Archiv der Kategorie: Europa

Abtreibung

Es gibt wohl auf der ganzen Welt niemanden, der gerne abtreibt.

Die Entscheidungsfindung ist traumatisch und der Eingriff selbst ist erst recht traumatisch.

Dennoch ist der Entschluss, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, eine höchstpersönliche Entscheidung, die in erster Linie die betroffene Frau angeht, und wenn sie in einer Beziehung lebt, auch ihren Mann angeht.

Der säkulare Staat hat sich da nicht einzumischen, er darf aber natürlich beratend zur Seite stehen.

Die Frage der Legitimität der Abtreibung wird heute ausschließlich unter religiösen Gesichtspunkten diskutiert, man verbrämt das unter dem Oberbegriff Ethik.

Allerdings sind weder Ethik noch Religion allgemein verbindlich.

Das aber wird von konservativen Christen jenseits und diesseits des Atlantiks immer lautstärker postuliert. Wie kommen die eigentlich dazu?

Neulich habe ich im Internet den folgenden Satz gefunden:

„Wer findet, dass ein befruchtetes Ei mehr wert ist als ein Flüchtlingskind, der darf nichtmehr behaupten, dass seine Beweggründe religiös begründet sind“.

Dieser Satz wurde populär nur einige Tage, nachdem ein Foto die Runde machte, auf dem sechs Männer um den 45. Präsidenten herumstehen und dieser ein Dekret unterschreibt, wodurch staatliche Beihilfen zu Abtreibung gekürzt werden.

Ich wiederhole: Niemand treibt gerne ab. Aber es gibt Lebenssituationen, die eine Frau mit einem befruchteten Ei im Bauch zu dem Entschluss kommen lassen, die Austragung dieses beginnenden Lebens abzubrechen. Das hat mit Religion nur dann etwas zu tun, wenn man religiös ist.

Wir leben aber nun einmal in einem Land, in dem der Glaube an Gott freiwillig ist. Dessen ungeachtet ist es natürlich gut und sinnvoll, der Frau, die in der beschriebenen schrecklichen Situation der Entscheidungsfindung lebt, beratend zur Seite zu stehen, ja, wo das möglich ist, zu versuchen, den Abbruch zu verhindern.

Es liegt in der Natur der Sache, dass in den Beratungszentren in erster Linie Frauen arbeiten. Es liegt aber in keiner Weise in der Natur der Sache, dass diejenigen, die in der Öffentlichkeit die Abtreibungsdebatte führen, mehrheitlich Männer sind. Ich habe den Eindruck, dass all die US Senatoren, Moralapostel, Pfarrer, Politiker und Gschaftlhuber, die sich zu diesem Thema immer wieder zu Wort melden, zu Hause eine Frau haben, die die Problematik doch etwas differenzierter sieht.

Das Recht, abzutreiben, ist ein essentielles, wenn auch schmerzliches Recht, das eine Demokratie gewähren muss. Wer religiös argumentierend dieses Recht in Frage stellt, befindet sich intellektuell auf der gleichen Stufe wie all die Muslime, die nach Deutschland kommen und finden, sie müssten sich nicht an die hiesigen Gesetze halten, weil ihre religiösen Vorschriften den weltlichen Normen vorgingen.

Daher nochmal: Religion geht nur den etwas an, der ihr anhängt. Aus ihr Weiterungen abzuleiten, die für die Allgemeinheit gelten, ist schiere Übergriffigkeit.

 

 

Moishe Pischeles

Es stehen drei Juden im polnischen Stedl zusammen. Da kommt gravitätisch streitend ein vornehmer Herr im schweren Zobelmantel vorbei.

„Das ist Maurice de la Fontaine, ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann“, sagt Schmul.

„Naja“ entgegnet Herschel, „er hat sich heraufgearbeitet, als wir gemeinsam die Banklehre machten, hieß er noch Moriz Wasserstrahl.“

„Nu“, meint Aaron, „ich hab‘ ihn noch gekannt als Moishe Pischeles“.

