Coronabonds

 

Die Finanzkrise und die Krise des Euro im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise habe ich in Spanien erlebt. Da ich deutsche TV-Nachrichten sah, und am Morgen darauf die spanische Presse las, konnte ich feststellen, wie sehr die Berichterstattung von nationalen Interessen geprägt war, wie eine grenzübergreifende Berichterstattung nicht mehr möglich war, womöglich noch nie möglich war.

Damals wurde über Eurobonds diskutiert. Das sind Anleihen, die von der EU selbst ausgegeben werden, für die dann die EU und die Gesamtheit ihrer Mitgliedstaaten haften.

Die deutschen Medien taten so, als werde damit die Büchse der Pandora aufgemacht. Pest, Cholera und der südeuropäische Hang zum Faulenzen gepaart mit dem laxen Umgang mit öffentliche Geldern würden ganz Europa anstecken, wo kämen wir denn da hin, wenn der vernünftig haushaltende Norden für die Schulden dieser zweifelhaften Personen und Staaten haften würde.

Das war ungefähr so zielführend, wie die Bundeskanzlerin als zähnefletschendes Naziuntier auf den Titelseiten mediterraner Gazetten zu sehen. Statt zu reden und zu überlegen, wurden Misstrauen und Hass gesät.

Seriöse Journalisten aus südlichen Ländern wiesen damals darauf hin, dass es durchaus im Interesse speziell der Bundesrepublik sei, die Eurobonds abzulehnen: Die Bundesbank verdiente sich damals eine goldene Nase damit, selbst und direkt Kredite an die Gestade des Mare Nostrum zu schleusen. Die Eurobonds hätten dieses Geschäftsmodell kaputtgemacht. Ich habe mich damals geschämt, wenn mich meine spanischen Freunde auf diesen Umstand angesprochen haben.

Heute erleben wir in der Coronakrise eine zur Untätigkeit gezwungene EU. Ihr fehlt in der Gesundheitspolitik jegliche rechtliche Befugnis, die ihr ein Handeln ermöglichen würde. Wir erleben gleichzeitig, wie sich viele der wirklich notleidenden EU-Staaten fragen, wo denn die Solidarität der in einer von demokratischen Werten getragenen Gemeinschaft bleibt? Die Flugzeugtransporte von 6 (in Worten sechs) Patienten aus Bergamo kommend wären gut, wenn sie nicht so peinlich im Fernsehen breitgetreten würden.

Das Virus macht an keiner Grenze halt. Stimmt. Es stimmt aber auch, dass das Virus über diese Grenzen zu uns gekommen ist, von Italien nach Spanien, von Österreich nach den Niederlanden und von Frankreich nach Deutschland und umgekehrt.

Schon allein deshalb ist das Virus ein gemeinsames EU Problem. Es ist es aber auch deshalb, weil die Wirtschaft der EU, das wird ja immer so gepriesen, derart miteinander verwebt ist.

Es ist allerhöchste Zeit, dass nicht nur die Staaten verstehen, wozu die EU gut ist. Jetzt muss es gelingen, mit EU Geldern dem kleinen Gewerbetreibenden, den Frauen und Männern, die keine Arbeit mehr haben, den notleidenden Gesundheitssystemen zu helfen. Wenn jetzt nicht sofort durch Coronabonds ein Zeichen des Miteinanders gesetzt wird, dann desavouiert sich das europäische Gebilde als Schönwetterallianz, die nur dafür gedacht ist, dass der Handel blüht.

Es gibt Momente, die es notwendig machen, wirtschaftliche Problemlagen politisch zu entscheiden. Bestes Beispiel dafür ist die Einführung der DM 1:1 in der noch bestehenden DDR.

Einen solchen Moment erleben wir gerade wieder. Wenn jetzt die EU als Solidarpakt nicht alles dafür tut, die bereits entstandenen und noch entstehenden wirtschaftlichen Schäden durch ein klares Zeichen des Zusammenhaltens einzudämmen, dann versagt sie in einem ihrer Hauptziele: Die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Völker Europas in Frieden und Wohlstand miteinander leben können.

 

Die Klopapierspionin

Die Klopapierspionin

Anna, Bertha, Lissa, Agnes, Hedwig, Ruth, Franzis Jula. Das ist die Litanei der schier unzähligen Schwestern meines Großvaters in Thüngen. Wenn unsere Tanten sie aufsagten, erinnerte mich das immer an den Konfirmandenunterricht, wo wir lernten, die Bücher der Bibel runterzuleiern: Vier Mose, Josua, Richter Rut, zwei Samuel usw.

Wie man sieht, Anna war die Älteste. Sie muss sehr resolut gewesen sein, denn sie setzte durch, dass sie Kunst studieren konnte. Zu diesem Zweck verbrachte sie um die Jahrhundertwende einige Zeit in Paris, selbstverständlich begleitet von einer Anstandsdame. Nachdem die Briefe immer spärlicher wurden, machte man sich in Thüngen Sorgen, und ihr Vater setzte sich „auf die Bahn“, wie man damals sagte. Er fand seine Tochter friedlich malend in ihrem Atelier am Montmartre vor. Die Anstandsdame allerdings hatte dem sinnlichen Angebot der Stadt an der Seine nicht widerstehen können und war verschwunden. So ging das natürlich nicht weiter, der Aufenthalt in Paris wurde abgebrochen und Anna musste ihr Studium an der Kunstakademie in München vollenden. Dort heiratete sie 1904 ihren Lehrer, den Professor und Maler Angelo Jank. Der hatte sich einen Namen gemacht mit seinen Pferdebildern, heute würde er wahrscheinlich Autos malen.

