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Coronasieger: Globi

In diesen schweren Zeiten finden viele Großeltern ihr Glück darin, abends über facetime ihren Enkeln vorzulesen. Unsere Enkeltochter ist im vergangenen Sommer in die Schule gekommen und liest jetzt uns vor. Derzeit ist ihr bevorzugter Lesestoff Globi. Das muss für Nichtschweizer erklärt werden. Globus ist ein CH Kaufhaus, in dem von der Banane bis zum Kuli alles verkauft wird. Das klingt nach Ramsch, allein, das Gegenteil ist der Fall. Das merkt man spätestens an der Kasse. Ähnlich wie Salamander seinen Lurchi geschaffen hat, betreibt Globus schon seit 1935 Kundenbindung bei Kindern. Globi ist die erfolgreichste Comic-Figur der Schweiz. Bei ihrer Erschaffung stand Pablo Picasso Pate. Dessen Arlequin assis (1901) trägt ein blau-schwarz kariertes Hemd, dessen Karos trotz aller möglichen Verwerfungen des Stoffes stets in der Vertikalen bleiben. So ist es auch mit Globis rot-schwarz karierter Hose. Globi mag hüpfen, tanzen, knien oder bergsteigen, immer verbleiben die Karos seiner Hose parallel zum Bildrand, selbst dann, wenn Globi seine Hose auszieht, um damit Seenot zu signalisieren.

Neulich hat jemand, der meinen Beitrag zum Putzfimmel gelesen hatte, geschrieben, seine Frau sei Schweizerin, habe aber nie in der Schweiz gelebt und habe keinen Putzfimmel. Wie auch? Die Dame ist in ihrer Jugend sicherlich nicht in den Genuss der Globi-Bücher gekommen.

Diese dienen zufürderst dazu, jungen Eidgenossen in Paarversen helvetische Tugenden nahezubringen. Gestern war Globi bei der Feuerwehr, da ging es um Schnelligkeit, Pünktlichkeit und Umsicht. Globi hat sogar einen Knaben (reimt sich besser als Bub) aus der Feuersbrunst gerettet.

1940 kam der Band „Globi, der Soldat“ heraus, in friedlicheren Zeiten besann man sich dann aufs Geschäft, der Band „Hotel Globi“ erschien, gefolgt von „Globi bei der Post“ sowie „Globi und Wilhelm Tell“. Globi macht natürlich auch ein Praktikum bei der SBB und der Band „Globi beim Roten Kreuz“ machts möglich, das Philanthropische, das allen Schweizern innewohnt, den jungen Lesern ins Herz zu pflanzen.

Mehrere Reisen durch die Schweiz, über die Seen und Pässe des Landes ersetzen den Heimatkundeunterricht und begründen schon im zartesten Alter die unerschütterliche Gewissheit, dass es nirgends so gut, gesund, schön und abwechslungsreich ist, wie in der Schweiz, was ja auch zum großen Teil stimmt.

Den Sozialkontakt meiner Frau amüsiert bei den Globi-Büchern immer, wie hemmungslos alles auf Happy End unter besonderer Berücksichtigung helvetischer Sekundärtugenden gebürstet wird. Irgendwie drängt sich jedem Leser die Frage auf, weshalb es in der Schweiz überhaupt eines Strafgesetzbuches bedarf.

Eines aber fällt auf: Es fehlen zwei Bände: „Globi bei der Bank“, da würde die Frage nach dem Strafgesetzbuch möglicherweise doch wiederauftauchen. Auch nicht erschienen ist auch der Band „Globi putzt“. Der braucht auch gar nicht zu erscheinen, aber das können nur Schweizerinnen verstehen, die in der Schweiz aufgewachsen sind.

Coronasieger. Der Putzfimmel

Es gibt heimliche Sieger der Krise und es gibt offensichtliche Sieger der Corona-Zeit. Zu Letzteren zählt ganz klar der Putzfimmel.

Während man darunter bisher ein psychisches Problem mehrheitlich beim weiblichen (Achtung Genderfalle) Geschlecht verstand, mutiert der Putzfimmel nun zu etwas, das sich sehr verwandt anfühlt mit wandern, shoppen, Fußball oder einem Museumsbesuch. All dies ist nicht lebenswichtig, aber es macht das Leben schön und vertreibt die Zeit, ist daher positiv besetzt. Komisch finde ich das überhaupt nicht.

Mit brennender Sorge beobachte ich das erwähnte Phänomen bei meinem Sozialkontakt. Nun erreichte mich ein Hilferuf einer lieben Freundin. Sie weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Mit Mann, Hunden, Pferden, Karnickeln und Kojoten lebt sie in der Nähe von Sända Fäi in New Mexico und man konnte bisher getrost davon ausgehen, dass sie dem Putzfimmel nicht anheimfallen werde, zumal sie mit der Versorgung der Tiere ausgelastet ist. Also, Karnickel und Kojoten versorgen sich schon allein, die einen fressen Gras und werden dann von den anderen gefressen.

Vorgestern hat meine liebe Freundin doch noch der Putzfimmel erwischt, sie hat das ganze Haus von innen und außen geputzt und nun stellt sie eine nationale Eigenart in sich fest, von der sie bisher gehofft hatte, sie sei von ihr verschont geblieben. Sie ist unglücklich, weil sie nicht weiter putzen kann, womit auch schon verraten wurde, dass sie Schweizerin ist.