Wie fast alle jiddischen Witze hat auch dieser eine Vorgeschichte: Als die polnischen Juden durch die andauernden Teilungen des Landes mal preußisch, mal russisch, mal österreichisch wurden, reichte der Vatername, etwa Moses Abrahamsohn, nicht mehr aus, „richtige“ Nachnamen mussten her. Die jeweiligen Beamten aber machten sich einen Spaß daraus, den jüdischen Neubürgern blöde, spaßige oder erniedrigende Nachnamen zu geben.

Nur zu gut ist zu verstehen, dass viele Juden, sobald sie es sich durch sozialen Aufstieg leisten konnten, diese Namen loswerden wollten. So war es im vorvergangenen Jahrhundert üblich geworden, den Nachnamen zu ändern, zu „dignifizieren“, wofür der obige Witz ein wunderbares Beispiel ist.

Der reiche Schatz an jiddischen Witzen ist in jüdischen Familien stets präsent, und so ist und war es üblich, Menschen durch ein Witzzitat als Person darzustellen, auch dann wenn die äußeren Umstände wirklich nicht danach waren. Als in einem KZ einer der Gefangenen ein Orchester aufbauen wollte, hieß er selbstverständlich sofort Moishe Kalisch. Und das kam so.

Samuel Seligmann, er wohnt im polnischen Stedl, besucht seine zu Geld gekommene Verwandtschaft, die sich in Breslau assimiliert hat, das heißt, man hat jüdische Gepflogenheiten durch solche der christlichen Umgebung ersetzt. So veranstaltet man im Haus der Verwandten eine Soiree, ein Quartett spielt Mozart. Samuel steht verloren in einer Ecke, da erbarmt sich seiner eine der eingeladenen Damen und fragt ihn: „Sind sie musikalisch?“ „Nein, ich bin nicht der Moishe Kalisch, ich bin der Samuel Seligmann.“

Und noch eine wunderbare Geschichte: Max Liebermann hat die Familie des Bankiers Soundso portraitiert. Als das Bild fertig ist, ergeht Einladung und „tout Berlin“ erscheint in der Villa des Herrn Generaldirektors. Man steht vor dem Gemälde, auf dem der Hausherr samt Frau, Kindern und dem Schoßhund der Hausfrau dargestellt sind. Vor Ehrfurcht erschauernd steht die Menge der Gäste schweigend vor dem Meisterwerk. Da tropfen in die Stille die kargen Worte: „Der Tate ist gesind, der Hund ist gesind…“ Schallendes Gelächter, das Bild wurde nie wieder öffentlich gezeigt.

Dahinter verbirgt sich der folgende Witz:

Abe Mendelsohn fährt nach Frankfurt, er muss zum Arzt. Der sagt ihm, er benötige eine Urinprobe. Er möge in die Apotheke gehen, dort werde man das Weitere veranlassen. In der Apotheke gibt man dem Mann ein Fläschchen, in das er bitteschön hineinpinkeln möge. Im Übrigen koste das zwanzig Mark. Abe findet das teuer und bittet sich Bedenkzeit aus. Einige Tage später kommt er zurück und übergibt dem Apotheker zusammen mit einem Zwanzigmarkschein das bis oben gefüllte Fläschchen. Er werde auf das Ergebnis warten. Am Abend kommt er wieder und erfährt vom Apotheker zu seiner Freude, alles sei in Ordnung. Abe stürzt darauf zum Telegrafenamt und kabelt nach Hause: „Die Mame ist gesind, der Tate ist gesind, der Joschele ist gesind, der Hund ist gesind.“
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Mitmenschen in Deutschland gar nicht wissen, welchen reichen Schatz an Kultur, an Esprit und an Weisheit wir durch den Holocaust zerstört haben.

 

Das NPD Urteil und die Theorie der „cuatro gatos“.

