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Pressefreiheit 2

Mit meinem Beitrag „Die Presse, vierte Gewalt?“ habe ich gestern für Verwirrung gesorgt und ich bin selbst schuld daran

Mein Fehler war, nicht genau zwischen „Gewalt“ und „Macht“ unterschieden zu haben.

Wie erinnern uns: Der österreichische Bundespräsident hat die Presse die vierte Macht im Staat genannt, und damit einen von der Verfassung gewollten Zustand beschrieben.

Wer Pressefreiheit gewährt, weiß, dass die Freiheit der Meinungsäußerung demjenigen Macht erteilt, der sie ausübt.

Das bedeutet aber nicht, dass ihm der Zugriff auf Gewalt erlaubt ist.

Der Staat hat in einer Demokratie das Gewaltmonopol. Das bedeutet, nur der Staat und seine Institutionen dürfen auf Grund eines Gesetzes in die Freiheitsrechte der in diesem Land lebenden Menschen eingreifen.

Wichtig sind dabei die Worte „auf Grund eines Gesetzes“. Nur so ist gewährleistet, dass die vom Staat als Monopol ausgeübte Macht demokratisch legitimiert ist.

Deshalb war es so absurd, als gestern ein Leser schreib, er habe keine Lust, eines Tages von einem Journalisten verhaftet zu werden. Da hat jemand ganz offenbar im Staatsbürgerunterricht geschlafen.

Ein Journalist mag Macht haben, niemals aber hat er Zugriff auf Gewalt. Gewalt, also den Eingriff in die Selbstbestimmung der Menschen, darf nur der Staat ausüben.

Gestern feierte man in Deutschland den 70. Geburtstag der Verfassung, die nicht so heißt, sondern Grundgesetz.

Der deutsche Bundespräsident Steinmeier sagte zu diesem Anlass, viele Deutsche wüssten nicht, was sie an ihrer Verfassung hätten und ganz viele kennten ihr Grundgesetz nicht.

Offenbar gilt das nicht nur für Deutsche.

 

Die Presse, vierte Gewalt?

Alexander van der Bellen, der österreichische Bundespräsident, hat in einer seiner sehr besonnenen Presserklärungen der vergangenen Tage davon gesprochen, die Presse sei die vierte Macht im Staat.

Als hätten sie darauf gewartet, brach unter meinen österreichischen, meist verstörend konservativen fb Freunden, ein Sturm der Entrüstung los.

Das sei ein Angriff auf die Gewaltenteilung. Wir erinnern uns, damit ist seit Rousseau die Aufteilung des Staates in drei voneinander unabhängigen Gewalten gemeint, der Legislative, der Exekutive und der Judikative.

Der Presse fehle die demokratische Legitimation, wurde argumentiert.

Nun ist es ja so, dass lupenrein demokratisch legitimiert ist nur die gesetzgebende Gewalt, das Parlament. In der Regierung, der ausübenden Gewalt, kann man durchaus sitzen, ohne ein Mandat im Parlament zu haben, und Richter, die Sachwalter der Judikative, sind überhaupt erst in ihren aller obersten Rängen gewählt, nicht vom Volk, aber immerhin von den vom Volk gewählten Abgeordneten.

Die Vorstellung, die Menschen, die die Pressefreiheit ausüben, die Journalisten nämlich, benötigten eine demokratische Legitimation, ist geradezu absurd. Sie müssten dann ja wohl von Gewählten gewählt werden, oder gar direkt per Volkswahl bestimmt werden.

So seltsam es klingt, aber die Forderung, die Presse benötige eine demokratische Legitimation, ist das Ende der Pressefreiheit und der Beginn des Staatsjournalismus.

Funk und Fernsehen, soweit sie öffentlich-rechtlich aufgestellt sind, werden schon jetzt von Rundfunkräten kontrolliert. Diese setzen sich aus Vertretern des Parlaments plus Vertretern relevanter Gruppen, wie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kirchen etc. zusammen. Das hat bisher trotz mancher Verwerfungen in der Regel gut geklappt.

Die privatrechtlich organisierte Presse, also in erster Linie Zeitungen und die privaten TV Sender, haben keine gesellschaftlich aufgestellten Kontrollorgane.

Sie sind den Regeln ihrer jeweiligen Landesverfassungen verpflichtet, und auch das hat bisher in der Regel gut funktioniert

Warum hat van der Bellen nun von der vierten Kraft im Staate gesprochen?

