Hygienebewusste Verstorbene

In den 60er Jahren begann auch in Unterfranken die Häuslebauerei. Immer wenn er im Vorbeifahren einen neu errichteten Dachstuhl entdeckte, freute sich mein Vater: „Das ist gut für die Forstwirtschaft“.

Zuvor hatten wir Kinder den familiären Wohlstand am meist besorgten Blick des Haushaltsvorstandes abgemessen, wenn er vom Holzpreis sprach. Nun zählten wir auf der Fahrt nach Bamberg zwischen Sendelbach und Hallstadt die neuen Dachstühle. Waren es viele, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Venezia gegenüber vom Hertie ein Schlotzeis bekamen.

Der Bauboom machte natürlich auch vor Rentweinsdorf nicht Halt. Die Gemeinde wies einen schmalen Streifen an der Kappelleite als Bauland aus. Eigentlich war vorgesehen, dazu den Baron zu enteignen. Der aber verkaufte das Bauerwartungsland an seine Abgestellten und Arbeiter. Von unten nach oben bauten dort ein Brauer, ein Bierfahrer, noch ein Bauer, ein Traktorfahrer und ganz oben der Sohn vom Wasser Adl, von dem bereits berichtet wurde.

Wir beobachteten bei dieser ganzen Bauerei fasziniert das, was man in Frenken einen „Zamhelfbetrieb“ nannte. Nach Feierabend und am Wochenende fand sich die gesamte Verwandtschaft, die nicht spielenden Mitglieder des 1.FC Rentweinsdorf und die Freiwillige Feuerwehr ein, um den Keller auszuschachten und – ganz wichtig – den Brunnen zu graben. Das war eine mühsame Arbeit, denn es mussten Betonringe von etwa einem Meter Durchmesser durch Untergraben mittels ihres eigenen Gewichts in die Tiefe wandern. Da waren kleine, aber kräftige Zeitgenossen gefragt.

Bei den Bauern im Dorf grub man gern in der Nähe des Misthaufens. Hygienische Bedenken wurden beiseite gefegt mit dem Argument, die Erde reinige die „Misthümm“ zur Genüge, und trinken werde man das Wasser sowieso nicht, weil es doch Bier gäbe.

An der Kappelleite gab es keine Misthaufen, wassertechnisch war das ein echter Vorteil. Das Dorf nahm Anteil daran wie die Häuser höher und die Brunnen tiefer wurden.

„No, habdder denn scho a Wasser gfunna?“

Das Interesse war gewaltig und das hatte seinen Grund: Nur über die Straße hinweg, also direkt neben den neuen Baugrundstücken befindet sich noch heute der Friedhof, auf dem Agnes Müller, die beweinte Freundin von Friedrich Rückert begraben liegt.

Solange niemand berichtete, man habe Wasser gefunden, wurde die insgesamt als gruselig empfundene Nähe zum Gottesacker nicht kommentiert. Dann aber stießen die Bauherren ziemlich zeitgleich auf eine Wasserader und in den Gassen, auf dem Schulhof und in den drei Wirtschaften des Dorfs ging es plötzlich hoch her:

„Wos, ihr habd Wasser gfunna? Ja, de Wasser däd ich fei ned gedring.“

„Wieso? Unner Wasser is eiwambfrei, des Gsundheidsamd hads fei undersuchd.“

„Gädring däd ich des Wasser drodsdem ned, wo sich doch scho die Leichn drinna gabodn ham.

Damals bedauerte ich es erstmals, nicht malen zu können. Eine Leiche im Bade mit Abfluss, der direkt in die Brunnen an der Kappelleite führt. Ich hätte das Bild rahmen lassen.

Heute gibt es all die Brunnen noch. Sie dürfen nicht mehr benutzt werden. Das Trinkwasser kommt nun gegen Geld aus einer Talsperre in Oberfranken.

Kommentar: „A den Leichnwasser is kaaner verreggd, aber verregg, edserd kost’s unner Gäld.“

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