Cita prévia.

Seit langem war geplant, dass ich am Montag und Dienstag in Palma sein würde, um beim Notar zwei Erbschaften abzuwickeln.

Am Freitag erfuhr ich, dass je ein wichtiges Dokument fehlt, nämlich das „certificado de últimas voluntades“, also eine Bestätigung ob und wenn ja bei welchem Notar in Spanien ein Testament hinterlegt worden sei. Das stellt die Dépendance des Justizministeriums in Palma aus

Macht ja nix, da geh ich halt am Montag an aller Früh hin.

Ja, aber vorher musst du die Gebühr zahlen, 3,86 € pro Zertifikat.

Mach ich, kein Problem.

Doch Problem, in die Bank kommst du nur noch mit „cita prévia“ mit vorheriger Terminvereinbarung rein.

Na, das werd ich schon irgendwie deichseln.

Nur, wie kommst du dann in die Dépendance des Justizministeriums rein? Da brauchst du auch eine „cita prévia“.

Ich verfiel in leichte Panik, denn ich weiß, wie streng man in Spanien bei der Durchführung von Bestimmungen ist, die dafür sorgen, dass Arbeit nicht in Arbeitswut ausartet.

Ich grübelte. Am Sonntag, kurz vor dem Abflug, hatte ich endlich die rettende Idee: Ich werde mich als Ausländer verkleiden. Also packte ich meinen Lodenjanker ein, sowas nennt man in Spanien „tirolés“. Kein Mensch kommt in Palma auf die Idee, sich mit so einem Kleidungsstück lächerlich zu machen. Ich aber setzte auf den Mitleideffekt: Da kommt einer in seiner Tracht aus seinem engen, schneebedeckten Alpental nach Palma, und dann haut man ihm eine cita prévia vor den Latz.

In die Bank kam ich, weil die Putzfrau gerade die Tür aufgemacht hatte, scheiterte aber am Kassenschalter.

¿Tiene cita prévia?“ Ich verneinte, verwies aber darauf, von dieser Neuerung nichts gewusst zu haben, schließlich sei ich Ausländer. Die Dame blieb unerbittlich und weigerte sich von mir zwei Mal 3,86 € entgegenzunehmen. Da winkte mir das Glück: Die Filiale hatte einen neuen Leiter bekommen, den ich kannte, und schon nahm man gnädig mein Geld an.

Schwieriger war es beim Justizministerium. Dort saß an der Tür eine „securata“, eine Sicherheitsagentin, deren Aufgabe es eigentlich ist, mich davon abzuhalten, dass Haus mit einer Pistole bewaffnet zu betreten. Stattdessen prüfte sie in einem Akt eklatanter Kompetenzüberschreitung meine Unterlagen nach juristischen Gesichtspunkten. Sie wurden für korrekt befunden, mir aber wurde erneut die Frage nach der „cita prévia“ gestellt. Davon wüsste ich nichts in meiner fernen Heimat, stammelte ich, erwähnte die Beschwerlichkeit der Flugreisen samt Maskenpflicht und wurde dann tatsächlich durchgelassen, obwohl der Sicherheitsbogen gefiept hatte.

Oben, wo normalerweise reger Geschäftsbetrieb herrscht, traf ich auf gähnende Leere. Offenbar werden für den Montag keine „cittas prévias“ ausgegeben. Irgendwann muss der Beamte ja auch mal ungestört arbeiten können, vulgo in der Nase bohren, was die Vorzimmerdame genussvoll betrieb. Sie prüfte meine Unterlagen nicht, sondern betrachtete amüsiert meine Verkleidung. Ich stammelte erneut meine Mär vom Flugzeug, von meiner Unwissenheit, der Maske und überhaupt – und fand gnädiges Gehör. Ich konnte gerade noch erwähnen, dass über ihrem Haupte offenbar ein heller Schein schwebe, da befand ich mich schon vor dem Schreibtisch der Amtsleiterin und bekam in wenigen Minuten meine beiden Zertifikate.

Den „tirolés“ habe ich erst neulich in Wien gekauft. Er hat 260 € gekostet. Eine sehr lohnende Investition.

Frömmigkeit einstellen!

Im Kloster Schöntal gibt es ein Hochrelief von Papst Alexander III. Als Kind habe ich die wunderschöne Kirche in Begleitung meiner Mutter besichtigt. Sie drohte dem steinernen Kirchenmann mit der Faust.

Er sei eine Sau, so ihre Begründung. Es stellte sich dann heraus, dass sie sich geirrt hatte, sie meinte Alexander VI, den Borgia Papst. Der sei nämlich wirklich eine Sau gewesen. Er habe sogar Kinder gezeugt, man stelle sich das vor!

Wenn sie gewusst hätte, was sie diesem Papst verdankt, hätte sie sich womöglich etwas zurückgehalten.

Jede Familie hat einen Genealogen. Bei uns nimmt diese Stelle mein Vetter Friedrich ein.

Er hat einen Kilian von Thüngen aufgetan, der 1508 als Domprobst in Eichstätt gestorben ist.

