Sorglose Zeiten

Es ist einfach wunderbar!

Nichts kann unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und den Pegelstad des Rheins trüben. Alle Welt versteht sich und Masken zu tragen wird echt überschätzt.

Es ist Zeit, dass die Kultur, die Kunst und überhaupt die Wissenshaft wieder mehr Beachtung finden, und sie finden…

Endlich hat man Zeit und Muße, sich darüber Gedanken machen zu können, dass Schlotfegerinnen seit Jahrhunderten sprachlich unter den Teppich gekehrt werden. Nur die Sennerin, die gabs schon immer, hollerdihöh!

Und weil der nach dem Krach neugegründete Pen Club (Berlin) außer dass er gegründet worden ist, eigentlich keine Existenzberechtigung hat, will man jetzt aus eigenen Reihen Schriftstellergrößen finden, die Schillers Skandalwerk „Die Räuber“ umschreiben. Da kommen doch tatsächlich gleich drei (adelige!) Männer (!) vor, die Moor heißen. Offenbar war sich Schiller selbst der innewohnenden Problematik bewusst, deshalb hat er die Mannen in vorauseilendem Gehorsam mit doppeltem „o“ statt mit „h“ geschrieben. Phonetisch lässt es dennoch eine schillersche Unsensibilität erahnen. Und, das aber nur nebenbei, Kanaille ist eine unerlaubte Anbiederung ans Welsche, pfui Spinne!

Wo wir gerade bei den Dichtern sind: Karl May. Dass er aus Radebeul stammt, hätte uns zu denken geben sollen. Glücklicherweise ist man unterdessen auf den Winnetou-Skandal gestoßen. Und wir? Was haben wir gemacht? An Fasching blieb doch nur Winnetou. Nachdem schon fünf davon im Dorf rumsprangen, schlug meine Mutter vor, man könne doch auch als Intschu Tschuna gehen. Das haben wir natürlich abgelehnt, weil der schon im ersten Band stirbt. So weit waren wir schon, das muss man schon mal sagen dürfen.

Auch das mit der kulturellen Aneignung musste und konnte nun endlich in die offizielle Debatte eingebracht werden. Allen ist klar, alle verstehen, ja alle unterstützen es, wenn Menschen, die zu uns kommen, unsere Werte, unsere Lebensformen und unsre Frisuren übernehmen. Man nennt das Integration Das dient auch dazu, sich besser zu verstehen, über die Grenzen der Länder und Kontinente hinweg. Leider wurde dabei vergessen, für jedermann verständlich festzuhalten, dass junge oder alte weiße Männer unter gar keinen Umständen Werte, Lebensformen oder Frisuren anderer Kulturen übernehmen dürfen, es sei denn, sie setzen sich in ein Schlauchboot und rudern da hin um da (wo ist da?) zu bleiben mit dem Ziel, fremde soziale Netze zu unterwandern.

Womöglich steche ich da in ein Wespennest, aber ist es legitim, dass am Fuße der Alpen langmähnige, bärtige Männer und eine tugendhafte, später heiliggesprochene Jungfrau über eine Bühne hüpfen und etwas aufführen, was in keinster Weise im Regierungsbezirk Oberbayern spielt? Was soll das?

Es fehlt da deutlich an der Sensibilisierung der Bevölkerung, wenn sogar schon die Schweizer darauf gekommen sind, dass Rastalocken selbst dann nicht gehen, wenn man eine elektrische Gitarre in der Hand hat.

Man stelle sich nur vor, wir hätten Klimakrise, Krieg, Dürre, drohende Hungerkatastrophe und Energieknappheit und das alles auf einmal.

Es wäre nie und nimmer dazu gekommen, die aufgezeigten Phänomene anzudiskutieren.

Mal nicht gendern.

Der Ministerpräsident des Bundeslandes, wo man alles kann, außer Hochdeutsch, wird ohne Zweifel in die Geschichte eingehen.

Sicherlich auch deshalb, weil er in dieser genderfrohen Zeit einen Begriff in die Diskussion geworfen hat, der sich beim besten Willen nicht gendern lässt, sogar der Versuch, ihn mit Sternchen zu versehen, scheitert kläglich.

In seinen beiden Aggregatszuständen ist der Waschlappen männlich.

Wollen wir uns hier dem textilen Waschlappen zuwenden, zumal anzunehmen ist, dass der Ministerpräsidenten ihn meinte, als er dazu riet, diesen wieder vermehrt zu nutzen.