Weil es so ist. Die Presse, gestützt durch das hohe Gut der Meinungsfreiheit, ist in einer Demokratie stets ein Kontrollorgan der drei etablierten Staatsgewalten.

Wollen wir die Gewaltenteilung nicht idealisieren. Die Legislative, die Exekutive und die Judikative, sie sind alle verbunden durch ein oft schwer zu durchschauendes Geflecht aus persönlichen Abhängigkeiten und Kompetenzkonflikten. Stichwort Kickl.

Die freie Presse bringt ebenso frischen Wind ins Haus, wie der EuGH, der von den Europagegnern so geschmähte oberste europäische Gerichtshof in Luxembourg.

Beide verhindern, dass die Akteure der Legislative, der Exekutive und der Judikative ihr Süppchen untereinander nicht nur kochen, sondern auch essen.

Deshalb mögen Populisten weder die freie Presse noch den EuGH, egal ob sie linksrum oder rechtsrum gestrickt sind.

Das Paradies findest du unter den Füssen deiner Mutter.

In Fes hat und der Direktor unserer Unterkunft, man nennt das dort ein Riad, einen crash Kurs über den Islam erteilt. Er sagte uns, im Islam sei es unbedingtes Gesetz, die Eltern zu ehren und ihnen zu gehorchen. Meine Frage, was denn zu tun sei, wenn der Vater „un vrai con“ ein Volldepp sei, beantwortete er mit einem Lächeln und der Geschichte, dass ein Schüler einst den Propheten gefragt habe, wem man zuerst gehorchen müsse. „Der Mutter“ sprach Mohammed. „Und dann?“ „Der Mutter.“ „Und dann?“ „Dem Vater.“

Es wurde ganz klar, dass neben den fünf Säulen des Islam (Glaube, tägliche Gebete, Almosen, Einhaltung des Ramadan und, so dies Möglich ist, die Pilgerreise nach Mecca) der Zusammenhalt der Familie und der Respekt vor den Eltern und Ahnen der Kitt ist, der die Gesellschaft in muslimisch geprägten Ländern zusammenhält.

Erstaunen macht, die überaus wichtige Rolle der Mutter, da doch ansonsten Frauen vom Islam eher meschant behandelt werden. Es ist offenbar ähnlich wie in südlichen europäischen Ländern, wo die Frau erst dann eine Stellung in der Familie erhält, wenn sie Mutter ist und von Stund an, wenn die Haustür geschlossen ist, angibt was Sache ist.

In unserem crash Kurs wurde dies mit dem schönen Bild umschrieben, das Paradies fände man unter den Füssen seiner Mutter.

Uns war nach kurzer Zeit klar, dass der Islam nur dem Menschen dient und den Frieden zwischen den Menschen aufrecht erhält. Unser Lehrmeister tat so, als wisse er nichts von den islamistischen Anschlägen vor einigen Jahren auf dem großen Platz in Marrakesch. Dass in den Moscheen vieler europäischer Städte jeden Freitag der pure Hass gepredigt wird, schien ihm neu. Wir haben ihm das natürlich nicht abgenommen.

Insgesamt brachte der Vortrag uns dennoch weiter, weil er erklärte, weshalb es immer wieder zu islamischen Terroranschlägen in Europa und anderswo kommt.

Die Attentäter des 9. Septembers in New York, die auf Hebdo in Paris, der auf dem Breitscheidplatz – die Serie ist beliebig verlängerbar – waren junge Moslems, die allein in nicht muslimischen Ländern wohnten. Da gab es keine Mutter, der zu gehorchen war, zumal es auf der ganzen Welt keine Mutter gibt, die ihrem Kind rät, Bomben auf Unschuldige zu werfen.

Die Attentäter waren allein, ihrer familiären Basis entzogen und so blieb nur die Moschee, wo sie, wenn sie Pech hatten, einem Imam fanden, der sie aufhetzte.

Ich komme deshalb zurück auf eine alte Forderung, die ich schon mehrfach propagiert habe:

In Europa predigende Imame benötigen eine Arbeitserlaubnis, und das entsprechende Visum.

Ihre Bezahlung darf nicht aus dem Ausland kommen. Sie müssen Angestellte der Moscheegemeinschaft sein, die sie bezahlt und für sie die Sozialabgaben begleicht.