Zuvor hatte er es in Würzburg zum Dekan des adeligen Säkularkanonikerstifts Sankt Burkhart gebracht.

Es gäbe über ihn nichts Wesentliches zu berichten, hätte er sich nicht auf seine alten Tage nach Rom begeben, wo Alexander VI auf der Sedia Gestartoria saß und unerschrocken Macht- und Familienpolitik betrieb.

Unser Kilian suchte in der ewigen Stadt die Nähe zum Papst, dessen Sohn Cesare und besonders zur Tochter Lucrezia. Wohlmeinende sagen ihm ein Techtelmechtel mit der Papsttochter nach. Boshafte Zeitgenossen, zu denen ich mich zähle, streiten dies vehement ab. Kilian hatte – wie alle Thüngens – eine Vollglatze und blitzte deshalb bei der schönen Lucrezia ab.

Lassen wir dies dahingestellt sein, wichtiger war, dass er offenbar mit dem Papst heftig und erfolgreich herumgemauschelt hat.

Aus Dankbarkeit für seine Dienste, und weil ihn der arme Mann wegen der lucrezischen Niederlage dauerte, fragte er bei der Verabschiedung, ob der Herr denn einen Wunsch habe. Spontan bat der kahle Kilian um Haarwuchs. Das konnte der Papst zwar versprechen, aber nicht garantieren. Da viel unserem k.K. der Ablass ein. Vergebung der Sünden. Ja, das wünsche er sich. Der Papst war erleichtert, denn einen Ablassbrief auszustellen, war schon damals eher billig. Drum setzte Alexander VI noch einen drauf und erteilte einen Ablassbrief für Kilian und alle Nachkommen der Familie Thüngen.

Diese Nachricht erreicht mich sowie meine Vettern und Cousinen im hohen Alter! Jetzt haben wir ein ganzes Leben lang fromm und insbesondere tugendhaft gelebt, nur um zu erfahren, dass das alles für die Katz gewesen ist. Wir hätten auf Deibel komm raus sündigen können, alles wäre am Indulgenzbrief abgeprallt.

Nun gilt es, mit sofortiger Wirkung die Frömmigkeit einzustellen und zu versuchen, in den wenigen Jahren, die uns noch verbleiben, all das nachzuholen, was wir aus Angst vor dem Höllenfeuer verabsäumt haben.

Mir fallen da ungezählte Möglichkeiten ein. Bei näherer Betrachtung stelle ich fest, dass ich für fast alles zu alt bin.

Denken? Erlaubt!

Die EU ist als Werteunion gegründet worden. Nur haben das nicht alle ihrer Mitglieder verstanden. Die Briten haben zwar die Demokratie wiedererfunden. Aber, abgesehen von Churchill, war es ihnen ziemlich egal, ob anderswo demokratische Werte hochgehalten wurden, solange man dort Handel treiben konnte. Die Franzosen, Erfinder der Französischen Revolution, haben deren Werte in der DNA. Mal sehen, ob das nach den kommenden Präsidentenwahlen immer noch so ist. Deutsche, Österreicher, Italiener, Spanier und Portugiesen mussten nach schrecklichen Kriegen und ewigen Diktaturen lernen, dass was dran ist, an den demokratischen Werten. Kann man da von den Bewohnern der Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes verlangen, dass sie von jetzt auf dreißig Jahre, gelernt haben, dass es in der EU nicht nur um Geld und Handel, sondern auch um Demokratie geht? Offenbar nicht, Orban hat es gezeigt.

Allerdings müssen wir nicht bis London, Warschau oder Budapest gehen, um zu erkennen, dass ein guter Deal noch immer wichtiger ist, als die Lupenreinheit unsres Vertragspartners

Die deutsche Politik vor dem 24. Februar und ganz besonders danach gibt Anlass zur Beschämung.

Doch zurück zu den Werten. Brüssel kann die Einhaltung der Werte durchsetzen, indem der Geldhahn zugedreht wird – mit überschaubarem Erfolg. Wenn kein Geld mehr fliest, dann blockieren wir die EU einfach mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit.

Also Geldhahn wieder auf! Fraglich ist nur, ob die übrigen Europäer zusehen müssen, wie die Fördergelder der EU in korrupten Kanälen verschwinden. Also Geldhahn wieder zu…

Immer wieder wird erzählt, in Rumänien habe sich das Bruttosozialprodukt seit Einführung der Demokratie verdreifacht. Wenn man Fördermittel aus Brüssel für Demokratie hält, dann stimmt das sicherlich. Das deutsche Wirtschaftswunder hat doch auch nicht an der fdGO gelegen.

Irgendwas läuft schief.

Es muss erlaubt sein, über die Zukunft der EU nachzudenken. Offenbar gibt es zwei Alternativen:
-Wir specken wertemäßig ab und verwandeln die EU in eine Freihandelszone mit Fördergeldern, Erasmus, Gurkenbiegungswinkel und Niederlassungsfreiheit, oder

Wir treten aus der EU aus mit dem Ziel, dass die Länder, die Wert auf Werte legen, eine EWU, eine Europäische Werte Union bilden.