Onkel Angelo machte zur Bedingung, dass seine Frau mit der Malerei aufhören müsse, weil er keine Lust habe, den Weg zum ehelichen Bett an Farbtöpfen vorbei und über Tiegel kletternd finden zu müssen. Die Familie Jank findet das nach wie vor ganz richtig, unsere Seite der Familie hält daran fest, dass Tante Anna begabter gewesen sei als ihr Mann und der diesen Umstand tunlichst unter der Decke halten wollte.

Nun gut, als Frau Professor war sie es gewohnt, dass man ihr Respekt entgegenbrachte. Sie dirigierte in München den Haushalt eines überaus erfolgreichen Professors und Malers und wenn sie in die Sommerferien nach Thüngen kam, dann ließ sie alle merken, dass sie die Älteste war.

Einmal, die Nazis hatten bereits mit ihrem unseligen Krieg begonnen, fuhr sie mit der Bahn von Würzburg nach München. Es war Sommer und es war heiß.

Unangenehmerweise überkam die damals schon ältere Dame ein menschliches Bedürfnis und sie verschwand im Klo. Die sanitären Anlagen in den Zügen hatten damals schon den Ruf, nicht besonders hygienisch zu sein, und deshalb pflasterte Tante Anna die Klobrille mit den an einem Haken hängenden ausgeschnittenen Zeitungsschnipseln, anderes Papier gab es schon nicht mehr.

Sie war noch nicht ganz fertig, als es an die Tür klopfte und sie mir harschen Worten aufgefordert wurde, sofort den Abort zu verlassen. Von Menschen, die das Klo Abort nennen gegen ihren Willen zu irgendetwas aufgefordert zu werden, dass war ihr bisher noch nie passiert, und deshalb ließ sie sich Zeit. Als sie schließlich die Tür öffnete, stand sie zwei erbosten Polizisten gegenüber, die nur „Kontrolle – Papiere“ brüllten. Tante Anna ließ sich erneut Zeit und machte den beiden Kerlen Vorhaltungen wegen ihres schlechten Benehmens. Das war den Beiden bisher auch noch nie passiert. Erbost drängten sie die Dame ins Klo zurück und unterzogen sie dort einer Leibesvisitation. Wie Recht sie damit hatten, wurde klar, als sich auf dem Popo der Dame spiegelschriftliche, offenbar geheime Zeitungsabdrucke fanden. Die Polizisten machten kurzen Prozess und schlossen die Spionin im Dienstabteil ein. Bei der nächsten Station, in Treuchtlingen, wurde sie auf die Wache geführt, wo sich die Sache nach erneuten, lautstarken Protesten der vermeintlichen Spionin und dem Versuch, den Inhalt der geheimen Botschaften zu entziffern, aufklärte.

Da war der Zug nach München aber schon weg.

 

 

Coronaopfer und der Rechtsstaat

Mit dem Grundgesetz sagen wir Bürger dem Staat, was er darf und was er nicht darf. Ganz zu Beginn des Verfassungstextes stehen die Grundrechte:

Menschenrecht, Persönlichkeitsrecht, Gleichheitsgrundsatz, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Postgeheimnis, Freizügigkeit und Berufsfreiheit sind nur einige von ihnen. Übrigens das derzeit leider nur am Rande: Auch das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht.

Die von der Verfassung garantierten Rechte gelten unumstößlich, einige haben sogar Ewigkeitsgarantie, allerdings kann der Staat die Grundrechte einschränken, dann aber nur auf Grund eines Gesetzes. Das bedeutet, Bundestag und gegebenenfalls auch der Bundesrat müssen zustimmen, der Bundespräsident muss zustimmen und das Gesetz unterschreiben und schließlich muss es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.

Als die Bundestagsabgeordneten das Infektionsschutzgesetz im Jahr 2000 verabschiedet haben, war ihnen sicherlich nicht klar, dass dieses Gesetz einmal die schärfsten Einschränkungen der Grundrechte in der Geschichte der Bundesrepublik ermöglichen würde. Es hat es bisher noch nie gegeben, dass alle, ja alle, die in Deutschland leben, sich damit abfinden müssen, in ihrem Recht auf Ausübung eines Berufes, dem Recht, sich frei zu versammeln und dem Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt zu werden.

Erstaunlicherweise werden diese schmerzlichen und geradezu grausam spürbaren Beschränkungen akzeptiert. Bedenklich finde ich, dass die Politik nun ausprobiert, wie lang sie die Daumenschrauben noch anziehen kann. Derzeit findet das in der Diskussion über den Datenabgleich unserer Mobiltelefone statt.

Natürlich ist es oberstes Ziel, Menschenleben zu retten, und wenn dies Minister und andere Politiker immer wieder hervorheben, dann glaube ich ihnen sogar, dass sie es ehrlich meinen. Allerdings werde ich den Verdacht nicht los, dass damit unser Blick abgelenkt werden soll: Wir tun Alles, um Euer Leben zu retten und während ihr uns dabei zuseht, und so manche dem Tagesgeist geschuldete Symbolpolitik vorgeführt wird, schauen wir mal, was ihr sonst so treibt, wozu haben wir die Handys.

