Archiv der Kategorie: Berlin

Theater, aber warum so?

Theater, aber warum so?

In letzter Zeit waren meine Frau und ich zwei Mal in Theater. Im Berliner Ensemble sahen wir „Die Räuber“ von einem gewissen Friedrich Schilller. Das Stück hatte mit dem, was wir von „unserem“ Schiller kennen, wenig zu tun. Offenbar hatte es jemand „auf heute“ umgeschrieben. Schillers Sprachkunst ging dabei verloren. Karl von Moor und seine Getreuen mutierten zu einer Mischung aus Gewerkschaftlern und DDR Widerständlern.

Nur die abgrundtiefe Bosheit des Franz von Moor, war noch zu spüren: Er saß zu Beginn im Rollstuhl und mimte, er habe Parkinson. Als man ihn bereits bedauerte, sprang er auf und war quietschlebendig. So wusste nun auch der Blödeste: Obacht, der Kerl ist mies! Später betrog er seinen Vater und obendrein seinen Bruder um dessen Erbe und öffnete den Hosenstall vor Amalia, die aber Karl liebt. Etwas später, als seine Bosheit ins schier Unermessliche gesteigert war, stand er plötzlich nackt auf der Bühne, er, sein Charakter und seine Ziele waren entblößt. Die Buben und Mädchen aus den zusehenden Schulklassen kicherten.

Später kam es zum Verrat eines der Mitglieder aus Karls Bande, daraufhin wurde der Bösewicht auch ausgezogen, um zu zeigen, dass er jetzt nicht mehr dazu gehört.

Der Vorhang fiel, es war Pause. Außer den Schulklassen, die über das Erlebte einen Besinnungsaufsatz würden schreiben mußten, überlegten alle, ob sie nicht besser gehen sollten? Nur ein gebildeter alter Herr in der Reihe vor uns rief: „Halt, Amalia muss doch noch umgebracht werden!“ Auch dies konnte uns nicht aufhalten, wir gingen.

Am vergangenen Wochenende sahen wir in Nürnberg „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Wer kennte nicht dieses Stück aus der neunten Klasse Deutschunterricht? Ein Stück, das mit der Zeit an Realitätsbezug nur noch zugenommen hat, ein Stück, das uns im Unterbewusstsein durchs Leben begleitet hat.

Der Regisseur hatte die Handlung auf die Latten des Dachbodens des Biedermännischen Dachbodens verlegt. Anna, das Dienstmädchen und die Eheleute Biedermann turnten auf den Latten herum, Frau Biedermann fiel sogar herunter und verletzte sich offenbar schmerzhaft. Die Arme humpelte fortan. Die Brandstifter Schmitz und Eisenring turnten nicht, dafür schrien sie. Alle anderen Rollen waren weggelassen, womöglich aus Gründen des Budgets.

Der Regisseur hat sich ganz offenbar alle Mühe gegeben, jede Erinnerung daran, wie wir uns das Stück als Schüler gedacht hatten, im Keim zu ersticken.

Wir sind aus beiden Theatervorführungen enttäuscht, sogar zornig herausgekommen. Schuld daran waren die Regisseure, die so dick ihre eigene Deutung des jeweiligen Werkes aufgetragen hatten, dass für eigene Interpretationen kein Raum mehr blieb.  „Ich sehe die Sache so, denk darüber nach, nicht aber darüber, was der Autor gemeint haben könnte.“

Das ist nicht nur anmaßend, es ist auch verschreckend. Der Regisseur soll nicht seine Deutungshoheit plakatieren, vielmehr soll er sie so nuanciert einsetzen, dass der Theaterbesucher Lust hat, sich eigene Gedanken zu machen, statt sich über die Gedanken des Regisseurs Gedanken machen zu müssen.

Im Nürnberger Fall kommt hinzu, dass ein verantwortungsvoller Regisseur seine Leut nicht auf 15 cm breiten Balken ein paar Meter über der Bühne balancieren lassen sollte. Er hat ja schließlich eine gewisse Sorgfaltspflicht. Diese hat er übrigens nicht nur in Bezug auf die ihm anvertrauten Schauspieler, sondern auch seinem Publikum gegenüber. Die Zuschauer zahlen, und das sollte man nicht vergessen, den Teil des Etats unserer Bühnen, der nicht vom Steuerzahler subventioniert wird.