Nun gibt es ja mehrere Arten des Drangs nach Sauberkeit. Bei mir beginnt sie, wenn der Dreck das Öffnen und Schließen der Türen erschwert. Bei meinem Sozialkontakt, mit dem ich bald 39 Jahre lang verheiratet sein werde, ist der Drang nach Sauberkeit eine nationale Eigenheit (s.o.). Er ist stets vorhanden und teilt sich in zwei Kategorien auf, die verständliche Reinlichkeit und die absurde Reinlichkeit. Ersteres kann selbst ich nachvollziehen, es geht dabei darum, das sauber zu halten, was man sieht.

Die absurde Reinlichkeit nennt man auch das bpb-Syndrom, das der Professor für angewandte Philosophie an der Sorbonne, Prof. Dr. (mult) Clément Briemont entdeckt und beschrieben hat. Interessanterweise geschah das kurz nach einer Gastprofessur an der Université de Genève. Es ist das „balayer pour balayer Syndrom“. Der Gelehrte hatte festgestellt, dass oft um des Kehrens willen gekehrt wird und zwar dort, wo man normalerweise gar nicht hinschauen kann.

Ein typischer Fall ist mein bei IKEA erworbenes Billy-CD-Kassetten-Regal. Da kann nun wirklich nicht viel Staub niedergehen, zumal nicht hinter und unter den CDs. Das hat aber meinen Sozialkontakt nicht daran gehindert, mir aufzutragen, dort abzustauben. Als sie sah, dass sich mein Gesicht zu einem Fragezeichen verformte, erklärte sie mir, wie sie sich das vorstellte.

Ich musste doch tatsächlich jede CD einzeln entstauben, dann auch das Fach, in dem sie mir all den anderen so dicht gedrängt stand, dass kein Staubkorn zu Boden fallen kann. Als ich vorschlug, die vertikale Rückwand mit Schawelwasser, abzuziehen, musste ich mir auch noch anhören, das sei mal wieder typisch für so einen „árroganten Sauschwob“ wie mich. Kein Wunder, dass die in der Schweiz so unbeliebt seien.

Egal, lassen wir das so stehen. Sicher ist nur, dass es immer noch etwas zu putzen gibt. Schränke eignen sich besonders, denn da kann man unter ihnen, hinter ihnen, in ihnen und auf ihnen putzen.

Ich habe jetzt begonnen, Wollmäuse zu züchten. Wenn sie ausgewachsen sind, lege ich sie unters Sofa oder das Bett.

Auf diese Weise halte ich meinen Sozialkontakt bei Laune, weil sie so nie den Eindruck haben muss, es gäbe nichts mehr zum Putzen oder gar, ich lachte sie wegen übertriebener Reinlichkeit aus. Wenn man das bpb-Syndrom verstanden hat, wird Vieles leichter.

Coronaopfer: Das Silberfischchen.

Wer behauptet, er langweile sich nicht, der lügt. Man kann sich noch so viel vornehmen, irgendwann fällt jedem bei dieser Ausgangssperre die Decke auf den Kopf und es wird dann schwer, sich auszudenken, was gegen die Langeweile zu tun sei.

Meine Frau ist da besser aufgestellt als ich, denn sie ist Schweizerin, und als solche fällt ihr beim geringsten Betätigungsdefizit sofort fas Folgende ein:

MUSCH BUTZE!

Wer das nicht glaubt, der muss nur einmal die Staatsgrenze zwischen „la douce France“ und Helvetien kreuzen: Gestrichene Fensterläden, gepflegte Gärten, fleckenlose LKWs, ja sogar der Doubs scheint dort, wo er die Grenze bildet, auf der CH Seite in geordneteren Bahnen zu verlaufen.

Als ich einmal in Zürich aus dem Flieger stieg, sagte eine Mamá zu ihrem Kind im Zubringerbus: „Now we are in Switzerland. Everything is very tidy here.“

Nach dieser Einordnung komme ich auf meine häusliche Situation zurück, die mich mit Sorge erfüllt: Meine Frau hat mit dem Frühjahrsputz begonnen und droht, sollte die Ausgangssperre nicht bald aufgehoben werden, hinten wieder anzufangen, wenn sie vorn fertig ist.

Das könnte mir an sich egal sein, ist es aber nicht, weil ich befürchte, sie könne auf die Idee kommen, meine Hilfe einzufordern. A priori ist das durchaus legitim und ich füge mich dem auch nur mit leisem Murren. Dies ist allerdings nicht dem Umstand geschuldet, dass ich etwa nicht helfen wollte, sondern der Gewissheit, dass es zum Streit kommen wird.

Es ist nämlich so, dass die Vorstellungen meiner Frau und die meinen in puncto putzen, also nein, das sind wirklich Welten, die uns da trennen. Neulich habe ich ihr einen Staubsaugroboter geschenkt, der naturgemäß „by random“ durch unsere Zimmerfluchten brummt, seine Saugwege sind nicht vorherzusagen. Sofort behauptete meine geliebte Ehefrau, das Ding weiche dem Dreck nur aus. Jetzt saugt der Apparat bei meiner Tochter im Haus, zu deren Zufriedenheit, das nebenbei bemerkt.

