Archiv der Kategorie: Europa

Wer ist schuld?

Es ist bezeichnend, dass, statt Lösungen zu suchen, ganz viele liebe Mitmenschen fragen, wer schuld ist an der sich abzeichnenden Katastrophe, die sich an der türkisch-griechischen Grenze zusammenbraut.

Die Frage nach der Schuld ist ein probates Mittel, von dem abzulenken, was wirklich notwendig ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, traut sich die Politik, die Kirche, das Weltgewissen nicht, Tacheles zu reden.

Dabei ist es einfach: Man lässt keine Menschen in der Winterkälte erfrieren, basta.

Es ist derzeit vollkommen unerheblich, ob die Flüchtlinge auf Erdogans Kosten an die Grenze gekarrt werden, es ist auch unerheblich, zu fragen, ob diese Menschen besser daran getan hätten, dort zu bleiben, wo sie bisher in der Türkei waren.

Diese Menschen sind da, sie sind in Not, und die europäischen Staaten sind in der Lage, ihnen zu helfen.

Aber nein, man fragt, wer an all dem Schuld trägt, und der geneigte Leser hat längst schon erahnt, wer das ist: Angela Merkel, natürlich, wer denn sonst?

Nun ist es ja so, dass Schuld in erster Linie durch aktives Tun erzeugt wird. Zur Erinnerung: 2015 hat die Bundeskanzlerin auf eine Notsituation reagiert und es könnte sogar sein, dass sie sich damals an das C im Namen der Partei erinnert hat, der sie angehört.

Niemand, wirklich niemand bestreitet, dass damals im September 2015 Fehler gemacht wurden, und noch weniger ist zu bestreiten, dass noch mehr Fehler in den darauffolgenden Monaten gemacht wurden.

Wenn man allerdings bemerkt, dass Fehler begangen wurden, dann hat man als anständiger Mensch nach Lösungen zu suchen, statt mit nacktem Finger auf die Bundeskanzlerin zu deuten.

Derzeit weiß niemand, welches Ausmaß die sich zusammenbrauende neue Flüchtlingskrise annehmen wird. Dessen ungeachtet, ist nun Aktion, Handeln angesagt. Da es nicht möglich sein wird, eine schnelle politische Lösung zu finden, muss nun sofort der griechische Staat massiv unterstützt werden, damit der die Flüchtlinge von den Inseln holen kann und damit er die Flüchtlinge an der Landgrenze zur Türkei sicher und menschenwürdig unterbringen kann.

Ich erinnere mich nicht an ein derart beschämendes Zögern Europas vor einem Problem, das mit Händen zu greifen ist.

Helft den Menschen jetzt!

Dabei fällt mir ein, dass offenbar vergessen wird, dass die aufgewühlte Situation im Nahen Osten zu einem großen Teil Konsequenz der Kriege der USA ist. Erinnern wir uns: Die Kuweit Kriege und der Irak Krieg wurden geführt, weil es dort Erdöl gibt und damals war sich die US-Administration nicht zu schade, den UN-Sicherheitsrat und die Welt zu belügen. Ich sage das nicht als Schuldzuweisung, sondern zur Erinnerung.

Irgendwie ist das alles irreal: Andere fangen Kriege an, bombardieren flächendeckend bewohntes Gebiet und geben einen Dreck auf frierende, auf erfrierende Kinder, aber schuld an allem hat Angela Merkel.

Griechisches Tränengas

Ich bin beschämt, wenn ich davon erfahre, dass Flüchtlinge, die die türkisch-griechische Grenze überwinden möchten, von griechischen Grenzpolizisten mit Tränengas zurückgetrieben werden.

Das ist einfach unanständig. Die Griechen können immerhin noch argumentieren, sie handelten in Notwehr, weil sie keine Unterstützung der EU-Partner erhielten.

Was Europa da gerade macht, ist richtig perfide: Wenn man die Griechen unanständig handeln lässt, hat das den Vorteil, dass man sich nicht selbst die Hände oder das Gewissen schmutzig machen muss.

Wir wissen alle, dass man Menschen, die vor dem Krieg, vor der Not und vor der Repression fliehen, nicht aufhalten kann. Irgendwann überwinden sie jedes Hindernis, nachdem – nota bene – Tausende dabei ihr Leben haben lassen müssen.

