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Religionsunterricht in Franken

Einmal in der Woche kam der Pfarrer in die Schule, die damals noch Volksschule hieß, und unterrichtete Religion. Er begann immer mit der Frage, wer am vergangenen Sonntag nicht in der Kirche gewesen war. Er wusste es ganz genau, aber er wollte das Schuldbekenntnis des Übeltäters. Irgendeiner meldete sich dann immer und wurde nach dem Grund gefragt.

„Meina Schuh warn ned gabudsd“ kam häufig. Aber auch „Die Omma war grang, und mich hat kanner mid könn ganemm.“ „Ja, geht denn von Euch niemand außer der Großmutter in die Kirche?“ donnerte der Pfarrer. Es war eine einzige Demütigung, die stets damit schloss, dass Hochwürden die rhetorische Frage stellte: „Ja glaubt ihr denn, wir sperren die Kirche auf, damit niemand kommt?“ Alle duckte sich in der Schulbank, denn wer ihm unangenehm auffiel, der bekam durchaus auch mal eine mit der Kante des Lineals auf die Hände. Er war der Einzige, der uns in der Schule schlug. Die Eltern sahen es ihm nach, weil sie selber ihre Kinder schlugen und weil der Pfarrer bis 1953 in russischer Gefangenschaft gesessen hatte. Als er nach Hause kam, gebar seine Frau noch ein Kind, das im Dorf nur „der Spätheimkehrer“ hieß.

Neben Chorälen mussten wir natürlich das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis ausserlawendich lernen. Im Credo hieß es damals noch „von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Der Pfarrer fragte uns, woher denn der Herr Jesus kommen würde. Der Günder meldete sich und sagte, wie aus der Pistole geschossen: „Aus’n Wald.“ Wie er denn darauf käme, war die Rückfrage, worauf der Günder für alle verständlich nachschob: „No, vo die Dannen hald!“

Beliebt waren der Bedrus und der Baulus, zumal der Kurddi mit Nachnamen auch Baulus hieß. „Aber der Deufl, des is fei a Fregger, der versuchd immer unnern Herrn Jesus, des find ich für gemein“, stellte die Renaade fest.

Zu den Feindbildern gehörten selbstredend auch Herodes, Judas Ischariot und natürlich der Dunnerkeils Kaim. Der Kaims Walter war der Haarschneider im Dorf. Dass der Brudermörder in meiner Kinderbibel Kain hieß, hielt ich für einen Druckfehler.

Als wir die zehn Gebote ausserlawendich lernen mussten, kam es zu heißen Diskussionen, weil wir der Ansicht waren, das neunte und zehnte Gebot seien doch ziemlich ähnlich, man hätte das Haus auch mit Weib, Knecht, Magd, Rind und Esel in ein Gebot packen können. Aber da stellte der Siggi quasi ex cathedra fest: „Wie sichdn des aus? Neun Gebode! Un wenn in die Bibl sded, äses zehna sänn, nacher had unner Herrgodd hald nuch aans müss mach.“

Doggder Maddin Ludder spielte natürlich eine riesige Rolle. Vom Heiligen Geist konnte man ihn dadurch unterscheiden, das Ersterer als Lamm über dem Altar schwebte und Letzterer mit dem Tintenfass gegen den Deufl, den Fregger, geworfen hatte. Ansonsten nervte er, weil wir jetzt zu den Geboten auch noch die Ausleechung von Doggder Maddin Ludder auserlawndich lernen mussten.

Wirklich geblieben ist mir vom Reformator aus meiner Zeit in der Volksschule nur dieser Spruch:

Doggder Maddin Ludder ging mid seiner Frau

Auf die grüne… und dann musste man den Nächstbesten kneifen, der dann „au“ ächzte. Die das Spielchen schon kannten, versauten einem den Spaß, indem sie trotz Schmerzen „Wiese“ sagten.

 

ABC Schule in Franken

Frau Wagner war meine erste Lehrerin. Sie war mit dem Konditor Wagner in Ebern verheiratet und kam immer mit dem Rad nach Rentweinsdorf. Damals wurde der Marktplatz in Ebern neu gepflastert und unsere Lehrerin stöhnte immer, die Arbeiter, die die Steine verlegten, wüssten wenigstens, was sie am Tag geschafft hätten, sie aber wisse nie, wie viel sie in unsere Holzköpfe hineingebracht habe. Wir hatten es aber auch schwer, denn plötzlich wurden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass es außer dem b,d,g auch noch ein harddes b, ein harddes d und ein harrdes g gab. Und an der Wand hing ein großes Schild, auf dem das Wort „tut“ durchgestrichen war. Wie wollte man denn einen Satz bilden, in dem kein „tut“ vorkam? „Der Bedä, wo hinder die Bosd wohna dud“… von vorn bis hinten plötzlich alles falsch.

