Einmal in der Woche kam der Pfarrer in die Schule, die damals noch Volksschule hieß, und unterrichtete Religion. Er begann immer mit der Frage, wer am vergangenen Sonntag nicht in der Kirche gewesen war. Er wusste es ganz genau, aber er wollte das Schuldbekenntnis des Übeltäters. Irgendeiner meldete sich dann immer und wurde nach dem Grund gefragt.
„Meina Schuh warn ned gabudsd“ kam häufig. Aber auch „Die Omma war grang, und mich hat kanner mid könn ganemm.“ „Ja, geht denn von Euch niemand außer der Großmutter in die Kirche?“ donnerte der Pfarrer. Es war eine einzige Demütigung, die stets damit schloss, dass Hochwürden die rhetorische Frage stellte: „Ja glaubt ihr denn, wir sperren die Kirche auf, damit niemand kommt?“ Alle duckte sich in der Schulbank, denn wer ihm unangenehm auffiel, der bekam durchaus auch mal eine mit der Kante des Lineals auf die Hände. Er war der Einzige, der uns in der Schule schlug. Die Eltern sahen es ihm nach, weil sie selber ihre Kinder schlugen und weil der Pfarrer bis 1953 in russischer Gefangenschaft gesessen hatte. Als er nach Hause kam, gebar seine Frau noch ein Kind, das im Dorf nur „der Spätheimkehrer“ hieß.
Neben Chorälen mussten wir natürlich das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis ausserlawendich lernen. Im Credo hieß es damals noch „von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Der Pfarrer fragte uns, woher denn der Herr Jesus kommen würde. Der Günder meldete sich und sagte, wie aus der Pistole geschossen: „Aus’n Wald.“ Wie er denn darauf käme, war die Rückfrage, worauf der Günder für alle verständlich nachschob: „No, vo die Dannen hald!“
Beliebt waren der Bedrus und der Baulus, zumal der Kurddi mit Nachnamen auch Baulus hieß. „Aber der Deufl, des is fei a Fregger, der versuchd immer unnern Herrn Jesus, des find ich für gemein“, stellte die Renaade fest.
Zu den Feindbildern gehörten selbstredend auch Herodes, Judas Ischariot und natürlich der Dunnerkeils Kaim. Der Kaims Walter war der Haarschneider im Dorf. Dass der Brudermörder in meiner Kinderbibel Kain hieß, hielt ich für einen Druckfehler.
Als wir die zehn Gebote ausserlawendich lernen mussten, kam es zu heißen Diskussionen, weil wir der Ansicht waren, das neunte und zehnte Gebot seien doch ziemlich ähnlich, man hätte das Haus auch mit Weib, Knecht, Magd, Rind und Esel in ein Gebot packen können. Aber da stellte der Siggi quasi ex cathedra fest: „Wie sichdn des aus? Neun Gebode! Un wenn in die Bibl sded, äses zehna sänn, nacher had unner Herrgodd hald nuch aans müss mach.“
Doggder Maddin Ludder spielte natürlich eine riesige Rolle. Vom Heiligen Geist konnte man ihn dadurch unterscheiden, das Ersterer als Lamm über dem Altar schwebte und Letzterer mit dem Tintenfass gegen den Deufl, den Fregger, geworfen hatte. Ansonsten nervte er, weil wir jetzt zu den Geboten auch noch die Ausleechung von Doggder Maddin Ludder auserlawndich lernen mussten.
Wirklich geblieben ist mir vom Reformator aus meiner Zeit in der Volksschule nur dieser Spruch:
Doggder Maddin Ludder ging mid seiner Frau
Auf die grüne… und dann musste man den Nächstbesten kneifen, der dann „au“ ächzte. Die das Spielchen schon kannten, versauten einem den Spaß, indem sie trotz Schmerzen „Wiese“ sagten.