Die europäische Regiereden kennen natürlich die internationalen Übereinkommen zur Behandlung von Flüchtlingen. Sie wenden sie aber nicht an, weil sie genau wissen, dass die Flüchtlinge zu schwach sind, um ihre Rechte einzuklagen und weil alle ein Wahnsinns Angst davor haben, dass neue Fremdlinge, das Fremde schlechthin, Wähler in die Arme der Populisten treiben könnte.

Wir stehen voraussichtlich gerade vor einer neuen Flüchtlingswelle. Die Türkei mit annähernd so vielen Einwohnern wie Deutschland, hat 3,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, kurz man platzt dort aus allen Nähten. Dass Erdogan das irgendwann einmal als politisches Druckmittel nutzen würde, ja sogar in dem von ihm angezettelten Krieg die Unterstützung der NATO verlangt und verlangen darf, das war doch allen glasklar.

Der NATO Generalsekretär Stoltenberg hat nun gesagt, man werde die Türkei unterstützen… mit Aufklärungsflugzeugen und so. Was passiert, wenn die Türkei aktive Mithilfe nach Artikel 5 des NATO Vertrages verlangt? Da wird man denn auch in den europäischen Hauptstädten, wo man in der Flüchtlingspolitik bisher gemauert hat, feststellen, dass die Aufnahme von mehreren Hunderttausend Menschen billiger gewesen wäre als aus Bündnistreue heraus Krieg führen zu müssen. Ich benutze das Wort „billig“ nicht nur im monetären Sinn, es wäre auch gut und billig gewesen, statt Krieg zu führen, Flüchtlinge aufzunehmen. Ich benütze das Wort „billig“ aber auch, weil in einem Krieg Menschenleben verloren gehen, und das ist in jeder Beziehung teuer.

Die europäische Politik weiß an sich ganz genau, wie mit den Flüchtlingsströmen umzugehen ist: Aufnahme und Integration, wobei ich es durchaus begrüßen würde, wenn die Integration mit mehr Nachdruck betrieben würde. Das wird man wohl über geldwerte Anreize bzw. Kürzungen machen müssen. Die derzeitige Situation, dass man die Flüchtlinge mit Geld versorgt aber sich sonst nicht kümmert, ist jedenfalls kein haltbarer Zustand.

Man fragt sich, woran es liegt, dass da derzeit so viel schiefläuft und in naher Zukunft noch schiefer laufen wird. Ich bin kein Politikwissenschaftler, aber ich habe den Eindruck, dass die europäische Politik die Hosen bis zum Eichstrich voll hat. Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Populismus. Dagegen hilft nicht die Politik des feuchten Hosenbodens.

Wenn die Politik aus Angst vor den Rechtsextremisten, vor den Nazis, vor den Vogelschiss Verharmlosern wie ein hypnotisiertes Karnickel wirkt und den Eindruck der Handlungsunfähigkeit ausstrahlt, dann haben die Höckes, Salvinis, LePens, Erdogans und Orbans schon einen Teil ihrer Ziele erreicht.

Ich komme zum Anfang zurück: Das Tränengas an der türkisch-griechischen Grenz beschämt mich nicht, weil ich ein Gutmensch bin, auch nicht, weil ich ein Christ bin, nein, es beschämt mich, weil ich ein Demokrat bin.

A Bisserl an Schuss ham’s schon!

Wenn wir morgen aufwachen, gehört ganz Großbritannien nicht mehr zur EU.

Das führt zu mehreren Fragen, wobei die wohl wichtigste die ist, wann Teile des UK wieder eintreten werden, was zwangsläufig zum Ende des „United“ führen wird.

Nun stehen wir vor einem Jahr der Verhandlungen und es wird absehbar hoch hergehen. Schwierig wird es für Michel Barnier werden, er muss die Verhandlungen auf der EU Seite führen. Es wird schwierig, weil die Gefahr besteht, dass insbesondere in Handelsfragen die verbleibenden EU Staaten nicht an einem Strang ziehen werden. Die einen werden auf den freien Austausch von Dienstleistungen drängen und die anderen auf die Fischgründe um die Insel schielen. Es wird spannend.