Später bekamen wir ein Follein Frange als Lehrerin. Sie kam aus Norddeutschland, also weidä drohm wie Bad Brüggenau und sie verstand uns nicht. Nach den Sommerferien kam sie wieder und hieß auf einmal Frau Bandelon. Wir konnten uns den Namen nicht merken und mein Freund Berthold meitne trocken: „S wär bessä, wenn sa Lufballom häserd.“

Rechnen beschränkte sich mehr oder weniger auf und-rechnen und weg-rechnen und ging so von statten: „Irene, wie viel fehlt von 7 auf 10?“ Mädchen, die es nicht wussten, drehten am Schürzer, Buben, die es nicht wussten, spielten mit den Aufschlägen ihrer kurzen Lederhose, so dass die dort gelagerten Popel rausfielen. Wenn Gefahr bestand, dass man gleich aufgerufen würde, hob man die Hand und rief, „Frollein, ich muss amol ausdrädn“. Zu diesem Zweck musste man um das Schulhaus herumgehen. An der Rückseite befand sich ein Verschlag mit geneigter Regenrinne. Händewaschen konnte man dort nicht. Wie zum Hohn hing an der Tür zum Klassenzimmer ein Plakat, auf dem wir entzifferten: „Nach dem Stuhlgang, vor dem Essen, Hände waschen nicht vergessen!“ Lesen konnten wir es, verstanden haben wir es nicht, weil Stühle bekanntlich nicht gehen können.

Einmal im Jahr kam der Bilzmarddl. Er brachte uns bei, welche Pilze giftig sind und welche nicht. Er machte es an der Knolle fest, die mit waren giftig, die ohne nicht, oder auch umgekehrt. Dann hob er ein Bild hoch und fragte: „Is der Fregger ädserd gifdich oder ned?“ Und wir antworteten im Chor. „Dieser Bilz ist gifdich, weil er eine Gnolle had.“

Und natürlich kam auch der Niggelaus. Alle hatten Angst vor ihm, nur ich nicht, denn er hatte den umgedrehten gefütterten Pelzmantel meines Vaters an, den umgedrehten Fußsack meines Großvaters auf dem Kopf und auch sonst war er meinem Vater sehr ähnlich.

Natürlich lernten wir auch die Himmelsrichtungen: Osten ist hinter Treinfeld, nach Süden geht’s auf Bamberch, Westen ist hinter Salmsdorf und Norden ist hinter Ebern. Noch heute orientiere ich mich danach, was mich nicht immer auf der direttissima ans Ziel bringt, wie ich zugeben muss.

Später bekamen wir es mit der deutschen Grammatik zu tun, etwa der Beugung von Tu-Wörtern. Wir wurden aufgerufen und mussten ein bestimmtes Verb beugen: „Renate, beuge das Wort schlachten.“ Und die Renade beuchde: Er schlachded, er schlachdedde, er had geschlachded, starg gebeuchd.“ Dann kam ein anderer Schüler mit dem Wort schimpfen dran und der beuchde: „Schimbfen, er schambfde, er had geschumbfen, sehr sdarg gebeuchd.“

Das Erwachen auf dem Gymnasium war grausam. Ich war plötzlich der dümmste in der Klasse. Neulich fand ich einen Brief der Pree, der Klassenlehrerin der Sextaner im Landheim Schondorf, in dem sie meinen Eltern riet, davon abzusehen, mich bis zum Abitur zu quälen…

 

Die Dreifaltigkeit der Rentweinsdorfer Kerwa

Die Rentweinsdorfer Kirchweih war schon immer etwas Besonderes, schon allein deshalb, weil sie bereits am Donnerstag, dem Himmelfahrtstag, beginnt. Früher stand gegenüber vom Pfarrhaus das Kettenkarussell, links vom Kriegerdenkmal gab es eine Wurfbude und rechts davon bewiesen die Halbstarken an der Schießbude, wie toll sie waren.

Dann kam das Karussell, auf dem eine Trambahn, ein Traktor, ein Feuerwehrauto später ein Düsenjäger Runden drehten. Dahinter hatten der Kaufmann Müller und sein Kollege, der Götzen-Schmidt, ihre Buden aufgestellt, wo es vom Eis bis zu Tröten alles gab.

Schon rechts von der ehemaligen gepflasterten Regenrinne stand die Losbude. Der Erlös, ging an den Kindergarten. Irgendwo dazwischen hatten der Herold und der Biggo ihre Bratwurststände aufgebaut, die den ganzen Festplatz in eine einzigartige Duftwolke hüllten. Später ersetzte beide der Rango.

Für uns Buben begann die Kerwa schon einige Tage vorher, weil wir beim Aufbau des Karussells helfen durften. Auf dem etwas abschüssigen Planplatz war es gar nicht so einfach, die Lauffläche für Trambahn und Konsorten waagerecht hinzubekommen. Mit Unterlegeplättchen und Wasserwaage schafften wir das schließlich, hatten dabei nicht nur etwas gelernt, sondern auch noch ein paar Freifahrten verdient. Eine Fahrt kostete 20 Pfennig, sechs, eine Mark. Heute würde man das Marketing nennen, damals stürzte mich diese Preisgestaltung in unendliche mathematische Grübeleien.

Kettenkarussell bin ich nur einmal gefahren… Aber die Schießbude hatte es mir angetan obwohl ich kaum über den Tresen schauen konnte. Karussellfahren liebte ich und stellte bei jeder neuen Kerwa fest, dass ich dafür eigentlich schon zu groß und zu erwachsen war. Von unseren Eltern bekamen wir eine Mark, von unserem Großvater noch mal fünfzig Pfennig drauf. Das war damals schon nicht viel. Wenn ich kein Geld mehr hatte, munterte mich die Schmidts Kalina so auf: „Ach Goodla, geh hald ham zu dein Vadder, der soll a Echn ausn Wald hol, nacher hadder wieder a Geld“. So habe ich anlässlich der Kerwa auch gelernt, wie das mit dem Geldverdienen geht.