Ich sehe den Waschlappen kritisch. Das mag auch daran liegen, dass unser Großvater meinte, jeder Junge müsse lernen, seine Toilette mit einem solchen Ding und einer Teetasse Wasser hinzubekommen. Begründung: „Im Felde“ hätte man auch nicht mehr zur Verfügung.

Unsere Mutter sah das anders und steckte uns jeden Abend in die Badewanne, wo wir etwas Palmolive Seife aufschäumen ließen, damit das Wasser trüb werde. Ja, und den Waschlappen machten wir auch noch nass. Ansonsten ribbelten wir den Dreck am Handtuch ab. Großvater, ohne Letzteres zu wissen, zieh seine Schwiegertochter, ihre Söhne zu Schweinen zu erziehen, womit er, wenn man es recht betrachtet, sogar Recht hatte. Später versuchte Mutter, die Folgen dessen mit generösen Gaben von Deo-Spray zu überdecken. In die nächsten Ferien kamen wir wieder müffelnd nach Hause, weil wir im Internat die Spraydosen an diejenigen verhökert hatten, die bereits hinter den Mädchen hersprangen. Die Fahrt vom Bamberger Bahnhof, wo wir abgeholt wurden, nach Hause musste mit offenen Fenstern und unter Verwünschungen seitens unserer Mutter zurückgelegt werden. Wir waren halt unserem Wahlspruch treu geblieben: „Ich wasche mich alle drei Wochen, ob es nötig ist oder nicht.“

Als Kind kam ich doch einige Male mit einem Waschlappen in Berührung, immer dann, wenn ich meine Patentante auf dem Saarhof besuchte. Dort gab es Kühe, Schweine, Unimogs, einen Misthaufen und einen Berg mit „Südn“, das ist die Spreu, die man vom Getreide trennt. Heute macht man damit tolle Sachen, damals, so glaube ich, mischte man sie unter das Futter für die Kälber. Wie dem auch sei, ich kam abends glücklich, stinkend, bis hinter die Ohren schmutzig und voller „Südn“ in den Kleidern ins Haus zurück. Noch vor dem Abendessen wurde vor dem Waschbecken im Schlafzimmer von Tante und Onkel ein Zuber hingestellt. Ich stand kurz darauf drin und wurde mit lauwarmem Wasser und einem Waschlappen, in den zuvor Palmolive Seife gerieben worden war, abgewaschen. Wenn meine Tante an den Beinen rubbelte, fror ich am Oberkörper und wenn sie das Handtuch holte, fror ich überall. Ich hasste es. Allerdings muss ich zugeben, dass dies Procedere dazu führte, dass ich wirklich sauber wurde.

Insgesamt aber, und da gebe ich dem Ministerpräsidenten Widerworte, ist vom Gebrauch des Waschlappens abzuraten. So ein feuchtes Ding in einem sommerlich-schwülen Badezimmer? Man mag gar nicht daran denken, was sich da an Mikroben und anderem Unsäglichen sammeln kann.

Frau Schorn, die in Personalunion im Rentweinsdorfer Schloss kochte und putzte, sah das alles pragmatischer: Wenn wir auf dem Topf gesessen hatten, wischte sie mit dem Putzlappen unseren Po ab. Dann putzte sie damit weiter Waschbecken, Badewanne und Armaturen.

Ich kann nur hoffen, dass der geneigte Leser verstanden hat, welche Gefahr vom Waschlappen ausgeht. Der Kontakt ist zu meiden.

Übrigens auch von dem in seinem menschlichen Aggregatszustand. Aber das ist ein weites Feld.

Ohne Wördder kein Ladein!

Vor einigen Monaten ist mein Lateinlehrer, Günther Leyh, gestorben. Er würde sich wohl sehr wundern, erführe er, dass ausgerechnet ich etwas über ihn schreibe. Ich war wohl sein schlechtester Schüler. Jede Lateinstunde kam mir, schon bevor es losging, wie eine Strafe bevor. Vokabeln zu pauken, sich verzwickte grammatikalische Formeln zu merken, das war nicht Meins.

Ich mochte Latein nicht, war faul und wurschtig. Aber ich mochte meinen Lateinlehrer. Uns verband schon unsere fränkische Muttersprache, mit der er mich, den mit dem Vokabeldefizit, anzuspornen versuchte: „Ohne Wördder kein Ladein!“ Damit hatte er vollkommen recht, dennoch gelang es ihm nicht, mich für die Sprache Ciceros zu begeistern.