Gestern war das Duschbad dran. Ich gebe zu, eine wirklich unangenehme Arbeit, die Arme musste unters Waschbecken kriechen und weil die Dusche so einen modernen seitlichen Abfluss hat, musste der auseinandergepopelt werden, und was sich darunter befand, war wirklich nicht erfreulich. Dessen ungeachtet verlangte sie von mir nur Hilfe auf der „halt mal eben das-Ebene“ und so. Ich war wirklich gerührt.

Später saß ich im blitzsauberen Bad und sinnierte, als sich am Boden etwas bewegte. Etwas Kleines Weißes huschte hin und her. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen: Ein Silberfischchen! Es musste sich vorkommen wie ein Überlebender nach einem Atombombenangriff. Ich stellte mir vor, wie Monsieur Silberfisch aus seinem Versteck heraus zunächst besorgt doch bald schon in heller Panik das Tun der putzenden Dame verfolgte. Silberfischchen sind keine Intelligenzbestien, aber sie kennen ihren natürlichen Feind: Die Sauberkeit an sich und sie übertriebene im Speziellen.

Der Arme muss gezittert haben, als eine weibliche Stimme rief: „Hans, wie macht mr de Schavelwasserflasche uff?“ worauf ein voluminöses Etwas das Duschbad betrat und die Flasche mit dem gefährlichen Bleichmittel tatsächlich öffnete.

Verkroch er sich noch tiefer in die Ritze, die ihm als Heimstadt diente, oder aber, im Krieg ist Information alles, verharrte er auf seinem Beobachterposten?

Sei dem wie es wolle, der Überlebende des Angriffs auf alles, was ihm lieb und schmutzig war, nutze die laue Abendstunde zu einem erholsamen Spaziergang, den er, ich gestehe es, nicht überlebt hat.

Hätte ich das Silberfischen verschont, wäre meine Frau vom Schlag hingerafft worden, wenn sei ihm begegnet wäre. Ich musste das pro und contra abwägen.

Und so ist das arme Silberfischchen zu einem weiteren Opfer der Coronakrise geworden.

Binäre Quarantäne.

Das letzte mal war die Quarantäne irgendwie aushaltbarer. Vielleicht war es das Wissen, dass alle in Quarantäne stecken, weil der „Lockdown“ ein allgemeiner war.

Damals beobachteten wir unseren Staubsaugerapparat und legten ihm Fallen. Meine Frau tat das, um zu beweisen, dass er um den Dreck rumsaugt, ich tat das um ihr zu beweisen, das dem nicht so ist.

Unterdessen haben wir aufgerüstet und uns einen wunderbaren saugstarken Normalostaubsauger gekauft, der nun die Stellen absaugt, von denen meine Frau annimmt, der Automat sauge drumrum. Dann wird der Automat losgelassen, der nach getaner Arbeit einen Grundriss der Wohnung sendet, auf dem er vermeldet, wo er gesaugt habe: überall!

Aber sowas ist Glaubensfrage.

Ich bin froh, dass wir nun binär staubsaugen, immerhin sorgt es für Gesprächsstoff.

Das mit dem „binär“ habe ich aus der letzten Ausgabe der SZ am Wochenende, wo sich Schauspieler darüber auslassen, sie seien, „homosexuell, bisexuell, trans*, inter, queer, nicht-binär“. Das war ein sehr willkommener Beitrag, denn ich verbrachte einen halben Vormittag damit, zu googeln, was das alles ist. So vergeht auch die Zeit und man hat wieder was gelernt. Ich wusste bisher nichts von dieser blühenden Vielfalt. Aber das kommt davon, wenn man sein halbes Leben auf den Balearischen Inseln verplempert, statt sich unter das muntere Theatervölkchen zu mischen.

Später habe ich gelernt, dass man den halben Vormittag auch dadurch totschlagen kann, dass man einfach später aufsteht, dann allerdings ohne Wissenszuwachs.

Gestern wären wir eigentlich dran gewesen, wir hätten uns freitesten können. Nach irgendeiner Regel, ich glaube, es war die des Saarlandes, war genügend Zeit abgelaufen, so dass wir negativ sein könnten. Wir machten zu Hause je einen Test. Unsere Tochter hatte uns solche vorbeigebracht.

„Die waren ganz billig und die könnt sogar ihr handhaben.“

Das waren wirklich tolle Tests, denn wir waren negativ.

Und so machten sich auf auch Rotenhans zum offiziellen Schnelltest und weil es bis ins Saarland etwas weit ist, absolvierten wir den im heimatlichen Pankow.

Hätten wir nicht tun sollen, denn wir sind jetzt wieder positiv. Unter Umgehung der Quarantäneregeln kauften wir zwei neue Schnelltests. Diesmal nahmen wir den teuren: 5 €! Dafür bekommt man andernorts eine Halbe incl. Trinkgeld!