Sie müssen deutsch sprechen können.

Sie müssen die Werte der europäischen Verfassungen anerkennen, wozu eben auch gehört, dass hier zuerst die verbindlichen Regeln dieser Verfassung gelten und dann erst die freiwilligen der Religion.

Letztlich ist das, was ich da fordere etwas ganz Selbstverständliches: Moslems müssen gleich behandelt werden wie Christen, Buddhisten, Atheisten oder sonstige Gläubige.

 

 

Das Feuer von Paris – eine Strafe Gottes

Die Asche ist noch nicht kalt, da wissen schon die ganz Gescheiten und die ganz Frommen, dass der Brand, der die Kathedrale von Paris zum Glück nur zum Teil zerstört hat, ein Fingerzeig Gottes gewesen ist.

Ist ja auch kein Wunder, denn Europa versinkt in der Ungeistlichkeit, Betrug ist hoffähig geworden, denn unsere aktuellen Kaiser sind die Direktoren der Autoindustrie. Alle deutet auf Dekadenz, sogar die so vernünftigen Briten sind vom Wahnsinnsbazillus befallen. Priester missbrauchen Kinder, und die europäischen Verfassungen nehmen für sich in Anspruch über der Bibel zu stehen. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann GOtt der HErr eingreifen würde.

Beweis: Die Islamisten frohlocken. Denn, dass wir die in Europa geradezu willkommen heißen, sie pampern und ihnen den Weg ebnen, hier die Macht zu übernehmen, das kann nicht im Sinne des lieben Gottes sein, der die, die an ihn glauben, denken macht, sie besäßen den alleinigen Zugang zur Wahrheit. Dass Islamisten auch Kinder Gottes sind, wird dabei vergessen. Alle Menschen sind Kinder Gottes. Die Rechtschaffenen sind es und Hühnerdiebe sowie Massenmörder sind es auch. Da alle Menschen Menschen sind, ist allen Menschen die „condition humaine“ gemein. Es gibt nur einen Gott, die Gläubigen nennen ihn nur verschieden und ihre von Menschen gemachten Heiligen Schriften sind unterschiedlich.

Mir als Christ steht die Bibel zur Verfügung, und da lese ich im ersten Buch Mose, Kapitel 8, Vers 21 nach gehabter Sintflut, als alles wieder blühte:

„Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nichtmehr schlagen, alles was da lebt, wie ich es getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Wer an diese Worte der Bibel glaubt, der kann nicht von einer Strafe Gottes daher schwafeln.

Es fällt auf, dass diejenigen, die auf dem Inhalt der Bibel ihr politisches Süppchen zu kochen, die Bibel erschreckend wenig kennen.

IN SPANIEN KANN MAN GENAU BEOBACHTEN, WESHALB POPULISMUS ERFOLG HAT

Neulich saß ich in Palma im Kino. Im Vorspann wurde ein Film der Regierung der Balearen gezeigt, der Toleranz, Verständnis und Respekt für Transgender Menschen, also für Leute mit unbestimmtem Geschlecht, einforderte.

Als der Film zu Ende war, sagte neben mir eine alte Dame zu ihrem Mann: „Wunderbar, aber dass wir bald unsere Miete nichtmehr bezahlen können, das ist denen keinen Film wert.“

Tatsächlich räumt der Gerichtsvollzieher auf Mallorca an jedem Tage, den der liebe Gott werden lässt, vier Wohnungen wegen ausgebliebener Mietzahlung. Das sind am Tag im Schnitt 16 Einzelschicksale, im Jahr um die 5.000. Schuld daran ist zum großen Teil die Vermietung von Wohnraum an Touristen. 100 € am Tag bringt halt mehr als eine reguläre Monatsmiete. Die Stadtverwaltung von Palma hat unterdessen etwas dagegen diese Praxis unternommen, aber die Maßnahmen greifen nicht richtig, zumal auf dem Rest der Insel tausendfach Airbnb angeboten wird.

Die Dame neben mir hatte vollkommen zu Recht den Eindruck, dass mit dem Film etwas Gutes getan werde, aber dieses Gute ging an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei. „Für mich tut keiner was“, blieb im Hinterkopf hängen.