Eine besondere Anziehungskraft hatte die Losbude. Hauptgewinn war ein Fresseimer. Der war bis oben hin mit Bombom, Lutscher, Schogglaad, Blädsla, Eichetti Eiskonfekt und Brausepulver aufgefüllt. Störend war nur die Flasche Waldmeistersekt. Diesen Fresseimer zu gewinnen, ist mir einmal gelungen. Ich dachte damals, schöner kann es jetzt im Leben nimmer kommen.

Zur Bratwurst wurden wir vom Vater eingeladen, Manchmal gab es sogar „a dobblda Eigazwiggda“. Viel später habe ich dann gelernt, dass die Kunst es Bratwurstessens darin liegt, nur die Wurst zu vertilgen und dann das Brödla neu bestücken zu lassen. Meine aus der Schweiz stammende Frau hat das System sofort begriffen und eine Vorliebe für die Rentweinsdorfer Bratwurst entwickelt. Als ich sie das erste Mal mit auf die Kerwa brachte, hat sie an einem Tag 18 Stück verdrückt.

Die Kirchweih soll ja an die Weihe unserer Kirche erinnern. Das war ein schwieriges Thema, denn was eine Dreifaltigkeit ist, wussten wir nicht. Meine „Sunndichshosen“ hatte an jedem Bein vorn und hinten eine Falte, wozu braucht man drei? Und dann mussten wir auch noch in die Kirche gehen! Das mussten wir an anderen Sonntagen auch, aber besonders am Kirchweihsonntag war das quälend. Während Pfarrer Laacke predigte, kreisten aller Gedanken nur um Bradwörschd, Seidla, Schiessbude und den Fresseimer.

Und dann kam der Dienstag. Über Nacht war alles abgebaut worden. Wir Buben suchten den Planplatz nach verlorenen Münzen ab und wurden auch immer fündig.

„Aber was mechsd mid an Märgla, wennst damit nimmer sechs mol Karussell fahrn kast?“

 

Schweinfurt

Der Name sagt es schon: diese Stadt war uns Kindern suspekt. Die haben ja nicht einmal einen Dom!

Man reiste damals wenig. Das machten nur Skandinavier und die Leute aus dem Ruhrgebiet. Wenn wir reisten, dann nach Thüngen, um dort Großvater, Tanten, Vettern und eine Cousine zu besuchen. Egal ob man hintenrum über Hofheim oder vornrum über Ebelsbach fuhr, schlecht wurde uns immer. Ich zog hintenrum vor. Dort kam man durch den Ort Löffelsterz, ein Solitär in der fränkischen Toponomie!

Immer, auch wenn wir mit der Bahn fuhren, mussten wir durch Schweinfurt. Zwischen Schonungen verlaufen parallel die Bundestrasse, die Schiene und der schiffbare Main. Es fehlte nur das Flugzeug, dann wäre alle Fortbewegungsmittel vereint gewesen. Wenn die Lokomotiven uns überholten, erklärte uns der Vater den Unterschied zwischen Dampf und Rauch. Da beides auf fränkisch „Qualm“ heißt, glaubten wir ihm nicht.

Schweinfurt hatte zwei Bahnhöfe, den Stadt- und den Hauptbahnhof. Wozu? Rentweinsdorf hatte doch auch nur einen, und die Metropole Bamberg auch? Aber immerhin, zwischen beiden Bahnhöfen ging es durch einen Tunnel, das versöhnte.

Die Stadt war vom Unglück verfolgt: Kaum war das im Krieg zerstörte Rathaus wiederaufgebaut, brannte es nieder.

Und dann gab es dort Industrie, richtige, riesige Fabriken. Wenn wir beim Fichtel und Sachs vorbeifuhren, schauerten wir, denn der Eigentümer hatte sich erschossen. „Weibergeschichten“ sagte die Mutter. Was das war, wussten wir nicht. Gleich daneben stand die Fabrik vom Kugelfischer. Darunter konnten wir uns was vorstellen, denn in Ebern gab es ein Zweigwerk und da arbeiteten die Väter vieler unserer Spielkameraden.

Schließlich, links von der Straße fuhren wir an riesigen Klinkerbau der SKF vorbei. Schwedische Kugellager Fabrik? Was sollte das denn? Hier war doch Franken!

Unsere Mutter erzählte, dass sie im Krieg jeden Morgen mit der Werntalbahn nach Schweinfurt gefahren war, um bei SKF zu arbeiten. Im Zug trafen sich immer die gleichen Leute, aber einmal stieg in Müdesheim ein Mann zu, der in Arnstein schon wieder ausstieg. Sein Aufenthalt in der Bahn wurde von den übrigen Passagieren misstrauisch und neugierig verfolgt. Als in Arnstein der Zug wieder anruckelte, fragte der Neuners Beder:

„Wer war denn des?“  Langes Schweigen, bis der Schneiders Frieder seufzte: „Unner Herrgodd wenn na ned bessä kennd wie du und iich, kummd er besdimmd nei die Höll.“

Und Schweinfurt hatte natürlich „die Ami“. Es gab sie in Bamberg in Würzburg und in Schweinfurt. Es war beruhigend, sie hier zu wissen, denn die Russn lauerten ja gleich hinter Maroldsweisach.