Aber was soll’s. Ich habe unterdessen eine Coronavorschrift eines anderen, wesentlich größeren Bundeslandes gefunden. Die ist toll, denn jetzt müssen wir noch mal zwei Tage warten, dann können wir den 5 Eurotest machen und wenn der wieder negativ ist, dürfen wir erneut zum offiziellen Schnelltest im heimatlichen Pankow, wo wir wohl wieder positiv befunden werden. Wenn das so eintritt, kaufen wir aus Rache wieder den billigen Schnelltest.

Aber das hat Zeit. Der Bringdienst unterhält ja auch. Neulich habe ich neben Käse, Obst, Beruhigungstee und Joghurt auch Wein dort bestellt. 6 Flaschen Primitivo aus Apulien und 6 Flaschen Riesling aus Deutschland.

Heute Morgen nun habe ich Unmengen Sauerkraut und Ossobuco bestellt in der Hoffnung, dass das weiße Gesöff wenigstens zur Herstellung von Weinsauerkraut taugt. Der Primitivo soll das Fleisch beim Schmoren begleiten.

Übrigens hat die Zusammenstellung der Bestellung beim Bringservice auch einen halben Vormittag gedauert.

Ich will nicht verheimlichen, dass meine Frau findet, die Zeit hätt ich grad so gut im Bett verbringen können, dann hätt ich sie nicht so gestört, während sie ihren Normalostaubsauger durch die Wohnung Gassi führte.

Aber die Musici

Das Übergangszeugnis von der Volksschule zum Gymnasium sah bei mir so aus:

Lesen 2

Rechnen 2

Heimatkunde 2

Schrift 3

Singen 1

Meine Eltern waren empört und meinten, so werde das im Gymnasium auch nichts werden, womit sie Recht behalten sollten.

Aber mit diesem Zeugnis wurde meine Karriere als Musiker begründet. Zunächst lernte ich Cello. Das Schlimme daran war, dass ich beim Bestreichen der a-Saite Gänsehaut bekam und als ich beim Vorspiel vor der gesamten Schule mich bückte, um das Instrument unter dem Klavier hervorzuholen, platzte meine Hose hinten auf. Um ein weiteres Vorspiel zu verhindern, ließ ich das mit dem Cello sein.

Ein weiterer Meilenstein in meiner Musikerkarriere begab sich zu der Zeit, als man an Weihnachten in der Kirche noch singen durfte. Eine Frau drehte sich um und rief, ich solle nicht so schreien. Ich war bislang der Meinung gewesen „holder Knabe im lockigen Haar“ könne man gar nicht schreien.

Nun aber habe ich es amtlich, ich bin Musiker. Und das kam so: Ich hatte Schmerzen im Arm. Drum ging ich zum Arzt. Unterdessen habe ich den ärztlichen Untersuchungsbericht vom vergangenen Montag übersetzt und bin darauf gekommen, dass „Sulcus ulnaris“ auf Deutsch Musikantenknochen heißt. Ich bin echt stolz darauf, es nun doch noch zum Musiker gebracht zu haben, denn irgendwie schmerzt es mich, dass ich zum Stressabbau nicht zum Cello greife, sondern – wie alle anderen auch – zur Flasche. Das wollen wir aber jetzt nicht vertiefen, nur so viel: Ich habe gerade einen wunderbaren Rotwein aus dem eher unbekannten Anbaugebiet Méntrida nördlich von Madrid eingekauft. Da mich Corona vor Besuchen schützt, kann ich das ja hier ruhig mal erzählen.

Aber zurück zu meinem Musikantentum. Der Arzt hat mir eine Bandage für den Ellenbogen verschrieben, die bekäme ich im Sanitätshaus. Also ich, nix wie hin. Dort gibt es zwei Angestelltinnen, eine hübsche und eine grimmige. Uni sono verkündeten sie mir, gegen Sulcus ulnaris helfe die verschriebene Bandage schon mal gleich überhaupt nicht. Mein Einwand, ich litte ja auch nicht an diesem Sulcus sondern am Musikantenknochen, blieb unbeachtet. Man riet mir, den Arzt zu fragen, ob er sich womöglich geirrt habe. Das brachte mir einen mittleren Anschiss am Telefon ein, der darin gipfelte, dass er als Akademiker schon wisse, was er tue. Ich wollte freundlich wirken und sagte, ich als Akademiker wisse manchmal nicht, was ich täte, da hatte er aber schon aufgehängt.

Ich lief also erneut zum Sanitätshaus, wo man mir widerstrebend die Musikerknochenbandage aushändigte. Dazu musste ich vier Formulare unterscheiben.

Als ich fragte, ob das meine Beitrittserklärung zur Bill Gates Partei sei, lächelte die Hübsche und versicherte, so schlimm sei man in Pankow nun auch wieder nicht.

Das kann man so sehen oder auch so sehen, denn in Pankow wählen etwa 30% die AfD und weitere 30% die Linke. Nun darf geraten werden, ob ich mir eine entsprechende Bemerkung habe verkneifen können.

Die beiden Angestelltinnen schauten mich jedenfalls böse an. Ich hoffe nun, dass die Hübsche Wählerin der Linken ist und die Grimmige die der AfD.