Großes Entsetzen wegen des Urteils zum NPD Verbot. Die wichtigsten Kommentatoren des Landes schütteln den Kopf. Der informierte Bürger ist entsetzt, sieht gar das Andenken der Opfer des Nationalsozialismus befleckt.

Das Verfassungsgericht hat die Sauerei nicht verboten! Für Viele reduziert sich das Urteil auf diesen sehr verständlichen Satz. Ja, diese Nazis dürfen mit ihrer Sauerei fortfahren.

Aber halten wir die Empörung doch bitte getrennt von dem, was das Verfassungsgericht geurteilt hat.

Es stand zur Entscheidung ob das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG) höher steht, als das Recht des Staates, sich vor verfassungsfeindlichen Parteien zu schützen (Art 21 GG).

Ob und wie eine Partei verboten werden kann, regelt das Parteiengesetz. Aus der Systematik wird schon klar, dass das Recht der Meinungsfreiheit, wie gesagt ein Grundrecht, höher steht als das, was das Parteiengesetz regelt.

Die Demokratie muss also schon ganz schön in Gefahr sein, damit eine Partei verboten werden kann.

Die NPD ist das, was man in Spanien „cuatro gatos“, vier Katzen nennt. Also eine durchaus überschaubare Anzahl von Menschen. Diese verfechten verfassungsfeindliche Ziele, okay. Aber sie alle zusammen sind derzeit keine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat.

Wie wichtig ist doch das Wort „derzeit“!

Wenn ich einer von der AfD wäre, würde mich das Urteil ganz erheblich erschrecken: Die Afd ist nicht bedeutungslos, und dass in ihr Verfassungsfeinde arbeiten, ist gerade nach dem Auftritt des AfD Mannes Höcke in Dresden am 17. Januar mehr als offenbar.

Für mich ganz ganz deutlich hat das Verfassungsgericht hier einen Hinweis gegeben:

„Solange verfassungsfeindliches Tun von „cuatro gatos“ betrieben wird, ist das zwar nicht toll, rechtfertigt aber unser Eingreifen nicht. In einer Zeit heranwachsender neuer rechter Kräfte kündigen wir aber jetzt schon an, dass für den Fall dass Verfassungsfeindlichkeit und Bedeutung zusammenkommen, wir sehr wohl einem Antrag auf Verfassungsverbot nachkommen werden“.

Das ist ein beruhigender, ein wunderbarer Eingriff in die Tagespolitik. Seien wir froh, dass wir in einem Land mit einem solch starken Verfassungsgericht, in einem Land mit so gefestigter Demokratie, einem Rechtsstaat leben, der die Ruhe bewahrt.

Vive le Verfassungsgericht!

Verlieren wir den Mittelstand?

In der vergangenen Woche habe ich in Palma de Mallorca gearbeitet und dabei wieder einmal festgestellt, dass es unterdessen kein Lokal, keine Autowerkstatt, keine Tankstelle und keine Immobilienagentur mehr gibt, wo nicht mindestens ein Argentinier arbeitet. Das sind meist studierte Leute, die, als sie nach Spanien kamen, wussten, dass sie unter ihrem Niveau arbeiten würden. Zu Hause gab es weder einen Arbeitsplatz noch eine Zukunft. Durch jahrzehntelange Misswirtschaft und Korruption ist dort die Mittelschicht komplett verloren gegangen.

Wenn ich in Deutschland ständig lese, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und sich ganz besonders auf der Seite der Geringverdiener proportional weiter öffnet, dann besteht langfristig die Gefahr, dass auch in Deutschland und Mitteleuropa die Mittelschicht flöten geht.

Bisher war die Mittelschicht die Mehrzahl der Bevölkerung, die am meisten für das Brutto Sozial Innen Produkt aufbrachte, und die auch am meisten konsumierte. Kurz, das sind die fleißigen Leute, von denen Politiker so gerne sprechen, das ist der Teil der Bevölkerung, der am meisten dafür tut, dass die Wirtschaft floriert.