Dessen ungeachtet hatten die Schweinfurter Ami einen schlechteren Ruf als die in BA und WÜ. Es kam immer wieder zu Messerstechereien. Es wurde berichtet, in der Kaserne würden sich verfeindete Clans „mid die Messer zwischn die Zähn“ verfolgen. Wir glaubten das erneut erschauernd, Schweinfurt war alles zuzutrauen.

Und dann wollte Georg Schäfer, der Chef von Kugelfischer, für seine Gemäldesammlung ein repräsentatives Haus. Als er erfuhr, dass Mies van der Rohe, sein Schwiegersohn, das wegen Fidel Castro nie verwirklichte „Bacardi Project“ in der Schublade hatte, bat er ihn nach Schweinfurt. Der weltberühmte Architekt schaute sich die Sammlung und dann die Stadt an, dann fuhr er mit dem Abendzug wieder weg.

Das „Bacardi Projekt“ baute Mies van der Rohe später als „Neue Nationalgalerie“ in Berlin, und Eingeweihte waren schadenfroh. Einen solchen Jahrhundertbau hätte man Schweinfurt nun wirklich nicht gegönnt!

Rentweinsdorf

Als die Rhönautobahn noch nicht gebaut war, musste man sich von Fulda bis Nürnberg auf der B 279 von Dorf zu Dorf nach Süden quälen, Ortsumgehungsstraßen gab es noch nicht. Man kann daher annehmen, dass Rentweinsdorf in Skandinavien erstaunlich bekannt war, jedenfalls bekannter als in Deutschland. Im Sommer machten tausende von überladenen PKWs mit internationalem Kennzeichen DK, S, SF oder N das Überquerender Dorfstraße schier unmöglich. Rentweinsdorf ist und war ein vollkommen unbedeutendes Dorf, will man einmal davon absehen, dass ich dort geboren wurde. Normalerweise passierte so was in Ebern oder Bamberg.

Rentweinsdorf war voller Geheimnisse und Geschichten. Im Dach über der „ündern Wirtschaft“ wohnte eine alte Frau, von der es hieß, sie sei eine Hexe. Manchmal schaute sie zum Fenster raus und wenn ich sie sah, hatte ich Angst. Als sich ihr Sohn erhängte, verfolgte mich dessen Schicksal, hauptsächlich die Vorstellung, wie verzweifelt er gewesen sein musste, wochenlang vor dem Einschlafen. Andererseits war es aber auch normal, immerhin war die Mutter eine Hexe.

Den Wirt der „ündern Wirtschaft“ den Biggo, liebte ich, weil er uns Kindern immer ein „mords drümmer Schdüggla Fläschwurschd“ abschnitt, ganz im Gegensatz zum Herolds Metzger, von dem es hieß er schnitte sich fast in die Finger, wenn er die obligate Scheibe „für die Glann“ hergab.

Es hieß, der Biggo, sei ein alter Nazi. Ich wusste nicht so recht, was das ist, beobachtete aber, dass immer die durchziehenden Schäfer bei ihm Station machten und dann alte Zeiten hochleben ließen. Der örtlich unstete Beruf des Schäfers war damals ein beliebtes Rückzugsrevier von Männern, die es nach dem Krieg vorzogen, nicht allzu sehr aufzufallen.

Der Biggo war nicht der Vorstand des Griechervereins, aber dessen Begräbnisprediger. Im Fußballverein betrug der Jahresbeitrag 50 DM. Im Kriegerverein verlangte man nur 20 „und an Granz griech ich aa“ meinte der Hochs Karl.

Kurz nach Weihnachten war ein Mitglied des Kriegervereins verstorben und der Biggo, den man nie in der Kirche sah, trat an das offene Grab und sprach: „In diesen Dachen, wo das Licht zu uns Menschen gekommen ist, hat sich eine dungle Wolge der Drauer über diese Gemeinte gelechd. Der Dod unseres guden Kameraden, der allseits belibbde Friederich, had uns alle dief gedroffen…“ Die Trauergemeinde war beeindruckt, ich auch, denn sonst würde ich Biggos Worte längst vergessen haben.

Der Ortspfarrer fand immer, dass die Spendenfreudigkeit seiner Schäfchen zu wünschen übrigließe und deshalb schickte er meinen Vater los, um das Kirchgeld einzusammeln, wohl in der Annahme, dass, wenn der Baron kommt, sich keiner traue, wenig zu geben. Einmal hat er das gemacht, dann hat er die Aufgabe an mich weitergeleitet, der ich mit Inbrunst nachkam. Wie sonst wäre ich in alle Häuser des Dorfes gekommen?

Es war herrlich: Der alte Schleichers Bauer erzählte von meinem Urgroßvater: „Der had sie junga Mädla fei a wenig gern gsehn.“ Die Saddlera gab mir Plätzchen und erzählte mir, ihr Mann, der Sattler sei im Krieg vermisst. Der Appelmanns Schuster, der Großvater meines Freundes Berthold, zeigte mir, wie man mit Nägeln aus Holz Absätze an der Sohle fixiert, der „glaa Schmied“ erlaubte mir, Eisen in die Glut zu legen und dann mit dem Hammer auf das dann weiß rote Stück einzuschlagen. Frau Kawan wohnte mit meinem Klassenkameraden, den wir boshafter Weise „die Gurge“ nannten, in der Gasse hinter dem kleinen Schmied an der öffentlichen Wasserpumpe. Ich verstand sie nicht, weil sie kein fränkisch sprach.