Er hat oft Aufsicht geführt, wenn wir Arbeitsstunde hatten. Während ich mich durch allerlei Hausaufgaben quälte, saß er vorne am Pult und las lateinische Texte. Ganz ruhig liefen seine Augen über die Zeilen. Manchmal nahm er den roten Stift, der parallel neben dem Buch lag und strich etwas an. Ich bewunderte ihn und ich beneidete ihn auch etwas. Dennoch, per aspera ad astra, das vermied ich tunlichst. Manchmal ärgerte ich ihn, weil ich unzählige lateinische Zitate draufhatte, von plenus venter über si tacuisses bis zu aurea prima aetas und hic Rhodos. Er brummte dann: „Hans wennst ner Ladein so gut könntst wie dei Sprüch.“

Ich erinnere mich an zwei Gelegenheiten, die meine Bewunderung für ihn ins Unermessliche wachsen ließen:

Herr Leyh hatte Geburtstag, und wir fanden es eine gute Idee, ihm aus unseren Grammatikbüchern einen Steg von der Tür bis zum Pult zu legen. Er kam herein, stutzte kurz und ging dann an den Büchern vorbei zu seinem Platz. Dann hielt er uns einen kleinen Vortrag darüber, dass man das, was man liebt nicht mit Füßen treten dürfe. Beschämt sammelten wir unsere Lehrbücher wieder ein.

Das andere Mal ereignete sich am 21. April 1967. Am Morgen hatte er in den Radionachrichten gehört, dass in Athen die Obristen geputscht hätten. Sie seien dabei, eine Militärdiktatur einzurichten. Er nahm das zum Anlass, uns zu erklären, was es bedeutet, in einer Demokratie leben zu dürfen, dass wir das der griechischen Kultur verdankten und dass es beschämend und zutiefst traurig es sei, wenn ausgerechnet in Griechenland die Demokratie unter der Knute des Militärs untergehe. Er nahm sich für all das die gesamten 45 Minuten der Lateinstunde Zeit. Es war eine Vorlesung in Staatsbürgerkunde, die ich nie vergessen werde. Ich glaube, es war damals am 21. April 1967, dass ich begann zu verstehen, was Demokratie, was Citoyen, was Rechtsstaat ist. Darüber hinaus war es meine schönste Lateinstunde, denn Latein kam nicht vor.

Unvergessen ist auch die Sache mit dem Brand m Waiglhaus, der von der Heimfeuerwehr, der ich angehörte, bravourös gelöscht wurde, Herrn Hackenberg sei Dank.

Kurz vor diesem Ereignis kam ein neuer Musiklehrer nach Schondorf, Herr Dannenbauer. Zuvor hatte Frau Leyh diesen Posten inne. Der Gedanke liegt nahe, dass Herr Leyh dem neuen Mann distanziert gegenüberstand. Ich war damals im Chor und wir studierten ein modernes, durchaus schwieriges Stück ein. In der Morgenfeier am Tag nach dem Brand wurde es vorgetragen. Danach hörte man Herrn Leyh laut schimpfen:

„Des Waichlhaus brennd runder und in die Morchenfeier singa sa gicks und gacks.“

Ich hoffe, dass die himmlischen Chöre seinen Musikgeschmack besser treffen. Verdient hätte er`s.

Ungarn

Es muss 1972 gewesen sein, als mein Bruder und ich beschlossen, nach Ungarn zu fahren. Der einzige Grund war der, dass wir dort noch nicht gewesen waren. Ich hatte damals gerade für 750 DM den verbeulten Forst VW meinem Vater abgekauft und knallgelb umgespritzt. Dies und das Nummernschild EBN-L 821 sorgten dafür, dass man auffiel, erst recht im Ostblock.

Wir fuhren nach Budapest und besuchten die Stadt ausgiebigst. Hinter dem Heldenplatz stießen wir auf ein Gebäude, das aus allen Stilrichtungen zusammengebastelt schien. Davor stand ein Wiener Paar. „An wos erinnert mich dös jetzt?“ fragte er sich, um dann sich selbst zu antworten: „Kloar, ans Böfeder.“

Auf dem Heldenplatz übte das sowjetische Heer einen Aufmarsch zum ungarischen Nationalfeiertag. Damals durften ungarische Soldaten die Hauptstadt nicht betreten. Ungarische Zuschauer ballten die Faust in der Hosentasche.

Nachdem die Fischer Bastei, die Matthiaskirche besichtigt waren und der Zigeuner Kapelle im Restaurant zugehört war, beschlossen wir, nun die Puszta sehen zu wollen.