 

Böllern – ist ja nur ein Mal im Jahr

In Deutschland leben in erster Linie vortreffliche Menschen. Billigtextilien werden gemieden, Ihr wisst schon, wegen der Kindernäherinnen in Bangladesch. Nach dem Flug in den Urlaub wird fleissig geradelt und Tram gefahren, weil das mit dem „CO2 carbon footprint“ muss ja irgendwie in Ordnung gebracht werden. Fleisch? Igitt, das ist ja Tierquälerei. Ab und zu ein Hühnerbrüstchen, aber mehr wirklich nicht. Man sollte die Kinder erst gar nicht an Fleisch gewöhnen. Alle fühlen sich als vegane Menschen. Nur  ist das halt so wie mit dem Sozialismus: an der Umsetzung hapert es. Auto fahren ist des Teufels, die meisten Rostlauben stehen nur rum, aber manchmal, wenn die Eltern zu Besuch kommen, fährt man mit ihnen eben doch nach Potsdam und zu IKEA raus muss man halt auch ab und zu. Man lebt, konsumiert, isst, reist, arbeitet, genießt und redet bewusst: Rücksicht, Nachhaltigkeit, Verantwortung, Vorbild, Überzeugungsarbeit, Ehrlichkeit und soziales Engagement, das sich die verschiedenen Banner, die der Normal-Deutsche vor sich herträgt.

„Wir Konsumenten können eben doch etwas erreichen, im Supermarkt gibt es jetzt sogar Hühnchenflügel, weil wir nicht wollen, dass sie nach Afrika exportiert werden und dort den Bauern den Markt versauen“.

Wenn ich mir die Vortrefflichkeit um mich herum so ansehe, dann habe ich der Verdacht, diese Vorzeigemenschen pupsen nur auf dem Klo und dann mit vorgehaltener Hand.

Mit zunehmendem schlechtem Gewissen fahre ich ein bald sieben Jahre altes Auto mit Dieselantrieb. Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, stelle ich mir vor, was ich meinen Mitmenschen feinstaubmäßig da so antue. Dann kann ich wirklich überhaupt nicht mehr schlafen. Wie ein grauer Schleier senkten sich die Kilos und Aber Kilos, die ich in diesen sieben Jahren an Feinstaub produziert habe, auf mein Bett und rauben mir Atem, Schlaf und das halbwegs gute Gewissen.

Dann kommt Silvester und Deutschland fällt in eine Feinstauborgie: Von 18 Uhr am Silvesterabend bis 4 Uhr am Neujahrtag werden in Deutschland 15% des Feinstaubs produziert, der im ganzen Jahr anfällt. Fast alle machen mit, die nicht mitmachen, billigen es.

Das ist doch nicht zu fassen: Da werden Milliarden in den Konsum gepresst, der zum großen Teil am Finanzamt vorbeigeht, weil Schmuggelware gekauft wird. Augen, Gesichter, Hände, Balkoneinrichtungen und Autos werden zerstört. Es wird ein riesiger Saustall auf den Straßen hinterlassen, und keiner tut wirklich etwas dagegen. Auf dem Prenzlauer Berg, wo die Vortrefflichkeit erfunden wurde, waren gestern nicht signifikant weniger Böller zu hören, als sonst wo.

Ich fasse es nicht! Wie allumfassend schizophren kann eine Gesellschaft für wenige Stunden werden?

Meine Familie und ich haben uns vorgenommen, immer an Silvester vortrefflich zu sein. Tröten sind auch lustig und Krach machen sie allemal. Aber Null Feinstaub.

 

Ringelnatz

Autobahn, nach langer schweigsamer Fahrt

Vater: Drüben am Walde

Kängt ein Guruh.

Warte nur balde

Kängurst auch du!

Sohn.: Mpf

V.: Das ist Ringelnatz!

S.: Und wer soll das sein?

V.: Joachim Ringelnatz war ein deutscher Dichter. Er lebte von 1883 bis 1934.

S.: Dichter? Das ist doch ein kompletter Scheiss, gibt doch garkeinen Sinn.

V.: Aber merkst du den nicht diesen tollen Umgang mit der Sprache?

S.:     Die Strass ist rund

Der See ist tief

Das tu ich kund

Wenn Nas ich schnief!

V.: Na super!

S.: Offenbar bemerkst du nicht meinen tollen Umgang mit der Sprache.

V.: Bei dir kommt ja auch nicht das Verb „känguren“ vor, ich kängure, du kängurst, er kängurt.

S.: Ich bitte dich! Du hast uns dazu erzogen, nur die Realität anzuerkennen. Keine Hirngespinste! Es ist für mich schon schwer genug, zu akzeptieren, dass du an Gott glaubst – keine Hirngespinste und so.

