Der scheußliche Herti Klotz stand damals noch an der Münchner Freiheit. In einem seiner Säle fand eine Solidaritätsversammlung mit den vor Pinochet geflohenen Chilenen statt.
Ich kann es nicht wirklich begründen weshalb es so war, aber ich empfand damals eine tiefe Sympathie für Salvador Allende und seinem Versuch, durch linke Politik etwas Gerechtigkeit in Südamerika zu versuchen. Ohne genaue Durchblick zu haben, hatte ich den Verdacht, dass der ewigwährende Streik der Lastwagenfahrer, von finstren Mächten, sprich der CIA, angezettelt war. Kein Wunder, dass das Militär, dieses Chaos zum Anlass nahm, einzugreifen. Sie taten dies den Vorhersagen meines Vaters zum Trotz, der sagte, das chilenische Offizierskorps sei in Preußen erzogen worden. Dadurch wären zwar keine Demokraten entstanden, wohl aber wüssten sie, was „Gehorrsam“ sei. Offenbar hat auch preußischer Gehorsam ein Verfallsdatum.
Bei der Solidaritätsveranstaltung wurde die DDR über den grünen Klee gelobt, weil sie so viele chilenische Flüchtlinge aufgenommen habe, während die BRD… damals sprach man noch vom westlichen Schweinesystem und so.
Zum Schluss trat ein Sänger auf, der zur Gitarre ein mitreißendes Lied sang. Sein Kopf wurde immer röter, die Halsadern blähten sich und die kehlige Stimme brüllte Verzweiflung und Zuversicht in die Welt hinaus.
Ich verstand kein Wort und bedauerte es sehr, dass ich damals noch kein Spanisch sprach. Immerhin kaufte ich beim Ausgang die Platte mit dem Song, man war gebeten, neben dem Preis freiwillig einen Solidaritätsaufschlag drauf zu spenden.
Zu Hause hörte ich mir Song wieder und wieder an: „El pueblo unido jamás será vencido.“ Wenn man französisch spricht, kann man das verstehen. Mehr noch als der Text aber faszinierte mich die Musik. An sich ein stinknormales Marschlied, das sich von Vers zu Vers wiederholt. Der Clou aber ist, wenn nach der drängenden, fordernden Strophe (y ahora el pueblo que se alza a la lucha con voz de gigante gritando ¡ademante!) alle einstimmen zum „El pueblo unido jamás será vencido”. Das geht ins Blut, da fühlt man die Macht, die von Musik ausgehen kann, zumal dann, wenn man davon überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen. Dass solche Musik auch gefährlich sein kann, habe ich mir damals nicht überlegt.
Als ich später auf Ibiza Sprecher bei „Pitiusas Internacional, dem deutschsprachigen Programm von Radio Popular“ war, habe ich den Song öfters abgespielt. Franco war damals erst 3 Jahre tot und Juan der Tontechniker, machte ein bedenkliches Gesicht, wenn er den Song abspielte.
Seither sind viele Jahre ins Land gegangen, Salvador Allende ist seit 45 Jahren tot.
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. Natürlich habe auch ich mit den Zeiten verändert. Aber die Emotion bleibt, wenn ich das chilenische Kampflied höre.
Schon 1990 hat Frederic Rzewski, der US-amerikanische Komponist 36 Variationen zum Thema „El pueblo unido“ geschrieben.
Nur Ausnahmepianisten wie Igor Levit wagen sich daran, dieses extrem schwierige Stück zu spielen, in das zu meinem Entzücken an einer Stelle auch die Melodie von „Bandera Rossa“ eingewoben ist.
Nun habe ich gelesen, dass Igor Levit, bevor er eine Zugabe gibt, etwas zu Antisemitismus, Rassismus und rechter Pöbelei in Deutschland sagt.
Gerade höre ich die Variationen und weiß nicht, ob „El puebo unido“ eine Konstante in meinem Leben ist, oder ob sich da ein Kreis schließt.