Wir folgten dem Wegweiser nach Miskolc und nahmen am Stadtrand von Budapest zwei Tramper mit. Sie hießen Pali und Tibi und konnten deutsch, allerdings nur dies:

„Punkt, Punkt, Bäistriech, Striech, färtig ist das Mondegesiecht. Und auch noch zwäi Baine dran, fertig ist der Hampelman.“

Woher sie das konnten, blieb unklar, wir redeten mit den Händen und Füßen, mein Bruder auch noch auf Russisch. Er hatte das als Zusatzfach genommen, und bisher immer behauptet, er könne nur „Der Kosmonaut steht im Zimmer“ sagen. Tatsächlich aber konnte er mehr russische Worte als Pali und Tibi zusammen. Sie luden uns zu ihren Eltern nach Miskolc ein. Kaum hielten wir vor dem Haus am Stadtrand, kam auch schon die Polizei. Ein so auffälliges Auto in einem Wohngebet, das war eben verdächtig.

Der Vater von Pali und Tibi konnte recht gut Deutsch, daher das mit dem Bäistrich. Die Mutter kochte fabelhaft und mästete uns. Als sie meinen Bruder fragte, ob es ihm geschmeckt hätte, wehrte der mit vielem „nem, nem, nem“ ab. Er hatte gedacht, sie böte ihm noch mehr zu essen an.

Dann fuhren wir nach Tokai. Dort wohnte Tibis Freundin. Wieder wohnten wir wie selbstverständlich bei deren Eltern. Abends trafen wir uns mit allerhand Freunden in einem Weinkeller, wo zu fortgeschrittener Stunde eine junge Dame aufstand, um Gedichte von Petöfi Sándor zu rezitieren. Alle weinten, nur wir nicht. Ich glaube, das hat man uns etwas übelgenommen. Dort lernten wir etwas Ungarisch. Ich kann noch heute „Az alkoholizmus egy betegség“ sagen, Alkoholismus ist eine Krankheit. Mein Bruder konnte natürlich mehr, der raunte der vortragenden jungen Dame „Szeretlek“ ins Ohr. Sie errötete hold, denn er hatte ihr seine Liebe gestanden.

Bevor es aber zu Schlimmerem kam, sagten Pali und Tibi, sie müssten jetzt wieder zurück an die Uni und die läge in Pécs, im Süden des Landes. Wir haben sie dort hingefahren und durften als Belohnung im Studentenheim übernachten. Dort wohnten viele aus Nord Vietnam. Tran van Mon konnte etwas Französisch, so wurde die Konversation einfacher. Es wurde uns gesagt, wir sollten uns unauffällig benehmen, denn Fremde dürften hier nicht wohnen, es werde kontrolliert. Fast wären wir aufgeflogen, ein Aufpasser erwischte meinen Bruder. Der rettete die Situation, indem er ihn mit allen ihm zur Verfügung stehenden russischen Grobheiten überschüttete. Das hat geholfen, unter Entschuldigungen zog er sich zurück.

Am nächsten Morgen fuhren wir nach Österreich zurück und wurden von der Grenzpolizei gefragt, ob wir verdächtige Militärübungen gesehen hätten. Verdächtig, das konnten wir nicht beurteilen, aber einige Panzer haben wir überholt. Der Polizist machte sich Notizen und wir waren überzeugt, den dritten Weltkrieg verhindert zu haben.

Waldbühne

Es ist ein Insiderwitz, ich gebe es zu. Mein Bruder hat der Spitznamen Moishe Kalish weil er Querflöte und mehr spielt. Ich dachte, es sei eine gute Idee, ihn zum Konzert einzuladen. In der Waldbühne sollte Barenboim das West-Eastern Divan Orchestra dirigieren. Wir trafen uns am Gleisdreieck. Seine Laune war gehalten, Werder hatte gegen Stuttgart unentschieden gespielt. Am Westkreuz mussten wir in die S-Bahn Richtung Spandau umsteigen. Da begann das Chaos: Hertha Fans wollten in die Innenstadt, Eintracht-Fans wollten auf den Bahnhof in Spandau, um dort in einen ICE umzusteigen. Der Weltuntergang schien nahe. Sicherheitsleute sperrten die Bahnsteige ab, wir warteten auf einer stickigen Treppe umgeben von übellaunigen Fußballfans. Das Spiel war ebenfalls unentschieden ausgegangen.

Schließlich drängten wir uns in einen Wagon, in dem Hessen grölten und Bier tranken. Moishe Kalish teilte seinen Frust mit einem Frankfurter, dessen Bier gefährlich im Plastikbecher schwappte. Er wunderte sich, dass er einmal mit einem Werder-Fan gemeinsam würde Trübsal blasen und frug ob wir auch nach Spandau wollten. Nein, wir führen zur Waldbühne.

