else, die Generalin, organisierte die Verladung von Proviant und Personen. Geschrei und Durcheinander wurden von der durchsetzigen Dame im Zaum gehalten, als etwas Außergewöhnliches geschah: Jemand wagte es, sich einzumischen. Onkel Wilhelm, der Gemahl und General schlug vor, die Kisten mit dem Kirschsaft in den gedeckten Wagen zu laden, wegen der Sonne und so.

Da drehte sich Tante Else zu ihm um, drückte ihm etwas Längliches in die Hand und verwies ihn mit knappen Worten auf den ihm gebührenden Platz:

Du hältst den Schirm und den Mund!

Weinkenner

Mein Großvater in Thüngen war ein bedeutender und engagierter Landwirt, aber vom Wald verstand er nichts. Zwei seiner Schwiegersöhne waren ausgewiesene Forstleute, aber entweder traute er ihnen nicht oder wollte sich vor ihnen keine Blöße geben, jedenfalls ließ er sich von ihnen nicht beraten. Das übernahm für ein wahrscheinlich beachtliches Honorar der befreundete Philipp Stauffenberg. Der kam einmal im Jahr und langweilte meinen Großvater über den Tag hin, denn für ihn war Wald ausschließlich deshalb interessant, weil dort das Wild lebte, dem er als leidenschaftlicher Jäger auflauerte.

Festmeter, Überhälter, Sturmschäden, Borkenkäfer, Holzpreise und Wachstum hatten die beiden hinter sich gebracht, als es dann abends ein „gutes Abendessen“ gab. Keine Brotzeit, sondern ein richtiges Diner. Es wurde bei solchen Gelegenheiten im Schloss in Thüngen enorm aufgetischt, ich erinnere mich an Exoten wie Wachteleier im Salat! Die miese Laune, die mein Großvater den ganzen Tag vor sich hergeschoben hatte, hellte sich auf, denn endlich, endlich konnte er mit Philipp über die Jagd sprechen.

Seltsamer Weise gab es in Thüngen damals nie Frankenwein. Es musste immer ein von der DLG ausgezeichneter Tropfen sein, der Großvater hatte den Posten des Vize-Präsidenten inne. Das Weingut Reichsrat von Buhl in Deidesheim war damals dran, und mein Vetter Schorsch und ich, die wir als Halbstarke beim Diner anwesend sein durften, überlegten uns, wie wir uns eine der Flaschen unter den Nagel reißen könnten.

Die beiden Herren diskutierten gerade, wo man auf der Jagd in Tambach stehen müsse, um am meisten Enten schießen zu können, als Schorsch einen genialen Einfall hatte: In eine kurze Gesprächspause, eher einem Atemholen der beiden Herren, sagte er halblaut aber doch hörbar: „Hans, der Wein hat was.“

Natürlich war der Wein vorher geprüft worden, ob er nach Korken schmeckte, möpselte oder sonst was tat und er war vom Großvater gutgeheißen worden. Nun aber brach Panik aus. „Der Wein hat was“, das ist das Todesurteil für jeden Weinkenner, weil dadurch offenbar wird, dass es mit seiner Kennerschaft nicht so furchtbar weit her sein kann, er hatte den Fehler ja nicht bemerkt.

„Philipp, hat der Wein was?“ Und Philipp Stauffenberg nahm einen vorsichtigen Schluck, rollte den Wein im Mund von links nach rechts, saugte Luft darüber und sann dem Geschmack eine Weile nach. Dann gab er sein Urteil ab: „Ganz am Schwänzle könnt er was haben.“

Sofort wurde der Wein abserviert, die Gläser ausgetauscht und ein gänzlich anderer Wein aus dem gleichen Weingut wurde serviert. Diesmal prüften Philipp und der Großvater den Wein gemeinsam, der natürlich ebenso in Ordnung war, wie der zuvor. Wir aber hatten unser Ziel erreicht: Die angebrochene Flasche und die beiden in Reserve stehenden, wanderten mit uns in die Bastelbude, wo wir uns ganz gehörig einen angesoffen haben.

Der Brummschädel am anderen Morgen konnte das Gefühl des Triumphes nicht überdecken.