Schräg gegenüber wohnte der Ziers Fritz, der an hohen Tagen der Christenheit im Posaunenchor das Bumberdoon spielte. Er hatte einen Jagdhund, Tell, und wenn der apportieren sollte rief er „Dell, abord, abord.“

Antiquitäten in Bamberg

Meine Eltern waren große Sammler von Antiquitäten. Ich nehme an, dass die heutigen Antiquitätenhändler in Bamberg lachen würden über die Umsätze, aber die Zeiten waren damals andere und der Kunstmarkt auch.

Es gab in der Karolinenstraße und Umgebung einfach noch nicht so viele Händler und deren Angebot war bescheidener und deutlich säkularer.

Ich erinnere mich an „den Senger“ und an „den Wenzel“. Zu beiden hatte besonders mein Vater ein inniges Verhältnis, was darauf beruhte, dass man sich gegenseitig mit „Sprüch“ zudeckte.

Einmal standen wir vor dem Senger und mein Vater erzählte uns irgendetwas. Dann betraten wir den Laden, wo uns Herr Senger mit den Worten begrüßte:

„Ich hab scho g´sehn, wie Sie draussn gstanna sen und gsecht ham: <Etsert geh mer nei und ärchern den Senger>“.

Genau so war es auch, denn mein Vater verkroch sich in einen Barockschrank und als er wieder daraus hervorkam, meinte er nur: „Da habt ihr aus einem zwei bis drei gemacht!“

Das stritt Herr Senger natürlich vehement ab und beim Rausgehen verabschiedete sich mein Vater mit den Worten: „Was den Dritten angeht, glaube ich Ihnen.“

Im Wenzel´schen Antiquitätenladen bot er einmal dem Besitzer an, ihm seine Flinte zu leihen, weil die Holzwurmlöcher stammten ja wohl von „Schrödn“, aber da hätte wohl jemand dilettantisch auf die Rokokokommode geschossen.

Man liebte ihn wegen der Käufe aber man hassliebte ihn wegen der „Sprüch“.

Bei uns Kindern war es umgekehrt, denn wir sahen diesen Antiquitätenfimmel äußerst kritisch. Immer wenn wir neue Ski brauchten, hieß es, dazu seien gerade die Holzpreise zu schlecht. Für ein Tässchen hier und ein Silberbesteck da reichte es allerdings immer und deshalb nannten wir die herumstehenden Antiquitäten „die Paar Skier“.

Die Eltern machten das Spielchen mit. Nicht selten kamen sie aus Bamberg zurück und verkündeten, sie hätte wieder mal Skier gekauft.

Am liebsten gingen sie zur „alten Gürtlerschen“. Frau Gürtler war eine echte Fränkin und führte einen, wie sie es nannte, Antiquitätenhandel, es war wohl eher ein Trödelladen. Immerhin gab es dort „Trouvaillien“, und deshalb besuchten sie die Eltern oft.

Wenn ein Stück selbst in den Augen von Frau Gürtler zweifelhaft war, dann wog sie es in der Hand und sagte: “Des Ding is ned andigg, des is höxdens andünn.“

Mein Vater war, wie er selbst sagte, „ein großer Freund des Baren.“ Er zahlte nie mit einem Scheck, geschweige denn einer Kreditkarte.

Frau Gürtler wusste daher nicht, wer er war, und weil er immer jede weibliche Begleitung als seine neue Frau, Geliebte oder Schwiegermutter ausgab, wurde die Gürtlersche immer neugieriger. „Wer ner der Fregger wiedä sei moch?“

Eines Tages kam meine Mutter allein in den Laden. Da fasste Frau Gürtler die Gelegenheit beim Schopf und fragte, wer denn der Herr sei, mit dem sie neulich hier gewesen sei.

Die Befragte fiel nicht auf die Attacke herein, vielmehr fragte sie zurück, wer sie denn denke, dass er sei.

Grau Gürtler grübelte kurz und stellte dann fest: „Endwedä a frängischer Baron oder a jüdischer Rechtsanwald.“

Mein Vater sonnte sich noch wochenlang in der Aura des Rechtsgelehrten.

 

Scheidung auf unterfränkisch

Petra Horch war die getreue Ehefrau von Friedrich Horch. Sie führte ihm den Haushalt und hielt ihn bei knapper Kasse, er arbeitete als Schreiner in einem unterfränkischen Dorf.

Dort kannte man beide als die Horchs Bedra und den Horchs Frieder. Und als die Bedra schon ein wenig in die Jahre gekommen war, riet der Arzt zu einem Kuraufenthalt in Bad Kissingen. Damit fing alles an.

Dort nämlich traf die Bedra auf lauter Witt-Weiber, die ihr uni sono klarmachten: „Wenn esrchdamol die Older naus die Nüss , hasd du das Läben einer Könichin.“

Die Bedra schaute sich das Sein ihrer Kur-Kolleginnen an, und in der Tat, leisteten diese sich täglich in der Konditorei Buddergremdordde und danoch nuch a Schnäpsla.“

Das bedingte fortan ihr Bewusstsein, denn wenn sie ehrlich war, hatte sich die Bedra schon immer das Leben einer Könichin gewünscht. Sie beschloss, hinfort dem Frieder den Haushalt nicht weiter zu führen und, darüber hinaus, ihm nach dem Leben zu trachten.

