Der Wolf und die sieben Muskelkater

Seit ich wegen des Virus unter Hausarrest stehe, laufe ich am Tag zwischen 888 und 920 Metern. Das ist eine Strecke, die an alles Mögliche denken lässt, nicht aber an Körperertüchtigung. Diese liegt derzeit am Boden und mit ihr zwei ihrer beliebtesten Begleiter: Der Wolf und die Muskelkater. Absichtlich belasse ich den einen im Singular und die anderen ehre ich mit dem Plural. Und so wollen wir hinfort den Wolf an seinem einsamen Wirkungsfeld verortet sein lassen und wenden uns den Muskelkatern zu.

Oft sind die vielerorts auftretenden Muskelkater schmerzhaft, aber selten berichtet jemand von ihnen ohne, dass ein Lächeln ihm über das Antlitz huscht, gemahnen sie doch an vergangene Anstrengungen, ja Heldentaten. Wer von Ehrwald aus die Zugspitze erklimmt, fühlt zu Recht, er habe etwas Wichtiges vollbracht, zumeist in Gemeinschaft mit guten Freunden. Es würde an die Überheblichkeit eines Bergführers grenzen, gäbe man am darauffolgenden Morgen nicht zu, wie alle anderen auch Schmerzen in den abrupt überanstrengten Muskeln zu haben.

Bei allem Schmerz, der Muskelkater ist ein wohliges Gefühl und erinnert daran, etwas geleistet zu haben. Gartenarbeit, Bergerstürmungen, Hilfe beim Umzug, der Jakobsweg, exzessive Zuwendung zum anderen Geschlecht, Klettertour auf der Isla Es Vedrá vor Ibiza, „ich hab mei Küchn raus müss weisl“, eine weitere Etappe auf dem Berliner Mauerweg, Fahrradtour von Neuruppin über Rheinsberg nach Fürstenberg an der Havel, Aufstieg zum Castillo de Alaró, Wanderung in den Korkeichenwäldern Andalusiens ,all das hat mir schon die wunderbarsten Muskelkater (Muskelkäter?) beschert und immer war mir klar, ein gut Werk getan zu haben.

Nun ist er verschwunden und mit ihm das ganze Trallallá der Körperertüchtigung. Wer mich kennt, weiß, dass ich ständige Bewegung und besonders den Drang danach, nicht erfunden habe. Wenn ich als Kind meinen Vater in den Wald begleiten durfte, fand ich es dort immer am schönsten, wenn wir wieder im grünen Forst VW saßen und nach Hause fuhren.

Und nun, in der Weltendämmerung des dreuhenden Virus vermisse ich den Muskelkater, den süßen Freund. Er war mir stets Zeuge hinter mich gebrachter unvergesslicher Erlebnisse. Nun merke ich, dass er auch Zeuge der Freiheit war. „Oh welche Lust in freier Luft, den Atem leicht zu heben, Nur hier, nur hier ist Leben.“ Nicht umsonst ist es der Chor der Gefangenen, der dies im Fidelio singt.

Der Muskelkater steht in der Gefahr, auszusterben und sollte nach den riffbildenden Korallen auf die rote Liste gefährdeter Arten gesetzt werden. Begründung: Wenn das mit den 888 bis 920 Metern am Tag so weiter geht, haben wir, wenn das Virus sich verflüchtigt hat, gar keine Muskeln mehr, die wir den darbenden Katern vorsetzen könnten.

Kurz, es muss etwas getan werden. Ich habe nun wieder mit der Gymnastik angefangen, was mich noch mehr langweilt als Mozarts Reise nach Prag in Steno Schrift zu lesen. Heimlich hat mich meine geliebte Frau dabei gefilmt und ich gestehe, ich sehe dabei aus, wie ein sterbender Laubfrosch, nur in dicker.

Immerhin, und das ist einerseits das Gute daran, andererseits kehren wir damit wieder zum Anfang zurück: Bei der Gymnastik kann man sich keinen Wolf laufen.

 

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