V.: Realität ist das Eine, aber jeder Mensch braucht in seinem Leben auch ein wenig Poesie.

S.: Das Verb „känguren“ zu konjugieren, das nennst du Poesie? Steigerung davon im Imperfekt? Ich kängurte, du kängurtest, er kängurte. Grenzt das dann schon an Goethe?

V.: Immerhin merke ich, dass ich die Kosten für deine Ausbildung gut angelegt habe.

S.: Lenk nicht vom Thema ab. Du sagst, wir sollten uns nur an die Realität halten, gehst aber am Sonntag in die Kirche, offensichtlich wegen der Realität, und dann spinnst du auch noch mit Poesie herum, die vor Realität geradezu trieft. Mann!

V.: Gerade dann, wenn das eigene Leben von den Realitäten diktiert wird, braucht man manchmal intellektuelle Freiräume.Ich fass es nicht!

S.: Jetzt gibt es offenbar schon mehrere Realitäten, die man allerdings nur in intellektuellen Freiräumen findet.

V.: Sag ich doch: „Warte nur balde, kängurst auch du!“

S.: Fuck!

V.: Hey!

S.: Dann eben „fuck it“. Das bezieht sich dann nur auf dein intellektuelles Freiraumgedicht.

V.: Damit kann ich leben.

S.: Ich habe bisher gut damit leben können, nicht zu wissen, wie man das Verb „känguren“ konjugiert. So ein Schwachsinn!

V.: Denk, was du willst, aber gerade dieses Gedicht hat mich schon oft in schwierigen Situationen wieder froh gemacht.

S.: Mann, musst du ein beschissenes Leben haben. Hilft dir mehr Gott oder die Poesie, wenn alles mies läuft?

V.: Manchmal hilft auch, von der Autobahn abzubiegen und zu Hause anzukommen.

 

 

Die Neue Nationalgalerie in Berlin

THE BACARDI PROJECT

Als wir neulich in der Philharmonie waren, liefen wir an der Neuen Nationalgalerie vorbei. Potsdamer Straße eben. Auf unserer Abiturs Klassenfahrt im Jahr 1970 sah ich dieses Gebäude zum ersten Mal. Unser Klassenlehrer, Wolfgang Lohan, der von allen geliebte und verehrte Öppi, war in erster Ehe mit der Tochter von Ludwig Mies van der Rohe verheiratet gewesen. Wenn wir ihn in seiner Wohnung besuchen durften, lümmelten wir, ohne dies zu ahnen, auf Original Barcelona Stühlen herum.

Als wir nach Berlin kamen, besuchten wir das geniale und vollkommen diaphane Bauwerk, das nur auf acht äußeren Säulen steht. Damals fragte man sich in Berlin schon nicht mehr, ob es halten würde, vielmehr wunderte man sich, dass es trotz dieser nur acht Säulen immer noch stand. Öppi verlor kein Sterbenswörtchen darüber wir nah er dem Bauwerk im Herzen war. Es war sein Sohn Dirk Lohan, der später in Chicago die spektakulärsten Wolkenkratzer baute, der als Enkel von Mies van der Rohe sehr eng bei Planung und Ausführung beteiligt war.

Erst viel später hörte ich von der bemerkenswerten Geschichte des Baus. Im Jahr 1957 bereits hatte Mies das Baukonzept eines Museumsbaus ohne Zwischenwände mit außenstehenden tragenden Säulen geplant. Die Rum-Familie Bacardi wollte in Santiago de Cuba darin ihre Kunstsammlung aufbewahren und ausstellen. Daraus wurde aus Gründen, die wir alle kennen nichts, und so schlummerte „The Bacardi Project“ in der Schublade, bis der Schweinfurter Industrielle Georg Fischer (Kugelfischer) den Architekten bat, das Museum in Schweinfurt zu realisieren, er brauche Platz für seine Bildersammlung.

Um es kurz zu machen: Mies van der Rohe reiste nach Schweinfurt und fuhr auch gleich wieder weg. Wer will ihm das verdenken? Er wusste ganz genau, dass dieser sein Entwurf ein Jahrhundertwurf war, und den wollte er nicht in einer unterfränkischen kleinen Industriestadt verwirklicht sehen. Perlen vor die Kugellager, fällt einem dazu ein.

Die Jahre gingen ins Land und dann meldete sich die Stiftung preußischer Kulturbesitz, man brauche ein neues Museum.

