Waldbühne

Es ist ein Insiderwitz, ich gebe es zu. Mein Bruder hat der Spitznamen Moishe Kalish weil er Querflöte und mehr spielt. Ich dachte, es sei eine gute Idee, ihn zum Konzert einzuladen. In der Waldbühne sollte Barenboim das West-Eastern Divan Orchestra dirigieren. Wir trafen uns am Gleisdreieck. Seine Laune war gehalten, Werder hatte gegen Stuttgart unentschieden gespielt. Am Westkreuz mussten wir in die S-Bahn Richtung Spandau umsteigen. Da begann das Chaos: Hertha Fans wollten in die Innenstadt, Eintracht-Fans wollten auf den Bahnhof in Spandau, um dort in einen ICE umzusteigen. Der Weltuntergang schien nahe. Sicherheitsleute sperrten die Bahnsteige ab, wir warteten auf einer stickigen Treppe umgeben von übellaunigen Fußballfans. Das Spiel war ebenfalls unentschieden ausgegangen.

Schließlich drängten wir uns in einen Wagon, in dem Hessen grölten und Bier tranken. Moishe Kalish teilte seinen Frust mit einem Frankfurter, dessen Bier gefährlich im Plastikbecher schwappte. Er wunderte sich, dass er einmal mit einem Werder-Fan gemeinsam würde Trübsal blasen und frug ob wir auch nach Spandau wollten. Nein, wir führen zur Waldbühne.

„Wer spielt?“

Ich, der vom Fußball nichts versteht, und seine Anhänger clam-heimlich für Proleten hält, warf „Bayern München gegen Freiburg“ in die Runde. Da war ich auf den Falschen getroffen. Der Hesse lächelte nur milde aber wissend und Moishe rettete die Situation, als er Barenboim und so erklärte.

Vor dem Waldstadion trafen wir auf ein unbeschreibliches Durcheinander: Menschenmassen drängten sich an den Einlässen, wo kontrolliert wurde. Um uns herum knutschen Paare in allen nur denkbaren Gender-Konstellationen und mein Bruder vermutete, er könne bereits das Weiße in den Augen der Kontrolleure sehen. Trippelschrittchen für Trippelschrittchen kamen wir voran und ich versuchte, noch einen draufzusetzen, indem ich meinte, man könne den Knoblauchatem der Kontrolleure bereits riechen. Man sah mich schräg an und jemand sagte, das sei ja wohl etwas rassistisch. In dem Gedränge hörte aber auch jeder alles.

Schließlich waren wir tatsächlich im Waldstadion, es konnte losgehen. Es war drückend heiß, man saß eng und ich dachte an Bayreuth, wo, so sagt man, die Bestuhlung legendär unbequem sei. Wer Solches behauptet, war noch nicht in der Waldbühne. Jetzt begann meine Laune zu sinken und mein Hintern zu schmerzen. Lang Lang spielte den Klavierpart aus „Noches en los Jardines de España“. Als für Orchester und Solist gerade pianissimo dran war, rülpste eine vornehm aussehende Dame vor uns laut – Heiterkeit. Dann gab Lang Lang eine Zugabe: „Danza Ritual del Fuego.“ Das war richtig toll und danach war Pause. Moishe Kalish besorgte uns ein Bier, wofür ich ihm bis ans Ende meiner Tage dankbar sein werde. Als das Orchester wieder begann, fielen zwei Tropfen Regen und wir hörten „Ibéria“ von Debussy. Ein Name, den man sich wird merken müssen, ein großartiges Stück Musik. Zum Schluss hörten wir noch den Bollero von Ravel, fantastisch, einfach Weltklasse, was die da abgaben. Mein Hintern schmerzte nicht mehr, lag`s am Bier oder lag es daran, dass mir der zweite Teil einfach viel besser gefiel als der Erste? Wie dem auch sei, unbequeme Sitzgelegenheiten sind relativ.

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