Gattenmord als Option

Die Zeitläufte machen einem die Sache nicht einfacher. Man ahnt es, ich spreche davon, wie man die Zeit rumkriegen soll, wenn eigentlich nichts mehr getan werden darf. Zunächst sind meine Frau und ich spazieren gegangen. Das ginge an sich noch immer, wenn das Wetter mitspielt, klar. Nur, es geht halt nicht immer dort, wo wir wollen. Wir sind gern in der Gegend von Buch, dem nördlichen Krankenhausvorort von Berlin umhergelaufen. Liebliche Auwälder, kleine Seen, Lichtungen und Birkenhaine wechseln sich ab, manchmal hört man das warnende Klingeln der Heidekrautbahn. Eine Idylle! Aber dann wurde berichtet, dass ein homophiler Homophage just in dieser Gegend immer die abgefieselten Knochen seiner Opfer ablegte. Mal ehrlich, wer will schon, nur weil er einigen Pferdeäpfeln auf dem Weg ausweicht, in ein Knochenkonvolut treten? Spazierengehen ist derzeit irgendwie schwierig geworden. Was könnte man sonst noch tun? Jawoll, kochen wir uns was Gutes! Dazu gibt es einen süffigen Rotwein und dann sind wir schon nachmittags knülle, weil abends soll man ja nichtmehr so viel essen. Gut, versuchen wir es mit Nasepopeln. Unsere Enkeltochter würde da sofort mitmachen, aber sie soll uns ja gerade möglichst wenig besuchen. Gemeinsames Nasepopeln ist bisher auf eine gewisse Resistenz bei…, naja, lassen wir das. Immerhin ist es neulich gelungen, einen einzelnen Freund aufzutreiben, der auch für Schlemmerfilet schwärmt. Dazu gab es die beiden letzten Flaschen Weißwein, so dass wir schon wieder mittags knülle waren. „Da hätten wir ja auch gleich was Gutes essen können“, meinte mein primärer Sozialkontakt.

Sie ist von der Krise gezeichnet. Als wir noch in Palma lebten, habe ich bei nachlassender Laune im Sommer mit ihr eine Fahrt durch den Sòller-Tunnel gemacht, im Winter habe ich ihr den Schnee auf dem Puig Mayor gezeigt. Ich gebe zu, sowas ersetzt nicht ihre heimatliche Schweiz, aber es erinnerte sie. Nun wohnen wir in Berlin und ich frage nicht nur mich, womit man hier positive Schweizer Gefühle erwecken kann. Gut, es gibt die Botschaft mit dem Fahnli oben drauf. Das nutzt sich schnell ab. Irgendwo in im Westteil der Stadt gibt es einen Laden mit Schweizer Lebensmitteln, der natürlich Chuchichaschtli heißt. Neulich waren wir dort und ich Idiot habe nachher vor dem Laden gesagt, die beiden Betreiber seien wenigstens nicht homophag. Natürlich erntete ich einen Anpfiff und jetzt will sie auch zu dem Weiheort nicht mehr zurückkehren, weil sie befürchtet, ich würde mich diesmal im Laden schlecht benehmen.

Man denkt ja immer, schlimmer könne es nun nichtmehr kommen, aber da fehlt man regelmäßig. Irgendwo hat sie gelesen, dass man ab dem 1. Februar auf Netflix den Heidifilm mit Bruno Gans sehen kann. Ich hoffte, dass wäre Sòller-Tunnel plus verschneiter Puig Mayor plus Fahnli oben drauf. Wäre es womöglich auch gewesen, nur der Film war noch nicht verfügbar.

Die Arme! Sie findet mit jedem Tag weniger Sinn in ihrem Leben in Berlin und sagt, sie wolle nach Basel fahren. Acht Stunden Zugfahrt mit FFP2 Maske (Chinesli fecunt), nein, das will sie sich denn doch nicht antun. Zu allem Überfluss hat mir ein Freund gesagt, der Heimatkanton komme für die Unterkunft nur auf, wenn sie nicht freiwillig in die Schweiz komme.

Nun überlegen wir, wie es uns gelingen könnte, dass sie in die Schweiz abgeschoben wird. Dass das den Vorteil hätte, dass ich dann das Ticket nicht bezahlen muss, habe ich besser verschwiegen. Nun suchen wir nach Abschiebegründen. Erregung öffentlichen Ärgernisses liegt ihr nicht, und auf die Chaibe-Schwobe schimpfen, das ging bisher folgenlos ab. Merkel-bashing, das besorgen schon die Deutschen allein.

Ich habe unterdessen die Küchenmesser versteckt. Wir haben nämlich herausbekommen, dass Gattenmord ein Abschiebegrund wäre.

Aber was hätte ich dann davon?

Corona: Wem darf man noch trauen?

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Menschen, die in einer Diktatur leben und denen, die in einer Demokratie leben;

Erstere müssen den Medien trauen, dürf(t)en aber nicht und Letztere dürfen ihren Medien trauen, müssen aber nicht.

In Zeiten wie diesen, in denen eine Pandemie die Welt lahmlegt, werden immer wieder Stimmen laut, die uns weismachen wollen, die Maßnahmen, die unser aller Freiheiten einschränken, die zweifellos Schaden über die Wirtschaft bringen werden, seien übertrieben und dafür werden stets Zeugen genannt, die diese Meinung mit Fakten untermauern.