Dabei Ist es einerlei, ob das „etwas tun“ im Zuständigkeitsbereich der Regierung, der Stadtverwaltung oder der Tarifpartner liegt. Der Eindruck bleibt: „die da oben haben ich vergessen.“

Das Einkommensniveau auf den Balearen lag zum Jahrtausendwechsel bei 114 % dessen, was im übrigen Europa verdient wurde. Heute stehen wir hier bei 95%. Das ist genau 1% realer Einkommensverlust pro Jahr bei steigenden Preisen, steigenden Mieten und trotz steigender Tarifabschlüsse. Fast 20% Einkommensverlust. Und das alles, wo jedermann sieht, dass der Tourismus boomt, dass die Umsätze der Gastronomie und des Einzelhandels steigen, von denen der Hoteliers gar nicht erst zu reden. Fast 20% Einkommensverlust, das muss man erstmal verkraften können, da treten Respekt und Verständnis für Transgender Menschen in den Hintergrund.

Der Eindruck entsteht, dass die Regierung auf billig Sympathien erheischt, die Probleme der Mehrheit aber nicht anfasst.

Auf nationaler Ebene ist es nicht anders. Da wird seit Monaten über die Umbettung der sterblichen Reste Francos gestritten. Nach dessen Tod, wusste jeder Spanier, dass der Stein auf seinem Grab etwa eineinhalb Tonnen wiegt. Der kommt nicht mehr raus, war der tägliche Kommentar beim café con leche in der Bar. Nun soll er also doch und der arbeitslose Jugendliche, der nur noch schemenhaft weiß, um wen es sich bei jenem Franco, handelt, fasst sich an den Kopf und denkt, dass hier Nebelwände hochgezogen werden, mit denen die Regierung ihre Unfähigkeit verbirgt, etwas zu tun, wovon die arbeitsuchende Jugend etwas hat.

Überall bleibt der Eindruck zurück, es werde mit viel Aufwand an Zeit, Energie und Geld etwas Wohlfeiles getan. Niemand kann etwas Essentielles dagegen haben, aber all das berührt das Leben der Mehrheit in keiner Weise.

Das Gefühl, von denen da oben vergessen worden zu sein, ist allgegenwärtig und niemand muss sich wundern, wenn die Vergessenen in Scharen zur spanischen Vox oder zur deutschen AfD überlaufen.

Die machen zwar auch nichts, aber sie sagen, sie würden was machen und sie finanzieren keine sympathischen Filme für Minderheiten.

Natürlich ist der Minderheitenschutz wichtig, die Verfassung gebietet es. Bedauerlich aber ist es, dass immer wieder Parteien mit durchaus vernünftigem Programm gibt, die ihre sichtbare Aktivität auf Minderheiten werfen, ohne daran zu denken, dass in einer Demokratie erst einmal eine Mehrheit dazu gebracht werden muss, diese Parteien zu wählen, damit sie sich unter anderem auch den Minderheiten zuwenden können.

Geburtstagsbriefe

„Lieber Hans

Zu Deinem Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich und wünsche Dir alles Gute zum nächsten Lebensjahr. Wie ich so alt war wie Du jetzt wirst, war ich Soldat und musste aufpassen, nicht jeden Tag mein Leben zu verlieren…“

So begannen die Geburtstagsbriefe, die mir mein Vater zum 22., 23. und 24. Geburtstag schickte. Nach dem dritten Mal machte ich mich über seine Vielseitigkeit lustig mit dem Erfolg, dass er mit bis zu seinem Lebensende zum Geburtstag schrieb, er sei unsicher, da ich ja so hohe Anforderungen an seine Briefe stellte.

Bei allem Necken haben mich die Eingangsworte meines Vaters nachhaltig betroffen gemacht. Sie erwischten mich als unbekümmerten Studenten in Marburg, dann in Lausanne und schließlich in München. Unbekümmert ist gar kein Ausdruck, denn in Marburg hetzte ich der Weiblichkeit hinterher und organisierte Studienreisen nach Paris, in Lausanne kaufte ich mir bei COOP ein Paar Skier und bekam auf einen Sitz gleich mehrere Rabattmarkenbüchlein voll. Dann schaute ich mir die Gegend an und wo es mir gefiel, packte ich die COOP-Bredln aus. In München gedachte ich nun ernsthaft zu studieren. Dazu kam es allerdings nicht, weil mich die Liebe zu sehr in Anspruch nahm.