„Wer spielt?“

Ich, der vom Fußball nichts versteht, und seine Anhänger clam-heimlich für Proleten hält, warf „Bayern München gegen Freiburg“ in die Runde. Da war ich auf den Falschen getroffen. Der Hesse lächelte nur milde aber wissend und Moishe rettete die Situation, als er Barenboim und so erklärte.

Vor dem Waldstadion trafen wir auf ein unbeschreibliches Durcheinander: Menschenmassen drängten sich an den Einlässen, wo kontrolliert wurde. Um uns herum knutschen Paare in allen nur denkbaren Gender-Konstellationen und mein Bruder vermutete, er könne bereits das Weiße in den Augen der Kontrolleure sehen. Trippelschrittchen für Trippelschrittchen kamen wir voran und ich versuchte, noch einen draufzusetzen, indem ich meinte, man könne den Knoblauchatem der Kontrolleure bereits riechen. Man sah mich schräg an und jemand sagte, das sei ja wohl etwas rassistisch. In dem Gedränge hörte aber auch jeder alles.

Schließlich waren wir tatsächlich im Waldstadion, es konnte losgehen. Es war drückend heiß, man saß eng und ich dachte an Bayreuth, wo, so sagt man, die Bestuhlung legendär unbequem sei. Wer Solches behauptet, war noch nicht in der Waldbühne. Jetzt begann meine Laune zu sinken und mein Hintern zu schmerzen. Lang Lang spielte den Klavierpart aus „Noches en los Jardines de España“. Als für Orchester und Solist gerade pianissimo dran war, rülpste eine vornehm aussehende Dame vor uns laut – Heiterkeit. Dann gab Lang Lang eine Zugabe: „Danza Ritual del Fuego.“ Das war richtig toll und danach war Pause. Moishe Kalish besorgte uns ein Bier, wofür ich ihm bis ans Ende meiner Tage dankbar sein werde. Als das Orchester wieder begann, fielen zwei Tropfen Regen und wir hörten „Ibéria“ von Debussy. Ein Name, den man sich wird merken müssen, ein großartiges Stück Musik. Zum Schluss hörten wir noch den Bollero von Ravel, fantastisch, einfach Weltklasse, was die da abgaben. Mein Hintern schmerzte nicht mehr, lag`s am Bier oder lag es daran, dass mir der zweite Teil einfach viel besser gefiel als der Erste? Wie dem auch sei, unbequeme Sitzgelegenheiten sind relativ.

Der Stoß gegen die Sporenräder

Mein Großvater diente, wie das damals hieß, bei den Fürstenwalder Ulanen. Immer wieder berichtete er von seinen Erlebnissen, auch von seinen zwei Vermahnungen.

Sein Vater hatte nicht das Geld, um das teure Offiziersleben zu finanzieren, aber da er Pferde züchtete, überließ er dem Sohn immer wieder einen Jährling, den dieser zu Heereszwecken abrichtete. In der Allgemeinen Herreszeitung inserierte er sodann, um das Pferd zu verkaufen. Einmal ritt ihn der Teufel. Sein Verkaufsangebot lautete wie folgt: „Verkaufe vollständig ausgebildetes Pferd, besonders geeignet für Infanterieoffiziere. Leitet kleinere Felddienstübungen selbstständig.“

Ein Sturm der Entrüstung brach los, zumal bei Infanteristen bekannt war, wie verächtlich man bei der Kavallerie über sie dachte. Die Wut und die Beschwerden gingen bis ins Kriegsministerium in Berlin und von dort ging die Ordre nach Fürstenwalde, man solle den Übeltäter streng bestrafen. Es kam wohl nicht zu einer ernsthaften Bestrafung, denn der Standortkommandant, selbst von der reitenden Truppe, hatte sich königlich amüsiert.

Ein anderes Mal, so erzählte er seinen Enkeln, entging er nur haarscharf einem Duell.

Ein Offizierskamerad, nennen wir ihn Oberleutnant von B., stand im Geruch dem Kommandeur schön zu tun. Eines Morgens kam mein Großvater ins Offizierscasino und machte ein leidendes Gesicht. Was denn los sei, wurde er gefragt. Er antwortet, er habe entsetzlich schlecht geschlafen, ein quälender Albtraum sei schuld gewesen . Er tat so, als wolle er nicht weiter davon erzählen, was die Neugierde der Anwesenden nur weiter anstachelte. Schließlich berichtete er, er habe geträumt, dem Kommandeur in den Hintern gekrochen zu sein. Er quälte sich immer tiefer hinein, als er plötzlich einen stechenden Schmerz am Kopf verspürte. Er tastete nach oben, gegen was war er gestoßen? Gegen die Sporenräder des Oberleutnants von B.

