Mit dem Grundgesetz sagen wir Bürger dem Staat, was er darf und was er nicht darf. Ganz zu Beginn des Verfassungstextes stehen die Grundrechte:
Menschenrecht, Persönlichkeitsrecht, Gleichheitsgrundsatz, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Postgeheimnis, Freizügigkeit und Berufsfreiheit sind nur einige von ihnen. Übrigens das derzeit leider nur am Rande: Auch das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht.
Die von der Verfassung garantierten Rechte gelten unumstößlich, einige haben sogar Ewigkeitsgarantie, allerdings kann der Staat die Grundrechte einschränken, dann aber nur auf Grund eines Gesetzes. Das bedeutet, Bundestag und gegebenenfalls auch der Bundesrat müssen zustimmen, der Bundespräsident muss zustimmen und das Gesetz unterschreiben und schließlich muss es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.
Als die Bundestagsabgeordneten das Infektionsschutzgesetz im Jahr 2000 verabschiedet haben, war ihnen sicherlich nicht klar, dass dieses Gesetz einmal die schärfsten Einschränkungen der Grundrechte in der Geschichte der Bundesrepublik ermöglichen würde. Es hat es bisher noch nie gegeben, dass alle, ja alle, die in Deutschland leben, sich damit abfinden müssen, in ihrem Recht auf Ausübung eines Berufes, dem Recht, sich frei zu versammeln und dem Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt zu werden.
Erstaunlicherweise werden diese schmerzlichen und geradezu grausam spürbaren Beschränkungen akzeptiert. Bedenklich finde ich, dass die Politik nun ausprobiert, wie lang sie die Daumenschrauben noch anziehen kann. Derzeit findet das in der Diskussion über den Datenabgleich unserer Mobiltelefone statt.
Natürlich ist es oberstes Ziel, Menschenleben zu retten, und wenn dies Minister und andere Politiker immer wieder hervorheben, dann glaube ich ihnen sogar, dass sie es ehrlich meinen. Allerdings werde ich den Verdacht nicht los, dass damit unser Blick abgelenkt werden soll: Wir tun Alles, um Euer Leben zu retten und während ihr uns dabei zuseht, und so manche dem Tagesgeist geschuldete Symbolpolitik vorgeführt wird, schauen wir mal, was ihr sonst so treibt, wozu haben wir die Handys.
Da ist jetzt die Opposition im Bundestag gefragt, deren Aufschrei hoffentlich Schlimmstes verhindert. Es liegt in der Natur des Menschen in Gefahrensituationen kurzsichtig zu reagieren und zu glauben, so ein bisschen Telekommunikationsfreiheit aufzugeben, sei angesichts des Virus das kleinere Übel.
Auch hier gilt: Wehret den Anfängen.
Das gibt übrigens auch für die Frage, wie festgelegt werden soll, welche Patienten behandelt und/oder beatmet werden sollen. Das nun zu neuem Leben erweckte Wort „Triage“ kommt vom französischen Verb „trier“, zu Deutsch aussortieren. Das ist die Tätigkeit, mit der aus einem Korb Kartoffeln die faulen ausgesondert werden. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter bei der Vorstellung, eine mögliche Überlastung unseres Gesundheitssystems zwänge zu derlei.
Wer soll da entscheiden? Jedenfalls nicht der Staat, das verbietet die Menschenwürde. Zum Kern dessen, was Menschenleben ist, hat der Staat keinen Zugang und keinen Zugriff.
Es gibt in der Juristerei den Begriff der „normativen Kraft des Faktischen.“ Um es allgemeinverständlich auszudrücken: Wenn eine allgemeine Lage vom Gesetz nicht vorgesehen ist, oder in unserem Fall nicht vorgesehen werden darf, dann schafft die Realität die Norm.
Das bedeutet, soweit ich das verstehen kann, dass die menschenrechtswidrige Entscheidung, wer behandelt wird und wer nicht, denen obliegt, die diese Behandlung vornehmen können und müssen. Es sind die Ärzte, die hier im Notfall Normen schaffen müssen.
Somit erhebt sich die Frage der Strafbarkeit. Das ist jetzt wieder Aufgabe von Rechtswissenschaft und der Legislative, hier genaue Richtlinien zu schaffen, damit Ärzte, die in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit entschieden haben, keine Strafverfolgung befürchten müssen, gleichzeitig aber einer willkürlichen Selektierung vorgebeugt wird.
Das Wort „Selektierung“ habe ich wegen seiner historischen Bedeutung absichtlich gewählt.
Ganz ganz schweres Thema. Hoffentlich muss es nicht soweit kommen. Ich fange mal zu beten an. Bin 69.