Genau in diesem Alter war das Hauptanliegen meines Vaters gewesen, aufzupassen, nicht jeden Tag sein Leben zu verlieren.

Neulich hatte ich geschrieben, dass mein Großvater meiner Mutter Vorhaltungen gemacht hat, weil sie uns jeden Abend badete. „So können sie sich dann nicht mir wenig Wasser waschen, wenn sei im Felde stehen“, war sein Vorhalt.

Seit Generationen ist man es in Mitteleuropa gewohnt, dass die männliche Jugend in einem oder mehreren Kriegen dezimiert wird. Es gab keine Generation ohne Krieg.

Und weil das so war, arbeitete die Propaganda daran, alles Militärische gut zu finden. Es ist ja auch nicht so einfach, ganze Völker davon zu überzeugen, es sei gut und gottgegeben, dass die Hälfte der jungen Männer qualvoll stirbt oder verstümmelt zurückkehrt.

Der letzte große Krieg hat in Europa vor 80 Jahren begonnen. Ich kenne keine europäische Epoche, die 80 Jahre lang ohne Krieg ausgekommen wäre.

Natürlich haben wir diese lange Zeit genutzt, Gutes zu tun. Viele haben auf dem Kibbuz gearbeitet, ganz viele haben sich politisch engagiert, andere haben sich um verwahrloste Kinder gekümmert oder haben dafür gesorgt, dass alte Zöpfe abgeschnitten wurden.

Die Wahrheit ist allerdings, dass wir bequem geworden sind. Wir haben Friede, Freude, Eierkuchen für den Normalzustand angesehen. Alles lief doch glatt, ganz besonders für uns, die wir nie in unserem Berufsleben auch nur eine Sekunde arbeitslos waren, in deren Leben das Wort Existenzangst nicht vorkam und in deren Staaten vernünftige Politiker agierten.

Besonders Letzteres ist vorbei. Es ist Vieles vorbei. Ohne Scheu bedienen sich Politiker, die äußerlich von anständigen Menschen nicht zu unterscheiden sind, der Lüge, der Hetze und sie nutzen die Stimmen derer, mit denen sie nicht mal eine Currywurst zusammen essen würden, um darauf ihre Süppchen zu kochen.

Das ist alles brandgefährlich. Das kann leicht dazu führen, dass die lange Phase des Friedens in Europa ihrem Ende zu taumelt.

Ich möchte nicht, dass mir ein Neffe oder Enkel zu einem künftigen Geburtstag schreibt, er hoffe, so alt werden zu dürfen wie ich, denn momentan stehe er im Felde…

Fisimatenten und Vasisdas

Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Franzosen beherrschen es besser, Frauen für sich einzunehmen als ihre deutschen Kollegen.

Ob das schon immer so gewesen ist, weiß ich nicht, klar ist allerdings, dass es zu Napoleons Zeiten bereits zutraf.

Als die unübersehbar großen Armeen der Korsen vor den Dörfern und Städten Deutschlands lagerten, war die Neugierde natürlich groß.

Diese Neugierde hat sich bis in meine Jugend gehalten: Wenn die Amis im Wald biwakierten, sind wir ihnen gefolgt haben Kaugummi bekommen, ihre Panzer bestaunt und gemerkt, dass die schwarzen Gis viel netter zu uns waren als die weißen.

Aber zurück zu Napoleon und seinen Soldaten. Wenn die Arbeit getan war, strömte die Jugend hinaus in die Zeltlager und bestaunte die fremden Männer, die in einer Sprache redeten, die oft nicht einmal der Pfarrer verstand.

Bald schon fanden die Mädchen heraus, dass die fremden Soldaten mit ihren eigenartigen Worten sie umgarnten. Sie schenkten ihnen Blumen oder Süßigkeiten und sie redeten unaufhörlich auf sie ein.

Das gefiel den jungen Mädchen natürlich und zu Hause verfielen Mütter und Tanten in abgrundtiefe Sorgen um die Sittsamkeit und damit Verheiratbarkeit ihrer Töchter und Nichten.

Nicht auszudenken, wenn da was passieren sollte, die Schand, die Schand.

Dann wurde ruchbar, dass die Mädchen langsam verstanden, was die Franzosen ihnen zuriefen. Die unverfrorenen Lümmel luden sie ihn ihr Zelt ein: „Visitez ma tente“, riefen sie.