Das wurde diesem natürlich hinterbracht der wutschnaubend darauf bestand, seine Ehre durch ein Duell auf Pistolen wieder herzustellen. Es bedurfte der Überredungskunst des gesamten Casinos, den einen von seiner Forderung abzubringen und den anderen dazu zu bewegen, sich zu entschuldigen.

Die dritte Episode betraf den Großvater zwar nicht selber, führte aber in höhere Sphären, nämlich zum Kaiser persönlich. Dieser besuchte die Fürstenwalder Ulanen anlässlich eines Manövers und als man abends im Offizierscasino beisammensaß, wandte W zwo sich an einen der Offiziere, von dem ihm gemeldet worden war, er höre auf den Spitznamen „der schöne Willy“: Saren Se ma, Herr von Jagow, warum nennt man Se eijentlich den schönen Willy?“

Er antworte wie aus der Pistole geschossen: „Zur Unterscheidung von Seiner Majestät.“

Der Monarch soll nur wenig amüsiert reagiert haben und der schöne Willy bekam für einige Tage Ausgangsverbot

Wasser meiden!

Zu meinem Glück gibt es eine Wanduhr im Hallenbad, das ich durch matrimonielle Zwänge, die darzulegen, zu weit führen würde, wöchentlich besuche. Wenn ich es recht bedenke, ist das gar kein Glück, denn die Zeiger gehen ums Verrecken nicht voran. Ich strecke das Bein, versuche den Ellenbogen aufs Knie zu drücken, ohne Wasser in die Nase zu bekommen, ich befolge die Anweisungen der Trainerin,dabei meide ich die linke hintere Ecke, denn dort lagern allerlei Kunststoffutensilien, die mit der Zeit zu stinken begonnen haben.Ich meide aber auch die rechte vordere Ecke, denn dort prustet eine streng blickende Dame, die mir Angst einjagt, wenn ich mir vorstelle, ich hätte sie 1985 in Pankow getroffen. Eigentlich sollte ich auch die übrigen Ecken und die Mitte des Beckens meiden, aber damit wären wir wieder bei den matrimoniellen Zwängen.

Neulich hat mir die Trainerin zugerufen, ich solle, wie alle anderen auch, ein fröhliches Gesicht bei den Übungen machen. Als ich antwortete, die anderen seien ja auch freiwillig da, kam das nicht soo gut an.

Ich schielte auf die Uhr, und stellte fest, dass noch nicht einmal die Hälfte der 45 Minuten rum war. Also jetzt unter Wasser dribbeln und die Arme im Rhythmus schwenken. Welcher Rhythmus?

Dann mussten wir auf einem Bein stehen und das Bein seitlich ausfahren, wobei wir einatmen sollten, wenn das Bein aufstieg und ausatmen, wenn es wieder zu Boden ging, oder umgekehrt.

Danach waren es immer noch 20 Minuten. Die Trainerin begann zu schwitzen und ich versuchte, nicht daran zu denken, dass meine Mitgymnasten womöglich im Wasser schwitzen.

Die letzten 15 Minuten trainierten wir Herz und Kreislauf. Das ging so, dass wir das Bein streckten, versuchten den Ellenbogen aufs Knie zu drücken, unter Wasser dribbelten und auf einem Bein standen. Ich fragte mich gerade, was wir eigentlich zuvor trainiert hatten, als die Trainerin die erlösenden Worte fand: „Leider ist unsere Zeit um!“

Das Glücksgefühl, es geschafft zu haben, war nur von kurzer Dauer, denn da wurde ich daran erinnert, gleich den Termin für den nächsten Montag festzumachen. Wir landeten auf der Warteliste, immerhin ein Schimmer der Hoffnung.

Und dann kam Hilfe von unerwarteter Seite: Seit Jahren habe ich Probleme mit der Haut an den Händen. Neulich riet mir die Kassiererin bei REWE, ich solle allen medizinischen Rat in den Wind schießen und gegenüber bei Rossmann Paste mit Salz aus dem Toten Meer kaufen. Es half nichts. Dann war ich vierzehn Tage lang auf Mallorca und verbrachte täglich 40 Minuten im Meer. Half auch nicht wirklich.