Die EU sitzt ja auch wirklich in der Klemme: einerseits will sie nichts Böses für die Briten, andererseits darf das Ergebnis nicht so aussehen, als ginge es ihnen nach dem Brexit besser als vorher. Der Zusammenhalt der EU wäre dann gefährdet.

Und wie will man die Katalonien-Frage beantworten, wenn man ein abgetrenntes Schottland freudig in der EU begrüßt?

Die armen Spanier haben es ja sowieso jetzt schwerer: Wenn es hart auf hart kam, haben sie immer die Gibraltar-Karte gespielt und ihren Willen bekommen. Nun müssen sie sich bilateral mit London streiten. Da bleibt als Druckmittel nur noch, die in Spanien lebenden englischen Rentner schlecht zu behandeln. Aber wer will das schon? Ganze Landstriche an der Mittelmeerküste leben von dem Geld, das die Briten dort ausgeben.

Auch für Frankreich und Deutschland wird es schwieriger. Die verbleibenden zwei Großen sind künftig auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, wollen sie nicht riskieren, die EU zu blockieren. Erfreulich ist, dass die “Mittelmächte“ wie Polen und Spanien nun mehr Einfluss bekommen werden. Wenn Italien aufhört, Chaos mit Staatskunst zu verwechseln, kann auch die Apennin Halbinsel zu denen gehören, die das weggefallene Gewicht der Briten ersetzen.

Es gibt aber auch Erfreuliches, zumindest gibt es Hoffnung darauf: Es sieht so aus, als ob für den widerlichen Opportunisten Nigel Farage jetzt kein Platz mehr auf der politischen Bühne ist. Wenn wir den Kerl nichtmehr sehen und hören müssten, das wäre doch wirklich eine feine Sache!

Insgesamt wird es ab morgen in der EU trauriger zugehen, als bisher. Ich denke da nicht nur an den englischen Humor, sondern an die vielen durchaus berechtigten Eigentümlichkeiten unserer britischen Mit-Europäer.

Diese hat ein von mir sehr geschätzter Wiener Kollege, nach zwei Tagen Seminar in Nottingham, an denen er wegen des Linksverkehrs fast überfahren worden wäre, an denen er mit den Knöpfen im Aufzug gekämpft hatte, an denen er sich stets Pfeffer statt Salz aufs Frühstücksei gestreut hatte, wie folgt zusammengefasst:

„A Bisserl an Schuss ham’s schon, die Briten.“

Er wusste damals noch nicht, wie Recht er behalten sollte.

 

 

Johnsons Erdrutschsieg (?)

Die deutsche Presse schreibt ständig vom Erdrutschsieg, der dem Premierminister Johnson eine so komfortable Mehrheit im Unterhaus beschert hat.

Das ist zweifellos richtig, und man nur froh sein, dass dem so ist, damit endlich das Gezerre um den Brexit aufhört.

Dessen ungeachtet bleibt der Brexit eine der größten politischen Dummheiten des 21. Jahrhunderts, da gehe ich mit dem John Club einig. Der besteht aus Elton John, John le Carré, John Bercrow und John Rotenhan.

Die Sache mit dem Erdrutsch verdient allerdings eine etwas nähere Betrachtung. Es ist nämlich so, dass die Tories zwar die absolute Mehrheit der Sitze bekommen haben, nicht aber die Mehrheit der Stimmen. Tatsächlich haben mehr Briten für Labour, Liberale und schottische Nationalisten gestimmt als für die konservative Partei.

Das britische Wahlsystem hat außer in den vergangenen Jahren stets für ein stabiles politisches System im Vereinigten Königreich gesorgt. Und mit der ihnen eigenen Disziplin haben die Briten die damit einhergehenden Ungerechtigkeiten ausgestanden.

Das britische Wahlrecht ist wirklich extrem ungerecht. Ich will es an einem Beispiel erklären:

Nehmen wir an, der Wahlkreis XY hat 100.000 Wahlberechtigte. Es stellen sich vier Kandidaten zur Wahl. Kandidat A und B bekommen je 25.000 Stimmen, Kandidat C bekommt 24.999 Stimmen und Kandidat D bekommt 25.001 Stimmen. Dann hat Kandidat D den Wahlkreis gewonnen und zieht ins Unterhaus ein. Allerdings fallen 74.999 Stimmen unter den Tisch und werden in keiner Weise berücksichtigt.