Das sind die so oft belachten Spießer mit gehäkeltem Klorollenschoner und Wackelhund im Rückfenster. Das sind die vielen Menschen, die sich noch die Hände schmutzig machen, mit denen sie dann die Bild Zeitung halten. Das sind die vielen Frauen und Männer, denen wir früh am Morgen in den öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen.

Das sind Mitbürger, denen solche Menschen wie ich, der ich in einem sehr auskömmlichen akademischen Beruf arbeite, dankbar sein müssen. Dass hier in Mitteleuropa alles so wie am Schnürchen klappt, das ist der Mittelschichte zu verdanken. Das sind diejenigen, die nicht nur für sozialen Frieden sorgen, sondern diesen auch halten. Das ist die Basis unserer Gesellschaft. Das ist übrigens auch die Masse der Wähler, die über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt hat, dass Radikale in den bundesdeutschen Parlamenten fast nie etwas verloren hatten.

Dass die AfD nun gerade in diesem Teich fischt, zeigt, wie der Mittelstand merkt, wie sehr er gefährdet ist.

Wenn eine Regierung dies sieht, dies immer wieder aus Gutachten erfährt, und nicht dagegen tut, dann kann, dann muss man mit Fug und Recht von Misswirtschaft sprechen.

In den beiden vergangenen Jahren war das Gezänk über Flüchtlinge stets wichtiger, Putin nahm viel Platz auf der Agenda ein, nun folgt Trump ihm nach.

Da geht das Klein-Klein um den Mittelstand – ich bitte Sie – leicht verloren.

Misswirtschaft eben.

Haben Behinderte ein Geschlecht?

Die Abgeordnete der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, hat zunächst etwas Selbstverständliches festgestellt: Auch Behinderte haben ein Geschlecht.

Dies bedingt, dass Menschen mit Geschlecht, geschlechtliche Bedürfnisse haben, und da scheint die Politikerin in ein Wespennest gestochen zu haben, als sie nämlich nach ihrer vollkommen zutreffenden Feststellung fragte, wie man diese Bedürfnisse am besten befriedigen könne.

Hunger, Durst, Zuneigung und eben auch Sex sind Grundbedürfnisse des Menschen. Hunger und Durst müssen befriedigt werden, andere Bedürfnisse können je nach dem Willen des Individuums befriedigt werden. Betonung liegt auf „nach dem Willen des Individuums“. Nicht andere entscheiden, jeder Mensch entscheidet autonom darüber, wie er seine Bedürfnisse befriedigen will oder nicht, das gebietet Artikel 1 des Grundgesetzes. Danach ist die Würde des Menschen unantastbar. Es kann, es darf daher nicht sein, dass Menschen, deren Lebensbedingungen das Bedürfnis nach Befriedigung des Sexualtriebes erschweren, geschlechtslos leben müssen.

Vor sehr vielen Jahren habe ich einen Film gesehen, in dem ein junger Mann im Lazarett liegt. Das Augenlicht hatte er verloren, der Unterkiefer war ebenso weggeschossen wie Arme und ein Bein. Er wurde künstlich ernährt und liegen gelassen, weil er sowieso bald sterben würde und sein Leben nicht wert war, gelebt zu werden. So sagte der behandelnde Arzt. Und dann kam eine Krankenschwester, die nachts, wenn alle anderen weg waren, diesen geschundenen Körper liebkoste und den jungen Mann geschlechtlich befriedigte. Er würde dadurch nicht länger leben, aber plötzlich hatte sein Leben wieder einen Inhalt. Es war pure Barmherzigkeit der Krankenschwester. Sie wurde natürlich von einer Kollegin denunziert und mit Schimpf und Schande entlassen. Dem jungen sterbenden Soldaten aber hatte man das Einzige geraubt, das ihn noch mit dem Leben auf dieser Erde verband.

