Meine Versuche, Proletarier zu werden.

Es über die SPD zu versuchen, scheiterte kläglich, obwohl der Ortsverband Rentweinsdorf irgendwie erfreut zu sein schien. Nicht, dass man mich sofort auf irgendwelche Pöstchen schob, es ging in erster Linie darum, dass man mit mir „dem Schloss“ eine lange Nase machen konnte. Der Stinkefinger war damals noch nicht en vogue. Ich habe dann für den Gemeinderat kandidiert und fiel natürlich krachend durch. Seit dieser Zeit hasse ich Jägermeister, weil mich der Kassenwart beim Entrichten des Beitrags stets alkoholisierte: „Zu, dring mer a wenig a Schäbbsla auf den Dunnerkeils-Fordschridd.“

Später als Student in München trieb man mir das Proletariertum ziemlich bald aus, ich bin nicht geschaffen für nächtelange Diskussionen um die Tagesordnung.

Zuvor hatte ich es in Ebern beim Kugelfischer am Fließband versucht. Ich wollte ein Auto kaufen. Da ich in der 10.Klasse sitzen geblieben war, bekam ich keins zum Abitur. Ein besonders konservativer Onkel fragte mich, ob das denn unbedingt notwendig sei. Das mit dem Durchfallen wollte ich ihm verschweigen und erzählte von lebensprägenden Erfahrungen in der Welt der Arbeit. Darauf er: „Derlei Erfahrungen kann sich unsereiner getrost ersparen.“

Ich prüfte beim Kufi neben einem Jugoslawen VW Bremszylinder auf Dichtigkeit. Der erklärte mir, die in unserer Abteilung arbeitenden Damen hätten „Schnecken in Hirn“ denn sie machten es sich zur Aufgabe, mich mit nie gehörtem Unflat in Verlegenheit zu bringen.

Zum Proletarier wurde ich dadurch nicht, aber wichtige Lebensweisheiten nahm ich mit auf den Weg, wie diese:

An der Stechuhr warten wir, dass es 16 Uhr werde, da sagte ein älterer Arbeiter zum andern:

„Du Schorsch, dei Hosndür steht offn.“

Worauf der:

„Günder, ich will der amol awos sooch: Frischa Lufd dudd gudd, und außer diesen, wo a Doder lichd, muss a Fenster offn sei.“

Immerhin bin ich in München zur zentralen Mai-Kundgebung des DGB gegangen. Diese fand sinnigerweise auf dem Königsplatz statt. Um proletarisch zu wirken, hatte ich mich extra gammelig angezogen und wunderte mich, dass ich von den Arbeitern gleich zu den Trotzkisten verwiesen wurden. Beim DGB-Block machte man mir klar, dass dies das Fest der Arbeiter sei, deshalb hätten sie sich auch anständig angezogen. Ich bekam nicht einmal eine rote Fahne ausgehändigt. Bei den Trotzkisten fühlte ich mich auch nicht richtig geborgen, es nutze mir nichts, dass ich wusste, wer Frieda Kahlo war. Offenbar erwartete man revolutionäres Wissen über die Liebschaften Trotzkis hinaus.

Ich war einigermaßen verzweifelt und wähnte, dass aus mir wohl nie ein richtiger Proletarier würde. Ich beschloss einen letzten Versuch zu wagen und wurde Taxifahrer. Das führte aber auch nicht weiter, denn entweder waren damals Taxler selbstständig oder Studenten. Aber nicht einmal Letztere waren Proletarier.Die sich so fühlten, saßen im ASTA und machten den Professoren das Leben schwer.

Ich hab mich dann in die Lieder italienischer Kommunisten geflüchtet — auf Schallplatte.

Immerhin, diese habe ich im Plattenladen der KPI in deren römischer Zentrale in der Via delle Botthege Oscure gekauft. Avanti Popolo!

