Von einer maroden Pappel und dem Tomatnwunder

Neben dem mir zugewiesenen Parkplatz steht eine riesige Pappel. Der Baum ist ziemlich verwahrlost, Äste sind geknickt, abgerissene Äste hängen an noch lebenden.

Immer wenn starker Wind kommt, fallen Äste herab, mit Vorliebe auf mein Auto, was nicht so schlimm ist, solange die Dellen klein bleiben. Die Karre ist zwölf Jahre alt und beteiligt sich ebenso wie ihr Halter nicht mehr an Schönheitswettbewerben.

Unterdessen stützt sich die Pappel bedenklich auf die Begrenzungsmauer Ich mag den Baum nicht, weil er hässlich ist und weil er fast den ganzen Sommer über klebriges Zeug über mein Auto streut. Es sieht dann nicht nur alt, sondern auch noch unappetitlich aus.

Neulich gab es einen richtigen Sturm, zwei Äste krachten runter. Ich gab nun den besorgten Mitbewohner, rief bei der Hausverwaltung an und bat scheinheilig, man möge prüfen, ob der Baum nicht gefällt werden müsse.

Oh, das sei schwierig, da brauche es zunächst einen Baumgutachter.

Den traf ich soeben vor Ort. Er berichtete, er müsse nicht nur prüfen, ob der Baum innen hohl oder morsch sei, er müsse auch seine Statik prüfen, denn es könne ja sein, dass der so hohe Baum nicht mehr die Windlast ertrüge und je nach Zustand gestutzt werden müsse. Da die Bezirksverwaltung solchen Gutachten aus Prinzip nicht traue, prüfe man dort erneut, zumal es dann politisch werde.

Politisch?

Naja, der Prenzlauer Berg sei nahe und da finde sich immer ein Grüppchen, das urplötzlich seine Liebe zu gerade diesem Baum entdeckt und sich an denselben kettet. So einen Baum zu fällen, sei ein Hoheitsakt, denn nur so könne die Polizei die Holzfäller vor dem Zorn von Idefix & Co schützen.

Ich erinnere mich an meine Jugend, damals war das Baumfällen noch einfacher. Im Wald musste man die Arbeiter nach Gehör suchen. Man lief auf das Ritschratsch der Handsägen oder das Klopfen zu, wenn die Keile eingeschlagen wurden. Es war für mich immer ungeheuer spannend zuzusehen, wenn ein Baum gefällt wurde. Und natürlich war es eine Riesengaudi wenn der Baum in der Gabel eines anderen hängen blieb. Dann gaben sich die Waldarbeiter mit viel Geschrei gegenseitig die Schuld.

Später wurde alles vom Gedröhn der Motorsägen übertönt. Romantisch war das nicht mehr, aber halt praktisch. So ein Gedöns wie beim Fällen eines Baumes in einer Großstadt wurde damals jedenfalls nicht gemacht. Stattdessen trieb man untereinander Schabernack.

Die Holzfällerei war und ist anstrengend. Entsprechend hoch war der Bierkonsum und oft wurde dabei auch über den Durst getrunken. Irgendwann wurde der Dieder, nach dem er sich übergeben hatte, bei seiner schimpfenden Ehefrau abgegeben. Am Tag darauf ging einer der Saufkumpane zum Ort der Tat und streute dort Tomatensamen aus. Als Wochen später die Paradeiser aufgingen, zeigte er dem unterdessen wieder nüchternen Kollegen das kleine Wunder und forderte ihn auf:

„Zu, Dieder, kotz amol nei mein Garddn.“

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