Mies war begeistert, er war ja nun auch kein junger Mann mehr und da sah er in dem Berliner Angebot seine letzte Change, „The Bacardi Project“ doch noch zu verwirklichen.

Unter kräftiger Mithilfe des Enkels Dirk Lohan wurde der Bau 1968 fertiggestellt.

Bei der Einweihung, ein Jahr vor seinem Tod, hüpfte der Architekt glücklich wie ein kleiner Junge durch den riesigen Saal, während alle anderen, vorneweg der eigene Enkel, dem Frieden nicht so wirklich trauten. Es handelt sich immerhin um eine Fläche von 2.683 Quadratmetern, die, wir hörten es, nur von acht außenstehenden Säulen getragen wird.

Dirk Lohan berichtet in seinen Erinnerungen, wie er beim Einweihungsempfang stets darauf geachtet habe, dass er sich nicht unter einem der Stahlträger, sondern dort aufhielt, wo die Kassettendecke nach oben einen Hohlraum freigab. Er rechnete sich dort beim zu erwartenden Einsturz des Gebäudes bessere Überlebenschancen aus.

Es ist denkwürdig, wohin sich Dank richten kann.

Ludwig Mies van der Rohe ist tot

Wolfgang Lohan ist tot

Dirk Lohan kenne ich leider nicht

Allen bin ich dankbar

In der Muckibude

Ich geh jetzt in die Muckibude! So heißt das natürlich nicht, sondern Bewegungsstudio, denn es ist für alte Menschen gedacht. Fitness würde sie verschrecken. Es wird Rückengymnastik angeboten und es gibt auch einen Raum, in dem Kraftmaschinen stehen.

Mir wurde gesagt 50 mal pro Aparillo. Zunächst habe ich das auch brav befolgt, eins – ha, zwei –ha, drei-ha…

Nun ist es ja so, dass Männer nicht zwei Sachen gleichzeitig machen können, zum Beispiel zählen und zuhören. Deshalb war meine Zählerei ganz falsch, denn das Panoptikum, das sich da abspielt, erheischt wirklich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Zeitzeugen.

Zunächst ist da Edith. Ihr Status ist unklar, aber sie ist immer anwesend. Ich nehme an, sie ist die Putzfrau. Da sie sich zu Hause langweilt, bleibt sie halt. Manchmal bringt sie Schmantkuchen mit, damit die abgearbeiteten Pfunde ja nicht verlorengehen. Wenn der richtige Trainer nicht hinschaut, gibt sie Anweisungen wie „Schultern zurücke, Mann.“ Der Mann befolgt das sofort und verdrängt derweil die Sorgen, die er sich wegen Ediths raumgreifenden Busens gemacht hat. Wenn Edith nicht aufpasst, unterhalten sich Herbert und Fritz. Der eine war Chemiker und der andere Straßenbauingenieur. Beide hadern irgendwie mit den Zeitläuften, was ich wie folgt manifestiert:

Ick war ja inner DDR Chemiker. Nu bin ick zu Hause und schau meiner Friedel über de Schulter wennse kocht. Kochen is ja ooch ´n chemischer Vorgang. Ick sare dir eens, wenn wir inner Chemie so jearbeitet hättn, wie meine Friedel kocht, dann wär die DDR schon viel früher pleite jegang. Ick hab vasucht, ihr richtijet Arbeetn beizubiejen. Oh Jemineh, hab ich Senge bezojen! Nu bin ick hier und tu so, als wenn ick träniere. Zu Hause bin ick nich mehr jern jesehn.

Bei solchen Lebensbeichten vergisst man natürlich ruckartig das Zählen.

Es hat Auftritt eine aufgedonnerte Mitsechzigerin, Pauline. Sie dreht immer nur eine Runde auf dem Standrad und berichtet von ihren Venenproblemen. Keiner will das hören und man ist froh, wenn sie fertig ist und von hinnen rauscht.

Na det is ooch so eene. Mit de Venen hatses, aber saufen tut se wie ´n Kanalgitta. Kiek ma aussm Fensta, schon hockt se drübn inner Eckkneipe.

Edith kommt vorbei und ermahnt Herbert die Knie durchzudrücken: Keene halbn Sachn, mein Freundchn. Bist ja nich zum Quatschn hier!