Dem stehen die demokratischen Regierungen gegenüber, die sich von Wissenschaftlern beraten lassen, deren beruflicher Werdegang und deren internationale Reputation darauf schließen lassen, dass sie ihr Fach verstanden haben.

Natürlich ist es in einer Demokratie legitim auch die Meinung anerkannter Experten zu hinterfragen.

Das Problem ist nur, dass 90% der Bevölkerung von Viren nichts versteht und ihre divergierenden Meinungen auf die Aussagen von Menschen stützen, die sich bei genauerem Hinsehen entweder als selbsternannte Experten oder aber als fachfremde Zeitgenossen mit erstaunlichem Halbwissen herausstellen. Deren Diskussionsbeiträge dienen später dazu, von ihren Anhängern als Fakten verbreitet zu werden. Dies geht oft einher mit Verdächtigungen, etwa der, deutsche Virologen arbeiteten mit Hilfe amerikanischer Millionäre und Weltorganisationen der Pharmaindustrie zu, damit diese noch mehr verdient. In dieser Argumentationskette fehlt eigentlich nur noch das internationale Judentum.

Manchmal wird auch einfach der eigene Kopf ausgeschaltet: Beispiel:

Das Robert Koch Institut lügt, denn die Zahlen stimmen gar nicht. Es werden ja bekanntlich nicht genügend Tests gemacht.

Aha, meinen Sie, dass es deshalb eine Dunkelziffer gibt und die Zahlen eigentlich viel höher sind?

Nein, die Zahlen sind viel geringer, deshalb sind die Zwangsmaßnahmen ja auch so ungerechtfertigt.

Da scheint das Virus aber wirklich nicht die Lunge angegriffen zu haben.

Was mich so besorgt macht, ist dass die Verharmloser alle auf der extrem rechten Seite des politischen Spektrums zu finden sind. Ich habe noch nicht herausgefunden, was die Verleugnung einer Pandemie mit rechtem Gedankengut zu tun hat. Da kann man nur spekulieren. Das sollte man aber besser unterlassen, weil sonst die Gefahr besteht, sich selbst in Verschwörungstheorien zu verwickeln.

Intellektuelle Querschüsse hat es schon immer gegeben. Ich habe festgestellt, dass sie derzeit von Wissenschaftlern stammen, die entweder im Ruhestand sind oder aber in ihrem Leben nicht die gradlinige Karriere gemacht haben, die sie anderen neiden. Kein Wunder, dass sie nun die Gelegenheit suchen, die Anerkennung zu finden, die ihnen bisher – wahrscheinlich zu Recht – versagt wurde.

Noch mal zum Anfang: Wir haben das Glück in einer Demokratie zu leben, in der das Primat der freien Berichterstattung gilt. Wer jetzt angesichts der schweren Zeiten, die wir alle gemeinsam durchmachen müssen, behauptet, die Bundesregierung in Berlin oder Wien, oder jedwede andere demokratische Regierung stelle absichtlich Experten an, damit diese die Bevölkerung mit falschen Fakten versorge, der outet sich als Verschwörungstheoretiker.

Es ist gut, wenn auch in schweren Zeiten freie Diskussion möglich ist, wer aber absichtlich Falsches als Fakten verbreitet, der macht sich mitschuldig am Tod ungezählter Mitmenschen.

 

 

Coronabonds

 

Die Finanzkrise und die Krise des Euro im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise habe ich in Spanien erlebt. Da ich deutsche TV-Nachrichten sah, und am Morgen darauf die spanische Presse las, konnte ich feststellen, wie sehr die Berichterstattung von nationalen Interessen geprägt war, wie eine grenzübergreifende Berichterstattung nicht mehr möglich war, womöglich noch nie möglich war.

Damals wurde über Eurobonds diskutiert. Das sind Anleihen, die von der EU selbst ausgegeben werden, für die dann die EU und die Gesamtheit ihrer Mitgliedstaaten haften.

Die deutschen Medien taten so, als werde damit die Büchse der Pandora aufgemacht. Pest, Cholera und der südeuropäische Hang zum Faulenzen gepaart mit dem laxen Umgang mit öffentliche Geldern würden ganz Europa anstecken, wo kämen wir denn da hin, wenn der vernünftig haushaltende Norden für die Schulden dieser zweifelhaften Personen und Staaten haften würde.

Das war ungefähr so zielführend, wie die Bundeskanzlerin als zähnefletschendes Naziuntier auf den Titelseiten mediterraner Gazetten zu sehen. Statt zu reden und zu überlegen, wurden Misstrauen und Hass gesät.

Seriöse Journalisten aus südlichen Ländern wiesen damals darauf hin, dass es durchaus im Interesse speziell der Bundesrepublik sei, die Eurobonds abzulehnen: Die Bundesbank verdiente sich damals eine goldene Nase damit, selbst und direkt Kredite an die Gestade des Mare Nostrum zu schleusen. Die Eurobonds hätten dieses Geschäftsmodell kaputtgemacht. Ich habe mich damals geschämt, wenn mich meine spanischen Freunde auf diesen Umstand angesprochen haben.