Da ist jetzt die Opposition im Bundestag gefragt, deren Aufschrei hoffentlich Schlimmstes verhindert. Es liegt in der Natur des Menschen in Gefahrensituationen kurzsichtig zu reagieren und zu glauben, so ein bisschen Telekommunikationsfreiheit aufzugeben, sei angesichts des Virus das kleinere Übel.

Auch hier gilt: Wehret den Anfängen.

Das gibt übrigens auch für die Frage, wie festgelegt werden soll, welche Patienten behandelt und/oder beatmet werden sollen. Das nun zu neuem Leben erweckte Wort „Triage“ kommt vom französischen Verb „trier“, zu Deutsch aussortieren. Das ist die Tätigkeit, mit der aus einem Korb Kartoffeln die faulen ausgesondert werden. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter bei der Vorstellung, eine mögliche Überlastung unseres Gesundheitssystems zwänge zu derlei.

Wer soll da entscheiden? Jedenfalls nicht der Staat, das verbietet die Menschenwürde. Zum Kern dessen, was Menschenleben ist, hat der Staat keinen Zugang und keinen Zugriff.

Es gibt in der Juristerei den Begriff der „normativen Kraft des Faktischen.“ Um es allgemeinverständlich auszudrücken: Wenn eine allgemeine Lage vom Gesetz nicht vorgesehen ist, oder in unserem Fall nicht vorgesehen werden darf, dann schafft die Realität die Norm.

Das bedeutet, soweit ich das verstehen kann, dass die menschenrechtswidrige Entscheidung, wer behandelt wird und wer nicht, denen obliegt, die diese Behandlung vornehmen können und müssen. Es sind die Ärzte, die hier im Notfall Normen schaffen müssen.

Somit erhebt sich die Frage der Strafbarkeit. Das ist jetzt wieder Aufgabe von Rechtswissenschaft und der Legislative, hier genaue Richtlinien zu schaffen, damit Ärzte, die in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit entschieden haben, keine Strafverfolgung befürchten müssen, gleichzeitig aber einer willkürlichen Selektierung vorgebeugt wird.

Das Wort „Selektierung“ habe ich wegen seiner historischen Bedeutung absichtlich gewählt.

 

Corona. Das Silberfischchen

Wer behauptet, er langweile sich nicht, der lügt. Man kann sich noch so viel vornehmen, irgendwann fällt jedem bei dieser Ausgangssperre die Decke auf den Kopf und es wird dann schwer, sich auszudenken, was gegen die Langeweile zu tun sei.

Meine Frau ist da besser aufgestellt als ich, denn sie ist Schweizerin, und als solche fällt ihr beim geringsten Betätigungsdefizit sofort fas Folgende ein:

MUSCH BUTZE!

Wer das nicht glaubt, der muss nur einmal die Staatsgrenze zwischen „la douce France“ und Helvetien kreuzen: Gestrichene Fensterläden, gepflegte Gärten, fleckenlose LKWs, ja sogar der Doubs scheint dort, wo er die Grenze bildet, auf der CH Seite in geordneteren Bahnen zu verlaufen.

Als ich einmal in Zürich aus dem Flieger stieg, sagte eine Mamá zu ihrem Kind im Zubringerbus: „Now we are in Switzerland. Everything is very tidy here.“

Nach dieser Einordnung komme ich auf meine häusliche Situation zurück, die mich mit Sorge erfüllt: Meine Frau hat mit dem Frühjahrsputz begonnen und droht, sollte die Ausgangssperre nicht bald aufgehoben werden, hinten wieder anzufangen, wenn sie vorn fertig ist.

Das könnte mir an sich egal sein, ist es aber nicht, weil ich befürchte, sie könne auf die Idee kommen, meine Hilfe einzufordern. A priori ist das durchaus legitim und ich füge mich dem auch nur mit leisem Murren. Dies ist allerdings nicht dem Umstand geschuldet, dass ich etwa nicht helfen wollte, sondern der Gewissheit, dass es zum Streit kommen wird.

Es ist nämlich so, dass die Vorstellungen meiner Frau und die meinen in puncto putzen, also nein, das sind wirklich Welten, die uns da trennen. Neulich habe ich ihr einen Staubsaugroboter geschenkt, der naturgemäß „by random“ durch unsere Zimmerfluchten brummt, seine Saugwege sind nicht vorherzusagen. Sofort behauptete meine geliebte Ehefrau, das Ding weiche dem Dreck nur aus. Jetzt saugt der Apparat bei meiner Tochter im Haus, zu deren Zufriedenheit, das nebenbei bemerkt.

Gestern war das Duschbad dran. Ich gebe zu, eine wirklich unangenehme Arbeit, die Arme musste unters Waschbecken kriechen und weil die Dusche so einen modernen seitlichen Abfluss hat, musste der auseinandergepopelt werden, und was sich darunter befand, war wirklich nicht erfreulich. Dessen ungeachtet verlangte sie von mir nur Hilfe auf der „halt mal eben das-Ebene“ und so. Ich war wirklich gerührt.