Dies erklärt, weshalb Johnson zwar im Unterhaus gewonnen hat, nicht aber auf der Straße.

Ich halte es für besorgniserregend, wenn in einer Frage, die schon bisher ein Land gespalten hat, nun Nägel mit Köpfen gemacht werden und mehr als die Hälfte der Wähler Parteien gewählt haben, die entweder gar nicht oder nur ein Bisschen für den Brexit waren.

Wie gesagt, es ist gut, dass nun das Gezerre aufhört. Ob das dabei erzielte Ergebnis dem Land gut tun wird, bleibt abzuwarten.

Menschenrechte

Die von der Verfassung garantierten Menschenrechte gelten für alle. Wenn dem nicht so wäre würden sie in Spanien Spanierrechte, in Frankreich Franzosenrechte und in Deutschland Deutschenrechte heißen. Nein, die Menschenrechte gelten für alle, egal welchen Pass, welche Hautfarbe, welche Religion oder welches Geschlecht man hat.

Die Frage sollte aber unbedingt geklärt werden, wer die Einhaltung der Menschenrechte garantiert. Sind sie Normen, die das zwischenmenschliche Leben regeln? Schön wär’s aber leider haben die Menschenrechte keine Bindungswirkung von Mensch zu Mensch.

Vielmehr ist es der Rechtsstaat, der seinen Bürgern gegenüber klarmacht, dass die Ausübung staatlicher Gewalt stets unter Berücksichtigung und Einhaltung der Menschenrechte zu geschehen hat. Da staatliche Gewalt immer von Menschen ausgeübt wird, kann man auch sagen, die Verfassung garantiert, dass vom Staat mit der Ausübung staatlicher Gewalt betraute Menschen sich an die Menschenrechte zu halten haben.

Nun gibt es aber Menschen, die gerne an der Ausübung staatlicher Gewalt teilhaben würden, daran allerdings durch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament gehindert werden. Wir sprechen von den Politikern der Opposition. Die Bänke derselben sollen hart sein, sie sind aber auch kommod, weil man als Oppositionspolitiker viel, reden kann, wenn der Tag lang ist. Greifbare Konsequenzen hat das meist nicht.

Dennoch muss sich auch der Politiker, dessen Partei gerade nicht an der Macht ist, in einem Rechtsstaat strikt an die Verfassung halten, denn es könnte ja sein, dass er einmal an Macht gewählt wird.

Das bedeutet, dass wir nicht vom Staat, von der Exekutiver erwarten und verlangen müssen, dass er die Menschenrechte garantiert, wir müssen dies auch von der Judikative, von der gesetzgebenden Gewalt, vom Parlament erwarten und verlangen. Von jedem einzelnen Mitglied der Parlamente, wie hier festgehalten werden muss.

Wenn in deutschen und österreichischen Parlamenten nun Parteien sitzen, die das Recht auf Asyl einschränken wollen, die die Religionsfreiheit einschränken wollen, die das Recht auf Leben relativieren, indem scharfe Schüsse an der Grenze denkbar werden oder deren Vertreter allen Ernstes postulieren, das Gesetz müsse der Politik folgen und nicht die Politik dem Gesetz, Parteien die rassistische Äußerungen ihrer Mitglieder zulassen, dann, freie Bürger einer Demokratie, dann ist es Zeit nicht nur allergrößte Vorsicht walten zu lassen, dann ist es auch Zeit, zu überlegen, wie diesen Mitmenschen das Handwerk gelegt werden kann. Vor 1933 gab es Politiker, die ganz offen das Parlament dazu nutzten, um es auszuschalten (Stichwort Quatschbude). Diese Situation haben wir wieder. Die Rechtpopulisten sähen Hass und Zwietracht und sind sich dann nicht zu schade, sich als Opfer von Hass und Zwietracht hinzustellen. Diese Leute verkaufen uns für blöde und dies wird ihnen sogar gelingen, wenn wir uns nicht alltäglich darüber im Klaren sind, dass die Einhaltung der Menschenrechte real oder verbal die Messlatte ist, an der sich Demokraten von Autokraten und damit von potenziellen Verbrechern scheiden.

