Aber die Musici

Das Übergangszeugnis von der Volksschule zum Gymnasium sah bei mir so aus:

Lesen 2

Rechnen 2

Heimatkunde 2

Schrift 3

Singen 1

Meine Eltern waren empört und meinten, so werde das im Gymnasium auch nichts werden, womit sie Recht behalten sollten.

Aber mit diesem Zeugnis wurde meine Karriere als Musiker begründet. Zunächst lernte ich Cello. Das Schlimme daran war, dass ich beim Bestreichen der a-Saite Gänsehaut bekam und als ich beim Vorspiel vor der gesamten Schule mich bückte, um das Instrument unter dem Klavier hervorzuholen, platzte meine Hose hinten auf. Um ein weiteres Vorspiel zu verhindern, ließ ich das mit dem Cello sein.

Ein weiterer Meilenstein in meiner Musikerkarriere begab sich zu der Zeit, als man an Weihnachten in der Kirche noch singen durfte. Eine Frau drehte sich um und rief, ich solle nicht so schreien. Ich war bislang der Meinung gewesen „holder Knabe im lockigen Haar“ könne man gar nicht schreien.

Nun aber habe ich es amtlich, ich bin Musiker. Und das kam so: Ich hatte Schmerzen im Arm. Drum ging ich zum Arzt. Unterdessen habe ich den ärztlichen Untersuchungsbericht vom vergangenen Montag übersetzt und bin darauf gekommen, dass „Sulcus ulnaris“ auf Deutsch Musikantenknochen heißt. Ich bin echt stolz darauf, es nun doch noch zum Musiker gebracht zu haben, denn irgendwie schmerzt es mich, dass ich zum Stressabbau nicht zum Cello greife, sondern – wie alle anderen auch – zur Flasche. Das wollen wir aber jetzt nicht vertiefen, nur so viel: Ich habe gerade einen wunderbaren Rotwein aus dem eher unbekannten Anbaugebiet Méntrida nördlich von Madrid eingekauft. Da mich Corona vor Besuchen schützt, kann ich das ja hier ruhig mal erzählen.

Aber zurück zu meinem Musikantentum. Der Arzt hat mir eine Bandage für den Ellenbogen verschrieben, die bekäme ich im Sanitätshaus. Also ich, nix wie hin. Dort gibt es zwei Angestelltinnen, eine hübsche und eine grimmige. Uni sono verkündeten sie mir, gegen Sulcus ulnaris helfe die verschriebene Bandage schon mal gleich überhaupt nicht. Mein Einwand, ich litte ja auch nicht an diesem Sulcus sondern am Musikantenknochen, blieb unbeachtet. Man riet mir, den Arzt zu fragen, ob er sich womöglich geirrt habe. Das brachte mir einen mittleren Anschiss am Telefon ein, der darin gipfelte, dass er als Akademiker schon wisse, was er tue. Ich wollte freundlich wirken und sagte, ich als Akademiker wisse manchmal nicht, was ich täte, da hatte er aber schon aufgehängt.

Ich lief also erneut zum Sanitätshaus, wo man mir widerstrebend die Musikerknochenbandage aushändigte. Dazu musste ich vier Formulare unterscheiben.

Als ich fragte, ob das meine Beitrittserklärung zur Bill Gates Partei sei, lächelte die Hübsche und versicherte, so schlimm sei man in Pankow nun auch wieder nicht.

Das kann man so sehen oder auch so sehen, denn in Pankow wählen etwa 30% die AfD und weitere 30% die Linke. Nun darf geraten werden, ob ich mir eine entsprechende Bemerkung habe verkneifen können.

Die beiden Angestelltinnen schauten mich jedenfalls böse an. Ich hoffe nun, dass die Hübsche Wählerin der Linken ist und die Grimmige die der AfD.

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