Mir gehen die Bilder dieses sehr dezent gedrehten Filmes seit Jahrzehnten nicht aus dem Kopf und sie haben mich gelehrt, dass Zuneigung, Liebe und Sex nicht Privilegien sind, die nur Gesunden zustehen. Nein, es sind Rechte des Menschen, die gleichberechtigt sind mit all den anderen, die er hat.

Frau Scharfenberg regt nun an, der niederländischen Regelung folgend, behinderten Menschen, die dessen ungeachtet selbstverständlich auch sexuelle Begierden haben, von der Krankenkasse bezahlte Prostituierte vorbeizuschicken.

Ein Aufschrei geht durch das Land!

Warum eigentlich? Eine Prostituierte ist doch nicht automatisch eine grell geschminkte, kurzbehoste, langbestiefelte und ordinäre Person. Und wen soll man denn sonst hinschicken? Soll man das Pflegepersonal speziell ausbilden? Soll man es der Familie überlassen? Das ist doch lebensfremder Quatsch!

Es ist gut, dass das Geschlechtliche nicht auf den Marktplatz getragen wird. Alles Intime soll intim bleiben. Das heißt aber nicht, dass die gesellschaftlich akzeptierten Regeln des Umgangs mit dem Geschlechtlichen dazu führen, dass via dieser Regeln entschieden wird, wer Sex haben darf und wer davon ausgeschlossen ist.

 

 

Eine friedliche Geschichte zu Weihnachten

Wenige wissen, dass das Gewässer, das Kanada von Grönland trennt, Kennedy Kanal heißt. Noch weniger aber wissen, dass die Insel, die genau in der Mitte des Kanals liegt, weniger als 12 Seemeilen von der kanadischen Küste entfernt und weniger als 12 Seemeilen von der Küste Grönlands entfernt, Hans Island heißt.

Zwar ist die Insel unbewohnt und wenn man mal ganz ehrlich ist, dann handelt es sich auch nur um einen 1,3 qkm großen Felsen im Eismeer ohne jegliche Vegetation. Dennoch denke, dass die Namensgebung ein Volltreffer ist. Leider gehört mir die Insel trotz des Namens nicht, vielmehr streiten sich Kanada und Dänemark erbittert darüber, wes Eiland der Felsen sei.

Internationale Gerichte wurden befragt, diplomatische Noten wurden ausgetauscht, die UNO behandelte die kitzelige Frage, alles ergebnislos. Beide Seiten halten felsenfest an ihrem Anspruch am Felsen fest.

Auf der Insel ist wirklich nichts los, kein Hafen, keine richtige Anlegestelle, nichts, nada de nada.

Alle paar Jahre aber kommt ein kanadisches oder dänisches Patrouillenboot vorbei und dann entbrennt der Krieg um die Insel jedes Mal von Neuem. Und das geht so:

Der kanadische Kapitän des Bootes erklimmt das Plateau der Insel, entfernt die dort gehisste dänische Flagge, nimmt die dort liegende Flasche Aquavit mit, hisst die kanadische und hinterlässt zu Füssen des Mastes eine Flache kanadischen Whiskeys. Das Fläschchen harrt nun aus, bis irgendwann einmal ein dänisches Patrouillenboot vorbeikommt, dann erklimmt sein Kapitän das Plateau, entfernt die kanadische Flagge, nimmt die Flasche Whiskey an sich, hisst die dänische Flagge und hinterlässt eine Flasche Aquavit.

Beide Staaten können mit diesem verbissen geführten Krieg gut leben und sollten dem Rest der Welt als Beispiel dienen.

Gloria in excelsis deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Frohe und gesegnete Weihnachten!

Aleppo

Ich gehe nicht auf die Straße, weil ich weiß, dass es nichts bringt.

Ich gehe aber auch deshalb nicht auf die Straße, weil ich nicht weiß, wer in diesem Krieg der Schuftigste, der weniger Schuftige und wer nur ein Schuftito ist.