Voraussetzung dafür wäre eine supranationale EWU-Verfassung mit durchsetzungsfähigem Verfassungsgerichtshof.

Und sonst? EU wie bisher, halt nur ohne Mitglieder, die lediglich mit dem Geldbeutel EU-Mitglieder sein wollen.

Der Badeofen platzt (April April)

Das Badezimmer unseres Großvaters in Thüngen hatte zwei Türen, eine zur Küche, die andere zu seinem Schlafzimmer. Das führte dazu, dass zumindest akustisch seine Badefeste in aller Öffentlichkeit stattfanden. Wir hörten immer gebannt zu, wie er plantschte, prustete und sich mit Wasser überschüttete, denn unweigerlich kam irgendwann eine Schimpfkanonade. Groga, so nannten wir unseren Großvater, badete lange und da wurde das heiße Wasser langsam lauwarm und wenn er neues Badewasser zulaufen lassen wollte, dann war das eben auch lauwarm. Der holzbefeuerte Badeofen gab einfach nicht mehr her. Es handelte sich um ein älteres Modell, aus Friedenszeiten, sagte man damals noch. Auf einem kleinen Feuerloch stand ein etwa 60 cm dicker und vielleicht 1,80 m hoher Tank. Das Badewasser darin heiß zu machen, bedurfte genauer Vorplanung, zumal dann, wenn Groga im Winter auf die Jagd ging und verfroren nach Hause kam. Dann erwartete er, dass das Badewasser bereits heiß war. Die Misere war halt nur, dass es nie ausreichte.

Ein Fachmann wurde herbeigezogen, der dazu riet, in den Wassertank von oben eine Art Tauchsieder einzuführen, der unabhängig vom Holzfeuer für Nachschub an aufgeheiztem Wasser sorgen würde.

Der Erfolg war mäßig, und zu den Schimpfkanonaden kamen nun auch noch Verwünschungen des unfähigen Klempners hinzu. Wir haben gelauscht und es genossen!

Der Fortschritt lässt sich bekanntlich nicht aufhalten und er kam in den 60er Jahren nach Thüngen in Form der Ölheizung. Alle Öfen wurden umgerüstet und statt des behaglichen Knistern in den Zimmern liefen nun die Ölöfen voll, rußten, und wenn es ganz kalt wurde funktionierten sie nicht mehr.

Auch der Badezimmerofen wurde auf Öl umgerüstet. Dazu wurde der Tank ganz vorsichtig hochgehoben, der Holzofen herausgezogen und ganz vorsichtig durch einen Ölbrenner ersetzt. Es musste nun stets darauf geachtet werden, dass um Himmels Willen beim Aufheizen dem Tauchsieder oben nichts passierte.

Nun stand in Grogas Badestube ein Ausbund von Modernität, Effizienz und Fortschrittlichkeit: Ein Badeofen, der mit Öl und Strom beheizt werden konnte und zwar gleichzeitig. Bis vor wenigen Jahren hatte es elektrische Badeöfen so gut wie nicht gegeben und mit Öl beheizte schon mal gar nicht.

Zu unserem größten Bedauern hörten nun die Schimpfereien auf, Groga hatte genügend heißes Wasser, aber, ebenso wie der Rest der Familie, misstraute er dem Artefakt. Eine fromme Tante bemühte sogar die Bibel und warnte mit erhobenem Zeigefinger davor, neuen Wein in alte Schläuche zu gießen. Bevor der Ofen angestellt wurde, mahnte Groga stets, man müsse darauf achten, dass der Ofen nicht platze. Allen war klar, dass dieses Unglück früher oder später werde eintreten müssen.

Und dann nahte der erste April. Mein Vetter Schorsch und ich grübelten schon Tage vorher, wie wir wen aus der Großfamilie in den April schicken könnten.

„Dem Groga sagen wir, dass der Badeofen geplatzt ist“, schlug Schorsch vor. Ich hielt das für eine blöde Idee, weil er nie und nimmer darauf reinfallen würde.

Es nahte das Frühstück am 1. April. Wie immer gab es zu Kügelchen gerollte Butter zu den köstlichen Thüngener Wecken und wie immer las der Groga die Main Post. „Das ist eigentlich sehr ungehörig“ sagte meine Mutter, „aber seit er Witwer ist, kann ihm das keiner mehr verbieten“.

Schorsch hatte sich unauffällig davongemacht. Plötzlich riss er die Tür auf und brüllte in die morgendliche Idylle. “Der Badeofen ist geplatzt!“. Groga schmiss die Zeitung hin und schimpfte wie in alten Tagen, Dunnerkeil, er habe es ja schon immer gewusst, der Heizungsmann sei ein verantwortungsloser Depp. Er stürmte ins Badezimmer, wo der Ofen in alter energetischer Fragwürdigkeit zwar, aber unversehrt stand.

Groga sann auf Rache und freute sich riesig als wir uns umdrehten, nachdem er behauptet hatte, er habe im Rückspiegel einen Elefanten gesehen.

Im Jahr darauf schlug Schorsch den geplatzten Badeofen erneut als Aprilscherz vor. Und siehe da, es funktionierte wieder!