Pfarrer – ein Traumberuf

Der Erste der Scholle, der Zweite dem Kaiser, der Dritte der Kirche. Mein Urgroßvater hatte es noch so mit seinen Söhnen gehalten und mein Vater hätte an dem Gedanken auch Gefallen gefunden, wäre sein zweiter Sohn nicht durch Knickebeinigkeit und Scheeläugigkeit gepaart mit Hühnerbrust aufgefallen. Er übersprang geistig den Kaiser und so ward ich für die evangelisch – lutherische Landeskirche in Bayern bestimmt. Die Sache hatte allerdings den Haken, dass ich nicht wollte.

Da fügte es Gott und berief Tante Kaula zu sich. Sie hieß eigentliche Tante Carola, hatte einen Buckel und machte uns Kinder „fürchenich“. Tante Kaulas Erbe war wider alle Erwartung mein Vater und so stellte er zu seiner großen Verwunderung fest, dass er unter anderem in den Besitz einer umfangreichen Steinsammlung gekommen war.

Beim Mittagessen verkündete er nun, ich bekäme von ihm die Steinsammlung, wenn ich Pfarrer würde. Ich wollte mir die Sache vorher genau ansehen und erfuhr, die Steinsammlung lagere im Oberen Saal in einer Holzkiste. Das hätte mich schon stutzig machen müssen, denn wer bewahrt seine Diamanten schon in einer Holzkiste auf? Und siehe da, ich hob der Deckel der ziemlich großen Kiste und darin befand sich eine Sammlung geologisch sicherlich interessanter Brocken, vom Glimmerschiefer über Basalt bis hin zu einigen Kalksteinen mit Einschlüssen von Krähenfüßen oder so was.

Ich war enttäuscht, nein, ich war erbost. Mir was klar, dass Pfarrer zu sein etwas Erhabenes ist, schließlich hat niemand einen direkteren Draht zum lieben Gott als Hochwürden der evangelisch – lutherischen Landeskirche in Bayern. Das Lockmittel Glimmerschiefer war klar unpassend, ja grenzte an Blasphemie. Beim Abendessen schimpfte ich wie ein Rohrspatz und mein Vater sah ein, dass er die Sache überdehnt hatte. Man sprach nicht mehr darüber.

Jahre später, ich war bereits im Gymnasium und bemerkte, dass meine Karriere dort nicht wirklich erfolgreich verlaufen würde, da verkündete mein Vater, wer nie sitzenbliebe, bekäme zum Abitur einen neuen Volkswagen. Ich fiel ins Grübeln, denn dass ich den VW nicht bekommen würde war klar. Da fielen mir Tante Kaulas Steine wieder ein und ich machte meinem Vater den Vorschlag, dass ich auch dann einen Volkswagen bekäme, wenn ich Pfarrer würde. Er schlug ein.

Im Dorf verbreitete sich die Nachricht wie der Blitz: „Der Schloss-Hans wird fei Pfarrer.“ Zunächst wurde ich nun zu jeder Beerdigung von Kanarienvögeln, Wellensittichen und Hamstern eingeladen, um den Beisetzungen einen würdigen Rahmen zu verleihen. Die Erwachsenen im Dorf aber hatten ihren Spott mit mir: „Hans, du wirst amol a Lüchnsoocher vo die Kanzl ro!“ oder:“Denna Pfaffn stenn die Händ zwamol wegwärdsich vo de Ärwed, und so a Faulbälz willst du wern?

Ich war erschüttert, zumal ich davon ausging, dass die Erwachsenen die oben geschilderte Erhabenheit des Berufs des Pfarrers mit mir teilten. Immerhin sah ich all diese Lästerer allsonntäglich in der Kirche. Was wollten sie dort, wenn sie das, was der Herr Pfarrer predigte, für Lügen hielten?

Dann fragte mich die sächsische Köchin meiner Großmutter, was der Unterschied zwischen einem Bäcker und einem Pfarrer sei? Auflösung: Der Bäcker backt „Brädchen“ und der Pfarrer „dud brädchen“.

Darüber konnte ich mich schon nicht mehr ärgern, denn die Pubertät begann mit all ihren akustischen und geruchlichen Beschwernissen für meine Umwelt. Für mich hatte die Pubertät den ganz großen Vorteil, dass mir erstmals in meinem Leben alles vollkommen wurscht war. Als ich aus diesem wunderbaren Zustand erwachte, war ich sitzen geblieben und dennoch weiterhin Klassenschlechtester und die Idee, Pferrer zu werden, hatte sich verflüchtigt.