Statt gegen jemanden auf die Straße zu gehen, könnte ich ja auch für jemanden auf die Straße gehen. Okay, ich demonstriere nachher mal eine Stunde lang für die Zivilbevölkerung von Aleppo. Da wird man sich dort aber freuen!

Natürlich brauchen die Menschen in und um Aleppo materielle Hilfe. Ich spende aber nichts, weil ich überhaupt nicht weiß, wem ich mein Geld anvertrauen kann in der Hoffnung, dass damit eine Familie genährt, gewärmt und gekleidet wird. Wenn ich Geld gebe, bin ich vielmehr davon überzeugt, dass es entweder von der Korruption verschluckt oder gar zu Waffenkäufen genutzt wird.

Ich könnte Petitionen unterschreiben und tue es nicht, weil ich mutmaße, dass meine Unterschrift nur dazu dient, dass sich mit ihr und den vielen anderen jemand wichtigmachen will. Noch dazu, was soll ich unterschreiben, wenn ich nicht weiß, wer die Guten und wer die Bösen sind?

Ich engagiere mich nicht, weil ich feststelle, dass das Engagement wichtiger Staatslenker, ja ganzer Staaten, zu rein gar nichts Gutem führt.

Ich sehe mir das Grauen im Fernsehen an und lese in der Zeitung darüber. Ich bin Zeuge eines der größten Kriegsverbrechen seit 1945 – und tue nichts, denn ich weiß, dass keiner der Kriegsverbrecher je zur Rechenschaft gezogen wird.

Mein Nichtstun macht mich mitschuldig. Ich weiß das ebenso wie jeder, der dies liest, es ebenso weiß.

 

Jean Claude pfeift im Dunklen

Kaum hatte ich gestern meinen Betrag über das Abendland veröffentlicht, las ich abends auf der Terrasse eines Straßencafés in Palma einen Artikel den Tusk, Juncker und Stoltenberg in „El País“, der Süddeutschen Zeitung Spaniens, veröffentlicht haben.

Sie priesen darin die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO in den höchsten Tönen und forderten, die Kooperation noch zu vermehren. Warum? Es ist doch allen vollkommen klar, dass EU und NATO für die Europäer und Amerikaner stets von hohem Wert waren. Das war bisher ein „win-win Spiel“.

Wozu muss man das betonen? Das weiß doch jeder!

Oft ist das Wichtige nicht der Inhalt, sondern der Zeitpunkt einer Veröffentlichung. So auch hier.

In gut einem Monat haben wir in den USA einen neuen Präsidenten, der zwar unberechenbar ist, aber unmissverständlich klar gemacht hat, dass er nicht mehr bereit sei, auszugleichen, was die Europäer in ihren Wehretats sparen. Bisher haben die USA – um ihrer Freude an der eigenen Hegemonie willen – den Großteil der militärischen Kosten und Lasten in der NATO getragen.

Toll sagten die europäischen Finanzminister und strichen die Verteidigungskosten dermaßen zusammen, dass ein großer Teil des militärischen Geräts entweder veraltet oder unbrauchbar geworden ist.

Das wird so nicht weiter gehen. Und deshalb hat der erwähnte Artikel ein „Gschmäckle“ weil er wirkt, als pfiffen die drei Herren in Dunklen, um so das „böse Tier“ nicht fürchten zu müssen.

Das „böse Tier“ ist die unangenehme Situation, dass die drei Herren genau wissen, dass sie etwas unternehmen müssen, aber nicht wissen wie.

Ganz eindeutig geht der Weg hin zu einer europäischen Verteidigungsallianz. Das wird teuer. Aber das ist noch das kleinste Problem, denn es wird schwierig werden, die europäischen Partner unter einen Hut zu bekommen. Es sind ja nicht nur die Regierungschefs, die sich einigen müssen. Hinter diesen steht ihr jeweiliges Wahlvolk. Und da mag so mancher Politiker die bekannte Arie anstimmen: „La gente è mobile, qual pluma al vento“.