Potenziellen Verbrechern? Ist das nicht ein zu hartes Wort?

Nein! Wer aus der Geschichte nichts gelernt hat und nichts lernen will, der ist auch fähig die Verbrechen derer zu wiederholen, die man als die geistigen Väter der Populisten ausgemacht hat.

 

Liebe Greta, sehr verehrte Frau Thunberg

Sie sind nun sechzehn Jahre alt und haben Anspruch darauf, dass man Sie mit „Sie“ anredet.

Sie sind aber auch sechzehn Jahre alt und haben daher das Recht, noch nicht alles zu wissen.

Ich bewundere Ihre Bewegung sehr. Nichts ist derzeit wichtiger als der Klimaschutz. Wir müssen aufhören, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. Da haben sie unzweifelhaft Recht.

Dessen ungeachtet muss ich etwas zu Ihrer sogenannten „Wutrede“ vor den Vereinigten Nationen anmerken: Sie haben es für richtig befunden, den versammelten Staatslenkern dieser Welt einen „Anpfiff“ zu verpassen. „Wie können Sie es wagen“ haben Sie ihnen entgegengeschleudert.

Wer würde das nicht auch gern tun, den anderen die Schuld geben und dabei, ohne es zu sagen, die eigenen Hände in Unschuld zu waschen?

In Ihrem Fall finde ich diese Handlungsweise deshalb so verwerflich, weil Ihre Kampagne längst von der Erwachsenenwelt gekapert wurde, die weiß, wie leicht es ist, die Wut in jungen Herzen zu entzünden.

Sie sind längst zum Vehikel unbekannter Interessen geworden, und das Schlimme ist, dass man den Eindruck hat, dass Sie das bisher noch nicht bemerkt haben.

All das, was Sie anprangern, wird von Ihren Unterstützern gelebt, und seien es nur die Tonnen und Abertonnen von weggeworfenem Plastikmüll, mit denen weltweit die Kommunen nach den Demos vom 20. September zu kämpfen hatten. Da ist mehr Schaden an der Umwelt und in den Köpfen der Menschen angerichtet worden, als Sie möglicherweise bisher erkannt haben.

Sie sind nicht radikal genug, denn Sie nutzen die Möglichkeiten unserer modernen Gesellschaft, wobei es eben diese Möglichkeiten sind, die die Klimakatastrophe mit herbeiführen.

Man lässt sie nicht radikal genug sein, weil Ihre Hintermänner nicht auf warmes Badewasser verzichten wollen, und weil Ihre jugendlichen Unterstützer ihre mitgebrachten Hamburger aus Plastikverpackungen futtern und Ihre Softdrinks aus Wegwerfbechern trinken.

Ich wiederhole mich: Ich bewundere Ihre Kampagne. Aber bitte, tun Sie nicht so, als ob diese möglich wäre, ohne das, was die von Ihnen beschimpften Menschen erreicht haben. Natürlich haben wir dabei Fehler gemacht, schlimme Fehler.

Das ist aber kein Grund, so zu tun, als besäßen Sie die Wahrheit und wir, die Alten sind es, die alles falsch gemacht haben.

Danken Sie mal drüber nach.

Ihr

Hans Rotenhan

 

Versagen auf allen Ebenen

Alle wissen wie es geht: Das Volk wählt die Abgeordneten, diese wählen den Regierungschef und das Ganze wird von Richtern kontrolliert.

Man nennt das Gewaltenteilung. So funktionieren die demokratischen Staaten der Welt

Warum das dort, wo sich einige dieser Staaten zur EU zusammentun, nicht gelten soll, ist unklar.

Warum es bei der Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission anders sei soll, versteht nur, wer resignierend einsieht, dass sich so die Regierungschefs der EU eine Lizenz zum Kungeln erteilt haben.

Zwar ist es richtig, dass weder Weber noch Timmermans, die beiden Spitzenkandidaten bei den Europawahlen im Parlament eine Mehrheit hatten. Daran schuld ist am wenigsten der Wähler. Verantwortung tragen die im europäischen Parlament vertretenen Parteien. Erst durch ihre Unfähigkeit, ihre Stimmen auf einen der beiden Kandidaten zu konzentrieren, haben sie den Regierungschefs die Möglichkeit gegeben, so zu handeln, wie ich es aus meiner Zeit in der Schülermitverwaltung kenne: Die Kleinen da unten können sich nicht einigen, also übernehmen jetzt wir, die Lehrer.