Den (gebrauchten) VW hab ich mir dann beim Kufi in Ebern am Fließband verdient.

Bierausfahrer

Wir wollten mit dem VW Bus die Sahara durchqueren und dazu braucht man ja etwas Geld. Ich arbeitete dafür in der Schloßbrauerei Thüngen, wo man mich zunächst für ein U-Boot meines Großvaters hielt. Man beschloss das Barons-Bürschla auf die Probe zu stellen und ließ mich drei Tage lang härteste und unangenehmste Arbeiten verrichten. Offenbar habe ich das Verfahren erfolgreich durchlaufen, denn vom vierten Tag an war ich Beifahrer im Bierauto. Ich habe die Namen der verschiedenen Chauffeure vergessen. Der erste, man vertraute ihm nur noch kurze Strecken an, ernährte sich ausschließlich vom Bier. Er war spindeldürr und hatte einen Blähbauch. Er erzählte viel von vergangenen Zeiten, auch davon, wie der Sekt aus dem Juliusspital in den Kellern der Brauerei ausgelagert worden war.  „Wie die Ami nacher kumma senn, ham sa den ganzn Sekt auf den Misthaufn gschütt. Wie des Zeuch, wo do aus’n Überlauf rauskumma is, nimmer so arch gschdungn hat, ham mers gsuffn.“ Nicht nur angenehm waren die Kontakte mit den Wirten. Der in Halsheim hielt uns längere Zeit fest, nur um mir zu berichten, was der Bruder vom Baron doch für ein fabelhafter Nazi gewesen sei.

Mit einem anderen Bierkutscher befuhr ich die die Vordere Rhön. Ortsnamen, die ich nur dem vom Hörensagen kannte, füllten sich mit Inhalt. In Langenporzelten durften nur 20 Liter Fässer geliefert werden, weil die Wirtin zu alt war, größere zu bewegen. In Wartmannsrot durfte nur geliefert werden, wenn der Wirt vor dem Abladen zahlte In Rieneck und Zeitlofs gab’s die besten Brotzeiten. Irgendwann fiel mir auf, dass wir durchaus nicht den kürzesten Weg von Abladeplatz zu Abladeplatz nahmen. Ich wurde belehrt, als Bierfahrer müsse man strategisch vorgehen. Wo man eine Brotzeit bekommt, muss man gegen 10 Uhr abladen. In Burgsinn gab es umsonst eine Bratwurst mit Sauerkraut, also 12 Uhr. Dann weiter nach Mittelsinn und Obersinn. Dort mussten die Bierkästen in den Keller geschafft werden. Problem dabei: Der Stallhasensaft rann die Kellertreppe hinab, äußerste Rutschgefahr! Nachmittagsbrotzeit dann in Eußenheim, und weil es von dort nach Thüngen nichtmehr weit war, durchaus auch mal zwei Bier. Das abschließende Bier am Nachmittag war nur die Krone einer fast ungebrochenen Kette von Bieren, die wir im Laufe des Arbeitstages zu uns nahmen. Wenn es einmal nur eine Tasse Kaffee gab wie beim Wirt in Detter, waren wir beide eigentlich ganz dankbar für den alkoholischen Aussetzer, dennoch schimpfte mein Chauffeur danach: „So droggn ka iich mein Kaffee fei ned gadring“! Bevor wir eine Wirtschaft anfuhren, wurde ich über den Charakter des Wirtes und dessen familiäres Umfeld genauestens unterrichtet: „Die Fraa von Wird in Rieneck – ach Goodla! Aber sei Dochdä, naja, des is aa scho wiedä Jaahre her.“

Begleitet wurde die Fahrt von den monotonen Hinweisen: “Do drühm ham mer fei a Debboh.“