Heute erleben wir in der Coronakrise eine zur Untätigkeit gezwungene EU. Ihr fehlt in der Gesundheitspolitik jegliche rechtliche Befugnis, die ihr ein Handeln ermöglichen würde. Wir erleben gleichzeitig, wie sich viele der wirklich notleidenden EU-Staaten fragen, wo denn die Solidarität der in einer von demokratischen Werten getragenen Gemeinschaft bleibt? Die Flugzeugtransporte von 6 (in Worten sechs) Patienten aus Bergamo kommend wären gut, wenn sie nicht so peinlich im Fernsehen breitgetreten würden.

Das Virus macht an keiner Grenze halt. Stimmt. Es stimmt aber auch, dass das Virus über diese Grenzen zu uns gekommen ist, von Italien nach Spanien, von Österreich nach den Niederlanden und von Frankreich nach Deutschland und umgekehrt.

Schon allein deshalb ist das Virus ein gemeinsames EU Problem. Es ist es aber auch deshalb, weil die Wirtschaft der EU, das wird ja immer so gepriesen, derart miteinander verwebt ist.

Es ist allerhöchste Zeit, dass nicht nur die Staaten verstehen, wozu die EU gut ist. Jetzt muss es gelingen, mit EU Geldern dem kleinen Gewerbetreibenden, den Frauen und Männern, die keine Arbeit mehr haben, den notleidenden Gesundheitssystemen zu helfen. Wenn jetzt nicht sofort durch Coronabonds ein Zeichen des Miteinanders gesetzt wird, dann desavouiert sich das europäische Gebilde als Schönwetterallianz, die nur dafür gedacht ist, dass der Handel blüht.

Es gibt Momente, die es notwendig machen, wirtschaftliche Problemlagen politisch zu entscheiden. Bestes Beispiel dafür ist die Einführung der DM 1:1 in der noch bestehenden DDR.

Einen solchen Moment erleben wir gerade wieder. Wenn jetzt die EU als Solidarpakt nicht alles dafür tut, die bereits entstandenen und noch entstehenden wirtschaftlichen Schäden durch ein klares Zeichen des Zusammenhaltens einzudämmen, dann versagt sie in einem ihrer Hauptziele: Die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Völker Europas in Frieden und Wohlstand miteinander leben können.

 

Coronaopfer und der Rechtsstaat

Mit dem Grundgesetz sagen wir Bürger dem Staat, was er darf und was er nicht darf. Ganz zu Beginn des Verfassungstextes stehen die Grundrechte:

Menschenrecht, Persönlichkeitsrecht, Gleichheitsgrundsatz, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Postgeheimnis, Freizügigkeit und Berufsfreiheit sind nur einige von ihnen. Übrigens das derzeit leider nur am Rande: Auch das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht.

Die von der Verfassung garantierten Rechte gelten unumstößlich, einige haben sogar Ewigkeitsgarantie, allerdings kann der Staat die Grundrechte einschränken, dann aber nur auf Grund eines Gesetzes. Das bedeutet, Bundestag und gegebenenfalls auch der Bundesrat müssen zustimmen, der Bundespräsident muss zustimmen und das Gesetz unterschreiben und schließlich muss es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.

Als die Bundestagsabgeordneten das Infektionsschutzgesetz im Jahr 2000 verabschiedet haben, war ihnen sicherlich nicht klar, dass dieses Gesetz einmal die schärfsten Einschränkungen der Grundrechte in der Geschichte der Bundesrepublik ermöglichen würde. Es hat es bisher noch nie gegeben, dass alle, ja alle, die in Deutschland leben, sich damit abfinden müssen, in ihrem Recht auf Ausübung eines Berufes, dem Recht, sich frei zu versammeln und dem Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt zu werden.

Erstaunlicherweise werden diese schmerzlichen und geradezu grausam spürbaren Beschränkungen akzeptiert. Bedenklich finde ich, dass die Politik nun ausprobiert, wie lang sie die Daumenschrauben noch anziehen kann. Derzeit findet das in der Diskussion über den Datenabgleich unserer Mobiltelefone statt.

Natürlich ist es oberstes Ziel, Menschenleben zu retten, und wenn dies Minister und andere Politiker immer wieder hervorheben, dann glaube ich ihnen sogar, dass sie es ehrlich meinen. Allerdings werde ich den Verdacht nicht los, dass damit unser Blick abgelenkt werden soll: Wir tun Alles, um Euer Leben zu retten und während ihr uns dabei zuseht, und so manche dem Tagesgeist geschuldete Symbolpolitik vorgeführt wird, schauen wir mal, was ihr sonst so treibt, wozu haben wir die Handys.

Da ist jetzt die Opposition im Bundestag gefragt, deren Aufschrei hoffentlich Schlimmstes verhindert. Es liegt in der Natur des Menschen in Gefahrensituationen kurzsichtig zu reagieren und zu glauben, so ein bisschen Telekommunikationsfreiheit aufzugeben, sei angesichts des Virus das kleinere Übel.

Auch hier gilt: Wehret den Anfängen.

Das gibt übrigens auch für die Frage, wie festgelegt werden soll, welche Patienten behandelt und/oder beatmet werden sollen. Das nun zu neuem Leben erweckte Wort „Triage“ kommt vom französischen Verb „trier“, zu Deutsch aussortieren. Das ist die Tätigkeit, mit der aus einem Korb Kartoffeln die faulen ausgesondert werden. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter bei der Vorstellung, eine mögliche Überlastung unseres Gesundheitssystems zwänge zu derlei.