Da irrt Edith, denn genau deshalb sind alle hier. Fritz wundert sich nicht, dass die Kommunen so verschuldet sind: Dett kommt daher, dat se heutzutage nüscht mehr vom Strassenabu vastehn. Haste jesehn, neulich? Vorne ne Maschine, die macht den alten Belag wech, dann kommt lange, lange nüschte, dann feechtt eena und dann kommt wieder so´n Monstrum und kackt den neuen Asphalt uff de Strasse. Hinterher kommt ooch noch ne Waltze. Mann wat soll dat denn? Wir ham dat damals mit zwee Dutzend Mann jemacht. Und wenn wa zum Fertichstellungstermin nicht allet bei Fuss hattn, hamwa noch paar von den Politschen aus Hohenschönhausen anjefordat. Dat jing allet seinen sozialistischen Gang, und jut war et!

Ja,ja, Fritz schwärmt wieda vonner jutn altn Zeit, aber die Knie beinanderhaltn det kannste nich, wa? Das war jetzt wieder Edith.

Die Gebühr von 53 € wird monatlich abgebucht. Mein Abo beim Theater hab ich abbestellt.

Deutschland hat keine Verfassung

Neulich habe ich auf facebook einen Eintrag gefunden, in dem der Kölner Kardinal Wölki aufs Übelste und aufs Primitivste beschimpft und beleidigt wurde. Dies nur deshalb weil er gesagt hat, was offensichtlich ist:

Die Würde des Menschen erstreckt sich auch auf islamistische Terroristen.

Damit hat er nicht nur Recht, es war auch notwendig, diese Wahrheit in die Diskussion zu werfen.

In einem Rechtsstaat wird jemand, der lyncht, nicht auch gelyncht, sondern er bekommt einen fairen Prozess. Deshalb finde ich es ja so bedauerlich, dass Terroristen so oft von der Polizei erschossen werden. Ein Prozess würde es der Gesellschaft ermöglichen, in deren Köpfe zu schauen.

Gestern habe ich mir nun den „Spaß“ gemacht, den Kommentaren, wonach Terroristen keine Menschen wären, oder zumindest nicht als solche behandelt werden dürften, den Artikel 1 unseres Grundgesetzes entgegenzustellen:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Was ich damit losgetreten habe, habe ich nicht erwartet. Vielleicht liegt es an meinem Beruf oder daran, dass ich so lange im Ausland gelebt habe. Bisher hatte ich nicht die Gelegenheit, mich in solchen Abgründen von Unbildung, Gemeinheit, Dummheit und Dreistigkeit zu bewegen.

Was soll man denn dazu sagen, wenn einer behauptet, Deutschland habe gar keine Verfassung? Es stellte sich heraus, dass der Zeitgenosse so denkt, weil unsere Verfassung Grundgesetz heißt.

Andere negieren die Existenz des Rechtsstaates, weil sie finden, die Strafgerichte urteilten zu milde. Gleichzeitig sind sie sich aber nicht bewusst, dass der Umstand, dass sie ihre Ressentiments und nicht durchdachten Überzeugungen frei in die Welt hinausposaunen dürfen, eben diesem Rechtsstaat geschuldet ist.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man sich auf Diskussionen auf so niedrigem Niveau einlassen soll. Einerseits bringt es sicherlich nichts, außer, dass man diese Leute gegen einen selbst aufbringt. Andererseits kann es aber auch nicht richtig sein, derartigen Blödsinn, derartigen Gehirnschlamm unbeantwortet zu lassen.

Immerhin hatte ich gestern einen Mitstreiter in Mario Ohle, der wacker und unerschütterlich die Vernunft, die geschichtliche Wahrheit und das redliche Denken hoch hielt.

Vielen Dank.

Berliner Os(t)asen

Neulich war ich mit meiner Tochter in Weißensee. Wir suchten einen spanischen Schreiner, der am Telefon zugesagt hatte, für sie ein Möbel aus Paletten Holz zu bauen, damit aber um Verrecken nicht fertig wurde (mañana).

Wir landeten in einer imponierenden Industrielandschaft mit der Handschrift guter Architektur aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Berlin ist voll davon, nicht umsonst war die Stadt bis zum zweiten Weltkrieg die größte Industriestadt Europas. Im Westen ist gibt davon die Siemensstadt beredtes Zeugnis, im Osten sind es mittelgroße Fabriken umgeben von den Häusern, in denen die Arbeiter wohnten.

Unseren Tischler suchten wir in einem riesigen Klinkerbau, allein die Gänge waren fünf Meter breit. Vom Tischler keine Spur. Plötzlich tat sich eine Stahltür auf und ein bärtiger etwas linkischer junger Mann erschien auf der Bildfläche.