Das ging natürlich entschieden zu weit, und wenn am späten Nachmittag die Mädchen außer Haus gingen, dann riefen ihnen Mütter, Tanten und Omas nach: „Aber keine Fisimatenten, gelle!“

Die Älteren waren in heller Panik. Man erlaube mir dazu ein nicht ganz stubenreines Wortspiel:

On a paniqué, même qu‘on n’a pas niqué.

Trotz aller Warnungen kam es natürlich zu sogenannten Franzosenkindern, die meist méchant behandelt wurden, die Armen. Sie konnten ja wirklich nichts dafür

Immerhin hat sich das Wort „Fisimatenten“ bis heute gehalten.

Im Französischen gibt es übrigens ein ebensolches sprachliches Unikum aus Kriegstagen. Wenn 1871 deutsche Soldaten in Frankreich ein Haus durchsuchten, deuteten sie immer auf die Stiege zum Dachboden und fragen. „Was ist das?“ Sie wollten wissen, was da oben sei. In weiten Gegenden Frankreichs wird die Dachbodenstiege von einer über ihr angebrachten Dachluke beleuchtet. Und so gibt es im östlichen Teil Frankreichs noch Menschen, die für eine Dachluke einen seltsamen „terminus tecnicus“ haben Er lautet Vasisdas.

Der Krieg ist eben doch der Vater vieler Dinge.

Keine Verfassung für UK

Großbritannien hat keine geschriebene Verfassung und deshalb gibt es auch nicht das, was für eine normale repräsentativer Demokratie selbstverständlich ist, ein Verfassungsgericht nämlich.

Das rächt sich nun. Man merkt es daran, dass die Briten offenbar kein Gefühl für die Gewichtung von Mehrheiten haben. In Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland reicht bei weniger wichtigen Dingen zur Verabschiedung die Mehrheit der im Parlament Anwesenden, bei wichtigeren Angelegenheiten ist die absolute Mehrheit notwendig, und bei ganz wichtigen, müssen es sogar 66% sein. So geschehen neulich in Berlin, als man die Finanzierung des Bildungssystems (Ländersache) verbessern wollte. Dazu musste das Grundgesetz geändert werden. Das gelang im Bundestag, in der Länderkammer, im Bundesrat, scheiterte die Verfassungsänderung, weil alle Länder zwar gerne mehr Geld hätten, nicht aber um den Preis, dafür dem Bund Kompetenzen abtreten zu müssen.

Hohe Hürden hat der Verfassungsgeber gesetzt, um das Herumwursteln in der Verfassung zu verhindern. Gut so.

Um wie viel wichtiger, als eine Kompetenzveränderung im Bildungssystem ist der Austritt aus der EU?

In Großbritannien wurde der Brexit nicht nur durch eine Volksbefragung ausgelöst, es kam erschwerend hinzu, dass diese mit Lügen vorbereitet wurde, und was im Getümmel unterging, sie verpflichtete die Regierung zu nichts, da in der nicht geschriebenen Verfassung des Königreichs eine Volksbefragung überhaupt nicht vorgesehen ist.

Von denen, die an der Brexit Volksbefragung teilgenommen haben, waren 51,9% dafür. Mehrheit schrien die Massen. Aber was für eine Mehrheit? Es waren 51,9% für den Brexit, die an der Volksbefragung teilgenommen hatten. Die Wahlbeteiligung lag bei 72,2%. Das bedeutet, von allen wahlberechtigten Briten waren 37,4 % für den Brexit.

Das ist doch keine qualifizierte Mehrheit! Für eine Verfassungsänderung reicht das nicht, zumal ich schon wiederholt vertreten habe, dass die Veränderung der Verfassung nicht per Volksabstimmung geschehen darf, sonst finden wir plötzlich wie die Schweizer in unserer Verfassung das Verbot Minaretts zu bauen. Da gehört das nicht hin.

Ich denke, wir sind uns alle einig, dass eine derart wichtige Entscheidung, wie der Brexit eine andere Mehrheit benötigt, als 37,4% aller Wahlberechtigten. So etwas gehört von Anfang an ins Parlament und dort müssen 66% der Abgeordneten zustimmen.

Aber wir leben von Mythen. Danach ist es toll, dass die Briten keine geschriebene Verfassung haben und sie sich dennoch nicht die Köpfe einschlagen. Und wir leben vom Mythos, wie toll und kuschelig doch eine verbindliche Volksbefragung ist.