Wer soll da entscheiden? Jedenfalls nicht der Staat, das verbietet die Menschenwürde. Zum Kern dessen, was Menschenleben ist, hat der Staat keinen Zugang und keinen Zugriff.

Es gibt in der Juristerei den Begriff der „normativen Kraft des Faktischen.“ Um es allgemeinverständlich auszudrücken: Wenn eine allgemeine Lage vom Gesetz nicht vorgesehen ist, oder in unserem Fall nicht vorgesehen werden darf, dann schafft die Realität die Norm.

Das bedeutet, soweit ich das verstehen kann, dass die menschenrechtswidrige Entscheidung, wer behandelt wird und wer nicht, denen obliegt, die diese Behandlung vornehmen können und müssen. Es sind die Ärzte, die hier im Notfall Normen schaffen müssen.

Somit erhebt sich die Frage der Strafbarkeit. Das ist jetzt wieder Aufgabe von Rechtswissenschaft und der Legislative, hier genaue Richtlinien zu schaffen, damit Ärzte, die in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit entschieden haben, keine Strafverfolgung befürchten müssen, gleichzeitig aber einer willkürlichen Selektierung vorgebeugt wird.

Das Wort „Selektierung“ habe ich wegen seiner historischen Bedeutung absichtlich gewählt.

 

Coronaopfer und Europa

Wenn die gegenwärtige Viruskrise vorüber sein wird, gibt es hoffentlich ganz viele Genesene und ganz wenig Verstorbene, allerdings ist jetzt schon klar, es wir ein Kranker übrigbleiben. Das ist die Europäische Union.

Sie ist nicht vorhanden in der Bewältigung der weltweiten Pandemie. Nachrichtentechnisch scheint es so, als habe der Ministerpräsident des Saarlandes in dieser Sache mehr zu vermelden als die ansonsten so machtvollen EU-Kommissare. Das hat natürlich einen Grund, und zwar den der Kompetenzen.

Die EU hat keine gesetzliche Befugnisse, um handelnd in die Bewältigung der Coronakrise eingreifen zu können.

Das ist bedauerlich, aber es ist symptomatisch: Europa, wahrscheinlich die gesamte Welt, haben sich angewöhnt, das Gesundheitssystem in den Boden zu sparen. Man hat einfach darauf vertraut, dass der medizinische Fortschritt derart allumspannend ist, dass in seiner Folge die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen, die stationär behandelt werden müssen, immer geringer wird.

Erst im vergangenen Jahr hat der Bundesgesundheitsminister haufenweise die Schließung von Krankenhäusern angeordnet. Ich nehme an, dass er sich aus Ärger über diesen Fehler nun die Finger wund beißt.

Unser aller Bewusstsein hat sich schlicht und ergreifend vom Gesundheitswesen abgewendet. Jaja, das ist wichtig und da arbeiten auch fleißige und kompetente Leute. Diese aber anständig zu bezahlen, das war in der öffentlichen Wahrnehmung unter dem Diktat des verordneten Sparzwanges, nun wirklich keine Priorität.

Um zur EU zurückzukommen: Dass man ihre keine Gesundheitskompetenzen verliehen hat, zeigt in aller Deutlichkeit, welche Gewichtung unser aller Gesundheit in den Augen der Politik hat.

Um es polemisch auszudrücken: Der Bananenbieger war in Brüssel wichtiger als der Arzt.

Nach Beendigung der Pandemie werden wir alle wissen, wie immens wichtig es ist, ein Sanitätswesen zu haben, dass stets auf alles vorbereitet ist und das so attraktiv ist, dass genügend junge Leute in die Pflegeberufe gehen.

Ich kann und werde hier keine Vorschläge machen, denn ich bin kein Fachmann. Eines aber weiß ich: Die Coronakrise gibt uns die Gelegenheit, unsere Götter zu revidieren. Vielleicht ist es gesellschaftlich doch nicht so alternativlos, ständig unter dem Primat der Wirtschaft zu leben. Die kann ja doch auf die Dauer nur gedeihen, wenn sie von psychisch und physisch Gesunden betrieben wird.

Und, das klingt jetzt schon ein wenig futuristisch: Wenn der Staat es berechtigterweise für richtig befunden hat, eine tatenlose Wirtschaft und eine zum Nichtstun verdonnerte Bevölkerung über diese Wochen, vielleicht Monate zu bringen, dann ist es an der Zeit, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken.

Bislang wurde das von den Wirtschaftsgottsöberschten als Flausen von solchen diffamiert, die sowieso nicht arbeiten wollen.

Diese Tage haben gezeigt, dass die Frage der Arbeit nicht vom Willen allein abhängt.

Fazit eins: Wenn ein Virus grenzüberschreitend arbeitet, muss das die EU Kommission auch tun können.

Fazit zwei: Es muss uns etwas einfallen, Gesundheit als wirklich wichtig zu verstehen. Wie wichtig sie ist, wissen nur die, die sie die Gesundheit verloren haben. Gesundheit ist mehr als das, was man sich auf vorgedruckten Karten zu Weihnachten wünscht.