Von der Kur zurück, ließ sie beim Schneider im Dorf ihre Trauerkleider kürzen und behandelte ihren Ehemann schlecht. Sie strich im das täglich ausgezahlte Taschengeld so zusammen, dass es nur noch zu einem „Seidla“ in der Wirtschaft langte und darüber hinaus fand sie jeden Abend einen Grund zum Streiten. Irgendwann hielt das der Frieder nicht mehr aus und ging verärgert ins Bett.

Darauf hatte die Bedra gewartet, sie stellte von außen eine Leiter ans Schlafzimmerfenster, stieg hinauf, schüttete Benzin über das Bett und zündete den schlafenden Frieder an.

Sie ging dabei so schlau vor, dass sie die Schlabbn falsch rum anzog, so dass man die Spuren von der Leider „wegwärdsich“ nicht finden sollte.

Der Frieder konnte glücklicherweise die Flammen mit dem Plumeau ersticken und rettete sich „im Morgenhabit“ in die Wirtschaft, wo man die Polizei rief.

Zur übergroßen Verblüffung von der Horchs Bedra, wurde sie am darauffolgenden Morgen von der Polizei verhaftet und verhört. Es war ihr zum Verhängnis geworden, dass in ihrem Kleiderschrank die auf Kniehöhe gekürzten Trauer Kleider gefunden wurden und die Polizei bedeutete ihr, den Trick mit den umgedrehten Schlappen kenne man auch schon seit geraumer Zeit. Unter der Last der Beweise brach die Bedra zusammen und gestand.

Ihr erboster Gatte sagte aus, er könne sich den Hergang nur erklären, weil man mal wieder gestritten habe. „Blöder Aff, Aff blöder“ hätte sie gesagt, und er habe mit „blöder Tschech“ gekontert. Das habe die Martha offenbar sehr verärgert, denn Tschechin sei sie ja nicht, sondern nur aus Tirschenreuth, und deshalb sei sein Anwurf „hald aa ned wahr.“

Fluchtgefahr bestand nicht und so wurde die Bedra bis zum Prozessbeginn auf freien Fuß gesetzt, allerding bestand der Frieder auf Scheidung.

Zum Prozessbeginn in der Stadt wollte sich der vorsitzende Richter einen Eindruck von der Schuldfähigkeit der Angeklagten machen, immerhin ging es um versuchten Mord, der Staatsanwalt hatte Heimtücke, niedrige Beweggründe, Ausnutzung von Hilflosigkeit und Begehung mit gemeingefährlichen Mittel festgestellt.

Also fragte der „Herr Rat“: „Frau Horch, wie viel fählen von sieben und achtzig auf hunnerd?“

Die Angeklagte zählte eine Weile mit den Fingern, dann strahlte sie und sagte: „siehm, Herr Rad.“

Das Gericht erkannte auf den damals noch gültigen § 51 StGB und die Horchs Bedra lebte als freie aber bald geschiedene Frau weiter im Dorf.

Bei einem Ausflug mit dem evangelischen Frauenbund nach Würzburg traf sie im Juliusspital einen „Peamden“, der war fei Widwer, und weil der a wenig a schönna Rendn ghabd had, hadsa na gheierd. Und wenn die zwaa ins Dörfla auf Besuch kumma senn, had die Bedra immer so a Hüdla aufghabd. So a Peamder brauchd hald eine Tame an seiner Seide.

Die beste Kloß Köchin

Unter dem Krummstab lässt es sich gut leben. Das gilt insbesondere für Unterfranken, wo man bis 1805 vom Fürstbischof in Würzburg regiert wurde oder vom Abt des nächstgelegenen Klosters. Wenn da nicht die wenigen und kleinen reichsunmittelbaren Gebiete gewesen wären, die waren evangelisch. Der gemeinsame Dialekt einte, aber sonst war man halt katholisch oder evangelisch.

Die Wallfahrer konnten noch so erschöpft gewesen sein, wenn es durch ein evangelisches Dorf ging, war keine Sonne zu heiß und kein Wirtshaus zu fern, als dass die Musik nicht Marienlieder spielte und alle sangen aus voller Kehle „Meerstern ich dich grüße.“

Und wenn in der Fastenzeit die katholischen Glocken schwiegen, dann wurden in Rentweinsdorf die Schallluken am Kirchturm „auf Ebern zu“ grad weit aufgemacht, damit man dort das Geläute auch wirklich hören konnte.

Glücklicherweise hat sich das heute weitgehend erledigt. Allerdings gibt es noch Gegenden, die durchwegs katholisch sind. So zum Beispiel der Lautergrund, die sogenannten „heilichn Länder“. Es beginnt in Köslau und endet dort wo bei Baunach die Lauter in die Baunach fließt. In Franken zeichnen sich katholische Dörfer und Schlösser dadurch aus, dass man dort vorzüglich isst. In den heiligen Ländern ist das der Gasthof Andres in Pettstadt und was die Schlösser betrifft, so ist mit noch heute ein Schweinekrustenbraten in Tambach unvergesslich.

Das leibliche Wohl spielt halt bei den Katholischen eine wohltuend größere Rolle als bei uns Luther-Böcken.