Ich befürchte eine nicht enden wollende Diskussion, die nur zu Einem genutzt wird: Nichts zu tun.

Wenn sich die USA mehr und mehr von der Weltbühne verabschieden, kann das durchaus sinnvoll und nützlich sein, aber es entsteht ein militärisches und diplomatisches Vakuum. Europa ist gut beraten, wenn es sich darüber klar wird, dass es die europäischen Staaten und Institutionen sind, die dieses Vakuum ausfüllen müssen.

„Das schaffen wir nie, Europa ist zu klein dazu!“ Ich höre die Rufe schon jetzt. Aber die Rufer haben nicht Recht. Die europäischen Staaten sind gemeinsam so stark wie die USA. Und sie haben einen wirklichen Vorteil: Ihr Image ist nicht so befleckt, wie das der Amis. Das mag daran liegen, dass sich die EU weltpolitisch immer fein rausgehalten und sich deshalb nicht die Hände schmutzig gemacht hat. Die Staaten Europas sind alle mehr oder minder vorbildliche Demokratien, ein Vorteil, der hoffentlich bei den anstehenden Wahlen nicht flöten geht.

Alles in Allem bedeutet das, Europa kann. Die Frage, ob es auch will, ist bisher unbeantwortet und die Herren Tusk, Juncker und Stoltenberg hatten sicher die Absicht, mit ihrem Artikel die notwendige Diskussion anzuschieben.

Marmelade, Mus und Saft

Im Herbst gibt es einen Geruch, den ich über alles liebe: Der Rauch der Kartoffelfeuer. Leider hatte mein Vater seinen landwirtschaftlichen Betrieb schon sehr früh insoweit rationalisiert, als nur noch das angebaut wurde, was mit dem Mähdrescher geerntet werden konnte. So musste ich zu den Bauern im Dorf ausweichen, wenn ich bei der Kartoffelernte mithelfen wollte, denn nur so kam man an die wunderbaren Kartoffeln, die in der Glut der Feuer gegart wurden.

Ich hatte mir den Metzgers Bedä ausgesucht und ging mit ihm und seiner ganzen Familie hinaus auf den Kartoffelacker

Der Metzgers Bedä hieß weder Metzger noch Peter. Da sein Vater Hausschlachtungen machte, hieß ursprünglich dieser so. Und dann war der Name halt auf den Sohn übergegangen, der eigentlich Martin Zürl hieß.

Der Metzgers Bedä hatte einen Apparat an seinen Traktor geschraubt, der die Kartoffeln aus dem Erdreich holte. Wir mussten die „Grumbern“ nur in geflochtenen Körben aufsammeln, die, wenn sie voll waren, in große Säcke entleert wurden. Mit der Zeit wurde das für mich, den damals noch nichtmal Zehnjährigen, anstrengend. Ich sehnte mich nach der Brotzeit.

Als es so weit war, wurden die vollen Säcke zu Boden gelegt und die Mannschaft versammelte sich darauf sitzend in der Nähe des wärmenden Kartoffelfeuers. Das Brot wurde mit der Hand geschnitten und aus den Brotzeitbeuteln kamen wahre Schätze an Wurst und Käse hervor.

Ich hatte natürlich auch eine Brotzeit von zu Hause mitbekommen, die ich nun erwartungsvoll auspackte. Sofort erntete ich Hohn und Spott in bisher nicht gekanntem Ausmaß, denn meine Brotzeit bestand aus einem Marmeladenbrot.

Ich hatte bis dahin überhaupt nichts Schlimmes an einem Marmeladebrot gefunden, aber das lag eben daran, dass ich vorher noch nie Brotzeit mit Menschen gemacht hatte, die körperlich hart arbeiteten. Eine Pause beim Schulausflug war halt keine Brotzeit.

Der Metzgers Bedä verbot mir schlichtweg, mein Marmeladenbrot zu essen. Seine Mutter schnitt eine riesige Scheibe vom Brotlaib ab und gab sie mir zusammen mit einer dicken Scheibe Rodgelechdn, zu Deutsch, rotem Presssack. So etwas gab es bei uns zu Hause nie, und wenn doch, dann ganz bestimmt nicht in solchen zentimeterdicken Scheiben.