Beides rächt sich von Zeit zu Zeit. Seien wir froh, dass wir in allen verbleibenden EU Ländern eine geschriebene Verfassung mit einem funktionierenden Verfassungsgericht haben. Und seien wir noch ein Stück weit froher, dass wir in Luxembourg den Europäischen Gerichtshof haben, der den verschiedenen Verfassungsrichtern auf die Finger schaut.

„Das ist ein Verlust an Souveränität“, schreit es von rechts. In erster Linie ist der EugH ein Gewinn an Rechtssicherheit für jeden Bürger.

Und was sich in London derzeit abspielt, ist uns allen hoffentlich eine Lehre.

Volksabstimmung in der Schweiz

Neulich saß ich mit einem sehr guten Freund zusammen und wir sprachen über den Katalonien Konflikt. Als Schweizerbürger hatte er sogleich eine Lösung an der Hand: „Wir würden wählen – aber alle.“

Es ist absolut bewundernswürdig, wie sehr die direkte Demokratie jedem Schweizerbürger selbstverständlich geworden ist. Niemand käme auf die Idee, dass bei einer Loslösung eines Teils nur dieser Teil abstimmt, es ist immer das Ganze. In Katalonien geht man mit demokratischen Scheuklappen davon aus, dass die Unabhängigkeit dieses spanischen Landesteils nur die Katalanen etwas anginge.

Wie gesagt, ich bewundere die Schweizer direkte Demokratie und hauptsächlich bewundere ich die gelebte Natürlichkeit, mit der die Schweizer damit umgehen.

Das hat allerdings seine Grenzen. Für mich war das Minarett Verbot (2009) eine erste Grenzüberschreitung. Es ist schon sehr fragwürdig, wenn in einem Land, in dem aus geschichtlichen Gründen die religiöse Toleranz sozusagen erfunden wurde, es einigen Menschen verboten wird, sichtbare Symbole ihrer Religion aufzustellen. Wie geht es dann mit der Gleichbehandlung konform, wenn ein Kruzifix am Wegesrand steht?

Und wie ist es juristisch-systematisch? Was hat das Verbot, ein Minarett zu errichten, in der Verfassung verloren? Das gehört – wenn schon – in die Bauordnung.

Das Problem der direkten Volksabstimmung ist, dass sich mit Hilfe populistischer Parolen die Vorstellung breit gemacht hat, alles sei durch einen Wahlgang einer Veränderung feil.

Das Wissen darüber, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat unverhandelbare Grundpfeiler gibt, ich denke an Gewaltenteilung, Gleichbehandlung aller, Unabhängigkeit des Richteramtes, dieses Wissen scheint unter der Euphorie über alles und jedes abstimmen zu können, unterzugehen.

Heute lese ich in der Zeitung, in der Schweiz solle über einen Volksentscheid in der Verfassung festgeschrieben werden, dass Bauern, die Kühe mit Hörnern halten, eine Subvention bekommen. Was hat das in der Verfassung zu suchen? Es würde genügen, im Tierschutzgesetz festzuschreiben, dass das schmerzhafte Kappen der Hörner und das Veröden der Wundstellen verboten wird. Außerdem kann man Kuhhörner wegzüchten, wenn sie denn wirklich im Stall so sehr stören. Also ich jedenfalls halte es für ausgesprochen Blödsinn, zu behaupten, die Milch von Kühen mit Hörnern schmecke besser oder sei gar gesünder.

Die Verfassung ist ein zu hohes Gut, als dass man sie zum Popanz des Zeitgeistes verkommen lassen kann.

Ob es sich bei den Hornliebhabern um Spinner handelt, kann ich nicht beurteilen, der Verdacht drängt sich einem aber auf. Ich gebe aber zu, dass die Welt nicht untergeht, wenn in welcher Verfassung auch immer drinsteht, dass Kühe Hörner haben müssen. Aber wo führt das hin?

Irgendwann wird das Volk womöglich darüber abstimmen wollen, dass in der Schweizer Verfassung festgehalten wird, dass Streichhölzchen nur mehr blaue Zündköpfchen haben dürfen. Das Beispiel ist mit Absicht derart absurd gewählt, aber vor vierzig Jahren hätte sich auch noch keiner in der Schweiz träumen lassen, einmal über Minarette oder Hörner abstimmen zu sollen.