Unanständige Witze

In den 50er Jahren, als ich noch ein Bub war, ging es in Deutschland noch erheblich prüder zu, als das heutzutage der Fall ist. Das sich das geändert hat, liegt wahrscheinlich an der verstärkten Reisetätigkeit. Als ich einmal in London war, hörte ich einen Schuhputzer Witze erzählen, die so unanständig waren, dass ich froh war, nicht alles zu verstehen und aus den Ländern des Mittelmeeres schwappte zu uns eine Witzkultur, die überhaupt erst dann als witzig verstanden wurde, wenn sie sexistisch war.

Da ging es halt in Unterfranken damals noch gesitteter zu: Ein entfernter Verwandter wollte uns Brüdern einmal einen dreckigen Witz erzählen und schickte deshalb seine Töchter aus dem Zimmer. Es kam dann ein Nachttopf darin vor – große Enttäuschung.

Aber immerhin, wir amüsierten uns noch wochenlang über den prüden Kerl.

Ich war immer sehr stolz auf meinen Vater, der sich stets als Freund des unanständigen Witzes bezeichnete und dies auch praktizierte. Das war halt ein richtiger Vater, dachte ich. Der lässt seine Buben am Leben teilhaben und zieht sich nicht vornehm auf den mit Gobelin bezogenen Sessel zurück und redet abwechselnd von der Jagd, der Verwandtschaft und von der Auferstehung.

Später wurde mir dann klar, dass es mit dem Unanstand nicht allzu weit her war, denn die Lieder, die er mit uns im Auto sang, hielten sich streng auf dem Niveau von „Leicht und sicher springt der Floh ohne Sprungbrett über den Popo-o.“

Später lernten wir im Internat unter der Hand einige Wirtinnenverse, die wir schneller auswendig konnten als Schillers Glocke. Als wir in die Weihnachtsferien nach Hause kamen, wollten wir nach dem Absingen der üblichen Weihnachtslieder auch einige Lieder vom Wirtshaus an der Lahn zum Besten geben. Zu meiner Verwunderung verbot dies unser Freund des unanständigen Witzes kategorisch. Die Melodie durften wir summen – immerhin.

Etwas später kommentierte ich das alles mit meiner Mutter, die meinte, sowas passe halt nicht zu Weihnachten. Zu meinem Erstaunen, ja Erschrecken, sang sie mir zwischen Reckendorf und Reckenneusig im Auto einen Vers vor, den ich noch nicht kannte. Der stamme von meinem Vater, verteidigte sie sich, als ich auf das Befremdliche der Situation hinwies.

Es war dann auf Ibiza zunächst bei meinen französischen Freunden, wo ich die wirkliche Schule des unanständigen Witzes besuchte. Da wurde nichts ausgelassen, jede menschliche und zwischenmenschliche Situation wurde aufs Korn genommen und mit einem eleganten Dreh kam der voraussehbare Unanstand dann doch noch zu einem unerwartet charmanten Ende. Es wurde angedeutet und jedermann verstand.

Ganz anders bei den Spaniern. Da geht es nur und ausschließlich ums „Unterwärtsige“, wie sich meine Mutter auszudrücken pflegte. Wie der Stier stürmen dort die „chistes“ auf das rote Tuch beziehungsweise auf die Genitalen zu. Und alles wieherte vor Vergnügen. Da Deutsche dies von ihrer Witzkultur her nicht sofort komisch finden, gelten sie in Spanien als humorlos.

Es dauerte ein paar Jahre bis mich Tolo, mein Friseur in Palma, für würdig befand, in die Riege derer aufgenommen zu werden, denen er beim Verpassen eines Fassonschnitts Witze ins Ohr raunte. Ich lachte pflichtschuldigst und wurde jedes Mal belohnt, indem er mir versicherte, jetzt sei ich von einem Spanier nichtmehr zu unterscheiden.

Ich begab mich dann immer in eine Art Abklingbecken und summte auf dem Weg zu meinem Schreibtisch die Melodie vom sprungbrettlosen Floh.