Nun hatte ich heute einen Termin bei meiner Hautärztin. Es ging in erster Linie darum, festzustellen, ob das Meerwasser geholfen hätte.

Ich gehe gern zu dieser Hautärztin, weil sie einen ähnlichen Humor hat wie ich. Deshalb war ich mir nicht ganz sicher, ob sie mich veralbern wollte. Sie schlug nämlich vor, den Kontakt zu Süßwasser auf ein Minimum zu beschränken.

Ich hakte nach, und sie wurde deutlicher: Kein Abwasch, Blumen gießen, bitte nicht, und besonders kein Bad im Wandlitz-, Ober, Templin- oder Liepnitzsee.

Ich geh da sowieso nicht gern rein, und dann erinnerte ich mich, dass das Hallenbad ja auch eine Art See ist. Diesen solle ich ganz besonders meiden, denn jetzt hätten die Benutzer immer irgendwelche Chemikalien auf der Haut und das sei gar nicht gut für die Meinige.

Camus meinte, man müsse sich Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen, was ich immer schwer nachzuvollziehen fand.

Mich kann ich mir allerdings seit heute als glücklichen Menschen vorstellen.

Zur Beruhigung von Freunden, Familie und anderen bemühe ich zum Schluss noch eine weitere Geistesgröße des vergangenen Jahrhunderts: Helmut Qualtinger, der beteuert hat, eine Waschmuschl habe er schon. Ich auch.

Der Putzteufel

Ich werde keine Namen nennen. Solches zu tun, würde mein Wohlbefinden, mein ruhiges Leben, ja, meine Sicherheit gefährden.

Aber es gibt ihn, den Putzteufel. Er ist wie alle Teufel unsicht- aber merkbar. Er überfällt Menschen ohn Ansehn der Person, wiewohl, das will ich schon zugeben, meist sind es solche weiblichen Geschlechts.

Ich kannte eine Dame, die beileibe keine Langschläferin war. Um sieben Uhr stand sie auf, trank ein Glas Apfelsaft für die ungetrübte Verdauung und hörte sich im Radio die neuesten Meldungen an.

Es gab aber Tage, da stand sie schon um sechs Uhr in der Früh auf. Das war immer dann, wenn sie die ihr von den Kindern oktroyierte Putzhilfe erwartete. Sie putzte vor, denn, so argumentierte sie, einen solchen Saustall könne man einer Putzfrau nicht zumuten. Von Saustall konnte keine Rede sein, sie war stets auf`s Penibelste darauf bedacht, ihren Haushalt picobello zu halten. Ihre Kinder berichteten hinter vorgehaltener Hand, das Vorputzen sei ein stiller Protest gegen ihre Brut, um diesen unterdessen erwachsen gewordenen Blagen zu beweisen, dass sie gar keine Putzhilfe brauche.

Das Beispiel zeigt, dass der Putzteufel nicht delegierbar ist. Wer von ihm befallen wird, kann sich einfach nicht vorstellen, dass irgendjemand auf dieser weiten Welt die eigenen Vorstellungen von Sauberkeit und insbesondere die Wege dorthin so in die Tat umsetzen kann, wie die Befallene selbst.

Allerdings, und das sage ich nur, weil ich über Dritte davon erfahren habe, gibt es eine Ausnahme:

Es soll Damen geben, die von ihrem Ehemann verlangen, ihre Vorstellungen von Sauberkeit und den Weg dorthin in die Tat umzusetzen, obwohl sie davon überzeugt sind, dass er das nicht schafft, nicht schaffen kann.

Ich bin davon nicht betroffen, aber es soll Arbeitskreise geben, bei denen unter Anleitung einer Diplom Psychologin, Männern beigebracht wird, das ständige Gefühl des Versagens zu sublimieren. Ziel ist es nicht das Unmögliche zu erreichen, der Leser ahnt, was ich meine… Nein Ziel ist es, unter den genannten Umständen, das Leben dieser erbärmlichen homunculi erträglich gestalten. Am Ende kommen sie von selbst auf die Idee, für die Ehefrau regelmäßig einen Blumenstrauß nach Hause zu bringen. Nicht umsonst werden die Diplom Psychologinnen vom Bundesverband „Pro Flora“ bezahlt.

Ich kann nur wieder betonen und wiederholen (um Missverständnissen vorzubeugen), dass ich von dem, was ich hier niederschreibe nicht betroffen bin. Ich sehe mich daher als objektiven Beobachter.

