Es gibt heimliche Sieger der Krise und es gibt offensichtliche Sieger der Corona-Zeit. Zu Letzteren zählt ganz klar der Putzfimmel.
Während man darunter bisher ein psychisches Problem mehrheitlich beim weiblichen (Achtung Genderfalle) Geschlecht verstand, mutiert der Putzfimmel nun zu etwas, das sich sehr verwandt anfühlt mit wandern, shoppen, Fußball oder einem Museumsbesuch. All dies ist nicht lebenswichtig, aber es macht das Leben schön und vertreibt die Zeit, ist daher positiv besetzt. Komisch finde ich das überhaupt nicht.
Mit brennender Sorge beobachte ich das erwähnte Phänomen bei meinem Sozialkontakt. Nun erreichte mich ein Hilferuf einer lieben Freundin. Sie weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Mit Mann, Hunden, Pferden, Karnickeln und Kojoten lebt sie in der Nähe von Sända Fäi in New Mexico und man konnte bisher getrost davon ausgehen, dass sie dem Putzfimmel nicht anheimfallen werde, zumal sie mit der Versorgung der Tiere ausgelastet ist. Also, Karnickel und Kojoten versorgen sich schon allein, die einen fressen Gras und werden dann von den anderen gefressen.
Vorgestern hat meine liebe Freundin doch noch der Putzfimmel erwischt, sie hat das ganze Haus von innen und außen geputzt und nun stellt sie eine nationale Eigenart in sich fest, von der sie bisher gehofft hatte, sie sei von ihr verschont geblieben. Sie ist unglücklich, weil sie nicht weiter putzen kann, womit auch schon verraten wurde, dass sie Schweizerin ist.
Nun gibt es ja mehrere Arten des Drangs nach Sauberkeit. Bei mir beginnt sie, wenn der Dreck das Öffnen und Schließen der Türen erschwert. Bei meinem Sozialkontakt, mit dem ich bald 39 Jahre lang verheiratet sein werde, ist der Drang nach Sauberkeit eine nationale Eigenheit (s.o.). Er ist stets vorhanden und teilt sich in zwei Kategorien auf, die verständliche Reinlichkeit und die absurde Reinlichkeit. Ersteres kann selbst ich nachvollziehen, es geht dabei darum, das sauber zu halten, was man sieht.
Die absurde Reinlichkeit nennt man auch das bpb-Syndrom, das der Professor für angewandte Philosophie an der Sorbonne, Prof. Dr. (mult) Clément Briemont entdeckt und beschrieben hat. Interessanterweise geschah das kurz nach einer Gastprofessur an der Université de Genève. Es ist das „balayer pour balayer Syndrom“. Der Gelehrte hatte festgestellt, dass oft um des Kehrens willen gekehrt wird und zwar dort, wo man normalerweise gar nicht hinschauen kann.
Ein typischer Fall ist mein bei IKEA erworbenes Billy-CD-Kassetten-Regal. Da kann nun wirklich nicht viel Staub niedergehen, zumal nicht hinter und unter den CDs. Das hat aber meinen Sozialkontakt nicht daran gehindert, mir aufzutragen, dort abzustauben. Als sie sah, dass sich mein Gesicht zu einem Fragezeichen verformte, erklärte sie mir, wie sie sich das vorstellte.
Ich musste doch tatsächlich jede CD einzeln entstauben, dann auch das Fach, in dem sie mir all den anderen so dicht gedrängt stand, dass kein Staubkorn zu Boden fallen kann. Als ich vorschlug, die vertikale Rückwand mit Schawelwasser, abzuziehen, musste ich mir auch noch anhören, das sei mal wieder typisch für so einen „árroganten Sauschwob“ wie mich. Kein Wunder, dass die in der Schweiz so unbeliebt seien.
Egal, lassen wir das so stehen. Sicher ist nur, dass es immer noch etwas zu putzen gibt. Schränke eignen sich besonders, denn da kann man unter ihnen, hinter ihnen, in ihnen und auf ihnen putzen.
Ich habe jetzt begonnen, Wollmäuse zu züchten. Wenn sie ausgewachsen sind, lege ich sie unters Sofa oder das Bett.
Auf diese Weise halte ich meinen Sozialkontakt bei Laune, weil sie so nie den Eindruck haben muss, es gäbe nichts mehr zum Putzen oder gar, ich lachte sie wegen übertriebener Reinlichkeit aus. Wenn man das bpb-Syndrom verstanden hat, wird Vieles leichter.