Und es begab sich aber…

Morgen ist schon wieder der erste Advent. Jetzt, wo ich alt bin, hat das alles einen Anflug von Endzeitlichkeit: schon wieder ein Jahr rum. Was wird das Neue bringen? Das Alte war schon nicht gut genug.

Wer hätte sich vor drei Jahren vorstellen können, in den Lockdown zu müssen, wer hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass wir uns mitten in einem Krieg befinden?

Die Adventszeit meiner Jugend verklärt sich da in ein sorgenfreies Warten nur durchwebt von der abstrakten Angst, dass die Russen kommen. Das sagten die alten Bauern, wenn es irgendwo krachte und war somit ähnlich wahrscheinlich wie andere bäuerliche Voraussagen wie „Gefriert im November schon das Wasser, wird der Januar umso nasser.“ Wenn`s dann nicht so kam, war`s auch wurscht.

Ich erinnere mich, dass die Adventszeit endlos war. Wir warteten auf Weihnachten und mussten zunächst „a Schbrüchl für’n Niggelaus“ auserlawendich lernen.

Später bekam man eine Rolle in Mutters Krippenspiel. Faszinierend war jedes Jahr von Neuem, wie sie dem Verkündigungsengel immer wieder vergeblich beibringen wollte, dass es nicht „der Hölle Bein“ heißt.

Ich war meistens ein Hirte und musste deklamieren: „und die Hirdden kehrden wieder um, briesen und lobbden Godd für alles, was sie gehörd und gesehen hadden.“

Das war natürlich ausgemachter Blödsinn, denn das Einzige, was wir Hirten gesehen hatten, waren die strengen Blicke von Traktorfahrern, Rübenverzieherinnen, Brauern und Holzfällern, die genau aufpassten, dass ihre Sprösslinge nicht stecken blieben oder etwas falsch sagten. Dieser Anblick reizte nun wirklich nicht dazu, Gott zu loben und zu preisen.

Ein Mit-Hirte weinte nach einem Aussetzer, weil sein Vater aus der hintersten Reihe die Faust erhoben hatte und in den Saal rief „Kumm ner hamm, Fregger!“

Adventskalender gab’s natürlich auch, aber natürlich ohne Inhalt. Meiner wurde im neuen Jahr gebügelt und mit denen meiner Geschwister unter schwere Bücher gelegt. Nur als ich noch ganz klein war, habe ich mich darüber gewundert, dass hinter den Türchen immer das gleiche Bild versteckt war.

In der Speisekammer wurden die Christstollen gelagert. Das waren beileibe nicht Dresdner Stollen, sondern fladenartige Gebilde, die nur mit viel Puderzucker verheimlichen konnten, dass sie etwas angebrannt waren. Es handelte sich um Thüringer Stollen, wie ich später feststellte, nach einem Rezept aus dem Haus meiner Großmutter, die aus Roßla – gleich neben dem Kyffhäuser – stammte. Sich an den auf Weihnachten wartenden Christstollen zu vergreifen, war natürlich verboten, etwa ebenso sündhaft, als söffe man, wäre man denn katholisch und Ministrant, den Messwein aus. Ich habe einmal einen katholischen Freund gefragt, ob er das gemacht hätte, was er wie selbstverständlich bejahte. Ob denn daraufhin der „Hölle Bein“ über ihn gekommen sei, setzte ich nach. Nein, es sei nichts passiert. Dies brachte mich dazu, erstmals zu gestehen, dass ich regelmäßig vorab vom Christstollen geknabbert habe. Es seien Mäuse gewesen verteidigte ich mich immer, wenn der Verdacht auf mich fiel.

Da Mutter Angst vor Mäusen hatte, wurden die Ermittlungen daraufhin ein- und Mausefallen aufgestellt.

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