Die Klopapierspionin

Die Klopapierspionin

Anna, Bertha, Lissa, Agnes, Hedwig, Ruth, Franzis Jula. Das ist die Litanei der schier unzähligen Schwestern meines Großvaters in Thüngen. Wenn unsere Tanten sie aufsagten, erinnerte mich das immer an den Konfirmandenunterricht, wo wir lernten, die Bücher der Bibel runterzuleiern: Vier Mose, Josua, Richter Rut, zwei Samuel usw.

Wie man sieht, Anna war die Älteste. Sie muss sehr resolut gewesen sein, denn sie setzte durch, dass sie Kunst studieren konnte. Zu diesem Zweck verbrachte sie um die Jahrhundertwende einige Zeit in Paris, selbstverständlich begleitet von einer Anstandsdame. Nachdem die Briefe immer spärlicher wurden, machte man sich in Thüngen Sorgen, und ihr Vater setzte sich „auf die Bahn“, wie man damals sagte. Er fand seine Tochter friedlich malend in ihrem Atelier am Montmartre vor. Die Anstandsdame allerdings hatte dem sinnlichen Angebot der Stadt an der Seine nicht widerstehen können und war verschwunden. So ging das natürlich nicht weiter, der Aufenthalt in Paris wurde abgebrochen und Anna musste ihr Studium an der Kunstakademie in München vollenden. Dort heiratete sie 1904 ihren Lehrer, den Professor und Maler Angelo Jank. Der hatte sich einen Namen gemacht mit seinen Pferdebildern, heute würde er wahrscheinlich Autos malen.

Onkel Angelo machte zur Bedingung, dass seine Frau mit der Malerei aufhören müsse, weil er keine Lust habe, den Weg zum ehelichen Bett an Farbtöpfen vorbei und über Tiegel kletternd finden zu müssen. Die Familie Jank findet das nach wie vor ganz richtig, unsere Seite der Familie hält daran fest, dass Tante Anna begabter gewesen sei als ihr Mann und der diesen Umstand tunlichst unter der Decke halten wollte.

Nun gut, als Frau Professor war sie es gewohnt, dass man ihr Respekt entgegenbrachte. Sie dirigierte in München den Haushalt eines überaus erfolgreichen Professors und Malers und wenn sie in die Sommerferien nach Thüngen kam, dann ließ sie alle merken, dass sie die Älteste war.

Einmal, die Nazis hatten bereits mit ihrem unseligen Krieg begonnen, fuhr sie mit der Bahn von Würzburg nach München. Es war Sommer und es war heiß.

Unangenehmerweise überkam die damals schon ältere Dame ein menschliches Bedürfnis und sie verschwand im Klo. Die sanitären Anlagen in den Zügen hatten damals schon den Ruf, nicht besonders hygienisch zu sein, und deshalb pflasterte Tante Anna die Klobrille mit den an einem Haken hängenden ausgeschnittenen Zeitungsschnipseln, anderes Papier gab es schon nicht mehr.

Sie war noch nicht ganz fertig, als es an die Tür klopfte und sie mir harschen Worten aufgefordert wurde, sofort den Abort zu verlassen. Von Menschen, die das Klo Abort nennen gegen ihren Willen zu irgendetwas aufgefordert zu werden, dass war ihr bisher noch nie passiert, und deshalb ließ sie sich Zeit. Als sie schließlich die Tür öffnete, stand sie zwei erbosten Polizisten gegenüber, die nur „Kontrolle – Papiere“ brüllten. Tante Anna ließ sich erneut Zeit und machte den beiden Kerlen Vorhaltungen wegen ihres schlechten Benehmens. Das war den Beiden bisher auch noch nie passiert. Erbost drängten sie die Dame ins Klo zurück und unterzogen sie dort einer Leibesvisitation. Wie Recht sie damit hatten, wurde klar, als sich auf dem Popo der Dame spiegelschriftliche, offenbar geheime Zeitungsabdrucke fanden. Die Polizisten machten kurzen Prozess und schlossen die Spionin im Dienstabteil ein. Bei der nächsten Station, in Treuchtlingen, wurde sie auf die Wache geführt, wo sich die Sache nach erneuten, lautstarken Protesten der vermeintlichen Spionin und dem Versuch, den Inhalt der geheimen Botschaften zu entziffern, aufklärte.

Da war der Zug nach München aber schon weg.

 

 

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