Auf ihre alten Tage haben meine Eltern sehr fleißig und ausdauernd Krankenbesuche im Kreiskrankenhaus in Ebern gemacht. Dort gab es übrigens zwei Internisten. Man hatte schon einen katholischen und dann suchte man einen evangelischen Chirurgen, fand aber keinen. Man nahm in der Not einen evangelischen Internisten nach dem Motto: „Des muss edserd gud du.“

Eines Tages kam unser Vater ganz beseligt von einem der Krankenbesuche nach Hause und lechzte förmlich danach, ein Publikum zu finden, dem er die folgende Geschichte erzählen konnte:

In einem Krankenbett lag die uralte Marchered aus Köslau und hatte das Bedürfnis zu erzählen:

„Mich besuchd ja kanner. Weil, ich war ja nie verheierd. Ned des Sie dengn, kanna hädd mich gawölld! Kann richdichn Beruf hab ich a ned ghabt, ich war hald a Kerwaköcha, und sonst hab ich bei die Bauern ausg’holfn.

Es folgte eine lange Lebensbeichte, in der ausgelassene Kirchweihtänze mit anschließenden Heimlichkeiten, Diebstahl „in die schlechdn Zeidn“, Engelmacherinnen, kurz, alles vorkam „was unner Herrgott verbot’n hat“.

Mein Vater berichtete, ihm sei bang und bänger geworden, denn was sollte er der alten Marchered sagen, sie lag ja ganz offensichtlich auf den Tod.

Unablässig kam die schwache Stimme aus den Kissen und berichtete weiter von ungeheuerlichen Geschehnissen. Unser Vater legte sich bereits tröstende Worte zurecht, da Gott ja immer dann verzeiht, wenn man seine Sünden bekennt und sie bereut, wir kennen das alle.

Da wurde die Stimme plötzlich stärker und man hörte die abschließenden Worte:

„Aber nein Himml kumm ich drodsdem, weil ich war die besta Glößköcha vo die heilichn Länder. Da hab ich so viel Leud glügglich gamacht, des wiecht viel mehrä wie die paar Sündn.“

Am nächsten Tag wollte unser Vater sie wieder besuchen. In der Nacht zuvor war sie auf Eliae Wagen in den Himmel eingezogen.

 

 

Grüß Gott, ich bin der Pfarrer von Gerach!

Gerach ist ein Dorf in Franken, das man nicht kennen lernt, wenn man nicht unbedingt will. Es liegt an keiner Durchgangsstraße und die BA38, eine dem Landkreis gehörende Straße, führt auch am Ort vorbei.

Gerach, genannt Gäich, hatte früher immer einen schlechten Ruf, ob zu Recht oder Unrecht, weiß ich nicht. Man munkelte, die abgelegene Lage hätte Dieben, Wilderern, Hausierern und anderem fahrenden Volk Schutz geboten. Es gab nur wenige eingesessene Bauern und nach dem Krieg haufenweise Flüchtlinge. Zum Teil waren es von den Kommunisten vertriebene „Volksdeutsche“ aus den Ländern des Balkan. Die hatten natürlich andere Gebräuche und das machte sie verdächtig, ganz besonders in Rentweinsdorf und Salmsdorf, den beiden evangelischen Nachbarorten. In Gerach war man katholisch.

Die Neu-Geracher mussten natürlich sehen, wo sie nach dem 2. Weltkrieg blieben und sie gingen zum Teil extravaganten Berufen nach: Da war zunächst der Hosn-Balds. Der fuhr mit dem Fahrrad durch die Gegend und kaufte der Bevölkerung die Pelze der geschlachteten Stallhasen ab. Auf dem Heimweg kam er abends durch Rentweinsdorf. Auf dem Gepäckträger und der Lenkstange stapelten sich die Pelze dutzendweise und stanken ganz Gotts erbärmlich. Der Hosn-Balds verkaufte das Zeug an Betriebe, deren Produkte später im Versandhandel als besonders wärmende Unterwäsche wieder die Dörfer erreichten.

Zu uns kam regelmäßig eine Frau mit schwarzen Locken und grünen Augen, von der unser Vater behauptete, vor 300 Jahren wäre sie als Hexe verbrannt worden. Im Sommer verkaufte sie Heidelbeeren, Schwatzebeer auf fränkisch. Abends bekamen wir die Köstlichkeit in einem Schüsselchen mit Milch und etwas Zucker. Das Geheimnis, wo sie denn so viele Heidelbeeren herhatte, hütete sie eifersüchtig, ebenso wie man nicht herausbekam, wo sie im Herbst die Pfifferlinge gefunden hatte. Ich fürchte die Frau wegen ihres Aussehens und sehnte doch ständig ihr Kommen herbei, denn sowohl Schwatzbeern als auch Pfiffer waren Delikatessen, die wir ohne sie nie auf den Tisch bekommen hätten.

Gerach hatte für uns eine weitergehende überaus wichtige Funktion, denn wenn irgendwas passiert war, und es wieder mal keiner gewesen sein wollte, dann sagte unser Vater: „Das war der Pfarrer von Gerach.“

Wir kannten den geistlichen Herrn nicht, er war ja katholisch. In den 50er Jahren war die Konfessionsteilung noch so strikt, dass man im Landkreis Ebern zwei Molkereien betrieb. Katholische Milch kann man ja mit evangelischer Milch nicht mischen.