Zur Freude aller genoss ich meine Brotzeit ungemein.

Als die Pause vorüber war, verkündete der Metzgers Bedä folgenden Sinnspruch, der mich seither bis in mein heutiges Übergewicht begleitet hat:

Mammelade, Mus und Safd, bringt viel Scheise, wenich Grafd.

 

Das Abendland

Am 12.12.16 hat Joschka Fischer einen sehr klugen Artikel in der SZ veröffentlicht. Er schreibt, wir könnten und langsam vom „Westen“ verabschieden. Er meint damit die nordatlantische Allianz, die mit Amtsantritt von Präsident Trump nicht mehr das sein werde, was sie bisher war.

Fischer führt aus, dass für uns Europäer nun das christlich-jüdisch geprägte „Abendland“ wieder wichtiger werde. Er meint damit in erster Linie den mediterranen Kulturraum.

Nichts Neues?

Doch, und wie!

Es ist unbestritten, dass die USA Europa von den Nazis befreit haben. Ebenso unbestritten ist, dass auch die UdSSR Europa von den Nazis befreit haben. Danach zerfiel Europa in zwei Blöcke, die politisch und kulturell möglichst wenig voneinander wissen wollten.

Die USA wurde „unsere“ Hegemonialmacht und die UdSSR wurde „deren“ Hegemonialmacht. Sie waren unsere jeweiligen Freunde und als solche waren sie sakrosankt.

Ich will jetzt wirklich nicht abwiegen, wer von den beiden Mächten  mehr oder weniger, Besseres oder Schlechteres geleistet hat. Offensichtlich aber ist, dass beider Mächte Zeit als Hegemonialmacht über Europa zu fungieren, abläuft. Die Zeiten ändern sich und damit ändern sich auch die politischen Allianzen.

Letztlich hat dieses Besinnen auf das Abendland auch etwas Gutes, denn wenn wir mal ganz ehrlich sind, dann ist Russland, der Rechtsnachfolger der UdSSR, kein Rechtsstaat und wenn wir noch ein bisschen ehrlicher sind, dann müssen wir auch zugeben, dass die USA kein Rechtsstaat in unserem Sinne sind.

Wenn wir der Türkei mitteilen, die Einführung der Todesstrafe sei eine Überschreitung einer roten Linie, wie behandeln wir denn eigentlich die vollstreckten Todesurteile in den USA?

Ich will hier keinem billigen Anti-Amerikanismus das Wort reden. Aber es scheint angebracht zu sein, sich auf unsere ureigenen kulturellen, geschichtlichen und  politischen Werte in Europa zu besinnen. Sie sind in Gefahr, nicht nur von außen. Sie sind in Gefahr weil es uns zum Beispiel nicht gelungen ist, unseren Kindern beizubringen, dass Demokratie nicht einfach die Diktatur von Mehrheiten ist. Vielmehr entscheiden Mehrheiten auf der Basis unverrückbarer Grundwerte wie Menschenwürde, Garantie einer von der Regierung unabhängigen Justiz, Achtung der Freiheit des anderen, Presse-und Meinungsfreiheit etc. pp. Das wird oft absichtlich nicht verstanden.

Fürchten wir uns nicht vor den Folgen der Politik der Putitrumps!  Unsere Hausaufgaben finden wir bei uns selbst: Wir müssen uns darüber klar werden, dass Europa sich immer mehr auf sich selbst wird verlassen müssen.

Das bedeutet in erster Linie einen riesigen Schritt des guten Willens der Europäer und ihrer Regierungen aufeinander zu. Wenn sich die Europäer nicht einig sind, wenn sie nicht mit einer Stimme sprechen, dann haben wir allen Grund, uns Sorgen zu machen über unser Abendland.