Später saß ich im blitzsauberen Bad und sinnierte, als sich am Boden etwas bewegte. Etwas Kleines Weißes huschte hin und her. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen: Ein Silberfischchen! Es musste sich vorkommen wie ein Überlebender nach einem Atombombenangriff. Ich stellte mir vor, wie Monsieur Silberfisch aus seinem Versteck heraus zunächst besorgt doch bald schon in heller Panik das Tun der putzenden Dame verfolgte. Silberfischchen sind keine Intelligenzbestien, aber sie kennen ihren natürlichen Feind: Die Sauberkeit an sich und sie übertriebene im Speziellen.

Der Arme muss gezittert haben, als eine weibliche Stimme rief: „Hans, wie macht mr de Schavelwasserflasche uff?“ worauf ein voluminöses Etwas das Duschbad betrat und die Flasche mit dem gefährlichen Bleichmittel tatsächlich öffnete.

Verkroch er sich noch tiefer in die Ritze, die ihm als Heimstadt diente, oder aber, im Krieg ist Information alles, verharrte er auf seinem Beobachterposten?

Sei dem wie es wolle, der Überlebende des Angriffs auf alles, was ihm lieb und schmutzig war, nutze die laue Abendstunde zu einem erholsamen Spaziergang, den er, ich gestehe es, nicht überlebt hat.

Hätte ich das Silberfischen verschont, wäre meine Frau vom Schlag hingerafft worden, wenn sei ihm begegnet wäre. Ich musste das pro und contra abwägen.

Und so ist das arme Silberfischchen zu einem weiteren Opfer der Coronakrise geworden.

Coronaopfer und Europa

Wenn die gegenwärtige Viruskrise vorüber sein wird, gibt es hoffentlich ganz viele Genesene und ganz wenig Verstorbene, allerdings ist jetzt schon klar, es wir ein Kranker übrigbleiben. Das ist die Europäische Union.

Sie ist nicht vorhanden in der Bewältigung der weltweiten Pandemie. Nachrichtentechnisch scheint es so, als habe der Ministerpräsident des Saarlandes in dieser Sache mehr zu vermelden als die ansonsten so machtvollen EU-Kommissare. Das hat natürlich einen Grund, und zwar den der Kompetenzen.

Die EU hat keine gesetzliche Befugnisse, um handelnd in die Bewältigung der Coronakrise eingreifen zu können.

Das ist bedauerlich, aber es ist symptomatisch: Europa, wahrscheinlich die gesamte Welt, haben sich angewöhnt, das Gesundheitssystem in den Boden zu sparen. Man hat einfach darauf vertraut, dass der medizinische Fortschritt derart allumspannend ist, dass in seiner Folge die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen, die stationär behandelt werden müssen, immer geringer wird.

Erst im vergangenen Jahr hat der Bundesgesundheitsminister haufenweise die Schließung von Krankenhäusern angeordnet. Ich nehme an, dass er sich aus Ärger über diesen Fehler nun die Finger wund beißt.

Unser aller Bewusstsein hat sich schlicht und ergreifend vom Gesundheitswesen abgewendet. Jaja, das ist wichtig und da arbeiten auch fleißige und kompetente Leute. Diese aber anständig zu bezahlen, das war in der öffentlichen Wahrnehmung unter dem Diktat des verordneten Sparzwanges, nun wirklich keine Priorität.

Um zur EU zurückzukommen: Dass man ihre keine Gesundheitskompetenzen verliehen hat, zeigt in aller Deutlichkeit, welche Gewichtung unser aller Gesundheit in den Augen der Politik hat.

Um es polemisch auszudrücken: Der Bananenbieger war in Brüssel wichtiger als der Arzt.

Nach Beendigung der Pandemie werden wir alle wissen, wie immens wichtig es ist, ein Sanitätswesen zu haben, dass stets auf alles vorbereitet ist und das so attraktiv ist, dass genügend junge Leute in die Pflegeberufe gehen.

Ich kann und werde hier keine Vorschläge machen, denn ich bin kein Fachmann. Eines aber weiß ich: Die Coronakrise gibt uns die Gelegenheit, unsere Götter zu revidieren. Vielleicht ist es gesellschaftlich doch nicht so alternativlos, ständig unter dem Primat der Wirtschaft zu leben. Die kann ja doch auf die Dauer nur gedeihen, wenn sie von psychisch und physisch Gesunden betrieben wird.

Und, das klingt jetzt schon ein wenig futuristisch: Wenn der Staat es berechtigterweise für richtig befunden hat, eine tatenlose Wirtschaft und eine zum Nichtstun verdonnerte Bevölkerung über diese Wochen, vielleicht Monate zu bringen, dann ist es an der Zeit, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken.

Bislang wurde das von den Wirtschaftsgottsöberschten als Flausen von solchen diffamiert, die sowieso nicht arbeiten wollen.

Diese Tage haben gezeigt, dass die Frage der Arbeit nicht vom Willen allein abhängt.

Fazit eins: Wenn ein Virus grenzüberschreitend arbeitet, muss das die EU Kommission auch tun können.

Fazit zwei: Es muss uns etwas einfallen, Gesundheit als wirklich wichtig zu verstehen. Wie wichtig sie ist, wissen nur die, die sie die Gesundheit verloren haben. Gesundheit ist mehr als das, was man sich auf vorgedruckten Karten zu Weihnachten wünscht.