Der Eindruck, Macron hätte darauf von vornherein hingearbeitet, macht sich breit. Und der Verdacht, er habe das deshalb getan, weil er der Bundeskanzlerin eins auswischen wollte, ist nicht von der Hand zu weisen. Es muss ja auch frustrierend sein, wenn der Präsident der „Grande Nation“ seit Amtsantritt von Frau Merkel vor den Augen der Welt immer dann übersehen wird, wenn er einen Vorschlag zur Reform Europas macht. Es verwundert, dass Paris wegen dieser unerträglichen Arroganz aus Berlin nicht schon viel früher in die Trickkiste gegriffen hat.

Immerhin, im Europäischen Rat machte man den Versuch, das Prinzip „Spitzenkandidat“ zu retten und einigte sich auf den Sozialisten Timmermans. Hony soit qui mal i pense, aber es scheint, als sei es der Bundeskanzlerin leichtgefallen, auf Weber zu verzichten.

Nun also stand Timmermans strahlend auf dem Schild. Was dann geschah, ist schier unfassbar: Polen, Ungarn und Tschechien lehnen diesen Mann ab mit der Begründung, der Schuft habe es gewagt, nachprüfen zu lassen, ob bei ihnen zu Haus alles mit rechten Dingen zugeht. Sekundiert werden sie von der Slowakei, wo kritische Journalisten um ihr Leben bangen müssen und von Italien, wo ein ganzes Land von seinem Innenminister einer „enculination générale“ (excuse my french) ausgesetzt wird.

Wir sind also unterdessen so weit gekommen, dass die Hühnerdiebe den Staatsanwalt verhindern können.

In dieser Situation des „rien ne va plus“ wird nun Ursula von der Leyen aus dem Hut gezaubert.

„Ja, irgendetwas musste doch angesichts der Lage passieren!“

Unter diesem Motto und nur unter diesem Motto kann man die Nominierung der Bundesverteidigungsministerin verstehen.

Das Schlimme ist, dass es unterdessen überhaupt nicht mehr darum geht, ob die Dame für das Amt geeignet ist oder nicht.

Die demokratische Glaubwürdigkeit Europas ist nachhaltig beschädigt worden. Nun liegt es an den Parlamentariern in Strassbourg, von der Leyen nicht zu wählen, damit sie uns Wählern noch in die Augen schauen können.

 

Sea Watch 3

Carola Rackete hat gegen italienische Gesetze verstoßen, deshalb ist es nur richtig und konsequent, dass sie verhaftet wurde und dass ihr der Prozess gemacht wird. In den sozialen Medien verstieg sich sogar jemand dazu zu behaupten, alles andere sei der Beginn des Unrechtsstaates.

Auch die italienische Verfassung sagt, dass der Staat Garant der Menschenwürde sei.

Das ist selbstverständlich.

Bundespräsident Steinmeier hat vollkommen richtig gesagt, schließlich sei Italien ja nicht irgendein Staat. Nicht nur gehört das Land zu den Gründungsmitgliedern der EU, die sich auch als Wertegemeinschaft versteht, Italien hatte schon eine Hochkultur, die auch das Wort „humanitas“ kannte, als wir nördlich der Alpen noch auf den Bäumen saßen und Eicheln rülpsten.

Auf den ersten Blick hat die Kapitänin Rackete italienisches Recht gebrochen. Wer nur darauf schaut, vergisst, dass die Grundrechte stets und immer über dem gesetzten Recht stehen. Wo der Staat die Würde des Menschen, die Unverletzlichkeit von Leib und Leben nicht mehr garantieren kann oder will, dort herrscht der sogenannte übergesetzliche Notstand.

Wenn 42 Menschen von einem Schiff aus dem Meer gefischt werden, ganz einerlei, ob das Schiff zufällig vorbeikam oder dort in humanitärer Mission kreuzte, dann muss es den nächsten sicheren Hafen anlaufen dürfen. „Sicher“ bedeutet dabei nicht nur geschützt hinter einer hohen Hafenmole, sondern auch, dass im Land, zu dem der Hafen gehört, voraussehbar den Opfern nicht erneut Unrecht getan wird.

