Ungarn

Es muss 1972 gewesen sein, als mein Bruder und ich beschlossen, nach Ungarn zu fahren. Der einzige Grund war der, dass wir dort noch nicht gewesen waren. Ich hatte damals gerade für 750 DM den verbeulten Forst VW meinem Vater abgekauft und knallgelb umgespritzt. Dies und das Nummernschild EBN-L 821 sorgten dafür, dass man auffiel, erst recht im Ostblock.

Wir fuhren nach Budapest und besuchten die Stadt ausgiebigst. Hinter dem Heldenplatz stießen wir auf ein Gebäude, das aus allen Stilrichtungen zusammengebastelt schien. Davor stand ein Wiener Paar. „An wos erinnert mich dös jetzt?“ fragte er sich, um dann sich selbst zu antworten: „Kloar, ans Böfeder.“

Auf dem Heldenplatz übte das sowjetische Heer einen Aufmarsch zum ungarischen Nationalfeiertag. Damals durften ungarische Soldaten die Hauptstadt nicht betreten. Ungarische Zuschauer ballten die Faust in der Hosentasche.

Nachdem die Fischer Bastei, die Matthiaskirche besichtigt waren und der Zigeuner Kapelle im Restaurant zugehört war, beschlossen wir, nun die Puszta sehen zu wollen.

Wir folgten dem Wegweiser nach Miskolc und nahmen am Stadtrand von Budapest zwei Tramper mit. Sie hießen Pali und Tibi und konnten deutsch, allerdings nur dies:

„Punkt, Punkt, Bäistriech, Striech, färtig ist das Mondegesiecht. Und auch noch zwäi Baine dran, fertig ist der Hampelman.“

Woher sie das konnten, blieb unklar, wir redeten mit den Händen und Füßen, mein Bruder auch noch auf Russisch. Er hatte das als Zusatzfach genommen, und bisher immer behauptet, er könne nur „Der Kosmonaut steht im Zimmer“ sagen. Tatsächlich aber konnte er mehr russische Worte als Pali und Tibi zusammen. Sie luden uns zu ihren Eltern nach Miskolc ein. Kaum hielten wir vor dem Haus am Stadtrand, kam auch schon die Polizei. Ein so auffälliges Auto in einem Wohngebet, das war eben verdächtig.

Der Vater von Pali und Tibi konnte recht gut Deutsch, daher das mit dem Bäistrich. Die Mutter kochte fabelhaft und mästete uns. Als sie meinen Bruder fragte, ob es ihm geschmeckt hätte, wehrte der mit vielem „nem, nem, nem“ ab. Er hatte gedacht, sie böte ihm noch mehr zu essen an.

Dann fuhren wir nach Tokai. Dort wohnte Tibis Freundin. Wieder wohnten wir wie selbstverständlich bei deren Eltern. Abends trafen wir uns mit allerhand Freunden in einem Weinkeller, wo zu fortgeschrittener Stunde eine junge Dame aufstand, um Gedichte von Petöfi Sándor zu rezitieren. Alle weinten, nur wir nicht. Ich glaube, das hat man uns etwas übelgenommen. Dort lernten wir etwas Ungarisch. Ich kann noch heute „Az alkoholizmus egy betegség“ sagen, Alkoholismus ist eine Krankheit. Mein Bruder konnte natürlich mehr, der raunte der vortragenden jungen Dame „Szeretlek“ ins Ohr. Sie errötete hold, denn er hatte ihr seine Liebe gestanden.

Bevor es aber zu Schlimmerem kam, sagten Pali und Tibi, sie müssten jetzt wieder zurück an die Uni und die läge in Pécs, im Süden des Landes. Wir haben sie dort hingefahren und durften als Belohnung im Studentenheim übernachten. Dort wohnten viele aus Nord Vietnam. Tran van Mon konnte etwas Französisch, so wurde die Konversation einfacher. Es wurde uns gesagt, wir sollten uns unauffällig benehmen, denn Fremde dürften hier nicht wohnen, es werde kontrolliert. Fast wären wir aufgeflogen, ein Aufpasser erwischte meinen Bruder. Der rettete die Situation, indem er ihn mit allen ihm zur Verfügung stehenden russischen Grobheiten überschüttete. Das hat geholfen, unter Entschuldigungen zog er sich zurück.

Am nächsten Morgen fuhren wir nach Österreich zurück und wurden von der Grenzpolizei gefragt, ob wir verdächtige Militärübungen gesehen hätten. Verdächtig, das konnten wir nicht beurteilen, aber einige Panzer haben wir überholt. Der Polizist machte sich Notizen und wir waren überzeugt, den dritten Weltkrieg verhindert zu haben.

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