Der Wolf und die sieben Muskelkater

Seit ich wegen des Virus unter Hausarrest stehe, laufe ich am Tag zwischen 888 und 920 Metern. Das ist eine Strecke, die an alles Mögliche denken lässt, nicht aber an Körperertüchtigung. Diese liegt derzeit am Boden und mit ihr zwei ihrer beliebtesten Begleiter: Der Wolf und die Muskelkater. Absichtlich belasse ich den einen im Singular und die anderen ehre ich mit dem Plural. Und so wollen wir hinfort den Wolf an seinem einsamen Wirkungsfeld verortet sein lassen und wenden uns den Muskelkatern zu.

Oft sind die vielerorts auftretenden Muskelkater schmerzhaft, aber selten berichtet jemand von ihnen ohne, dass ein Lächeln ihm über das Antlitz huscht, gemahnen sie doch an vergangene Anstrengungen, ja Heldentaten. Wer von Ehrwald aus die Zugspitze erklimmt, fühlt zu Recht, er habe etwas Wichtiges vollbracht, zumeist in Gemeinschaft mit guten Freunden. Es würde an die Überheblichkeit eines Bergführers grenzen, gäbe man am darauffolgenden Morgen nicht zu, wie alle anderen auch Schmerzen in den abrupt überanstrengten Muskeln zu haben.

Bei allem Schmerz, der Muskelkater ist ein wohliges Gefühl und erinnert daran, etwas geleistet zu haben. Gartenarbeit, Bergerstürmungen, Hilfe beim Umzug, der Jakobsweg, exzessive Zuwendung zum anderen Geschlecht, Klettertour auf der Isla Es Vedrá vor Ibiza, „ich hab mei Küchn raus müss weisl“, eine weitere Etappe auf dem Berliner Mauerweg, Fahrradtour von Neuruppin über Rheinsberg nach Fürstenberg an der Havel, Aufstieg zum Castillo de Alaró, Wanderung in den Korkeichenwäldern Andalusiens ,all das hat mir schon die wunderbarsten Muskelkater (Muskelkäter?) beschert und immer war mir klar, ein gut Werk getan zu haben.

Nun ist er verschwunden und mit ihm das ganze Trallallá der Körperertüchtigung. Wer mich kennt, weiß, dass ich ständige Bewegung und besonders den Drang danach, nicht erfunden habe. Wenn ich als Kind meinen Vater in den Wald begleiten durfte, fand ich es dort immer am schönsten, wenn wir wieder im grünen Forst VW saßen und nach Hause fuhren.

Und nun, in der Weltendämmerung des dreuhenden Virus vermisse ich den Muskelkater, den süßen Freund. Er war mir stets Zeuge hinter mich gebrachter unvergesslicher Erlebnisse. Nun merke ich, dass er auch Zeuge der Freiheit war. „Oh welche Lust in freier Luft, den Atem leicht zu heben, Nur hier, nur hier ist Leben.“ Nicht umsonst ist es der Chor der Gefangenen, der dies im Fidelio singt.

Der Muskelkater steht in der Gefahr, auszusterben und sollte nach den riffbildenden Korallen auf die rote Liste gefährdeter Arten gesetzt werden. Begründung: Wenn das mit den 888 bis 920 Metern am Tag so weiter geht, haben wir, wenn das Virus sich verflüchtigt hat, gar keine Muskeln mehr, die wir den darbenden Katern vorsetzen könnten.

Kurz, es muss etwas getan werden. Ich habe nun wieder mit der Gymnastik angefangen, was mich noch mehr langweilt als Mozarts Reise nach Prag in Steno Schrift zu lesen. Heimlich hat mich meine geliebte Frau dabei gefilmt und ich gestehe, ich sehe dabei aus, wie ein sterbender Laubfrosch, nur in dicker.

Immerhin, und das ist einerseits das Gute daran, andererseits kehren wir damit wieder zum Anfang zurück: Bei der Gymnastik kann man sich keinen Wolf laufen.

 

Corona: Keep Swiss

Coronaopfer IV. Keep Swiss

Wie bekannt, ist meine geliebte Ehefrau Schweizerin. Als solche hat sie einen Anspruch auf landschaftliche Schönheit oder Exotik, den ich ihr derzeit angesichts der verordneten Kontakterschwernisse nur schlecht bieten kann.

Als wir noch auf Mallorca lebten, bin ich immer, wenn ich merkte, dass sie Heimweh hatte, mit ihr durch den Autobahntunnel bei Génova gefahren, in schwereren Fällen nahmen wir den nach Sóller, das hat stets geholfen.

Aber jetzt?

Glücklicherweise haben wir etwas, was in neuzeitlichen Immobilienanzeigen „Loggia“ genannt wird. Da kann man auf etwa vier Metern Breite das Fenster zusammenfalten und wer jetzt noch viel Phantasie mitbringt, kann sich vorstellen, er säße auf einem Balkon.