Wie ich feststellen durfte, hat der Putzvorgang etwas Sakrales. In der Messe wird den Gläubigen „misterium fidei“ zugerufen. Ähnlich ist es mit dem Putzen: Das Geheimnis der Sauberkeit. Es ist, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der Notwendigkeit, nicht zu verstehen. Es bleibt ein Geheimnis, an das man glauben muss.

Wenn man es so weit gebracht hat, dann erkennt man die Anmut des Putzens. Wischen, kehren, Staub wedeln, Chemikalien versprühen ist in erfrischender Weise sinnfrei, es folgt seinen eigenen Gesetzlichkeiten, die allerdings an einem Ort verwahrt werden, von dem Richard Wagner getondichtet hätte, er sei unnahbar unsren Schritten, wobei er mit „uns“ die Männer gemeint hätte.

Schondorf, mehr braucht man nicht!

Böse Zunge behaupten immer wieder, das Netzwerk ehemaliger Schüler aus elitär verschrienen Internaten hielten das ganze Leben lang.

Ich will hier ein Geheimnis verraten: diese bösen Zungen haben Recht.

Mir ist das bisher zwei Mal passiert und das kam so:

Meine Nichte Johannetta, die auch in Schondorf war, hatte eine Freundin, Marie Therese, die sie einmal übers Wochenende mit nach Hause nach Abensberg nahm.

Deren Vater, Altlandheimer, fragte Johannetta nach ihren Onkels aus und danach bekam ich einen Anruf von Anton Schmid. Ich erinnerte mich seiner als Beleuchtungswart auf der Bühne. Ich war Frosch und musste bei der Aufführung von Carls Orffs „Comoedia de Christi Resurrectione“ als Engel „Silete, silete, silentium habete“ singen. All das ausgeleuchtet von der Expertise des Beleuchtungswartes Anton, vor dem ich allein schon deshalb einen Heidenrespekt hatte, weil er in der zehnten Klasse war und ich in sechsten. Dass er mich in der Kanzlei in Palma anrief, war sozusagen ein später Ritterschlag. Er sei Vorsitzender eines international tätigen Anwaltsnetzwerkes und ob ich da nicht mitmachen wolle. Na klar, sagte ich und wurde zur Mitgliederversammlung nach Stuttgart eingeladen, wo man mich und unsere Kanzlei ohne Weiteres aufnahm. Später stellte ich fest, dass eigentlich ein ziemlich kompliziertes Aufnahmeverfahren üblich war, wobei es in erster Linie auf die Prüfung der Kompetenz ankam.

Das war bei mir nicht nötig, klar, denn ich ja Schondorfer.

Ich habe die Mitgliedschaft bei DIRO sehr genossen, die Versammlungen fanden in den wichtigsten Städten Europas statt, wohin ich steuerbegünstigt reiste. Darüber hinaus bekam ich ein Nebenmandat in der Flow Tex Pleite, das mir die Verwaltung einer Riesenvilla auf Ibiza während sieben Jahren bescherte.

Ich fand, damit wären eigentlich alle Ohrfeigen vom Froschwart, Schocks wegen unverdient eingefangener 6er sowie Liebeskümmernisse abgegolten.

Dann aber hängte ich die Anwaltstoga an den Nagel und begann prompt, mich zu langweilen. Noch dazu begann die Pandemie und ich dachte, jetzt sei es an der Zeit, ein Buch zu schreiben. Irgendwie wurde das zähflüssig und ich fragte nach einer Literaturagentur, die mir helfen könnte. Bescheiden, ja unterwürfig, schrieb ich an die Agentur Kolf und bat um Unterstützung. Die e-mail war noch nicht richtig raus, da bekam ich eine Antwort: „Hans, stell Dich doch nicht so an, ich war doch mit Deiner Schwester in Schondorf auf der Bude.“ Das genügte! Das genügte sogar, obwohl Lianne ziemlich bald von der Schule geflogen war. Das Übliche: Sie war beim Rauchen oder Knutschen erwischt worden, beides war in der Augen der Bäh, der Frau vom Boss, gleichwertig toxisch.

Ob ich schreiben kann, wurde überhaupt nicht geprüft, ich war ja Schondorfer. Als ich nach einigen Monaten das Manuskript abgab, meinte Lianne: „Wir haben nicht gedacht, dass Du so gut schreiben kannst.“ Ein durchaus zweischneidiges Kompliment.

Unterdessen ist aus dem einen Buch eine Trilogie geworden. Der erste Band wird im Februar erscheinen. Vielleicht mach ich eine Lesung im Vortragssaal. Mal sehn.