Wenn nun ein Land, das ein Rechtsstaat ist, Hilfe und Anlanden verweigert, dann missachtet es seine eigene Verfassung, es ist nichtmehr Garant dessen, was die eigene „magna carta“ vorgibt. Die Menschenwürde wird dann nicht nur bezüglich der Opfer missachtet, sie wird auch bezüglich der Helfer mit Füßen getreten, denn niemandem ist zuzumuten, zur Untätigkeit gezwungen zu werden, wo man helfen könnte.

Wenn tatsächlich, wie von der Kapitänin befürchtet, einige der Flüchtlinge über Bord gesprungen wären und den Tod gefunden hätten, hätte man sich fragen müssen, ob die Kapitänin wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar geworden wäre. Das Recht auf das Leben und das Recht auf Unverletzlichkeit des Leibes ist ein höheres Rechtsgut als die Gefahr, wegen Missachtung der Hafenordnung ins Gefängnis gesteckt zu werden.

Es ist unbestreitbar, dass es freiwillig gewesen wäre, wenn Menschen ins Meer gesprungen und dort ertrunken wären. Allerdings kann kein vernünftig denkender Demokrat behaupten, der Rechtsstaat habe das Recht, Menschen in die Verzweiflung zu treiben.

Wenn der Innenminister Salvini noch so sehr in menschenverachtender und widerlicher Art und Weise schimpft, sich über Frau Rackete mokiert und damit vergessen machen will, dass da mehr als 40 Menschenleben auf dem Spiel standen, dann sagt das in erster Linie etwas über den Charakter dieses Herrn aus.

Dass es die Menschen, die Italien wohnen, zulassen, dass ihre Regierung eine Politik auf Stammtischniveau betreibt, ist betrüblich aber hoffentlich ein vorübergehender Zustand.

Salvini hat ohne Not in Italien partiell das Recht auf Menschenwürde außer Kraft gesetzt. Für die davon Betroffenen ist das ein übergesetzlicher Notstand. Entgegen geltendem Recht die Einhaltung der Grundrechte zu erzwingen, ist nicht nur legitim, es ist auch Pflicht.

Der Kaiser kummt z’ruck!

Nach den gestrigen Ereignissen hörte man in Österreich sofort Stimmen, die die Restitution der Monarchie einforderten.

Offenbar ist in Wien der Kaiser noch präsenter als in Berlin.

Das wäre womöglich anders, könnte man den letzten davon an der Spree in einer zentral gelegenen Kirche anbeten. Immerhin ist Kaiser Karl der letzte seliggesprochen worden, sein Altar steht in der Augustinerkirche fast an der schönen blauen Donau.

Hinzu kommt, dass Karls Vorgänger, Kaiser Franz Josef nicht nur mit Romy Schneider verheiratet war, sondern auch noch der Sohn eines der besten Dirigenten war, den die Wiener Symphoniker je hatten.

Das Wiener Kabarett der 60er und 70er Jahre ist ohne den Kaiser gar nicht denkbar. „So wie bisher geht’s nimmermehr, sölbst die Perser haltn sich an Schah – ja ja“ sangen Bronner und Konsorten. Sogar der nostalgieunverdächtige Georg Kreisler meinte: „Der Kaiser kummt z’ruck und wird g’haut.“ Nostalgieunverdächtig, ich sagte es bereits.

Eine Wiedereinführung der Monarchie in Österreich hätte zur Folge, dass es auf der Welt dann zwei Kaiserreiche gäbe.

Japan mit einem Bruttosozialprodukt von 4.872.000.000 $ und einer Bevölkerung von 126.045.000 Menschen

Österreich mit einem Bruttosozialprodukt von 416.000.000 $ bei einer Bevölkerung von 8.822.267 Menschen.

Teilt man BSP durch Bevölkerung, stellt sich heraus, dass die Österreicher fleißiger sind als die Japaner, da steht es 38,65 zu 47,15. Brav!

So gesehen, verdient die Alpenrepublik einen Kaiser.

Angesichts des institutionellen, politischen und moralischen Schlamassels, in dem der österreichische Staat und die Österreicher sich seit einigen Tagen wiederfinden, sollten wir die Frage der Restitution der Monarchie zumindest einmal andenken.