Vox populi, vox Rindvieh, also Vorsicht beim Umgang mit Volksabstimmungen.

Treuenbrietzen

Auf langen Autofahrten vertreiben wir uns unter tatkräftiger Mithilfe unseres Vaters die Zeit damit, unanständige Verse zu dichten. Bedingung war, dass das Sch-Wort darin vorkam: „Wer Sch auf den Dachfirst klebt, beweist, dass er nach Höh‘rem strebt“. Oder wir suchten nach Schüttelreimen: „Das möcht‘ ich doch beim Pöbel missen, das ew‘ge an die Möbel Pissen.“ Man sieht, der Unanstand hielt sich in überschaubaren Grenzen. Bei ganz langen Fahrten sangen wir Moritaten wie die vom Frauenzimmer Sabinchen, das bekanntlich unter den Händen eines jungen Mannes aus Treuenbrietzen ein bitteres Ende fand.

Man hätte annehmen können, dass damit der Ort südlich von Berlin den Höhepunkt seiner Einflussnahme auf mein Leben erreicht hätte. Treuenbrietzen kennt kein Mensch, außer denen, die dort leben und nötigt denen, die die Moritat kennen, ein wissendes Lächeln auf die Lippen, wenn sie an der nach dem Städtchen benannten Autobahnausfahrt vorbeikommen: „Sie rief verfluchter Schuster…“

Doch dann kam dieser extrem heiße und wasserarme Sommer 2018, und die Wälder um Treuenbrietzen brannten lichterloh: „Nadelholz Monokultur, sonst wächst auf dem märkischen Sand ja nichts“. Man hörte es im Radio und las es in der Zeitung.

Jeder, der Verwandte hat, die vor der Flucht im Osten Deutschlands gelebt hatten, kennt dieses allgegenwärtige Gemälde über dem Sofa, auf dem Kiefern in der Abendsonne zu glühen scheinen. „Ja, so sah es bei uns zu Hause aus, außer Kiefern und Fichten wuchs auf dem Sand ja nichts — nur Kartoffeln, die konnte man auch noch anbauen“. Nach einer weiteren kleinen Pause folgte meist der Seufzer „Preußen hat sich großgehungert!“

Ich kenne den Osten Deutschlands erst seit dem Jahr 2014. Ich kam damals aus Spanien nach Berlin in der festen Überzeugung, hier in erster Linie Fichten- und Kiefernwälder vorzufinden, die in der Abendsonne erglühen. Der erste Eindruck bestätigte meine Erwartungen: waldbauliche Langeweile.

Doch wenn wir uns aufmachten, um die Umgebung Berlins zu erkunden, wenn wir nach Rheinsberg fuhren, nach Brandenburg an der Havel oder nach Templin, dann bewunderten wir diese wunderbaren Alleen, schließlich jeden einzelnen Alleebaum für sich.

Bald fiel auf, dass das alles Laubbäume sind: Linde, Ahorn, Kastanie, Eiche. Sie wachsen alle auf märkischem Sand. Jeder vernünftige Mensch muss sich nun fragen, weshalb im Wald nur Kiefern und Fichten wachsen, am Straßenrand aber überhältige Laubbäume?

In diesem Jahr tragen besonders die Eichen reiche Frucht. Wer „The story of Ferdinand” von Munro Leaf kennt, von dem jungen Stier, der sich aus Versehen auf eine Hummel setzt und deshalb fälschlicherweise für einen „toro bravo“ gehalten wird, weiß wie fruchtragende Eichen aussehen, nur dass in der Wirklichkeit dieses Sommers nicht haufenweise Korken sondern tatsächlich Eicheln am Baum hängen.

Warum also gibt es hier so viele Nadelbaum Monokulturen, wo doch für jeden sichtbar ist, dass auch andere Pflanzen aus Gottes Füllhorn auf dem märkischen Sand gedeihen können?

Warum haben die Forstleute hier so wenig dafür gesorgt, einen Mischwald hochzuziehen?

Okay, in der Zeit, als für Honecker der Wald in erster Linie dazu diente, ein „dreifaches Horrido“ ausbringen zu können, war das vielleicht nicht so einfach. Aber seither sind auch schon wieder dreißig Jahre ins Land und in den Wald gegangen. Geändert hat sich wenig.