Mit dem dritten Bierkutscher belieferte ich die Flaschenbier Depots in Würzburg und Umgebung. Er erklärte mir, dass sich mein Großvater von den 8.50 DM, die ein Kasten Bier kostet 6 „Märgla“ als Reinverdienst in die Tasche stecke. „Ka Wunner, äß der an Merzedes had.“ Er kannte sich aber nicht nur in Wirtschaftsdingen aus, seine wahre Expertise waren die Frauen. Er konnte am Gang einer Frau erkennen, ob sie Spaß an Sex habe und besonders, wie lange es her gewesen sei, dass… Er legte Wert darauf, sein Wissen auf mich zu übertragen, und frug mich ab: „Die do mit den schwadzn Däschla?“. „Drei Stündla“ antwortete ich. „Aff, blöder, höxdns zwanzich Minuddn.“ So lernte ich die Straßen Würzburgs unter einem unerwarteten Gesichtspunkt kennen. In Geretsried, der scheußlichen Schlafstadt oben auf den Hügeln störte ich ihn ganz offensichtlich. Manche grüne Witwe erwartete ihn dort nicht nur als Flaschenbierlieferant. Irgendwann gelang es ihm, mich loszuwerden, denn plötzlich fand ich mich auf der Rhönroute wieder, was meiner Sittlichkeit wohl bekam, der Leber weniger.

 

Rechtzeitig zur Weihnacht

Wie jeder geplagte Haushaltsvorstand weiß, ist eines der wichtigsten Anforderungen, die das Weihnachtsfest an ihn stellt, nein, die Anforderung schlechthin das Motto: „Wie immer!“

Nichts darf sich ändern, sonst wird die Großmutter zänkisch, die unverheiratete Tante melancholisch und die Kinder aufsässig.

In diesem Zusammenhang ist wiederum eines der wichtigsten „Wie-immers“ die Länge der Fäden, an denen die Äpfel an den Baum gehängt werden.

Dass der Faden rot zu sein hat, versteht sich von selbst, nur das mit der Länge ist nun schon seit etwa 30 Jahren ein Ärgernis.

Bis Ende der 80er Jahre nahm man das Gesangbuch der evangelischen Landeskirche in Bayern zur Hand und wickelte den roten Faden so oft längsseits darum wie man Äpfel hatte. Dann wurde der Faden durchgeschnitten, die Enden verknotet und zwischen Daumen und Zeigefinger eine Schleife gebildet, die um den Stiel gelegt, perfektes Aufhängen garantierte.

Dann aber brachten die Landeskirchen dieses neue Gesangbuch heraus, in Berlin ist es grün, in Bayern ist es blau ein Ärgernis sind beide: sie sind zu dick! Der darum gewickelte Faden wird dadurch zu lang und der arme Apfel hängt dann irgendwo seelenlos am Baum, womöglich sogar ein Stockwerk tiefer als an dem Ast, an dem er angebracht wurde. Die Symbiose Ast – Faden – Apfel ist nicht mehr, von dem Prinzip „wie immer“ ganz zu schweigen.

Ersatz für das alte Gesangbuch zu finden, ist nicht einfach, denn die Bibel zu nehmen grenzt an Frevel, irgendein Schmöker verbietet sich für das Maßnehmen aber auch, Donna Leon, Fanny Hill oder Brechts Gedichte – eine Blasphemie, man würde seiner Weihnachten nicht mehr froh.

Nun aber habe ich heute Morgen den perfekten Ersatz für das alte Gesangbuch der evangelischen Landeskirche in Bayern gefunden. Es ist ein frommes Buch, allerdings nicht die Essenz des Christentums und darum bedenkenlos verwendbar. Das Buch ist auch überall zu haben, wenn es nicht sowieso schon in jedem halbwegs christlichen Haushalt vorrätig ist. Hier vorab die ISBN Nummer: 3-438-06201-1.

Das Buch liegt gut in der Hand und hat fast auf den Millimeter genau die gleichen Ausmaße wie das alte Gesangbuch. Gerade habe ich zwanzig Mal einen roten Bindfaden darum gewickelt und alte vertraute Gedanken an die Heilige Weihnacht meiner Kindheit in Franken wurden wieder wach: Plätzchen- und Tannenduft, Vorfreude und Mutterkuss, Weihnachtslieder und Bedankemichbrief. Ach, es ist eine Lust wieder im richtigen Weihnachten zu leben.

Nun will ich Sie alle aber nicht länger auf die Folter spannen. Das richtige Buch ist die Wortkonkordanz zur Lutherbibel, herausgegeben von der Deutschen Bibelgesellschaft. Ist in jeder besseren Buchhandlung zu haben. Darum, wer das Buch noch nicht hat:

„Auf, auf, rette deine Weihnacht, kauf die Wortkonkordanz und alles ist wie immer!“

Der Hölle Bein im Advent

Wenn die Kinder, deren Eltern beim Kufi schafften, Schlitten fahren durften, mussten wir die Weihnachtsgeschichte „auserlawendich“ lernen. Für die Kugelfischer Kinder wurde in Ebern eine Weihnachtsfeier organisiert, von der sie mit Geschenkkörben nach Hause kamen, da büffelten wir nach immer: „Und du Beddlehem efraada…“

Unser Krippenspiel fand nur wenige Tage vor Weihnachten statt, während beim Kufi die Weihnachtsfeier schon Mitte Dezember abgehalten wurde.