In diesen Tagen ist es kalt, aber die Sonne scheint. Also hüllen wir uns in warme Wolldecken und setzen uns in die warmen Strahlen. Wir nennen das. „Wir spielen Sankt Moritz.“ Spätestens nach etwa 20 Minuten ruft meine Schweizerin:

„Frollein, bingetse mr a Chaffi.“ In Ermanglung eines Frolleins springe ich sofort auf und bereite eine Tasse Kaffee, die ich kurz darauf serviere und dazu sage:

„Das gosded bidde zwansch Frangn“. So stellt sich sofort das wohlige Gefühl ein, in Sankt Moritz Ferien zu machen, denn dort scheint bei kaltem Wetter die Sonne, alles ist teuer und die Serviertöchter stammen aus Sachsen.

Wenn wir damit durch sind, wetten wir auf Züge. Hinter einer Schallschutzmauer können wir die oberen 20 cm vorbeifahrender S-Bahnen sehen, bei den regionalen Doppeldeckerzügen der Bundesbahn ist es natürlich erheblich mehr, was uns an Eisenbahnromantik geboten wird. Wir wetten, ob der nächste Zug von links oder von rechts kommt. Das geht ganz schön ins Geld. Riskant, aber hochdotiert, ist die Wette auf den neuen Stadler KISS Doppeldeckerzug der DB. Das ist so riskant, weil er im Zweistundentakt kommt, einmal von links und einmal von rechts. Es genügt, zu wetten, dass er als nächster kommt, egal aus welcher Richtung.

Dieser Zug verbindet seit Neuestem Dresden mit Rostock und stammt aus Schweizer Produktion. Ich erzähle dann von den Meriten Schweizer Ingenieurskunst, durch die es möglich ist, diese herrlichen Züge in Bussnang im Kanton Thurgau herzustellen.

Für das Kommende muss man wissen, dass meine Frau „Baslere“ ist, also ein gewiss großstädtisches Flair in sich trägt. Deshalb erwidert sie meine Hymnen auf das CH-know how stets mit dem lapidaren Satz:

„Bussnang is a Schießdracksdörfli.“

Dem folgt regelmäßig ein unterhaltsamer Gedankenaustausch, der uns Gelegenheit bietet, die Vorteile von Basel gegen die von Bussnang abzuwägen. Ich habe unterdessen gelernt, wann ich nachgeben muss, nämlich immer dann, wenn sie mit Scheidung droht.

Um schnell vom Thema abzukommen, verweise ich nachfolgend gern auf den gelben BVG Bus der Linie 27, dessen Endstation von der Loggia aus fast zu sehen ist. Ab und zu fährt einer mit Ziel Jungfernheide unten vorbei. Ich benutze dies zu einem sehnsüchtigen Seufzer:
„Ja, in der Jungfernheide müsste man jetzt sein“, woraufhin mich meine Frau scharf anschaut. Sie versteht das natürlich vollkommen falsch, denn bei der derzeitigen Beschränktheit meiner Bewegungsmöglichkeiten erscheint mir eine Busfahrt zur Jungfernheide mit Kurzaufenthalt alldorten wie der Himmel auf Erden.

Naja, vielleicht ist es in unserem Sankt Moritz doch noch schöner.

 

P.S.

Meine Frau hat Recht, Bussnang ist ein Schießdracksdörfli. Es gibt dort eine Hauptstraße, ein Gässli, ein Scheffgässli, eine Schulstraße und ein Viadukt, über das die Schienen zur Stadler-Bahnfabrik führen, die an der Ernst Stadler Straße liegt.

Mit Basel nicht zu vergleichen.

Der Jäger, habt Mitleid mit ihm.

Waidmänner verstehen bekanntlich keinen Spaß. Woher das kommt? Ich vermute, der Grund ist der, dass sich Jäger grundsätzlich missverstanden fühlen.

Da gehen sie hinaus in Wald und Flur, um das Wild zu hegen, was in der Mehrzahl der Fälle mit Schrot oder Kugel geschieht. Kommen sie nach dem Umweg übers Wirtshaus mit dem Rehbock im Kofferraum nach Hause, dann schimpft die Hausfrau, weil nicht nur das halbe Auto sondern auch die Garage und meist auch noch die Küche vollkommen versaut zurückgelassen werden.

Damit kommen wir zur zweiten feststellenden Beobachtung: Der Körperbau des Jägers ist fürs Putzen ungeeignet. Deshalb hat der Jäger eine Frau, die zwar über den Saustall schimpf, ihn aber dann doch beseitigt.

Wir müssen uns die Jäger als re- und deprimierte Menschen vorstellen, zumal, und das blieb bisher unerwähnt, sie auch noch eine miese Presse haben: Wenn Herden von Wildsauen die Gärten unserer Vorstädte verwüsten, wenn Wanderer in Forst und Wald von vorbeihetzenden Rotten (so nennt man Ansammlungen von drei Wildsauen und mehr) von den ausgewiesenen Pfaden verdrängt werden, dann heißt es, die Jäger kämen ihrer Aufgabe nicht nach, das Wild im zahlenmäßig im Zaum zu halten, zumal  die polnische Schweinegrippe, da war doch was, oder?

Wenn allerdings die Hatz dem Rehlein, dem Osterhasen oder dem stolzen König des Waldes, dem Hirschen gilt, dann braust ein Sturm der Ablehnung durch Deutschlands Presse und Köpfe, die in vier Worte passt: „Wie kann man nur?“

Der Jäger kann es niemandem recht machen, irgendjemand stänkert immer, und das, wir erwähnten es bereits, schlägt auf‘s Gemüt.

