Wo ist die Post?

Neulich wollte mir ein Mandant von den kanarischen Inseln ein wichtiges Dokument schicken. Es kam in Deutschland an, wurde dann aber zwei Mal als unzustellbar zurückgeschickt.

Nun musste ich dem Mandanten selbst etwas schicken und wir waren übereingekommen, damit solange zu warten, bis ich von Mallorca aus die spanische Post beauftragen könnte.

Weil in Palma vorweihnachtlich alles verstopft ist, habe ich ein Postamt in einem Dorf gesucht und einen Passanten nach dem Weg gefragt.

Er erklärte mir, er sei gar nicht von hier, denn er habe nur seine Frau zum Zahnarzt begleitet. Sie müsse sich zwei Weisheitszähne ziehen lassen. Die Schmerzen seien seit Tagen unerträglich, etwa so unerträglich wie seine Frau selbst. Jetzt hoffe er auf Besserung des Eheklimas. Der Zahnarzt habe ihn weggeschickt, er brauche mindestens zwei Stunden und er solle einen „café“ trinken. Er habe schon drei getrunken und die Zeit sei immer noch nicht rum. Aber wo wie Post zu finden sei, das wisse er nicht.

Nun schaltete sich eine Matrone ein, die gerade ihr Enkelkind in der Kita abgegeben hatte.

Die Post sei ganz leicht zu finden: Du gehst immer diese Straße entlang. Wenn du an der Bar Manolo vorbeikommst, geht rechts eine Straße ab. Die nimmst du nicht, Übrigens, Manolo macht die beste tortilla española im ganzen Ort. Eigentlich mache die seine Frau, die Paquita. Von der hältst du dich fern. Sie ist ein gefährliches Klatschweib. Ich weiß das, weil sie mit mir verwandt ist.

Ja, aber eigentlich suche ich die Post.

Sag ich´s doch. Die Straße rechts nach Manolos Bar nimmst du nicht. Geh weiter geradeaus, dann kommt links einer Querstraße, sie heißt Calle del Mar. Dort findest du die Post.

Um es kurz zu machen: Eine Bar Manolo gab es zumindest in dieser Straße nicht, aber tatsächlich fand ich links eine Calle Estrella del Mar. Die Poststelle war nicht zu übersehen.

Dort nahm man bereitwillig mein Einschreiben auf die Kanaren an, fragte nach meiner e-mail Adresse und verlangte 8,40 €.

Als ich zu Hause ankam, war schon eine mail im Computer angekommen, in der mir die Versendung samt Sicherheitscode mitgeteilt wurde.

Moral und sittliche Nutzanwendung: Es mag in Spanien schwer sein, auf den rechten Weg gebracht zu werden, aber die Post funktioniert digital und zuverlässig, jedenfalls um Meilen entfernt besser als der Saftladen in Berlin.

Beten ja, beten nein und beten einstellen.

Aus Gründen, die bei näherem Hinsehen, durchaus einer Überprüfung wert wären, gelten die Mitglieder meiner Familie als fromm, zumindest als frömmer denn andere. Das hatte zur Folge, dass meine Eltern mit Gebetsaufträgen überhäuft wurden. Diese kamen natürlich immer zur Unzeit.

Es war ein wunderbarer Sommerabend. Wir saßen auf der Altane und frönten dem „dernier crie“ von damals: dem Kullerpfirsich. Dazu sticht man einen Pfirsich mehrmals mit einer Gabel an, gibt ihn in einen genügend großen Kelch und überschüttet ihn mit Sekt. Wie von Geisterhand beginnt sich der Pfirsich zu drehen. Er kullert.

Wir verfolgten das Schauspiel fasziniert, als das Telefon klingelte. Es dauerte eine Weile, dann kam unsere Mutter mit Grabesmiene zurück und verkündete, eine nahe Verwandte sei schwer erkrankt, liege mehr oder weniger „in die Züch“ und jetzt müsse sofort für sie gebetet werden. Während wir das taten, kullerten die Pfirsiche in unseren Gläsern und der Sekt wurde warm.

Ich glaube, die Erkrankungen unserer Verwandten wurden von den Eltern absichtlich schlimmer dargestellt, als sie waren, damit die Gebetserhörung nach erfolgter Genesung umso deutlicher wurde.

Es gab aber auch Gebetsersuchen, die rundweg angelehnt wurden. Eines Tages berichtete unsere Mutter lachend, eine Freundin habe von ihr verlangt, dafür zu beten, dass deren erwachsener Sohn frühs aus den Federn käme.

„Also, ich denke, der liebe Gott hat Wichtigeres zu tun, als einen Faulenzer aus dem Bett zu treiben.“ Damit war die Sache erledigt.

Damals gab es noch keine Telefone, die man „auf Lautsprecher“ stellen konnte. Man bekam deshalb immer nur die Hälfte mit. Dessen ungeachtet, liebten wir es, wenn unser Vater sich am Telefon mit einer seiner Schwestern unterhielt.

Die eine las „Christ und Welt“, die andere „Die Zeit“. Beides äußerst fragwürdig. Vater las die Süddeutsche, weil man immer eine Zeitung lesen muss, die anderer Meinung ist als man selbst. Darüber hinaus las er die „Fuchs Briefe“, ein privater Informationsdienst, der das mit der SZ offenbar ausgleichen sollte.

Wie nicht anders zu erwarten, waren seine Schwestern von den Zeitläuften bewegt, sie sorgten sich um Vaterland, Sitte, Anstand und den Glauben und lehnten das, was die SPDgeführte Regierung machte, a priori ab. Das alles wurde von einschlägigen Gebeten begleitet. Für uns war es spannend, herauszufinden, was die Seelen der jeweiligen Tante bedrängte. Unser Vater saß auf seinem Telefonstuhl und war entweder belustigt oder genervt.

Letzteres passierte dann, wenn ihm des Längeren und Breiteren das jeweils aktuelle Gebetsanliegen dargelegt wurde und er fand, in dem Spiel habe der liebe Gott keine Karten.

So war es mit dem sauren Regen, der zum Waldsterben führte, und so war es auch mit dem Nato-Nachrüstungsbeschluss.

Vater fand, das sei menschengemacht und müsse daher auch von den Menschen bereinigt werden.

Während er das seinen meist uneinsichtigen Schwestern klarzumachen versuchte, fieberten wir dem Kulminationspunkt entgegen, der immer dann kam, wenn seinen weisen Argumentationslinien immer wieder etwas Neues entgegengesetzt wurde.

Dann stand er auf und rief ins Telefon:

„Mum-Pitz, Beten einstellen,“ und warf er den Höhrer auf die Gabel.