Meine Mutter studierte mit den Kindern derer, die bei uns in Forst, Landwirtschaft oder Brauerei arbeiten, jedes Jahr ein Krippenspiel ein, das sich textlich auf den alttestamentarischen Prophezeiungen und der Weihnachtsgeschichte aufbaute.

Ich kann bis heute alles auswendig, allerdings auf fränkisch. Meine Kinder finden es natürlich mega-peinlich, wenn ich das Weihnachtsoratorium im Dialekt mitsinge.

Meine Freunde lernten die ihnen zugedachten Rollen sowieso auf fränkisch, sie konnten ja nichts Anderes. Ich lernte „mei Sprüchla“ absichtlich auf fränkisch, nur um meine Mutter zu ärgern und um mich zu amüsieren.

Ihr alljährlicher Kampf gegen „der Hölle Bein“ war aber auch wirklich eine sich wiederholende Kabarettnummer.

Es gab eine ganz klar geregelte Karriereleiter: Man fing an als Engel ohne Kerze, dann mit und später wurden die Mädchen Verkündigungsengel, die von den Moabitern und den Söhnen Sets berichteten, von den Ländern Sebulon und Naftali. Das war, als täte sich vom Baunachgrund ein Fenster in die weite Welt auf.

„Wer sänn denn die Moabiddä, Frau Baron?“ „Das sind die Feinde der Kinder Israel, und die sind die Guten.“

Wir wussten nicht, was Feinde waren, aber wir wussten, wer die Bösen waren, nämlich die Russn. Halbwegs böse waren auch die Spieler vom FC Gerach oder die gefürchteten Gegner aus Baunach. Aber Feinde hatten wir nicht, wollte man mal von den Idioten aus dem Oberdorf absehen.

Als Bub wurde man vom kerzenhaltenden Engel zum Hirten befördert. Als solcher stützte man sich auf einen Hirtenstab und schaute hütend auf eine Bank, über die ein Schafspelz gelegt worden war.

„Und es waren Hirdden in der selben Gechend auf den(!) Felde bei den Hürdden, die hüdeden des Nachds ihre Herte. Und siehe, des Herrn Engel drad zu ihnen und die Glarheid des Herrn leuchdede um sie. Und sie füchdeden sich sehr.“

Das waren machtvolle Worte, die der Hirte dem Publikum zurief: Vor den Zuschauern hatten alle noch mehr Respekt als vor der Barona, weil im Saal ja auch die eigenen Eltern saßen. Wehe man blieb stecken, dann erhob sich die Faust des Vaters, der dem Steckenbleiber „kumm ner ham, Fregger“ entgegenschleuderte.

Eine Sonderkarriere war es, Maria sein zu dürfen. Sie hatte nichts aufzusagen, ebenso wie ihr Josef stumm blieb. Seine Rolle war allerdings unbeliebt, weil er wegen der Nähe zur Mutter Gottes sofort in den Ruf des „Mädlesschmeggers“ kam, und das war so ungefähr das Schlimmste, was einem pubertierenden Buben passieren konnte.

Für Jungs war es karrieremäßig mit einem der Könige aus. Die kamen naturgemäß erst am Ende der Vorstellung „comme par hazard“ hinter einem Vorhang hervor. Sie hatten nichts zu sagen, sondern breiteten nur ihre Schätze aus.

Dennoch waren sie meiner Mutter alljährlich ein Dorn im Auge. Hinter dem Vorhang langweilten sie sich natürlich gottsjämmerlich und erschienen regelmäßig mit zerknautschter Krone und verwischter Gesichtsbemalung vor dem erwartungsvollen Publikum.

Alle sangen „Oh du fröhliche…,“ jeder bekam eine Tüte mit Kaffee, Schnaps, Bläztla und Lebkuchen. Die Mädchen bekamen a Bubbn mid an Beddigoo und die Buben a Audola.

Weihnachten konnte kommen.