Nun gut, der Pfarrer von Gerach geisterte als Joker durch unser Bewusstsein. Er war für zerbrochene Schiefertafeln verantwortlich, wenn ein Ball ins Fenster flog, war er es auch und wenn etwas verloren gegangen war, hatte er selbstredend seine Hände im Spiel. Kurz, eine mystische, nie gesehene Figur aber von Grund auf böse und fragwürdig. Der Pfarrer von Gerach bündelte in seiner Person alle wohlgehüteten und gepflegten Vorurteile gegen die Geracher.

Eines Tages klingelte auf dem Schreibtisch meines Vaters das Telefon und als er abhob, hörte er vom anderen Ende der Leitung eine Grabesstimme, die sagte: „Grüß Gott, ich bin der Pfarrer von Gerach“. Weiter kam er nicht, denn unter wieherndem Gelächter warf mein Vater den Hörer auf die Gabel.

Beim Mittagessen erzählte er die Episode und es war unsere Mutter, die ihm klarmachte, dass er am Nachmittag hinfahren müsse, um sich beim Pfarrer von Gerach zu entschuldigen.

Ich fuhr mit, und in der Tat hatte der Pfarrer von Gerach eine Grabesstimme. Er war trotz des Affronts sehr freundlich mit meinem Vater. Wie sich herausstellte, wusste der Pfarrer von Gerach nicht, dass er nicht nur der Ortsgeistliche war, sondern eben auch der „Pfarrer von Gerach.“

Ich erinnere mich, dass er sehr gelacht hat und er und mein Vater als Freunde schieden.

 

 

Des Bissle Arc de Triomphe…

Der Oberst von Perfall war drahtig und klein. Er kommandierte das berühmte 17er Reiterregiment in Bamberg. Dass ihm Onkel Wolfgang Thüngen als Adjutant beigestellt worden war, ist ein Beweis dafür, dass man auch in der Heeresleitung Sinn für Humor hatte, denn der Gute war über 2 Meter groß und wog zweieinhalb Zentner aufgebrochen. Wenn die beiden auf dem Exerzierplatz erschienen, war es schwierig die Disziplin der Truppe zu wahren, denn sie gaben einfach gemeinsam eine Witzblattfigur ab. Dem Obersten hat das nicht geschadet, er stieg zum General auf, Onkel Wolfgang aber zog sich auf sein Schlösschen in der Rhön zurück. Kenner der Materie behaupteten, es wirkte wie aufgebläht, wenn er anwesend war.

Er hätte dort mit seiner Frau ein ruhiges Leben geführt, wenn nicht seine Schwestern ein Wohnrecht auf dem Heilsberg gehabt hätten. Die drei Schwestern waren allesamt erstaunliche Damen, und Onkel Wolfgang dankte seinem Schöpfer allmorgendlich auf den Knien dafür, dass zwei davon verheiratet waren und nur selten von ihrem Wohnrecht Gebrauch machten. Eine aber, o weh, blieb unverheiratet und ging ihrem Bruder durch ihre Frömmigkeit und ständige Anwesenheit ganz gehörig auf den Keks.

Andauernd empfing sie irgendwelche hochgestellte Geistlichen, unter dem Oberkirchenrat tat sie es nicht. Und dann wurde Onkel Wolfgang mitsamt seiner Leibesfülle die engen Treppen zum Keller hinuntergeschickt, um Wein heraufzuholen.

Seinem Ärger machte er regelmäßig dadurch Luft, dass er die Propheten schmähte und zwar dann besonders innig, wenn er wusste, dass der geistliche Herr bereits im Haus war.

„Der Dunnerkeils Jesaja, und erschd der Jeremia-Fregger, Sau-Baruch, blöder, und den Scheiß Hessekiel, den kannst mid’n Daniel in aan Sack schdeggd, draufkhiem, es drifft immä den Richdichn!“

Seine Stimme grollte aus den Kellergewölben empor und der fromme Mann im Salon versuchte die peinliche Situation dadurch zu überspielen, dass er seine frommen Salbadereien schrie.

Onkel Wolfgang war also durchaus wählerisch wenn es darum ging, wen er mochte und wer ihm auf die Nerven ging. Als ihn die Nachricht erreichte, dass ein naher aber äußerst ungeliebter Verwandter in den Armen seiner Frau nach Erhalt der kirchlichen Tröstungen verstorben sei, meinte er nur:

„Jetzt tut uns der Kerl auch noch den Tort an und nimmt ein gottseliges Ende!“

In seinen jungen Jahren, noch unverheiratet, hatte Onkel Wolfgang eine Reise nach Paris unternommen.

Paris: Kultur, Esprit, Flair, Kunst, jaja, das gab es auch, aber Paris hatte eben auch ein G‘schmäckle, wenn ein junger Mann da alleine hinfuhr.

Als er wieder nach Hause in die Rhön zurückkam, war die Gesamtfamilie gespannt wie ein Flitzebogen. Man erwartete eine genaue Reisebeschreibung und erhoffte sich dabei Hinweise auf das Vermutete, jedoch Unaussprechliche.

„Na, wie war’s denn?“ „Jetzt erzähl halt!“ „Wirst ja nicht die ganze Zeit im Louvre rumgelaufen sein, oder?“ Bei diesem Sturm der Fragen blieb Wolfgang ganz ruhig und schließlich sagte er nur dies:

„Des Bissle Arc de Triompf, und sonst is’s wie draus Grombühl!“

Für Nichtfranken: Grombühl war damals der Teil Würzburgs, den man euphemistisch als Problemviertel bezeichnen würde.