Die Vereinszeitung des Jägertums heißt „Christ und Hund“ und erscheint monatlich. Bei der Lektüre des Blattes weiß sich der Jäger eins mit all denen, die auch gerade darin lesen. Dies ist allerdings eine virtuelle Einigkeit, weil man bisher noch nicht auf die Idee gekommen ist, sich zum gemeinsamen Lesen in der Jagerstubn zu treffen.

Der Jäger ist immer grün gekleidet, außer dem gestickten Rehbock auf seinem Schlips. Die Farbe seiner Kleidung unterscheidet ihn von den Grünen, ja trennt ihn sozusagen von diesen Veganamazonen*innen. Mit denen hat er nichts am Hut. Dieser dient dem Jäger in erster Linie dazu, ein Reis, den er zuvor im Blute des erlegten Wildes getränkt hat, mit einer Bewegung, die vom Herzen kommt, rechtsseitig daran zu stecken. So was würde ein Grüner mit dem politischen Gegner nie machen, und er würde das Ding auch nicht Bruch nennen.

Nun aber haben harte Tage für den Jäger begonnen. Wiesen und Flur sind vereinsamt, man darf ja nicht mehr raus. Nur der Jäger, begleitet von seinem Hund, der ausgangssperrentechnisch nicht als Person gilt, kann sich ungehindert in seinen 4×4 SUV setzen und im Wald machen was er will. Niemand beobachtet ihn, niemand wirft ihm Herzenskälte vor, niemand fordert, nachdem der Schuss verhallt ist, einen Veggie-Tag, es streifen auch keine bunt gekleideten johlenden Wildvergrämer mehr durch die Auen. Plötzlich muss der Waidmann sein heilig Tun vollkommen unbeachtet verrichten. Plötzlich ist es der bislang unverständigen Bevölkerung vollkommen wurscht, was der Grünkittel da draußen macht. Warum? Naja, man sieht und bemerkt ihn eben nicht, wenn man im Wohnzimmer auf dem Kanapee sitzt, sitzen muss.

Aber so hat der Jäger natürlich auch nicht gewettet! Er hat natürlich bemerkt, dass sein schlechtes Image auch mit Neid zu tun hat. Schließlich waren es vor 200 Jahren nur die sogenannten „Hohen Herren“, die jagen durften. Und dieser Neid hat sich über Revolutionen, Kriege und Wirtschaftskrisen gehalten. Beneidet zu werden, das gibt schon was her!

Und jetzt? Kein Schwein kümmerts, was der Hubertusjünger draußen treibt.

Habt Mitleid mit den armen Jägern!

Jeder hat eine Chance verdient.

Tatsächlich trifft uns das Corona Virus alle. Metzger, Bäcker, Tischler, Schornsteinfeger, Großeltern und Taxifahrer haben weniger zu tun, Pflegepersonal, Polizisten, Ärzte und Politiker können sich vor Arbeit kaum mehr retten.

Ich gehöre zu denen, die auch schon vorher nichts getan haben, insofern hat sich mein Leben wenig verändert, will man davon absehen, dass mir verboten wurde, einkaufen zu gehen. Das macht jetzt unsere Tochter, die Gudsde.

Beim normalen Nichtstun habe ich nichts getan, der Name sagt es. Beim „non fare niente forzoso“ allerdings muss ich mir eine Aufgabe stellen und diese heißt für die kommende Woche „compassion“. Ich habe mir vorgenommen, an jedem Wochentag mit einer anderen Berufsgruppe aktiv Mitleid zu haben.

Sie werden fragen, wodurch sich aktives Mitleid vom normalen Mitleid unterscheidet? Eigentlich in gar nichts, es ist nur so, dass man sich als aktiver mit Leider entschieden besser fühlt, man wähnt, die Registrierkassen im Himmel klickern zu hören.

Dies im Hinterkopf wäre es heute angebracht, mit allen Geistlichen dieser Welt Mitleid zu haben, denn ihre Kirchen, Moscheen, Tempel und Synagogen sind zu: Stellt euch vor, es ist Religion und keiner geht hin. Sie verstehen, diese Vorstellung ist derart paradiesisch, dass sie sich für’s Mitleiden nicht eignet. Nur zur Erinnerung: Die meisten Kriege hatten religiöse Auslöser.

Aber mit welcher Berufsgruppe fängt man an einem sonnigen Ausgangssperrensonntag an? Mitleidsmäßig, nota bene.

Gut, dass mich da heute Morgen ein Anruf erreicht hat, der Vorsitzende des BdGuT rief an, und bat mich, die Interessen des Verbandes zu übernehmen. Meine Vorhaltung, heute sei schließlich Sonntag, wischte er mit dem berechtigten Hinweis weg, seine Branche habe nie Ferien oder Feiertag, man mache sogar regelmäßig Nachtschichten. Ich solle mich nicht so haben.

Okay, ich hatte mich vortan nicht mehr und hörte dem Mann, er heißt Gisbert Wimmer, zu.

Er erklärte, seine Kollegen befänden sich in existentieller Not, zumal sie weder von den Wohlfahrtsverbänden noch vom Staat irgendwelche Unterstützung zu erwarten hätten.