Eine monarchische Staatsform ist allen anderen Formen des öffentlichen Zusammenlebens insofern überlegen, als ihre Würde die mögliche Unwürdigkeit ihrer Repräsentanten überstrahlt. Zwar musste Kaiser Gütinand der Fertige wegen geringer geistiger Gaben schließlich durch Franz Josef ersetzt werden. Als dieser in Folge jedoch andauernd Kriege und Provinzen verlor, nuschelte der Abgesetzte auf dem Hradschin: „Dös hätt i au no fertigbracht!“ Beides, das Verlieren und das Nuscheln hat der Institution selbst erstmal nicht geschadet.

Nun ist es ja so, dass Alexander von der Bellen, der derzeitige Bewohner der Hofburg und Connaisseur dessen, was hinter der berühmtesten Tapetentür Europas vorgeht, eine sehr gute Figur macht. Aber man kann sich vorstellen, dass es Österreicher gibt, die finden, in den Armen eines Kaisers ließe es sich besser dösen als in denen eines bürgerlichen Okkupanten der Hofburg.

Und sei es nur deshalb, weil man sich von einem veritablen Monarchen erwarten darf, dass dieser zu allererst das Adelsaufhebungsgesetz vom 10. April 1919 aufhebt.

Drei Wünsche habe ich im Leben frei:

Das mit dem Ende des Kommunismus hat bereits geklappt.

Der Kaiser kommt demnächst wieder nach Wien.

Nun, dann wünsch ich mir jetzt noch einen Cappuccino

 

Österreich

Das Parlament in Wien hat der Regierung Kurz das Misstrauen ausgesprochen.

Nun muss Bundespräsident van der Bellen den bisherigen Bundeskanzler unverzüglich entlassen und eine allseits geachtete Persönlichkeit zum neuen Bundeskanzler bestellen, der dann bis zu Neuwahlen im September ein Kabinett bildet, das aus Experten besteht.

Ideal ist das nicht, aber so sieht es die österreichische Verfassung vor.

Es ist müßig, erneut auf der österreichischen Seele herumzutrampeln, indem hier noch mal vorgekaut wird, was da alles in den vergangenen Tagen geschehen ist.

Deshalb bleiben wir auf dem Boden des Verfassungsrechts und fragen uns:

Könnte das in Deutschland auch so passieren?

Es konnte. In der Weimarer Republik konnte das Parlament so wie heute in Wien geschehen, einer Regierung das Misstrauen aussprechen, ohne dafür zu sorgen, dass sofort eine handlungsfähige Regierung bereitstand. Wohin das führte, wissen wir.

Das Wissen um diese Entwicklung ist der Grund, weshalb es in der verfassungsgebenden Versammlung vor 1949 nie umstritten war, dass wenn schon das Misstrauensvotum des Parlaments notwendig und legitim sei, dann aber auf jeden Fall ein Mechanismus gefunden werden musste, der die Unregierbarkeit des Landes verhinderte.

Deshalb heißt es bis heute im Artikel 67 des deutschen Grundgesetzes:

„Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt…“

Das konstruktive Misstrauensvotum war in die Welt gesetzt, ein Instrument, das der Bundesrepublik bisher eine erstaunliche Stabilität verliehen hat. Erst zwei Mal wurde Art 67 GG angewandt:

Am 24. April 1972 scheiterte Rainer Barzel (CDU) mit einem konstruktiven Misstrauensantrag gegen Willy Brandt (SPD), und am 1.10.1982 hatte damit Helmut Kohl (CDU) gegen Helmut Schmidt (SPD) Erfolg.

In Österreich ist nun das Misstrauen erstmals nach 1945 einem Bundeskanzler und seiner Regierung ausgesprochen worden.

Die Last des Staates liegt nun für einige Tage allein auf den Schultern des Bundespräsidenten van der Bellen.

Für Staatsrechtler wird es nun höchst interessant sein, zu beobachten, wie sich die Situation bis zu den Neuwahlen entwickelt.

Ich kann nur empfehlen, täglich um 22 Uhr ZIB 2 auf 3-Sat anzuschauen. Es ist dies die hervorragende, journalistisch vorbildliche Spätausgabe des österreichischen Fernsehens.