„Soy Paco“. Wir begrüßten uns und dann führte er uns in die Eingeweide des Kolosses, wo er seine Werkstatt hat. Durch finstere Gänge, mit geheimnisvollen Stahltüren arbeiteten wir uns vorwärts.
„Lo ha construido Hitler“, murmelte Paco fast entschuldigend. ¿Con sus propios manos?.

Paco grinste und dann waren wir auch schon an seiner Werkstatt angekommen. Tatsächlich stand dort ein Möbel aus Paletten Holz. Meine Tochter war beglückt, der Schreiner froh und seine Mutter, die im Hintergrund ein anderes Möbel lasierte, murmelte etwas von „buen chico“.

Als unsere Kinder noch klein waren, gab es im spanischen TV die Sendung „Fraggle Rock“. Im Vorspann wuselten immer fleißige Männeken herum, die in Höhlen arbeiteten. So muss man sich die Atmosphäre vorstellen.

Durch gewundene Gänge führte uns Paco „auf einem anderen Weg in unser Heimatland zurück“. Gleißendes Licht und ohrenbetäubender Krach empfing uns. Auf dem Hof stand ein Mercedes mit allen Türen sperrangelweit offen. Heraus dröhnte Discomusik Typ „volle Dröhnung“
Sofort erschien ein tätowierter Mann mit einer Piccolo Flasche Rotkäppchen in der Hand und lallte freundlich fragend, ob uns die Musik störe.

„Die Muckke stört mir überhaupt nich“ sagte meine Tochter und schon hatte der Tätowierte sie ins Herz und bald auch in die Arme geschlossen. Er fragte sie, ob ich mit ihm ein Bier trinken dürfe. Mit zugekniffenem Auge versicherte er mit, man müsse immer die Ehefrauen fragen. „Das ist mein Vater!“ Es war ihr sichtlich peinlich.
Der Kerl brabblete daraufhin „Unverständlichet aber Freundlichet“. Ein Afghane kam vorbei, hörte kurz rein und sagte dann: „Mein Deutsch ist besser“.

Es gelang uns, zu vermeiden mit auf die „Spaßmeile“ mitgenommen zu werden. Dort war in einem umzäunten Areal doch tatsächlich eine Oase aus freilaufenden Schafen, Strandkörben, Eisschränken, Grillplätzen und Sonnenschirmen um einen Pool entstanden – ein Idyll.

Beim Wegfahren kamen wir an einer anderen Klinker-Fabrik vorbei. Dort sollen nun Wohnungen entstehen, so wie in der Zigarettenfabrik, in der wir leben. Sehr beeindruckend fanden wir die riesige Glaskuppel über dem Treppenhaus.
Ich kann nur dazu raten, solche Ausflüge Berlins Neben-Welten zu machen.

Det ham wa nich

Seit einem knappen Jahr leben wor nun in Berlin. Jeweils die erste Woche im Monat verbringe ich in der Kanzlei in Palma, aber erster Wohnsitz ist jetzt Berlin, genauer Pankow.  Als wir am 14. Oktober 2014 hier ankamen, haben wir zuerst im Café Nord in der Schulstrasse etwas zu Mittag gegessen. Auf der Terrasse sass Henry Hübchen, er war der erste Berliner, den ich nach unserer Ankunft traf. Ich dankte ihm, dass er für uns das Empfangskommitee machte. Er fragte, woher wir denn kämen? Aus Mallorca. „Na det hätt ich nich jemacht!“ Schöne Bescherung!

Ein paar Tage später hatte ich einen Notartermin in der Innenstadt und ging mit Schlips und Kragen zur S-Bahn. Mit mir fuhr einige Stationen lang  eine Kita Gruppe. Einses der Mädchen zeigte mit dem Polkfinger auf mich und kreischte: „Kiek ma, der dicke Mann jeht uff ne Hochzeit!“

Nächstes Erlebnis war beim Metzger. Ich wollte zwei Ossobucos kaufen. „Ham wa nich.“ Ich zeigte nun mit meinem Polkfinger auf das gewünschte Stück Fleisch: „Aber da liegt es doch“. „Na, det is ne Beinscheibe!“ Berliner haben etwas Belehrendes. Sie sind fähig, zu erklären, das sei eine Schrippe, wenn man eine Semmel beim Bäcker kaufen will.

Am meisten aber hat mich erstaunt, dass es hier in Deutschland Sachen und Dienstleistungen „auf Rechnung“ gibt. In Spanien wäre das vollkommen undenkbar. Hier ist es normal.