Naja, Sie zahlen ja auch keine Steuern und Sozialabgaben, wendete ich ein, erntete aber nur Hohnlachen. Liebend gern würden seine Kollegen wie alle anderen anständigen Berufstätigen ihren Verpflichtungen der Allgemeinheit gegenüber nachkommen. Dazu aber wäre es notwendig, ihren Beruf zu entkriminalisieren. Bei den Sexarbeiterinnen sei das ja auch gelungen und seither wären diese sozialversichert.  Früher sei der Besuch im Puff verpönt gewesen, heute müsse man ihn auch als Zustupf zur Solidargemeinschaft aller Sozialversicherten ansehen.

Ich sagte. „Tempora mutantur“ und er antwortete „nos et mutamur in illis“ Es stellte sich heraus, Gisbert Wimmer ist Altphilologe. Er hatte nach einem durch aufsässige Schüler verursachten “burn out“ auf Diebstahl umgesattelt. Allerdings stellten seine Kumpane schnell fest, dass er selbst zum Schmiere stehen zu ungeschickt war, darum boten sie ihm eine verbandspolitische Karriere an: Präsident des Bundes deutscher Gauner und Taschendiebe. Und als solcher klagte er mir nun das Leid einer ganzen Berufsgruppe, deren oberster Lobbyist zu sein, er die Ehre habe. Die Straßen leer, die Wohnungen voll, was sollen da die Einbrecher machen? Ähnlich desolat seien die Berufsaussichten der Taschendiebe: Straßen leer, Abstand zwei Meter. Da geht einfach nichts mehr.

Ich verstand das Anliegen des BdGuT, habe das Mandat aber dennoch abgelehnt. Immerhin habe ich dem guten Gisbert Wimmer versprochen, heute aktiv Mitleid mit ihm und den Seinen zu haben. Dem habe ich hiermit Ausdruck verliehen.

 

Das Recht bleibt das Recht

Mein Freund Heiner Süselbeck hat neulich vorgeschlagen, ich solle doch mal über den 94. Psalm nachdenken.

Das habe ich getan und will zunächst einen kleinen Teil des Psalms hier zitieren:

„Denn der Herr wird sein Volk nicht verstoßen noch sein Erbe verlassen. Denn Recht muss doch Recht bleiben und ihm werden alle frommen Herzen zufallen.“

Dieser alttestamentarische Text ist wunderbar für diese Tage. Er gibt allen Menschen Hoffnung. Allen, die gläubig sind und allen, die nicht gläubig sind.

Er sagt nämlich nichts weniger als, dass – nenn es Herr, nenn es Natur – stets dafür sorgt, dass es weiter geht. Meine Mutter hat das immer in ihrer direkten Art so formuliert:

„Du musst nicht denken, dass sich der liebe Gott mit seiner Schöpfung so viel Mühe gemacht hat, um jetzt alles kaputt gehen zu lassen.“ Das war für mich stets ein riesiger Trost, wenn draußen Blitz und Donner wüteten und ich zitternd vor Angst in meinem Bett lag.

Und so kann uns das auch jetzt ein großer Trost sein, denn das Corona Virus wird sicherlich Vieles verändern, aber es wird danach weitergehen, womöglich nicht mit jedem von uns, aber die Welt wird nicht untergehen, dazu hat sich die Natur bisher viel zu viel Mühe mit ihr gegeben.

Nur, was hat das mit dem Recht zu tun? Das klingt geradezu so, als hätten wir ein Recht darauf, dass die Welt nicht untergeht, was insofern etwas absurd klingt, weil wir Menschen in den vergangenen Jahrzehnten alles unternommen haben, damit sie tatsächlich untergeht.

Nein, ich verstehe das anders. Die Bundeskanzlerin hat das neulich in ihrer Ansprache sehr deutlich gemacht: Bei allen notwendigen Eingriffen des Staates in die bürgerlichen Rechte, diese müssen bestehen bleiben. Recht muss Recht bleiben, auch dann, wenn der Staatskörper fast alle seine physischen und finanziellen Kräfte auf die Bewältigung der Corina Krise verlegen muss.

Das berühmte „whatever it takes“ hat eben seine Grenzen. Auch in Zeiten extremer Krisen ist nicht alles erlaubt. Die essentiellen Grundrechte müssen weiter gelten, Recht muss Recht bleiben und ihm werden alle frommen Herzen zufallen. Aber nicht nur diese. Es werden dem Recht alle die zufallen, die erkannt haben, dass das Recht dann wie ein Chinin Panzer, also wie ein Außenskelett für die Gesellschaft wirkt, wenn für viele Mitmenschen der eigene, der innere Halt wankt. Das Vertrauen darauf, dass es rechtens zugeht, bringt uns dazu, solidarisch handeln zu können, Egoismus hintanstellen zu können und er macht es uns möglich, keine Angst haben zu müssen.

Man muss nicht gläubig oder Mitglied einer Kirche sein, um zu erkennen, dass die Bibel ein Kompendium ist, in dem uraltes Wissen angehäuft ist, das auch irgendwie die Basis unseres Denkens und Handelns geworden ist.

Nur so eine Idee: Statt sich zu langweilen in diesen Tagen, kann man auch mal wieder in der Bibel lesen. Zum Teil ist das durchaus vergnüglich, denn gerade im Alten Testament geht es streckenweise zu wie im Bahnhofsviertel.